Mittwoch, 22. Juni 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 5)




Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.

Identität – die Geschichte von Timo und Julian


part 5

„Ähhhhmmm… ich muss ja zugeben, dass du mich nun ein bisschen neugierig machst. Eigentlich klingt das nach einem ganz guten Plan. Aber ich bin vorher noch bei einer Freundin zur Hausparty und da wird ordentlich gesoffen, kann also sein, dass ich ziemlich verkatert bin. Könnte das ein Problem sein? Und kannst du dann überhaupt noch Auto fahren? Wir müssen ja irgendwie zu Cory kommen. Aber würd mich schon interessieren. Was würdest du denn mitbringen? Hauptsache, Du machst mich nicht abhängig *g* Ich muss jetzt erstmal zum Training und dann aufräumen, mein Mitbewohner hat gestern Besuch gehabt. Der ist übrigens auch schwul. Müssen mal was zusammen machen. Bis denne!“
Okay, für eine Sekunde butterweiche Knie. Bauchgrummeln. Keine Ahnung was. Da war tatsächlich mal jemand, der Interesse an ein bisschen chillen zu zweit hat? Dem ich mal etwas Stoff zeigen konnte? Er schreibt das so locker flockig unbeschwert, er kann ja nicht wissen, dass ich schon so lange davon geträumt hatte, mir immer schon vorgestellt hatte, wie das wohl ist. Tim hat früher davon erzählt, wie er den einen oder anderen Kumpel ans Kiffen rangeführt hat, das klang spannend und ich wollte das auch schon länger einmal machen. Und jetzt war die Chance da.
„Hauptsache, Du machst mich nicht abhängig“, schrieb er. Naja, von einem Mal wird man nicht gleich abhängig. Aber es heißt auch, wer einmal leckt, der weiß, wie’s schmeckt. Der kennt die Wirkung und will das vielleicht irgendwann mal wieder haben. Und so, wie Ju mit Alkohol umging, konnte ich mir ein gewisses Suchtpotential bei ihm gut vorstellen. Also wenn das tatsächlich was werden sollte, dann würde ich da rangehen, wie Tim es mir erklärt hat, und wie ich es im Verein gelernt habe. Erstmal Aufklärung. Substanzwissen. Wirkungsprofil, Nebenwirkungsspektrum. Gefahren. Und nachdem ich ihm das alles gründlich erklärt habe, sollte er dann entscheiden, ob er das durchziehen will. Das klang nach einem guten Plan.
„Was würdest Du denn mitbringen?“ wollte er wissen. Puh, soll ich ihm die chemischen Details geben? Soll ich ihm überhaupt sagen, was es ist? Vielleicht kommt er wirklich auf die Idee, dass ihm das ein bisschen zu gut gefällt – und wenn ich ihm keinen Namen sage, dann käme er nicht so einfach in die Lage, sich selbst den Stoff zu organisieren.
All das bewegte ich in meinem Kopf, während ich die Antwort formulierte:
„Hey Julian, also, ich würde uns einen Tee mitbringen. Der schmeckt ziemlich bitter, aber mit genügend Zucker bekommt man das Zeug runter. Und die Wirkung ist dann tatsächlich ganz entspannend, aber ich würd dir das lieber direkt und in Ruhe erklären, anstatt hier per Nachricht. Was hältst du davon, wenn wir uns einfach um 15 Uhr bei dir treffen, dann haben wir genug Zeit und sind rechtzeitig um 18 Uhr bei Cory. Ich denke mal, es ist besser, wenn wir ihr davon nichts erzählen, bleibt unser kleines Geheimnis.“
An dieser Stelle pausierte ich kurz. Cory und Reg waren immerhin meine besten Freundinnen, ich teilte eigentlich alles mit ihnen, ob sie das nun wollten oder nicht. Aber diesmal… ich ahnte, wie Reg reagieren würde. Sie würde mir Vorwürfe machen, sag mal spinnst du, wie kannst du nur einen anderen Typen anfixen, ich hätte von dir echt etwas mehr Verantwortungsgefühl erwartet. Und so weiter. Es würde sie nur aufregen, und sie würde sich Sorgen machen. Danke, geschenkt. Und Cory? Ich weiß nicht, was genau mich davon abhielt, ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Ich hatte endlich einmal das Gefühl, dass sie das nichts anging. Das war etwas zwischen Julian und mir. Und ich wollte, dass Julian mir vertrauen konnte, denn eine gute Vertrauensbasis ist für so eine Aktion extrem wichtig. Also schrieb ich weiter:
„Ich werd auch Reg davon nix erzählen, das bleibt unter uns. Ist vielleicht auch besser, wenn du die Sache nicht an die große Glocke hängst. Ist ja auch nichts weiter dabei, aber ich weiß noch, dass Cory echte Probleme damals hatte, als ich ihr von meinem Drogenkonsum erzählt hab. Scheinbar springen die Menschen darauf immer erstmal empfindlich und distanziert an.
Lass uns mal unsere Teile der Einkaufsliste tauschen, du holst die Sachen, die gekühlt werden müssen, dann machts nichts, wenn ich meine Sachen einfach den Nachmittag über im Auto lasse.
Ich wusste gar nicht, dass du trainierst. Hab mir aber eben mal die Fotos vom Theater damals und von der Auszugsparty angeschaut – täuscht mich das, oder hat sich an deinen Armen ordentlich was getan? Find ich cool! Aber erzähl mal nicht weiter, ist mir immer etwas peinlich.“
Und warum schrieb ich es dann überhaupt hin? War es einfach dieses Gefühl von Offenheit, das Julian ausstrahlte? Nun hatte ich schon das Ding mit den Drogen angesprochen, hey super, hau ich ihm das doch auch noch gleich um die Ohren. Und was ist, wenn er nen Rückzieher macht, weil er denkt, dass ich auf ihn stehe? Ich ließ die Worte dennoch so stehen. Wenn Julian tatsächlich auf Abstand ging, dann hatte das sowieso nicht sein sollen.
„So, ich muss endlich mal ein paar Sachen für die Examensarbeit fertigmachen, ich würd sagen, wir sehen uns dann am kommenden Donnerstag. Ich freu mich!“
Unser Treffen war noch einige Tage hin, aber ich wollte in der Zeit nicht weiter mit ihm schreiben. Ich würde die ganze Sache nur wieder komplett zerreden und im Vorfeld kaputtdenken, alles schon in vielfacher Ausführung erlebt. Diesmal nicht. Also sendete ich die Nachricht und wandte mich dann wieder meiner Hausarbeit für das Referendariat zu. Es war nur noch Fleißarbeit: Ich hatte in den letzten Wochen vor den Sommerferien einen Unterrichtsversuch mit meiner Klasse gestartet, das war der spannendste Teil, und nun sollte ich die Planung, Durchführung und Evaluation ausführen. ich hatte da so gar keine Lust drauf, hatte allerdings nur noch zweieinhalb Tage Zeit, die Deadline rückte gnadenlos näher. Ich griff tief in meine Phrasenkiste, um den Text hier und da aufzubauschen – wozu überhaupt, warum machte jeder Refi diesen gleichgeschalteten Kram, was dabei rumkam, interessierte niemanden außer vielleicht einen selbst. Aber es war nun mal eine der Bewertungsgrundlagen für die Examensnote, also versuchte ich, mir etwas Mühe zu geben.
Das führte dazu, dass ich zwei Tage lang nur noch vor dem Notebook hing und eine Seite nach der anderen niederschrieb. Erst, als ich eine Nachricht von Cory erhielt, merkte ich, dass ich sie total vernachlässigt hatte. „Naaaaa, lebst du noch???“ und ich fühlte mich schon wieder scheiße, ja, ich hätte mich mal melden sollen. Ich erklärte ihr, dass es mir gut ging und dass ich Julian von sich zuhause in Frohnau abholen würde und wir dann zusammen zu ihr führen. Das war ein ordentlicher Umweg für mich, außerdem hatte Julian ja seinen eigenen Benz, wir hätten unabhängig voneinander zu ihr fahren können, ich aus dem Osten, er von Norden. Hoffentlich fiel ihr das nicht auf, hoffentlich fragte sie nicht nach, denn ich wollte ihr nicht erklären müssen – „Ach Cory, Ju und ich haben beschlossen, dass wir erstmal noch etwas Spaß ohne dich haben wollten und haben uns die Kante gegeben“ – das würde ihr unweigerlich das Gefühl geben, ausgegrenzt worden zu sein und das wär schon ziemlich scheiße gewesen, weil wir schließlich ein Treffen zu dritt vereinbart hatten. Aber mit Method Acting würden wir das einfach überspielen, damit sie nichts merkte.
Und dann war der Donnerstag da. Die Hausarbeit war längst abgeschickt, so dass sie mir nicht mehr wie eine Last auf den Schultern lag. Meinen Teil der Einkäufe hatte ich bereits erledigt und fing an, sie in den Wagen zu laden. Dann klappte ich eine Kiste auseinander und stellte alles rein, was wir für den Teil zu zweit brauchen würden – ein großer Topf, darin ein Beutel mit Tee, Zucker, Kaugummis, Skittles, Messbecher, eine Waage und so weiter, ich wusste ja nicht, was er davon alles bei sich zuhause hatte. Ich stellte die Kiste in den Kofferraum und legte eine Decke darüber – war sicherer, falls Cory aus irgendeinem Grund in den Wagen schauen sollte. Ich schaltete mein Notebook aus – damit war meine letzte Verbindung Richtung Internet gekappt, ab jetzt war ich auf mich allein gestellt. Ju hatte nur kurz geschrieben, dass er extrem gespannt war, was ich da so mit ihm anstellen würde und ob ich etwas Verständnis dafür hätte, dass er noch sehr verkatert von einer Party am Vorabend war. Vielleicht sollte ich irgendwann einmal mit ihm über das Thema Alkohol reden.
Whatever, heute nicht, heute ging es darum, Spaß zu haben. Das Wetter war perfekt! Wir hatten darauf gehofft, Ju meinte, wir könnten dann in den Gemeindepark von Frohnau gehen, der hat auch Ecken, in denen man völlig ungestört auf der Wiese liegen konnte. Das war das ideale Setting für unsere Aktion. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und legte mir die Wegbeschreibung zurecht, die mir das Internet angezeigt hatte. Keine Ahnung, ob ich das finden würde, also nahm ich mein Handy mit und schrieb mir Jus Nummer auf die Karte des Berliner Vororts.
Meine Zweifel waren vollkommen unberechtigt – nur der Verkehr war etwas dichter als erwartet, obwohl der Berufsverkehr erst über eine Stunde später einsetzen sollte. So bog ich dann zehn Minuten nach drei in den Pinienweg ein, in dem Julian vor Haus Nummer 7 stand und ein breites Grinsen aufsetzte, als er mich erkannte. Ich konnte nicht anders, als noch breiter zurückzugrinsen. Ich war so aufgeregt, würde es klappen, würde es ihm gefallen, was sollte ich sagen, wie sollte ich mich verhalten, konnte ich einfach abschalten, was ist, wenn er enttäuscht ist, was…
„Hey Timo!“ rief Ju, der unvermittelt direkt neben dem Fahrerfenster stand.

fortsetzung folgt...

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