Disclaimer: Diese
Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und
Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja
sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der
Autor sicher nicht fähig.
Dieser Abschnitt der
Geschichte enthält explizite Darstellungen von Drogenkonsum sowie seinen
Auswirkungen und/oder Szenen körperlicher Nähe. Wer an solchen Bildern Anstoß
nimmt, möge dieses Kapitel bitte überspringen. Darüber hinaus möchte der Autor
immer zu einem verantwortungsbewussten Konsum psychoaktiver Substanzen mahnen:
Das ist der sicherste Weg zur Drogenmündigkeit, dem Gegenstück zur
Abhängigkeit.
Identität – die
Geschichte von Timo und Julian
part 6
Nur ein paar
Sekunden und meine Aufregung war verschwunden. Ein paar Sekunden Julian in die
Augen schauen, wobei ich den Blick wieder nicht schnell genug lösen konnte, und
ich fühlte mich am richtigen Ort.
Ich parkte den
Wagen am Straßenrand und wir gaben uns die Hand – wir beide bekamen das Grinsen
nicht mehr aus dem Gesicht, wenngleich es bei ihm etwas gequält wirkte; seine
Augen waren leicht gerötet und glasig, er wirkte übernächtigt. Aber das war ja
alles angekündigt. Trotzdem hatte ich ein kleines bisschen Angst, dass er der
Sache nicht genug Aufmerksamkeit schenken würde – oder mir.
„Hey Ju, wow,
du siehst fertig aus!“
„Na danke für
die Begrüßung – aber hast ja Recht, war auf ner Party gestern, hatte ich
erzählt, oder?“
„Jep, hast
schon angekündigt, dass du leicht verkatert sein könntest. Und so wirklich
happy siehst du auch nicht aus – möchtest du reden?“
„Ehrlich
gesagt, im Moment nicht. Ich muss auch zugeben, ich bin dazu ein bisschen zu
aufgeregt, was du jetzt mit mir machst.“
„Das klingt,
als ob ich dich vergewaltigen will, keine Sorge, das wird echt nett werden!“
Mit diesen
Worten öffnete ich den Kofferraum und wollte die Kiste mit den Teesachen herausholen,
aber Ju kam mir zuvor.
„Lass mal, ich
trag die Sachen rein.“
So näherten
wir uns der Haustür seiner Wohnung. Vom Garten, den wir dabei durchquerten, und
von seiner Großmutter, die uns freundlich begrüßte, bekam ich dabei nicht allzu
viel mit. Mein Blick war auf seinen breiten Rücken fixiert, der durch das etwas
zu enge Shirt noch betont wurde. Contenance, Timo! Lass es! Denk an seine
Haare. Oder Maggie Thatcher, das schreckt beides ab.
„Lass uns
erstmal nach rechts gehen, da ist die Küche. Sorry, es sieht hier etwas
chaotisch aus, aber Dennis hat hier wieder gefeiert. Mein Mitbewohner“, setzte
er hinzu, als ich nicht sofort antwortete.
„Ach ja, der
ist auch schwul, oder?“
„Ja. Ist mein
bester Freund seit… jedenfalls seit sehr lange, deswegen haben wir jetzt auch
eine WG gegründet.“
„Cool, das
freut mich, ist er denn da?“
„Nein, der ist
auf der Arbeit. KFZ-Mechatroniker, obwohl er schon seit längerem überlegt, ob
er nicht an die FH gehen möchte zum Studieren.“
„Was hält ihn
davon ab?“
„Dass er eine
faule Socke ist, er kann sich einfach nicht dazu aufraffen, das würde von ihm
auch mal etwas Disziplin verlangen und da ist er nicht so groß drin.“
Julian stellte
die Kiste auf dem Küchentisch ab. Eine grauenhafte Wachstischdecke.
Nahrungsergänzungsmittel, Proteinshakes. Küchenkräuter in bunter Vielfalt. Das
sah aus wie eine ganz normale Studenten-WG.
„Was hast du
denn jetzt eigentlich alles mitgebracht?“
„Naja, pack
doch einfach mal aus, dann siehst du alles.“
Zielstrebig
griff er nach dem Teebeutel. „Also das ist dann vermutlich der Stoff zum
Entspannen? Was stand da auf dem Aufkleber drauf?“
„Ja, das sind
unsere Teeblätter. Da stand der Name der Pflanze drauf – ich möchte aber erst
mit dir über die Gefahren sprechen, die das Ganze mit sich bringt. Und wenn ich
das Gefühl habe, dass du verantwortungsbewusst damit umgehen kannst, dann sag
ich dir den Namen. Denn, dieser Tee ist in Deutschland frei verkäuflich und
bisher nicht vom Betäubungsmittelgesetz erfasst; die Schranken zur Abhängigkeit
sind damit geöffnet, wenn man selbst nicht stark genug ist, auch mal Nein zu
sagen. Ach, eigentlich können wir jetzt auch die Vorbesprechung machen, wir
sind ungestört, oder?“
„Ja, meine Oma
hat vorhin nur Wäsche aufgehängt, sie wohnt nebenan und wird davon nichts
mitbekommen.“
„Alles klar.
Mit welchen Drogen hast du denn bisher Erfahrungen gemacht?“
„Naja,
Alkohol, aber das hast du dir ja sicherlich gedacht, und auch mal kiffen, aber
das fand ich nicht so aufregend, vielleicht lag das auch daran, dass ich damals
bereits betrunken war.“
„Alles klar“,
antwortete ich, obwohl eigentlich nichts klar war. Aber ich wollte die Stimmung
nicht kaputt machen. „Also, was wir heute zu uns nehmen, ist ein Opioid. Werden
in der Medizin als Schmerzmittel benutzt, dazu gehört zum Beispiel auch Heroin,
und davon hast du ja sicherlich schon gehört.“
„Oh, alles
klar… nur bei Heroin denk ich mir immer… ja weiß nicht, ich hab Angst davor,
dass…“ druckste Ju herum, und ich konnte ihn nicht dazu bringen, mit der
Sprache herauszurücken.
„Lass uns
nachher drüber reden, dann wird’s einfacher, den Mund aufzubekommen. Opioide
fühlen sich wunderbar an. Du fühlst Dich warm, entspannt, wie in Watte
eingepackt und extrem wohl.“
„Das klingt
auf jeden Fall schon mal super.“
„Klar,
Gefahren gibt es auch: Eine deutliche Überdosis – abhängig von der jeweiligen
Substanz – kann zu Atemlähmung und damit zum Tod führen.“
„Okay…“ murmelte
Julian nachdenklich, während er den Teebeutel in seinen Händen drehte. Ich
konnte seine Anspannung erkennen, mann Timo, bring ihn jetzt nicht zu
irgendwas, was er nicht will, oder wovor er Angst hat. Set und Setting. Wäre
Mist, wenn sein erstes Mal Opioidkonsum unangenehm für ihn wird. Also hol ihn
da runter!
„Aber darum
musst du dir bei uns keine Sorgen machen, der Tee enthält ein leichtes Opioid,
und die Menge, die wir benutzen, ist auf jeden Fall safe.“
„Gut zu
wissen, für nen Moment hatte ich grad etwas Schiss…“
„Ich lass dich
hier nicht in irgendwelche Fallen reinlaufen, keine Sorge. Ich pass auf.“
„Deswegen
vertrau ich dir da ja auch, du wirkst immer so, als ob du den richtigen Plan im
Kopf hast. Ich glaub nicht, dass du mich hier ins Verderben schickst.“
„Ganz bestimmt
nicht, hey, wir wollen doch nur etwas Spaß haben“, wobei ich ihm zuzwinkerte
und damit ein Lächeln auf sein Gesicht zauberte; die Anspannung schien ihn
wieder zu verlassen. Er schaute wieder in die Kiste.
„Soso, und für
den Spaß hast du Skittles mitgebracht?“
„Okay, ich
sollte dich vorwarnen, dass der Tee extrem bitter schmeckt, ist ne echte
Herausforderung. Um den Geschmack im Mund danach loszuwerden, gibt’s erstmal
Skittles und dann ein Xylit-Kaugummi.“
„Aha, und
deswegen hast du auch den Zucker mitgebracht? Hätte ich doch auch hier gehabt“,
wobei er mich anstrahlte.
„Ju, ich geh
gern auf Nummer sicher. Auch, was die Mengen angeht“, fügte ich hinzu und
stellte die Küchenwaage auf den Tisch. Dabei stieß ich gegen die Zuckerdose –
„Huchherrje!“ doch der Deckel blieb zum Glück verschlossen und eine kleine
Katastrophe blieb uns erspart.
„Wie süß,
huchherrje!“ Ju gab dem Ganzen noch einen etwas tuckigen Touch.
„Ja? Wieso,
sagst du etwa nicht huchherrje?“
„Hmmm… ich sag
meistens hoppala.“
„Erinnert mich
an meinen Biolehrer früher – nachdem er einem Schüler die Tür vor den Kopf
geschlagen hatte, meinte er einfach nur oh hoppsala und kümmerte sich nicht
weiter drum. Das waren noch Zeiten…“
Ich wog die
nötige Menge Tee ab und schüttete die geschredderten Blätter in den Kochtopf.
Julian schaute interessiert bei jedem Handgriff zu. Er stand hinter mir und
schaute mir über die Schulter und ich merkte, wie sehr ich die Aufmerksamkeit
genoss, die er mir entgegenbrachte. Ich fügte Wasser hinzu und rührte das Ganze
gut um.
„Eigentlich
ist das ja, als würden wir ganz normalen Tee kochen“, meinte Ju.
„Ja, ist
tatsächlich so, nur dass dieser Tee etwas entspannender ist als vielleicht
andere.“
„Und das gibt
auch keine Probleme mit meinem Kater, oder?“
„Keine Sorge,
ganz im Gegenteil, das wird dir sehr gut tun. Wetter ist auch perfekt, und wenn
wir im Park tatsächlich ungestört sind, dann wird das grandios.“
Es dauerte
eine Weile, den Tee zu kochen, er musste eine ganze Weile ziehen. In der
Zwischenzeit holte ich meine Digitalkamera aus der Tasche und machte ein paar
Fotos von uns. Auf einem sah Ju aus wie ein Zombie, das konnte ich ihm
natürlich nicht vorenthalten. Er beschloss, es mit Humor zu nehmen:
„Immerhin,
wenn wir nachher bei Cory sind und ich so fertig aussehe, kann ich das alles
auf den Kater schieben, dann bekommt sie nichts mit.“
Wir
unterhielten uns über recht belanglose Kleinigkeiten. Julian erzählte viel von
sich und ich hörte aufmerksam zu. Er wurde langsam etwas lockerer und rückte
dann auch mit der Sprache raus, was seine momentane Stimmung betraf: Seine
Freundin hatte vor einigen Tagen mit ihm Schluss gemacht. Deswegen war er bei
Reg auch so abwesend und hatte die meiste Zeit auf sein Handy gestarrt – er
hatte gehofft, dass sie sich meldet und endlich einmal erklärt, was Sache war.
Ich tröstete ihn. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich über diese Situation
freute. Nun war ich da, um ihn ein bisschen abzulenken, das war doch perfekt!
Nach etwa
einer halben Stunde goss ich den Tee durch ein Sieb ab, um die Blätter
loszuwerden. Im Messbecher blieb nun eine klare Flüssigkeit, sah genauso aus
wie Pfefferminztee. Nur dass sie intensiver nach Henna roch. Ju verfolgte
wieder jeden meiner Handgriffe.
„Ich bin grad
echt gespannt, wie das wohl wird“, wobei er mich angrinste und wirkte wie ein
kleines Kind, das Geschenke auspackte. Ich gab die nötige Menge Zucker in den
Messbecher, schmeckte den Tee ab – okay, widerlich, so sollte es sein. Eine
echte Herausforderung, wenn man diesen Geschmack nicht gewohnt war. Ich nahm
mir vor, Julian vorsichtig darauf vorzubereiten.
„Okay, Hälfte
für dich, die andere für mich. Trink erstmal einen ganz kleinen Schluck, damit
du weißt, was da geschmackstechnisch auf dich zukommt. Ist extrem süß, bitterer
Nachgeschmack. Und es kann sein, dass Deine Zunge davon taub wird. Keine Sorge,
alles normal. Und dann runter damit und Skittles hinterher futtern.“
Jeder nahm
sein Glas in die Hand. Wir stießen auf uns an und schauten uns dabei wieder
tief in die Augen. Er könnte die Vorfreude nicht mehr verbergen, so verkatert
er auch war, so blutunterlaufen seine Augen schienen – das Glitzern war
unübersehbar. Ich schloss meine Augen und setzte das Glas an. Zug um Zug trank
ich es aus, fuck, ich hab viel zu viel Zucker genommen… ich spürte, wie meine
Zunge langsam taub wurde und trank das Glas in wenigen Zügen aus. Julian tat es
mir gleich und schüttelte sich danach angewidert. Ich nahm ein paar Bonbons und
reichte ihm dann die Schachtel. Innerhalb kurzer Momente waren die letzten
geschmacklichen Reste des Tees im Mund Geschichte. Wir drückten uns noch die
Kaugummis rein. Ich strahlte ihn an.
„Dann lass uns
mal losgehen, damit wir im Park sind, bevor es losgeht.“
„Klar, puh,
ich bin gespannt. Ich finds auch toll, dass du mich so gut darauf vorbereitet
hast. Sonst hätte ich vielleicht abgelehnt. Aber ich vertrau dir da voll und
ganz.“
Der
Gemeindepark war nur ein paar Minuten Fußmarsch entfernt. Ju hatte nicht zu
viel versprochen, es war hier idyllisch und fast menschenleer, damit hatte ich
nicht gerechnet. Wir bummelten in eine der abgelegenen Ecken und setzten uns
auf die Wiese.
„Woran merke
ich denn eigentlich, wann die Wirkung losgeht?“
„Warts einfach
mal ab. Du wirst das schon deutlich merken, vielleicht daran, dass du dich
lieber hinlegen möchtest, um das richtig zu genießen. Wenn deine Arme schwer
werden. Wenn es anfängt, in deinem Kopf zu kribbeln. Wenn du dich kratzen
möchtest. Wenn du einfach nur noch grinsen möchtest.“
„Alles klar,
das werd ich definitiv merken, denn eigentlich ist mir eher weniger nach
Grinsen zumute.“
„Kann ich
vollkommen verstehen, aber ganz ehrlich, eben in der Küche hast du gestrahlt
wie ein Honigkuchenpferd.“
„Naja, weil
ich einfach ganz glücklich bin, dass das so geklappt hat. Ich hätte nie
gedacht, dass wir hier einmal zusammen im Park sitzen würden und uns
abdichten.“
„Wieso denn
nicht? Das ging doch eigentlich ziemlich schnell, oder?“
„Naja, ich hab
nicht gedacht, dass ich dich mal näher kennenlernen würde.“
„Versteh ich
nicht, erklär…“
„Warte mal,
Timo. Kann das sein, dass es in den Schläfen anfängt zu kribbeln?“
„Jep, das ist
ganz normal. Merkst du etwas in den Armen?“
„Noch nicht,
aber ich denke mal, ich werd mich jetzt trotzdem hinlegen.“
Ich tat es ihm
gleich, und so lagen wir beide im Schatten einer großen Eiche völlig ungestört
im Park, genossen die Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach auf uns fielen.
Und legten fast unbewusst den Grundstein für eine sehr spezielle Freundschaft.
„Wow, Timo,
das fühlt sich grad an, als ob meine Arme auf den Boden gedrückt werden…“
„Ja, das glaub
ich dir. Aber du fühlst dich wohl, oder?“
„Mhhh, und
wie, aber das Reden wird gerade anstrengend…“
„Dann sei
still, mach die Augen zu, genieß es einfach. Hör darauf, was in deinem Kopf
gerade vor sich geht. Lass das alles einfach geschehen, Ju. Ich pass auf, dass
nichts passiert.“
Und es drückt mich richtig in die Wiese
rein, es ist, als ob ein warmer Schauer durch meinen Körper rast… es fühlt sich
alles weich an, als ob die Wiese flauschig ist… und ich möchte gerade gar nicht,
dass das aufhört… und Timo…
fortsetzung folgt...
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