Donnerstag, 23. Juni 2016

Coraline


Heute geht es um den Animationsfilm Coraline (2009). Nein, das ist kein Typo, das Mädchen in der Hauptrolle heißt *nicht* Caroline, sondern Coraline. Aus diesem Umstand wird während des Films einige Verwirrung gewonnen. Ich habe den Film als sehr ungewöhnlich erlebt. Zunächst einmal fällt der Gebrauch von stop motion auf, der - ist mein Eindruck - heutzutage nur noch selten auftritt. Zu wichtig ist auf Hochglanz polierte, völlig ruckelfreie Bewegung bei einimierten Charakteren. Kann man dem Zuschauer denn diese z.B. bei Wallace&Gromit verwendete Technik nicht zumuten? Ist sie einem Film etwa in irgendeiner Form abträglich? Ich denke nicht.

Und weiter mit den Ungewöhnlichkeiten: Coraline Jones ist kein liebes, nettes Mädchen. Sie hat ihre Stimmungen, sie ist frech, aufsässig und im Umgang mit anderen Menschen leicht kratzbürstig. Andere Werke, die auf ähnlich unkonventionelle Protagonistinnen setzen, sind Alice im Wunderland oder Chihiros Reise ins Zauberland. Ihr Charakter bietet eine wunderbare Leinwand, auf der dann Wandlungen und Erkenntnisgewinn projiziert werden können. Es sind dynamische Figuren, die den Zuschauer zunächst befremden mögen, dann aber tiefer einbinden. Das war immerhin bei mir der Fall, denn ich wollte, dass Coraline für ihre freche Art einen Dämpfer bekommt.

Ich schreibe mal nichts über den Inhalt - außer der Prämisse, dass Coraline mit ihrer Welt unzufrieden ist, in der sie nicht all ihre Wünsche erfüllt bekommt, in der es gern mal ein "Nein" und Tiefkühl-Wraps mit Ketchup und Currysauce gibt. Coraline sehnt sich nach mehr Zuwendung und Verständnis und ihrem Lieblingsessen. Dann entdeckt sie eine hinter einer Tapete versteckte Tür, die durch einen engen, leuchtenden Tunnel aus dem Haus heraus führt - und direkt wieder hinein. In denselben Raum. Aber ein paar Dinge sind anders: Es ist permanent sternenklare Nacht. Ihre "anderen" Eltern lieben sie, kümmern sich rührend, fast schon aufdringlich um sie. Es erschreckt Coraline nur für einen kurzen Moment, dass alle Figuren in dieser alternativen Realität Knöpfe in ihre Augen genäht haben. All die Annehmlichkeiten auf der anderen Seite machen diesen Umstand vergessen. Am nächsten Morgen wacht sie allerdings stets in ihrer gewohnten Welt wieder auf. Hat sie das alles nur geträumt? Gibt es einen Weg für sie, länger in der anderen Welt zu bleiben?

Der Film lebt von den schrägen Figuren, die seine Welt bevölkern. Ihre körperlichen Features werden gern übertrieben karikiert, der lange Hals des Vaters, die riesige Oberweite der Nachbarin, Coralines fast eckiger Schädel. Sie alle haben eine besondere Bedeutung für die Handlung: Da wär die räudige Katze, die Coraline wertvolle Erkenntnisse liefert und ihr stets hilft, der Nachbarsjunge Wybie, schüchtern, in verrückten Outfits, und die anderen Bewohner des Mehrfamilienhauses "Pink Palace". Zwei verrückte Kaffeekränzchen-Damen, die sich gern an ihre aktive Zeit auf der Bühne erinnern - mit mehr oder weniger subtilen Hinweisen darauf, dass diese Zeit im Erwachsenen-Business stattgefunden haben dürfte.

In der Tat könnte man diesen Film als erwachsen für seine Freigabe (FSK6) betrachten: Er hat eine gruselige Grundstimmung, die Figuren mit den Knopfaugen können erschreckend bösartig wirken und die späteren Monstrositäten, die das Haus bevölkern, sind für kleinere Kinder der Stoff, aus dem Albträume gemacht werden. Dabei lockert allerdings ein sehr schöner, leichtgängiger Soundtrack die Atmosphäre wieder auf. Der Film wirkt zu keinem Zeitpunkt langgezogen, ich hätte Coraline gern noch weiter zugeschaut, wie sie neue, abstruse Hausbewohner kennenlernt oder den magischen Garten des Hauses erforscht. Da man aber aufhören soll, wenn es am schönsten ist, macht der Film meiner Meinung nach alles richtig.

Kleines Detail: Es handelt sich hierbei um eine nur leicht veränderte Verfilmung des gleichnamigen Romans von Neil Gaiman, der für den Englischunterricht gut geeignet ist.

Fazit: Sehr zu empfehlen, wenn man sich von stop motion nicht abgeschreckt fühlt und offen ist für einen etwas ungewöhnlicheren, düsteren Animationsfilm. Gibt es auch in wunderschönem 3D.

Tagline: "Zu schön, um wahr zu sein."


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