Disclaimer: Diese
Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und
Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja
sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der
Autor sicher nicht fähig.
Identität – die
Geschichte von Timo und Julian
part 5
„Ähhhhmmm… ich
muss ja zugeben, dass du mich nun ein bisschen neugierig machst. Eigentlich
klingt das nach einem ganz guten Plan. Aber ich bin vorher noch bei einer
Freundin zur Hausparty und da wird ordentlich gesoffen, kann also sein, dass
ich ziemlich verkatert bin. Könnte das ein Problem sein? Und kannst du dann
überhaupt noch Auto fahren? Wir müssen ja irgendwie zu Cory kommen. Aber würd
mich schon interessieren. Was würdest du denn mitbringen? Hauptsache, Du machst
mich nicht abhängig *g* Ich muss jetzt erstmal zum Training und dann aufräumen,
mein Mitbewohner hat gestern Besuch gehabt. Der ist übrigens auch schwul.
Müssen mal was zusammen machen. Bis denne!“
Okay, für eine
Sekunde butterweiche Knie. Bauchgrummeln. Keine Ahnung was. Da war tatsächlich
mal jemand, der Interesse an ein bisschen chillen zu zweit hat? Dem ich mal
etwas Stoff zeigen konnte? Er schreibt das so locker flockig unbeschwert, er
kann ja nicht wissen, dass ich schon so lange davon geträumt hatte, mir immer schon
vorgestellt hatte, wie das wohl ist. Tim hat früher davon erzählt, wie er den
einen oder anderen Kumpel ans Kiffen rangeführt hat, das klang spannend und ich
wollte das auch schon länger einmal machen. Und jetzt war die Chance da.
„Hauptsache,
Du machst mich nicht abhängig“, schrieb er. Naja, von einem Mal wird man nicht
gleich abhängig. Aber es heißt auch, wer einmal leckt, der weiß, wie’s
schmeckt. Der kennt die Wirkung und will das vielleicht irgendwann mal wieder
haben. Und so, wie Ju mit Alkohol umging, konnte ich mir ein gewisses
Suchtpotential bei ihm gut vorstellen. Also wenn das tatsächlich was werden sollte,
dann würde ich da rangehen, wie Tim es mir erklärt hat, und wie ich es im
Verein gelernt habe. Erstmal Aufklärung. Substanzwissen. Wirkungsprofil,
Nebenwirkungsspektrum. Gefahren. Und nachdem ich ihm das alles gründlich
erklärt habe, sollte er dann entscheiden, ob er das durchziehen will. Das klang
nach einem guten Plan.
„Was würdest
Du denn mitbringen?“ wollte er wissen. Puh, soll ich ihm die chemischen Details
geben? Soll ich ihm überhaupt sagen, was es ist? Vielleicht kommt er wirklich
auf die Idee, dass ihm das ein bisschen zu gut gefällt – und wenn ich ihm
keinen Namen sage, dann käme er nicht so einfach in die Lage, sich selbst den
Stoff zu organisieren.
All das
bewegte ich in meinem Kopf, während ich die Antwort formulierte:
„Hey Julian,
also, ich würde uns einen Tee mitbringen. Der schmeckt ziemlich bitter, aber
mit genügend Zucker bekommt man das Zeug runter. Und die Wirkung ist dann tatsächlich
ganz entspannend, aber ich würd dir das lieber direkt und in Ruhe erklären,
anstatt hier per Nachricht. Was hältst du davon, wenn wir uns einfach um 15 Uhr
bei dir treffen, dann haben wir genug Zeit und sind rechtzeitig um 18 Uhr bei
Cory. Ich denke mal, es ist besser, wenn wir ihr davon nichts erzählen, bleibt
unser kleines Geheimnis.“
An dieser
Stelle pausierte ich kurz. Cory und Reg waren immerhin meine besten Freundinnen,
ich teilte eigentlich alles mit ihnen, ob sie das nun wollten oder nicht. Aber
diesmal… ich ahnte, wie Reg reagieren würde. Sie würde mir Vorwürfe machen, sag
mal spinnst du, wie kannst du nur einen anderen Typen anfixen, ich hätte von
dir echt etwas mehr Verantwortungsgefühl erwartet. Und so weiter. Es würde sie
nur aufregen, und sie würde sich Sorgen machen. Danke, geschenkt. Und Cory? Ich
weiß nicht, was genau mich davon abhielt, ihr die ganze Geschichte zu erzählen.
Ich hatte endlich einmal das Gefühl, dass sie das nichts anging. Das war etwas
zwischen Julian und mir. Und ich wollte, dass Julian mir vertrauen konnte, denn
eine gute Vertrauensbasis ist für so eine Aktion extrem wichtig. Also schrieb
ich weiter:
„Ich werd auch
Reg davon nix erzählen, das bleibt unter uns. Ist vielleicht auch besser, wenn
du die Sache nicht an die große Glocke hängst. Ist ja auch nichts weiter dabei,
aber ich weiß noch, dass Cory echte Probleme damals hatte, als ich ihr von
meinem Drogenkonsum erzählt hab. Scheinbar springen die Menschen darauf immer
erstmal empfindlich und distanziert an.
Lass uns mal
unsere Teile der Einkaufsliste tauschen, du holst die Sachen, die gekühlt
werden müssen, dann machts nichts, wenn ich meine Sachen einfach den Nachmittag
über im Auto lasse.
Ich wusste gar
nicht, dass du trainierst. Hab mir aber eben mal die Fotos vom Theater damals
und von der Auszugsparty angeschaut – täuscht mich das, oder hat sich an deinen
Armen ordentlich was getan? Find ich cool! Aber erzähl mal nicht weiter, ist
mir immer etwas peinlich.“
Und warum
schrieb ich es dann überhaupt hin? War es einfach dieses Gefühl von Offenheit,
das Julian ausstrahlte? Nun hatte ich schon das Ding mit den Drogen
angesprochen, hey super, hau ich ihm das doch auch noch gleich um die Ohren. Und
was ist, wenn er nen Rückzieher macht, weil er denkt, dass ich auf ihn stehe? Ich
ließ die Worte dennoch so stehen. Wenn Julian tatsächlich auf Abstand ging,
dann hatte das sowieso nicht sein sollen.
„So, ich muss
endlich mal ein paar Sachen für die Examensarbeit fertigmachen, ich würd sagen,
wir sehen uns dann am kommenden Donnerstag. Ich freu mich!“
Unser Treffen
war noch einige Tage hin, aber ich wollte in der Zeit nicht weiter mit ihm
schreiben. Ich würde die ganze Sache nur wieder komplett zerreden und im
Vorfeld kaputtdenken, alles schon in vielfacher Ausführung erlebt. Diesmal
nicht. Also sendete ich die Nachricht und wandte mich dann wieder meiner
Hausarbeit für das Referendariat zu. Es war nur noch Fleißarbeit: Ich hatte in
den letzten Wochen vor den Sommerferien einen Unterrichtsversuch mit meiner
Klasse gestartet, das war der spannendste Teil, und nun sollte ich die Planung,
Durchführung und Evaluation ausführen. ich hatte da so gar keine Lust drauf,
hatte allerdings nur noch zweieinhalb Tage Zeit, die Deadline rückte gnadenlos
näher. Ich griff tief in meine Phrasenkiste, um den Text hier und da
aufzubauschen – wozu überhaupt, warum machte jeder Refi diesen
gleichgeschalteten Kram, was dabei rumkam, interessierte niemanden außer
vielleicht einen selbst. Aber es war nun mal eine der Bewertungsgrundlagen für
die Examensnote, also versuchte ich, mir etwas Mühe zu geben.
Das führte
dazu, dass ich zwei Tage lang nur noch vor dem Notebook hing und eine Seite
nach der anderen niederschrieb. Erst, als ich eine Nachricht von Cory erhielt,
merkte ich, dass ich sie total vernachlässigt hatte. „Naaaaa, lebst du noch???“
und ich fühlte mich schon wieder scheiße, ja, ich hätte mich mal melden sollen.
Ich erklärte ihr, dass es mir gut ging und dass ich Julian von sich zuhause in
Frohnau abholen würde und wir dann zusammen zu ihr führen. Das war ein
ordentlicher Umweg für mich, außerdem hatte Julian ja seinen eigenen Benz, wir
hätten unabhängig voneinander zu ihr fahren können, ich aus dem Osten, er von
Norden. Hoffentlich fiel ihr das nicht auf, hoffentlich fragte sie nicht nach,
denn ich wollte ihr nicht erklären müssen – „Ach Cory, Ju und ich haben
beschlossen, dass wir erstmal noch etwas Spaß ohne dich haben wollten und haben
uns die Kante gegeben“ – das würde ihr unweigerlich das Gefühl geben,
ausgegrenzt worden zu sein und das wär schon ziemlich scheiße gewesen, weil wir
schließlich ein Treffen zu dritt vereinbart hatten. Aber mit Method Acting
würden wir das einfach überspielen, damit sie nichts merkte.
Und dann war
der Donnerstag da. Die Hausarbeit war längst abgeschickt, so dass sie mir nicht
mehr wie eine Last auf den Schultern lag. Meinen Teil der Einkäufe hatte ich
bereits erledigt und fing an, sie in den Wagen zu laden. Dann klappte ich eine
Kiste auseinander und stellte alles rein, was wir für den Teil zu zweit
brauchen würden – ein großer Topf, darin ein Beutel mit Tee, Zucker, Kaugummis,
Skittles, Messbecher, eine Waage und so weiter, ich wusste ja nicht, was er davon
alles bei sich zuhause hatte. Ich stellte die Kiste in den Kofferraum und legte
eine Decke darüber – war sicherer, falls Cory aus irgendeinem Grund in den
Wagen schauen sollte. Ich schaltete mein Notebook aus – damit war meine letzte
Verbindung Richtung Internet gekappt, ab jetzt war ich auf mich allein
gestellt. Ju hatte nur kurz geschrieben, dass er extrem gespannt war, was ich
da so mit ihm anstellen würde und ob ich etwas Verständnis dafür hätte, dass er
noch sehr verkatert von einer Party am Vorabend war. Vielleicht sollte ich
irgendwann einmal mit ihm über das Thema Alkohol reden.
Whatever,
heute nicht, heute ging es darum, Spaß zu haben. Das Wetter war perfekt! Wir
hatten darauf gehofft, Ju meinte, wir könnten dann in den Gemeindepark von
Frohnau gehen, der hat auch Ecken, in denen man völlig ungestört auf der Wiese
liegen konnte. Das war das ideale Setting für unsere Aktion. Ich setzte meine
Sonnenbrille auf und legte mir die Wegbeschreibung zurecht, die mir das
Internet angezeigt hatte. Keine Ahnung, ob ich das finden würde, also nahm ich
mein Handy mit und schrieb mir Jus Nummer auf die Karte des Berliner Vororts.
Meine Zweifel
waren vollkommen unberechtigt – nur der Verkehr war etwas dichter als erwartet,
obwohl der Berufsverkehr erst über eine Stunde später einsetzen sollte. So bog
ich dann zehn Minuten nach drei in den Pinienweg ein, in dem Julian vor Haus
Nummer 7 stand und ein breites Grinsen aufsetzte, als er mich erkannte. Ich
konnte nicht anders, als noch breiter zurückzugrinsen. Ich war so aufgeregt,
würde es klappen, würde es ihm gefallen, was sollte ich sagen, wie sollte ich
mich verhalten, konnte ich einfach abschalten, was ist, wenn er enttäuscht ist,
was…
„Hey Timo!“
rief Ju, der unvermittelt direkt neben dem Fahrerfenster stand.
fortsetzung folgt...
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