Samstag, 11. Juni 2016

Haus-DJ


(nicht so subtiles product placement)

"Ey, ich hab' total Lust, heute tanzen zu gehen." - "Ja, coole Idee, wollen wir in die Trauma? MAX? Atrium?" - "Nee, lass ma' Katzenstreu kaufen!"

Klingt zunächst wie ein non sequitur, könnte aber gestern oder heute durchaus so geschehen sein. Da wandere ich durch plaza hindurch und eine leichte Panikattacke schleicht sich an: Überall sind diese Verkostungsstände aufgebaut, Käsewürfel, Wein, Schokolade, Mottenkugeln, alles, was der Mensch zum Wohlfühlen braucht. Dass ich im Durchschnitt einen dieser Stände beim Einkaufsbummel treffe, ist vollkommen normal. Diesmal bin ich allerdings noch nicht mal beim Hackfleisch angekommen, da bin ich schon im Slalom sieben dieser netten jungen VerkäuferInnen ausgewichen. Reizüberflutung, überall die bunten Farben, natürlich besonders aromatischer Käse und da vorne reißt eine Einkaufstasche, Saft überflutet den Boden und ich bin kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Oder Kreislaufkollaps. Oder kurz davor, 2,5kg Tilsiter zu kaufen, die Auswirkungen sind fast gleich.

Nun gut, vielleicht sind Aktionstage, ich schaue auf meine Armbanduhr, damit ich nicht die vielen Stände sehen muss - das regelmäßige Ticken des Sekundenzeigers beruhigt mich. Und siehe da, kaum bin ich am Brot vorbei, gibt es keine Stände mehr - die folgenden Nahrungsmittel sind vermutlich zu billig oder zu gesund, sowas kaufen die Leute auch ohne Verkostung.

Was mich allerdings ein bisschen verunsichert, ist das Wummern, ein regelmäßiges UHNtiss UHNtiss UHNtiss UHNtiss. Musik aus dem Kaufhausradio? Aber nein, es wird immer lauter, je näher ich an die Kasse komme und registriere plötzlich, dass im Hauptflur, mitten in der Kunden-Aorta, ein DJ-Pult aufgebaut ist, dahinter ein Klaus oder eine Telse mit Sonnenbrille und Headset, konnte das nicht richtig erkennen, und scratcht sich die Seele aus dem Leib.

Ich kann gar nicht anders, als meine Schritte an das UHNtissUHNtiss (findet man das Wort im Duden?) anzupassen. Ich möchte da möglichst schnell vorbei, denn das irritiert mich noch mehr als die Verkostungsstände. Warum gibts jetzt in der Sky-Disse nen DJ Hacksteak? Oder DJane Tamponade-Girl? Ich verstehe es tatsächlich nicht, reicht nicht mehr der normale Sender aus? Oder ist das eine der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Flüchtlinge, einer der einhunderttausend Ein-Euro-Jobs, auf die Frau Nahles so stolz ist?

Es muss eine Epidemie sein; so streunere ich heute zu Rossmann und bin ob einer riesigen Menschentraube verwirrt. Sie stehen vor irgendwas, ich kann's nicht erkennen, alle mit gesenkten Häuptern. Man könnte es für eine Gebetszeremonie halten, wenn da nicht die Boxen des Soundsystems hier und da aus der Menge herausstächen. Und wieder: UHNtissUHNtissA-TEM-LOStissUHNtiss... ich muss mich durch die Menge drängeln, um überhaupt an den Eingang der Drogerie zu kommen, und da sehe ich, dass diese Tausenden von Menschen sich um eine Reihe Wühltische scharen. Ich weiß nicht, was es da gibt, das scheint schon so leer zu sein, dass ich nicht bis auf den Boden der Kästen blicken kann.

Ich biege ab in den Laden, schnell noch an der letzten Lautsprecherbox vorbei, da ballert eine Stimme mir fast das Trommelfell heraus: "JAAAA, Leute Leute, ich sag's nochmal, alles nur fünfzig Cent, alles nur fünfzig Cent, ich sag's Euch, nur fünfzig Cent, fünfzig Cent, meine Damen und Herren, greifen sie zu!" Wenn er es noch einmal sagt, kaufe ich mir Deospray und ein Feuerzeug und wende an, was ich (nicht bei der Sendung mit der Maus) gelernt habe. Beim After Shave angekommen, höre ich nicht mehr so viel von der menschlichen Sound-Uzi mit dem Headset. Zum Glück. Ich kaufe alles, was ich brauche, möchte bezahlen, da rastet die Kassiererin aus: "KÖNNT IHR MAL DIESE SCHEISS MUSIK LEISER MACHEN, wenn ich das hier noch fünf Stunden ertragen soll, kann ich für nichts garantieren!"

Mit Tinnitus auf dem Heimweg weiß ich jetzt wieder, warum ich lieber keine Kassiererin werden möchte.

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