Dienstag, 28. Juni 2016

Farage mit Blamage

(c) Ross Hendrick, https://rosshendrick.files.wordpress.com/2016/01/farage-on-toilet-colour.jpg

Ich rege mich derzeit intensiv über Nigel Farage auf, eine der wichtigsten Figuren der Brexit-Bewegung. Alles, was ich im Folgenden schreibe, ist nur meine Meinung. Was sich wie Fakten lesen wird, sind schlecht recherchierte Mutmaßungen, weil ich einfach zu faul dazu bin, mich auch noch vernünftig informiert über ihn zu echauffieren.

Nach dem, was ich so lesen durfte, hat Nigel Farage die letzten fünfundzwanzig Jahre damit verbracht, das Vereinigte Königreich aus der EU zu treiben. Dies schien sein gesamter Lebensinhalt zu sein, seine Berufung, der er sich mit Hingabe gewidmet hat. Farage ist medienwirksam und hat nie eine Möglichkeit ungenutzt gelassen, sich der breiten Bevölkerung zu präsentieren - wie es Populisten nun mal so machen, auch Petry, Gauland und co. stellen sich vor jede Kamera, die sich ihnen bietet. Und wenn sich keine bietet, dann sorgt man eben für einen Eklat, damit kann man sich der Aufmerksamkeit des Fernsehens sicher sein. Ganz nach dem Motto: Auch negative PR ist gute PR. Lieber einmal zuviel das Wort "Schießbefehl" sagen, als von der Presse gar nicht mehr bedacht zu werden. Doch zurück zu Farage.

Man sollte ihm eigentlich Respekt zollen für die Inbrunst, mit der Farage für den Austritt gekämpft hat. Dass er dafür blatante Fehlinformationen nicht rechtzeitig aufklärt, ist ein schönes Beispiel dafür, wie man auch mit Nichtstun für seine Sache arbeiten kann.

Warum also kotzt Farage mich so an? Das ging los mit einem Twit, der in etwa exakt diesen Wortlaut hatte: "No matter the results, Nigel Farage is still a dick." - Egal, wie die Wahl ausgeht, Nigel Farage ist und bleibt ein Schwanz. Bei solch raffinierten Wortmeldungen werd ich natürlich neugierig, wer Farage ist, und habe mich dann über ihn informiert und habe leider keine Informationen gefunden, die für meine Ohren im Ansatz positiv klangen.

Die Selbstgefälligkeit, das feiste Grinsen nach dem Referendum, damit komme ich nicht klar. Immer will er ja Recht gehabt haben, er wusste es schon längst, dass die EU auseinanderfällt. Nigel Farage tut nichts, außer gegen eine Sache zu wettern. Warte mal, womit könnten wir das wohl in Deutschland vergleichen? Ach ja. Die Partei in hellblau: Laut rumpöbeln, das Establishment kritisieren, aber keine halbwegs umsetzbaren Lösungen anbieten.

Das ist nun mal das Konzept des Populismus. Das verbrigt sich nun mal hinter dem Begriff Demagogie. Ein Demagoge ist jemand, der (Kollege Leinhos möge mich korrigieren!) das Volk führt, so ganz wörtlich übersetzt. Das ist jemand, der zum Beispiel Sprache so nutzen kann und eine dergestaltige Ausstrahlung hat, dass sein Publikum ihm ohne zu hinterfragen an den Lippen hängt. Er kann diese Macht nutzen, um das Volk wütend zu stimmen, um Proteste in Gang zu bringen, um Demonstrationen auszulösen.

Eigentlich müsste Demagogie auch im positiven Sinne möglich sein. Aber da man ja lieber mit Anderen gemeinsam über Dinge schimpft, passt Populismus viel besser zur Hetze.

Und dann tritt Farage, der Mann der tausend Grimassen, vor das EU-Parlament und spricht. Er macht sich über die Anwesenden ohne Blatt vor dem Mund lustig. Dafür wird er erwartungsgemäß ausgebuht und aalt sich in diesen Reaktionen - denn er weiß, dass die Kameras laufen und dass "seine Meute" ihn zuhaus umso mehr feiern wird. Kennen wir auch von uns: Je mehr Petry und Konsorten sich in der Opferrolle suhlen können, umso beliebter sind sie bei besorgten Bürgern ohne gesunden Menschenverstand.

Farage lacht die Parlamentarier aus, dass sie ja eigentlich noch nie richtige Arbeit geleistet hätten. Mal ganz davon abgesehen, dass die Aussage "Das EU-Parlament tut nichts" doch recht intensiv mit der Brexit-Parole "Die EU kontrolliert uns zu sehr" kontrastiert, springt zum Glück Präsident Martin Schulz (in etwa) folgendermaßen ein: Wir sehen hier die Ausdrücke und Ansichten, wie wir sie von der Ukip gewohnt sind. Herr Farage, jeder hier anwesende Parlamentarier leistet wichtige Arbeit - vielleicht sollten sei beim Thema Nichtstun nicht von sich auf Andere schließen.

Auch daran geilt Farage sich noch weiter auf. Soll er ruhig, letztlich wird es eine Art Schwanengesang sein. Ich komme nochmals zurück zum zweiten Paragraphen: Der UK-Austritt aus der EU war Farages gesamter Lebensinhalt. Dieses Ziel ist erreicht. Farage soll jetzt noch die Aufmerksamkeit genießen, denn er wird sehr bald von der Bildfläche verschwunden sein, ohne Berufung, wie er es dem Parlament vorwirft. Nigel Farage hat sich abgeschafft.

Montag, 27. Juni 2016

"Sind sie ein Lehrer?"


Und manchmal möchte ich einfach nur antworten: "Deidäh, ich bin eine Tootsie!" (Caro teigt gerade) (und jetzt verschluckt sie sich beim teigigen Lachen) ... (BHAIN!) Aber ich habe dieser kleinen nuklearen Katastrophe nur bestätigt, dass ich der Neue bin.

Anders, als es der Titel vermuten lässt, geht es mir heute aber gar nicht darum, dass ich nicht wie ein Standardlehrer aussehe. Sondern darum, dass ich Angst habe vor Menschen, die ich nicht kenne, und manchmal auch ganz generell. Ich habe Angst, von unbekannten Menschen angesprochen zu werden. Deswegen laufe ich oft mit gesenktem Blick an unbekannten Orten herum oder aber mit Tunnelblick, damit ich um mich herum niemanden wahrnehme. Warum Angst? Weil ich befürchte, dass ich bei der folgenden Performance a.k.a. Konversation versagen könnte. Irgendwas falsch machen.

Meine letzte Erfahrung in Eckernförde hat diese Angst nur wieder bestätigt und mich weiter traumatisiert. Das führt dazu, dass ich irgendwann mit niemandem mehr reden möchte, denn alles, was ich sage, kann und wird missverstanden und dann vor Gericht gegen mich verwendet werden.

Das wird jetzt aber wieder anders. Meine Erfahrung ist, dass Gemeinschaftsschüler forscher und offener sind. Sie fragen ganz direkt, oft ohne Hemmungen. Und das ist auch gut so, denn das wird mir gut tun. Nachdem ich mich während meiner Arbeitslosigkeit zusätzlich von Menschen abgekoppelt habe, wird diese "gezwungene" Rückkehr in die Gesellschaft anfangs wahrscheinlich unangenehm, aber letztlich sehr heilsam für mich sein, damit ich mein Konversationstrauma loswerden kann.

Also, Ihr kleinen Monster, sprecht mich an, fragt mich, was Ihr wollt! Und wenn ich vor Panik in Tränen ausbreche, dann lacht über mich - damit ich merke, dass ich gerade im Modus der Drama Queen bin und dass es eigentlich gar keinen Grund gibt, hier rumzuflennen!

Sonntag, 26. Juni 2016

Ich bin so geil!


Dieser wunderbar bescheidene Threadtitel leitet ein zu einer Beobachtung, die ich schon mehrfach machen konnte und die nun mit einem weiteren Beispiel anschaulich unterlegt wird. Es ist nämlich so, dass ich eine Selbstwahrnehmung habe, die sich mitunter drastisch von der Fremdwahrnehmung unterscheidet. Jemand meinte unlängst zu mir: "Ich frage mich, warum du in deinem Blog immer wieder dich selbst positiv darstellen musst, indem du andere Menschen runterputzt. Ich finde das, ehrlich gesagt, ziemlich feige."

Mein erster Gedanke war natürlich wieder: Aber so etwas tue ich doch nicht, würde überhaupt nicht auf die Idee kommen. Warum sollte ich mich selbst positiver darstellen, als ich bin? Dann habe ich in Ruhe nachgedacht. Tatsache ist, dass ich in meinen Blogbeiträgen manchmal versuche, anschaulich darzulegen, wie ich mich von anderen Menschen unterscheide.

Ich habe das zum Beispiel gemacht in dem mittlerweile indizierten Artikel über Gemeinschaftsschullehrer gegenüber Gymnasiallehrern. Ich habe der Arbeit eines Gemeinschaftsschullehrers unterstellt, dass sie pädagogischer sei als die eines Gymnasiallehrers. Ich hab das (meiner Wahrnehmung nach) nicht mit irgendwelchen Wertungen versehen, sondern aus eigenen Beobachtungen und Erlebnissen abgeleitet. Ich bin der Überzeugung, dass die Gemeinschaftsschule eine andere Art der Arbeit erfordert als das Gymnasium.

Das sollte nicht heißen, dass ich die Arbeit einer Schulform mehr wertschätzen würde als die der Anderen. Es war lediglich die Feststellung eines Unterschieds. Mir ist sehr wohl bewusst, dass viele Leser gleich in die Verteidigungshaltung gehen. Und dann kommen eben solche Reaktionen wie:

"Ich find das nicht in Ordnung, dass du alle Gymnasiallehrer da über einen Kamm scherst und behauptest, dass sie weniger Arbeit hätten." - "Wie kannst du zu so einem Urteil kommen, du kennst uns doch gar nicht." - "Naja, da hast Du die Gemeinschaftsschularbeit aber auch erheblich simplifiziert."

Ich bin eigentlich immer der Auffassung gewesen: Das, was Leser in meine Texte hineindeuten, ist deren Problem. Wenn sie sich dadurch angegriffen fühlen, ist das deren Problem - sofern kein expliziter Angriff beschrieben wird. Und die Leser, die sich angegriffen fühlen, sollten vielleicht mal überlegen: Entweder schreibt Dr Hilarius da völligen Unsinn, dann kanns mir auch egal sein, jeder kann sich ja selbst davon überzeugen, dass die Dinge nicht so sind, wie er schreibt. Oder aber es ist ein Körnchen Wahrheit in dem, was er schreibt, und dass ich mich auf den Schlips getreten fühle, liegt daran, weil ich mich selbst gerade ertappt habe.

Oder aber, man sagt einen der oberen Sätze und bringt als weiteres Beispiel zur Untermauerung an: "Nimm doch mal deinen Beitrag über die Schülerrückmeldungen. Du hast die ganze Zeit geschrieben, wie toll du bist." - "Ja, aber ich habe auch erwähnt, dass ich mir die Kritik zu Herzen nehme." - "Ja, aber da hast du nichts weiter aufgeführt. Siehst du?" Dass ich dann erwähne, dass ich die Kritik nicht ausformuliert habe, weil ich von den jeweiligen Schülern nicht die Erlaubnis hatte, das im Blog zu veröffentlichen, würde da vollkommen untergehen.

Weil es Menschen oft passiert, dass sie beginnen, in Schubladen zu denken. Sie sortieren jemanden schnell dort ein und jeglicher weitere Kontakt mit der Person wird durch die Maske der Schublade betrachtet. Da kann man sich noch so oft einreden "Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann" - das Bild im Kopf bleibt allzu oft unumstößlich. Wie schrieb Eugen Roth im Gedicht über die Tasche?

"Der Mensch hat meist den übermächtigen
Naturdrang, andere zu verdächtigen.
Die Aktentasche ist verlegt.
Er sucht sie, kopflos und erregt
und schwört bereits, sie sei gestohlen
und will die Polizei schon holen
und weiß von nun an überhaupt,
dass alle Welt nur stiehlt und raubt.
Und sicher ists der Herr gewesen,
der, während scheinbar er gelesen -
er ahnt genau, wie es geschah.
Die Tasche, ach, da ist sie ja!
Und all der Aufwand war entbehrlich,
und alle Welt wird wieder ehrlich.
Doch den vermeintlich frechen Dieb
gewinnt der Mensch nie mehr ganz lieb.
Weil der die Mappe, angenommen,
sie wäre wirklich weggekommen - 
und darauf wagt er jede Wette - 
gestohlen würde haben hätte."

Das ist nur allzu menschlich, dass man Menschen nicht "neu beurteilen" kann. Und wie schrieb Terenz, hätte er damals auf deutsch geschrieben? "Ich bin ein Mensch. Mir ist, so glaube ich, nichts Menschliches fremd." Und da dieser Satz sich in meinem Lebensskript (TA ftw!) wiederfindet, möchte ich damit ausdrücken, dass auch ich in Schubladen denke. Das heißt, ich möchte mit diesem Beitrag eben *nicht* ausdrücken, dass ich so geil bin. Und *nicht*, das mir so etwas nie passiert. Ganz im Gegenteil.

Und wenn es mir nicht vollkommen egal wäre, was andere Menschen von mir denken, würde mich immer noch der Gedanke plagen, dass man mir in dieser oder jener Situation im Leben keine Chance zur Bewährung gegeben hat.

Like I care!

post scriptum: Wenn du dich mit diesem Artikel tatsächlich persönlich angegriffen fühlst, ja, dann ist das dein Problem. Sei dir bewusst: Ich habe dich hiermit nicht angreifen wollen.

Samstag, 25. Juni 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 6)




Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.

Dieser Abschnitt der Geschichte enthält explizite Darstellungen von Drogenkonsum sowie seinen Auswirkungen und/oder Szenen körperlicher Nähe. Wer an solchen Bildern Anstoß nimmt, möge dieses Kapitel bitte überspringen. Darüber hinaus möchte der Autor immer zu einem verantwortungsbewussten Konsum psychoaktiver Substanzen mahnen: Das ist der sicherste Weg zur Drogenmündigkeit, dem Gegenstück zur Abhängigkeit.

Identität – die Geschichte von Timo und Julian


part 6

Nur ein paar Sekunden und meine Aufregung war verschwunden. Ein paar Sekunden Julian in die Augen schauen, wobei ich den Blick wieder nicht schnell genug lösen konnte, und ich fühlte mich am richtigen Ort.
Ich parkte den Wagen am Straßenrand und wir gaben uns die Hand – wir beide bekamen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht, wenngleich es bei ihm etwas gequält wirkte; seine Augen waren leicht gerötet und glasig, er wirkte übernächtigt. Aber das war ja alles angekündigt. Trotzdem hatte ich ein kleines bisschen Angst, dass er der Sache nicht genug Aufmerksamkeit schenken würde – oder mir.
„Hey Ju, wow, du siehst fertig aus!“
„Na danke für die Begrüßung – aber hast ja Recht, war auf ner Party gestern, hatte ich erzählt, oder?“
„Jep, hast schon angekündigt, dass du leicht verkatert sein könntest. Und so wirklich happy siehst du auch nicht aus – möchtest du reden?“
„Ehrlich gesagt, im Moment nicht. Ich muss auch zugeben, ich bin dazu ein bisschen zu aufgeregt, was du jetzt mit mir machst.“
„Das klingt, als ob ich dich vergewaltigen will, keine Sorge, das wird echt nett werden!“
Mit diesen Worten öffnete ich den Kofferraum und wollte die Kiste mit den Teesachen herausholen, aber Ju kam mir zuvor.
„Lass mal, ich trag die Sachen rein.“
So näherten wir uns der Haustür seiner Wohnung. Vom Garten, den wir dabei durchquerten, und von seiner Großmutter, die uns freundlich begrüßte, bekam ich dabei nicht allzu viel mit. Mein Blick war auf seinen breiten Rücken fixiert, der durch das etwas zu enge Shirt noch betont wurde. Contenance, Timo! Lass es! Denk an seine Haare. Oder Maggie Thatcher, das schreckt beides ab.
„Lass uns erstmal nach rechts gehen, da ist die Küche. Sorry, es sieht hier etwas chaotisch aus, aber Dennis hat hier wieder gefeiert. Mein Mitbewohner“, setzte er hinzu, als ich nicht sofort antwortete.
„Ach ja, der ist auch schwul, oder?“
„Ja. Ist mein bester Freund seit… jedenfalls seit sehr lange, deswegen haben wir jetzt auch eine WG gegründet.“
„Cool, das freut mich, ist er denn da?“
„Nein, der ist auf der Arbeit. KFZ-Mechatroniker, obwohl er schon seit längerem überlegt, ob er nicht an die FH gehen möchte zum Studieren.“
„Was hält ihn davon ab?“
„Dass er eine faule Socke ist, er kann sich einfach nicht dazu aufraffen, das würde von ihm auch mal etwas Disziplin verlangen und da ist er nicht so groß drin.“
Julian stellte die Kiste auf dem Küchentisch ab. Eine grauenhafte Wachstischdecke. Nahrungsergänzungsmittel, Proteinshakes. Küchenkräuter in bunter Vielfalt. Das sah aus wie eine ganz normale Studenten-WG.
„Was hast du denn jetzt eigentlich alles mitgebracht?“
„Naja, pack doch einfach mal aus, dann siehst du alles.“
Zielstrebig griff er nach dem Teebeutel. „Also das ist dann vermutlich der Stoff zum Entspannen? Was stand da auf dem Aufkleber drauf?“
„Ja, das sind unsere Teeblätter. Da stand der Name der Pflanze drauf – ich möchte aber erst mit dir über die Gefahren sprechen, die das Ganze mit sich bringt. Und wenn ich das Gefühl habe, dass du verantwortungsbewusst damit umgehen kannst, dann sag ich dir den Namen. Denn, dieser Tee ist in Deutschland frei verkäuflich und bisher nicht vom Betäubungsmittelgesetz erfasst; die Schranken zur Abhängigkeit sind damit geöffnet, wenn man selbst nicht stark genug ist, auch mal Nein zu sagen. Ach, eigentlich können wir jetzt auch die Vorbesprechung machen, wir sind ungestört, oder?“
„Ja, meine Oma hat vorhin nur Wäsche aufgehängt, sie wohnt nebenan und wird davon nichts mitbekommen.“
„Alles klar. Mit welchen Drogen hast du denn bisher Erfahrungen gemacht?“
„Naja, Alkohol, aber das hast du dir ja sicherlich gedacht, und auch mal kiffen, aber das fand ich nicht so aufregend, vielleicht lag das auch daran, dass ich damals bereits betrunken war.“
„Alles klar“, antwortete ich, obwohl eigentlich nichts klar war. Aber ich wollte die Stimmung nicht kaputt machen. „Also, was wir heute zu uns nehmen, ist ein Opioid. Werden in der Medizin als Schmerzmittel benutzt, dazu gehört zum Beispiel auch Heroin, und davon hast du ja sicherlich schon gehört.“
„Oh, alles klar… nur bei Heroin denk ich mir immer… ja weiß nicht, ich hab Angst davor, dass…“ druckste Ju herum, und ich konnte ihn nicht dazu bringen, mit der Sprache herauszurücken.
„Lass uns nachher drüber reden, dann wird’s einfacher, den Mund aufzubekommen. Opioide fühlen sich wunderbar an. Du fühlst Dich warm, entspannt, wie in Watte eingepackt und extrem wohl.“
„Das klingt auf jeden Fall schon mal super.“
„Klar, Gefahren gibt es auch: Eine deutliche Überdosis – abhängig von der jeweiligen Substanz – kann zu Atemlähmung und damit zum Tod führen.“
„Okay…“ murmelte Julian nachdenklich, während er den Teebeutel in seinen Händen drehte. Ich konnte seine Anspannung erkennen, mann Timo, bring ihn jetzt nicht zu irgendwas, was er nicht will, oder wovor er Angst hat. Set und Setting. Wäre Mist, wenn sein erstes Mal Opioidkonsum unangenehm für ihn wird. Also hol ihn da runter!
„Aber darum musst du dir bei uns keine Sorgen machen, der Tee enthält ein leichtes Opioid, und die Menge, die wir benutzen, ist auf jeden Fall safe.“
„Gut zu wissen, für nen Moment hatte ich grad etwas Schiss…“
„Ich lass dich hier nicht in irgendwelche Fallen reinlaufen, keine Sorge. Ich pass auf.“
„Deswegen vertrau ich dir da ja auch, du wirkst immer so, als ob du den richtigen Plan im Kopf hast. Ich glaub nicht, dass du mich hier ins Verderben schickst.“
„Ganz bestimmt nicht, hey, wir wollen doch nur etwas Spaß haben“, wobei ich ihm zuzwinkerte und damit ein Lächeln auf sein Gesicht zauberte; die Anspannung schien ihn wieder zu verlassen. Er schaute wieder in die Kiste.
„Soso, und für den Spaß hast du Skittles mitgebracht?“
„Okay, ich sollte dich vorwarnen, dass der Tee extrem bitter schmeckt, ist ne echte Herausforderung. Um den Geschmack im Mund danach loszuwerden, gibt’s erstmal Skittles und dann ein Xylit-Kaugummi.“
„Aha, und deswegen hast du auch den Zucker mitgebracht? Hätte ich doch auch hier gehabt“, wobei er mich anstrahlte.
„Ju, ich geh gern auf Nummer sicher. Auch, was die Mengen angeht“, fügte ich hinzu und stellte die Küchenwaage auf den Tisch. Dabei stieß ich gegen die Zuckerdose – „Huchherrje!“ doch der Deckel blieb zum Glück verschlossen und eine kleine Katastrophe blieb uns erspart.
„Wie süß, huchherrje!“ Ju gab dem Ganzen noch einen etwas tuckigen Touch.
„Ja? Wieso, sagst du etwa nicht huchherrje?“
„Hmmm… ich sag meistens hoppala.“
„Erinnert mich an meinen Biolehrer früher – nachdem er einem Schüler die Tür vor den Kopf geschlagen hatte, meinte er einfach nur oh hoppsala und kümmerte sich nicht weiter drum. Das waren noch Zeiten…“
Ich wog die nötige Menge Tee ab und schüttete die geschredderten Blätter in den Kochtopf. Julian schaute interessiert bei jedem Handgriff zu. Er stand hinter mir und schaute mir über die Schulter und ich merkte, wie sehr ich die Aufmerksamkeit genoss, die er mir entgegenbrachte. Ich fügte Wasser hinzu und rührte das Ganze gut um.
„Eigentlich ist das ja, als würden wir ganz normalen Tee kochen“, meinte Ju.
„Ja, ist tatsächlich so, nur dass dieser Tee etwas entspannender ist als vielleicht andere.“
„Und das gibt auch keine Probleme mit meinem Kater, oder?“
„Keine Sorge, ganz im Gegenteil, das wird dir sehr gut tun. Wetter ist auch perfekt, und wenn wir im Park tatsächlich ungestört sind, dann wird das grandios.“
Es dauerte eine Weile, den Tee zu kochen, er musste eine ganze Weile ziehen. In der Zwischenzeit holte ich meine Digitalkamera aus der Tasche und machte ein paar Fotos von uns. Auf einem sah Ju aus wie ein Zombie, das konnte ich ihm natürlich nicht vorenthalten. Er beschloss, es mit Humor zu nehmen:
„Immerhin, wenn wir nachher bei Cory sind und ich so fertig aussehe, kann ich das alles auf den Kater schieben, dann bekommt sie nichts mit.“
Wir unterhielten uns über recht belanglose Kleinigkeiten. Julian erzählte viel von sich und ich hörte aufmerksam zu. Er wurde langsam etwas lockerer und rückte dann auch mit der Sprache raus, was seine momentane Stimmung betraf: Seine Freundin hatte vor einigen Tagen mit ihm Schluss gemacht. Deswegen war er bei Reg auch so abwesend und hatte die meiste Zeit auf sein Handy gestarrt – er hatte gehofft, dass sie sich meldet und endlich einmal erklärt, was Sache war. Ich tröstete ihn. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich über diese Situation freute. Nun war ich da, um ihn ein bisschen abzulenken, das war doch perfekt!
Nach etwa einer halben Stunde goss ich den Tee durch ein Sieb ab, um die Blätter loszuwerden. Im Messbecher blieb nun eine klare Flüssigkeit, sah genauso aus wie Pfefferminztee. Nur dass sie intensiver nach Henna roch. Ju verfolgte wieder jeden meiner Handgriffe.
„Ich bin grad echt gespannt, wie das wohl wird“, wobei er mich angrinste und wirkte wie ein kleines Kind, das Geschenke auspackte. Ich gab die nötige Menge Zucker in den Messbecher, schmeckte den Tee ab – okay, widerlich, so sollte es sein. Eine echte Herausforderung, wenn man diesen Geschmack nicht gewohnt war. Ich nahm mir vor, Julian vorsichtig darauf vorzubereiten.
„Okay, Hälfte für dich, die andere für mich. Trink erstmal einen ganz kleinen Schluck, damit du weißt, was da geschmackstechnisch auf dich zukommt. Ist extrem süß, bitterer Nachgeschmack. Und es kann sein, dass Deine Zunge davon taub wird. Keine Sorge, alles normal. Und dann runter damit und Skittles hinterher futtern.“
Jeder nahm sein Glas in die Hand. Wir stießen auf uns an und schauten uns dabei wieder tief in die Augen. Er könnte die Vorfreude nicht mehr verbergen, so verkatert er auch war, so blutunterlaufen seine Augen schienen – das Glitzern war unübersehbar. Ich schloss meine Augen und setzte das Glas an. Zug um Zug trank ich es aus, fuck, ich hab viel zu viel Zucker genommen… ich spürte, wie meine Zunge langsam taub wurde und trank das Glas in wenigen Zügen aus. Julian tat es mir gleich und schüttelte sich danach angewidert. Ich nahm ein paar Bonbons und reichte ihm dann die Schachtel. Innerhalb kurzer Momente waren die letzten geschmacklichen Reste des Tees im Mund Geschichte. Wir drückten uns noch die Kaugummis rein. Ich strahlte ihn an.
„Dann lass uns mal losgehen, damit wir im Park sind, bevor es losgeht.“
„Klar, puh, ich bin gespannt. Ich finds auch toll, dass du mich so gut darauf vorbereitet hast. Sonst hätte ich vielleicht abgelehnt. Aber ich vertrau dir da voll und ganz.“
Der Gemeindepark war nur ein paar Minuten Fußmarsch entfernt. Ju hatte nicht zu viel versprochen, es war hier idyllisch und fast menschenleer, damit hatte ich nicht gerechnet. Wir bummelten in eine der abgelegenen Ecken und setzten uns auf die Wiese.
„Woran merke ich denn eigentlich, wann die Wirkung losgeht?“
„Warts einfach mal ab. Du wirst das schon deutlich merken, vielleicht daran, dass du dich lieber hinlegen möchtest, um das richtig zu genießen. Wenn deine Arme schwer werden. Wenn es anfängt, in deinem Kopf zu kribbeln. Wenn du dich kratzen möchtest. Wenn du einfach nur noch grinsen möchtest.“
„Alles klar, das werd ich definitiv merken, denn eigentlich ist mir eher weniger nach Grinsen zumute.“
„Kann ich vollkommen verstehen, aber ganz ehrlich, eben in der Küche hast du gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd.“
„Naja, weil ich einfach ganz glücklich bin, dass das so geklappt hat. Ich hätte nie gedacht, dass wir hier einmal zusammen im Park sitzen würden und uns abdichten.“
„Wieso denn nicht? Das ging doch eigentlich ziemlich schnell, oder?“
„Naja, ich hab nicht gedacht, dass ich dich mal näher kennenlernen würde.“
„Versteh ich nicht, erklär…“
„Warte mal, Timo. Kann das sein, dass es in den Schläfen anfängt zu kribbeln?“
„Jep, das ist ganz normal. Merkst du etwas in den Armen?“
„Noch nicht, aber ich denke mal, ich werd mich jetzt trotzdem hinlegen.“
Ich tat es ihm gleich, und so lagen wir beide im Schatten einer großen Eiche völlig ungestört im Park, genossen die Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach auf uns fielen. Und legten fast unbewusst den Grundstein für eine sehr spezielle Freundschaft.
„Wow, Timo, das fühlt sich grad an, als ob meine Arme auf den Boden gedrückt werden…“
„Ja, das glaub ich dir. Aber du fühlst dich wohl, oder?“
„Mhhh, und wie, aber das Reden wird gerade anstrengend…“
„Dann sei still, mach die Augen zu, genieß es einfach. Hör darauf, was in deinem Kopf gerade vor sich geht. Lass das alles einfach geschehen, Ju. Ich pass auf, dass nichts passiert.“

Und es drückt mich richtig in die Wiese rein, es ist, als ob ein warmer Schauer durch meinen Körper rast… es fühlt sich alles weich an, als ob die Wiese flauschig ist… und ich möchte gerade gar nicht, dass das aufhört… und Timo…

fortsetzung folgt...

Freitag, 24. Juni 2016

Schöne neue Welt a.k.a. Schule & Brexit

Also, eigentlich wollte ich heute mal überraschenderweise bereits den nächsten Teil von Timo&Julian bringen - der ist allerdings ein bisschen länger und ich brauche dafür noch Zeit.

Also berichte ich kurz von einem kleinen Ausflug - ich war heute an meiner neuen Schule. Eine Freundin, mit der ich zusammen damals in Husum gelitten habe (okay, ich spreche nur für mich), hat mich herumgeführt und ich hab mich riesig gefreut, sie wiederzusehen. Dann fühle ich mich nicht komplett fremd an diesem neuen Ort.

Die Schule ist sehr groß, ich habe momentan noch einen guten Überblick im Kopf, aber am Montag, wenn ich meinen Dienst antrete, könnte ich das alles schon wieder vergessen haben.

Aus aktuellem Anlass gebe ich nicht mehr so viel auf erste Eindrücke, die können mich täuschen. Dennoch: Die Freude, mit der meine zukünftige Kollegin mir die Schule gezeigt hat, ist ansteckend und ich werde innerlich etwas ruhiger. Das könnte diesmal richtig gut werden.

Und jetzt bin ich halb totgeschwitzt und reiße erstmal alle Fenster wieder auf und ich wünschte, die angekündigten Gewitter würden auch Kiel treffen...

Ich würde gern den Brexit kommentieren. Aber ehrlich gesagt, fehlt mir die Urteilskompetenz dazu. Ich kenne die Auswirkungen nicht, ich kann da nichts Sinnvolles zu sagen. Was mich aber berührt, ist das Abstimmungsverhalten nach Altersgruppen: Je jünger, desto eher die REMAIN-Stimme. Und 16/17jährige durften nicht wählen. Daraus kann man ableiten, dass es ein anderes Ergebnis gegeben hätte, wenn sie hätten mitbestimmen dürfen. Und daraus entstehen dann die gerade populären Hashtags #WhatHaveWeDone und #NotInOurVote sowie der Vorwurf, man habe der britischen Jugend die Zukunft zerstört.

Ich goutiere in jedem Fall genüsslich die Nachrichten, rege mich fleißig über Nigel Farage auf, bin also ein ganz normaler Mensch. Glaube ich.

Donnerstag, 23. Juni 2016

Coraline


Heute geht es um den Animationsfilm Coraline (2009). Nein, das ist kein Typo, das Mädchen in der Hauptrolle heißt *nicht* Caroline, sondern Coraline. Aus diesem Umstand wird während des Films einige Verwirrung gewonnen. Ich habe den Film als sehr ungewöhnlich erlebt. Zunächst einmal fällt der Gebrauch von stop motion auf, der - ist mein Eindruck - heutzutage nur noch selten auftritt. Zu wichtig ist auf Hochglanz polierte, völlig ruckelfreie Bewegung bei einimierten Charakteren. Kann man dem Zuschauer denn diese z.B. bei Wallace&Gromit verwendete Technik nicht zumuten? Ist sie einem Film etwa in irgendeiner Form abträglich? Ich denke nicht.

Und weiter mit den Ungewöhnlichkeiten: Coraline Jones ist kein liebes, nettes Mädchen. Sie hat ihre Stimmungen, sie ist frech, aufsässig und im Umgang mit anderen Menschen leicht kratzbürstig. Andere Werke, die auf ähnlich unkonventionelle Protagonistinnen setzen, sind Alice im Wunderland oder Chihiros Reise ins Zauberland. Ihr Charakter bietet eine wunderbare Leinwand, auf der dann Wandlungen und Erkenntnisgewinn projiziert werden können. Es sind dynamische Figuren, die den Zuschauer zunächst befremden mögen, dann aber tiefer einbinden. Das war immerhin bei mir der Fall, denn ich wollte, dass Coraline für ihre freche Art einen Dämpfer bekommt.

Ich schreibe mal nichts über den Inhalt - außer der Prämisse, dass Coraline mit ihrer Welt unzufrieden ist, in der sie nicht all ihre Wünsche erfüllt bekommt, in der es gern mal ein "Nein" und Tiefkühl-Wraps mit Ketchup und Currysauce gibt. Coraline sehnt sich nach mehr Zuwendung und Verständnis und ihrem Lieblingsessen. Dann entdeckt sie eine hinter einer Tapete versteckte Tür, die durch einen engen, leuchtenden Tunnel aus dem Haus heraus führt - und direkt wieder hinein. In denselben Raum. Aber ein paar Dinge sind anders: Es ist permanent sternenklare Nacht. Ihre "anderen" Eltern lieben sie, kümmern sich rührend, fast schon aufdringlich um sie. Es erschreckt Coraline nur für einen kurzen Moment, dass alle Figuren in dieser alternativen Realität Knöpfe in ihre Augen genäht haben. All die Annehmlichkeiten auf der anderen Seite machen diesen Umstand vergessen. Am nächsten Morgen wacht sie allerdings stets in ihrer gewohnten Welt wieder auf. Hat sie das alles nur geträumt? Gibt es einen Weg für sie, länger in der anderen Welt zu bleiben?

Der Film lebt von den schrägen Figuren, die seine Welt bevölkern. Ihre körperlichen Features werden gern übertrieben karikiert, der lange Hals des Vaters, die riesige Oberweite der Nachbarin, Coralines fast eckiger Schädel. Sie alle haben eine besondere Bedeutung für die Handlung: Da wär die räudige Katze, die Coraline wertvolle Erkenntnisse liefert und ihr stets hilft, der Nachbarsjunge Wybie, schüchtern, in verrückten Outfits, und die anderen Bewohner des Mehrfamilienhauses "Pink Palace". Zwei verrückte Kaffeekränzchen-Damen, die sich gern an ihre aktive Zeit auf der Bühne erinnern - mit mehr oder weniger subtilen Hinweisen darauf, dass diese Zeit im Erwachsenen-Business stattgefunden haben dürfte.

In der Tat könnte man diesen Film als erwachsen für seine Freigabe (FSK6) betrachten: Er hat eine gruselige Grundstimmung, die Figuren mit den Knopfaugen können erschreckend bösartig wirken und die späteren Monstrositäten, die das Haus bevölkern, sind für kleinere Kinder der Stoff, aus dem Albträume gemacht werden. Dabei lockert allerdings ein sehr schöner, leichtgängiger Soundtrack die Atmosphäre wieder auf. Der Film wirkt zu keinem Zeitpunkt langgezogen, ich hätte Coraline gern noch weiter zugeschaut, wie sie neue, abstruse Hausbewohner kennenlernt oder den magischen Garten des Hauses erforscht. Da man aber aufhören soll, wenn es am schönsten ist, macht der Film meiner Meinung nach alles richtig.

Kleines Detail: Es handelt sich hierbei um eine nur leicht veränderte Verfilmung des gleichnamigen Romans von Neil Gaiman, der für den Englischunterricht gut geeignet ist.

Fazit: Sehr zu empfehlen, wenn man sich von stop motion nicht abgeschreckt fühlt und offen ist für einen etwas ungewöhnlicheren, düsteren Animationsfilm. Gibt es auch in wunderschönem 3D.

Tagline: "Zu schön, um wahr zu sein."


Mittwoch, 22. Juni 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 5)




Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.

Identität – die Geschichte von Timo und Julian


part 5

„Ähhhhmmm… ich muss ja zugeben, dass du mich nun ein bisschen neugierig machst. Eigentlich klingt das nach einem ganz guten Plan. Aber ich bin vorher noch bei einer Freundin zur Hausparty und da wird ordentlich gesoffen, kann also sein, dass ich ziemlich verkatert bin. Könnte das ein Problem sein? Und kannst du dann überhaupt noch Auto fahren? Wir müssen ja irgendwie zu Cory kommen. Aber würd mich schon interessieren. Was würdest du denn mitbringen? Hauptsache, Du machst mich nicht abhängig *g* Ich muss jetzt erstmal zum Training und dann aufräumen, mein Mitbewohner hat gestern Besuch gehabt. Der ist übrigens auch schwul. Müssen mal was zusammen machen. Bis denne!“
Okay, für eine Sekunde butterweiche Knie. Bauchgrummeln. Keine Ahnung was. Da war tatsächlich mal jemand, der Interesse an ein bisschen chillen zu zweit hat? Dem ich mal etwas Stoff zeigen konnte? Er schreibt das so locker flockig unbeschwert, er kann ja nicht wissen, dass ich schon so lange davon geträumt hatte, mir immer schon vorgestellt hatte, wie das wohl ist. Tim hat früher davon erzählt, wie er den einen oder anderen Kumpel ans Kiffen rangeführt hat, das klang spannend und ich wollte das auch schon länger einmal machen. Und jetzt war die Chance da.
„Hauptsache, Du machst mich nicht abhängig“, schrieb er. Naja, von einem Mal wird man nicht gleich abhängig. Aber es heißt auch, wer einmal leckt, der weiß, wie’s schmeckt. Der kennt die Wirkung und will das vielleicht irgendwann mal wieder haben. Und so, wie Ju mit Alkohol umging, konnte ich mir ein gewisses Suchtpotential bei ihm gut vorstellen. Also wenn das tatsächlich was werden sollte, dann würde ich da rangehen, wie Tim es mir erklärt hat, und wie ich es im Verein gelernt habe. Erstmal Aufklärung. Substanzwissen. Wirkungsprofil, Nebenwirkungsspektrum. Gefahren. Und nachdem ich ihm das alles gründlich erklärt habe, sollte er dann entscheiden, ob er das durchziehen will. Das klang nach einem guten Plan.
„Was würdest Du denn mitbringen?“ wollte er wissen. Puh, soll ich ihm die chemischen Details geben? Soll ich ihm überhaupt sagen, was es ist? Vielleicht kommt er wirklich auf die Idee, dass ihm das ein bisschen zu gut gefällt – und wenn ich ihm keinen Namen sage, dann käme er nicht so einfach in die Lage, sich selbst den Stoff zu organisieren.
All das bewegte ich in meinem Kopf, während ich die Antwort formulierte:
„Hey Julian, also, ich würde uns einen Tee mitbringen. Der schmeckt ziemlich bitter, aber mit genügend Zucker bekommt man das Zeug runter. Und die Wirkung ist dann tatsächlich ganz entspannend, aber ich würd dir das lieber direkt und in Ruhe erklären, anstatt hier per Nachricht. Was hältst du davon, wenn wir uns einfach um 15 Uhr bei dir treffen, dann haben wir genug Zeit und sind rechtzeitig um 18 Uhr bei Cory. Ich denke mal, es ist besser, wenn wir ihr davon nichts erzählen, bleibt unser kleines Geheimnis.“
An dieser Stelle pausierte ich kurz. Cory und Reg waren immerhin meine besten Freundinnen, ich teilte eigentlich alles mit ihnen, ob sie das nun wollten oder nicht. Aber diesmal… ich ahnte, wie Reg reagieren würde. Sie würde mir Vorwürfe machen, sag mal spinnst du, wie kannst du nur einen anderen Typen anfixen, ich hätte von dir echt etwas mehr Verantwortungsgefühl erwartet. Und so weiter. Es würde sie nur aufregen, und sie würde sich Sorgen machen. Danke, geschenkt. Und Cory? Ich weiß nicht, was genau mich davon abhielt, ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Ich hatte endlich einmal das Gefühl, dass sie das nichts anging. Das war etwas zwischen Julian und mir. Und ich wollte, dass Julian mir vertrauen konnte, denn eine gute Vertrauensbasis ist für so eine Aktion extrem wichtig. Also schrieb ich weiter:
„Ich werd auch Reg davon nix erzählen, das bleibt unter uns. Ist vielleicht auch besser, wenn du die Sache nicht an die große Glocke hängst. Ist ja auch nichts weiter dabei, aber ich weiß noch, dass Cory echte Probleme damals hatte, als ich ihr von meinem Drogenkonsum erzählt hab. Scheinbar springen die Menschen darauf immer erstmal empfindlich und distanziert an.
Lass uns mal unsere Teile der Einkaufsliste tauschen, du holst die Sachen, die gekühlt werden müssen, dann machts nichts, wenn ich meine Sachen einfach den Nachmittag über im Auto lasse.
Ich wusste gar nicht, dass du trainierst. Hab mir aber eben mal die Fotos vom Theater damals und von der Auszugsparty angeschaut – täuscht mich das, oder hat sich an deinen Armen ordentlich was getan? Find ich cool! Aber erzähl mal nicht weiter, ist mir immer etwas peinlich.“
Und warum schrieb ich es dann überhaupt hin? War es einfach dieses Gefühl von Offenheit, das Julian ausstrahlte? Nun hatte ich schon das Ding mit den Drogen angesprochen, hey super, hau ich ihm das doch auch noch gleich um die Ohren. Und was ist, wenn er nen Rückzieher macht, weil er denkt, dass ich auf ihn stehe? Ich ließ die Worte dennoch so stehen. Wenn Julian tatsächlich auf Abstand ging, dann hatte das sowieso nicht sein sollen.
„So, ich muss endlich mal ein paar Sachen für die Examensarbeit fertigmachen, ich würd sagen, wir sehen uns dann am kommenden Donnerstag. Ich freu mich!“
Unser Treffen war noch einige Tage hin, aber ich wollte in der Zeit nicht weiter mit ihm schreiben. Ich würde die ganze Sache nur wieder komplett zerreden und im Vorfeld kaputtdenken, alles schon in vielfacher Ausführung erlebt. Diesmal nicht. Also sendete ich die Nachricht und wandte mich dann wieder meiner Hausarbeit für das Referendariat zu. Es war nur noch Fleißarbeit: Ich hatte in den letzten Wochen vor den Sommerferien einen Unterrichtsversuch mit meiner Klasse gestartet, das war der spannendste Teil, und nun sollte ich die Planung, Durchführung und Evaluation ausführen. ich hatte da so gar keine Lust drauf, hatte allerdings nur noch zweieinhalb Tage Zeit, die Deadline rückte gnadenlos näher. Ich griff tief in meine Phrasenkiste, um den Text hier und da aufzubauschen – wozu überhaupt, warum machte jeder Refi diesen gleichgeschalteten Kram, was dabei rumkam, interessierte niemanden außer vielleicht einen selbst. Aber es war nun mal eine der Bewertungsgrundlagen für die Examensnote, also versuchte ich, mir etwas Mühe zu geben.
Das führte dazu, dass ich zwei Tage lang nur noch vor dem Notebook hing und eine Seite nach der anderen niederschrieb. Erst, als ich eine Nachricht von Cory erhielt, merkte ich, dass ich sie total vernachlässigt hatte. „Naaaaa, lebst du noch???“ und ich fühlte mich schon wieder scheiße, ja, ich hätte mich mal melden sollen. Ich erklärte ihr, dass es mir gut ging und dass ich Julian von sich zuhause in Frohnau abholen würde und wir dann zusammen zu ihr führen. Das war ein ordentlicher Umweg für mich, außerdem hatte Julian ja seinen eigenen Benz, wir hätten unabhängig voneinander zu ihr fahren können, ich aus dem Osten, er von Norden. Hoffentlich fiel ihr das nicht auf, hoffentlich fragte sie nicht nach, denn ich wollte ihr nicht erklären müssen – „Ach Cory, Ju und ich haben beschlossen, dass wir erstmal noch etwas Spaß ohne dich haben wollten und haben uns die Kante gegeben“ – das würde ihr unweigerlich das Gefühl geben, ausgegrenzt worden zu sein und das wär schon ziemlich scheiße gewesen, weil wir schließlich ein Treffen zu dritt vereinbart hatten. Aber mit Method Acting würden wir das einfach überspielen, damit sie nichts merkte.
Und dann war der Donnerstag da. Die Hausarbeit war längst abgeschickt, so dass sie mir nicht mehr wie eine Last auf den Schultern lag. Meinen Teil der Einkäufe hatte ich bereits erledigt und fing an, sie in den Wagen zu laden. Dann klappte ich eine Kiste auseinander und stellte alles rein, was wir für den Teil zu zweit brauchen würden – ein großer Topf, darin ein Beutel mit Tee, Zucker, Kaugummis, Skittles, Messbecher, eine Waage und so weiter, ich wusste ja nicht, was er davon alles bei sich zuhause hatte. Ich stellte die Kiste in den Kofferraum und legte eine Decke darüber – war sicherer, falls Cory aus irgendeinem Grund in den Wagen schauen sollte. Ich schaltete mein Notebook aus – damit war meine letzte Verbindung Richtung Internet gekappt, ab jetzt war ich auf mich allein gestellt. Ju hatte nur kurz geschrieben, dass er extrem gespannt war, was ich da so mit ihm anstellen würde und ob ich etwas Verständnis dafür hätte, dass er noch sehr verkatert von einer Party am Vorabend war. Vielleicht sollte ich irgendwann einmal mit ihm über das Thema Alkohol reden.
Whatever, heute nicht, heute ging es darum, Spaß zu haben. Das Wetter war perfekt! Wir hatten darauf gehofft, Ju meinte, wir könnten dann in den Gemeindepark von Frohnau gehen, der hat auch Ecken, in denen man völlig ungestört auf der Wiese liegen konnte. Das war das ideale Setting für unsere Aktion. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und legte mir die Wegbeschreibung zurecht, die mir das Internet angezeigt hatte. Keine Ahnung, ob ich das finden würde, also nahm ich mein Handy mit und schrieb mir Jus Nummer auf die Karte des Berliner Vororts.
Meine Zweifel waren vollkommen unberechtigt – nur der Verkehr war etwas dichter als erwartet, obwohl der Berufsverkehr erst über eine Stunde später einsetzen sollte. So bog ich dann zehn Minuten nach drei in den Pinienweg ein, in dem Julian vor Haus Nummer 7 stand und ein breites Grinsen aufsetzte, als er mich erkannte. Ich konnte nicht anders, als noch breiter zurückzugrinsen. Ich war so aufgeregt, würde es klappen, würde es ihm gefallen, was sollte ich sagen, wie sollte ich mich verhalten, konnte ich einfach abschalten, was ist, wenn er enttäuscht ist, was…
„Hey Timo!“ rief Ju, der unvermittelt direkt neben dem Fahrerfenster stand.

fortsetzung folgt...

Dienstag, 21. Juni 2016

Bürokratiergehege 2: Der Tempel des ALG-Todes


Herzlich willkommen zur heißersehnten Fortsetzung des Blockbusters "Bürokratiergehege". Hier lernen wir den Tempel des ALG-Todes kennen, dessen genauen Standort niemand weiß und auch die Identität des geldmordenden Hohepriesters bleibt für lange Zeit unbekannt. Wie also kommt man in Kontakt mit dieser gefährlichen Einrichtung?

Wer mindestens zwölf Monate in einem durchgängigen Beschäftigungsverhältnis stand, hat im ungünstigen, aber recht häufigen Falle der Arbeitslosigkeit ein Anrecht auf Arbeitslosengeld (ALGI) - in Höhe von sechzig bzw. sechsundsechszig Prozent des Durchschnittseinkommens der letzten zwölf Monate. Man sendet den Antrag - wie auch alles, was mit dieser Phase des Lebens zu tun hat - an die Agentur für Arbeit, in meinem Fall in Kiel. Ungeachtet der Tatsache, dass sich der persönliche Tempel des Finanztodes nicht zwangsläufig in Kiel befindet.

Das findet man erst heraus, wenn man Antwortpost bekommt, die einem die Bewilligung des ALGI hoffentlich bestätigt. Die Antwort kommt laut Anschrift von der Agentur für Arbeit Kiel, interessanterweise wird als Sachbearbeiter allerdings eine Person in Neumünster angegeben. Oder Flensburg. Oder sonstwo. Man mag nun denken, okay, dann ist diese Person jetzt mein weiterer Ansprechpartner. Nein: Bis auf den Namen werden keine konkreten Kontaktdaten gegeben - da stehen eine Faxnummer und eine Mailadresse, die allerdings in die "Ablage P" des Tempel des Todes wandern und nicht an den jeweiligen Sachbearbeiter. Die Hälfte der Mails kommt nicht an, die andere Hälfte wird nicht bearbeitet, geschweige denn beantwortet. Eine Telefonnummer zur Nachfrage und/oder Beschwerde wird selbstverständlich nicht abgegeben. Der Hohepriester würde sich damit ins eigene Knie schießen. Er sichert sich seine vernichtende Macht durch Abschottung.

Nein, jeglicher Kontakt läuft über das Bürokratiergehege Agentur für Arbeit Kiel, und jeglicher Kontakt läuft schriftlich. Wer es wagt, die kostenfreie Hotline anzurufen, sollte ein wenig Zeit einplanen. Es empfiehlt sich, währenddessen den Pizzaservice kommen zu lassen, ein Schläfchen zu halten und eine ausgiebige Massage zu bekommen. Die Betonung liegt hier auf "und", nicht "oder". Damit letztlich u.U. wieder nur ein "Da müssen sie sich schiftlich an ihre zuständige Agentur für Arbeit wenden." kommt.

Nun will ich nicht meckern, denn meine zuständige Finanz-Hohepriesterin hat mir nach einmonatiger Wartezeit das ALGI bewilligt. Dann war ich so tollkühn und wollte das Geld etwas aufstocken mit einem Nebenverdienst; man darf bis zu einhundertfünfundsechzig Euro monatlich dazuverdienen, solange die wöchentliche Arbeitszeit weniger als fünfzehn Stunden beträgt. Habe ich also beantragt, bekam irgendwann mit einmonatiger Verspätung die Bewilligung und den Bescheid über das in dieser Zeit verringerte ALG. Wieder aus Neumünster, allerdings von einer anderen Priesterin. Wieder eine andere zuständige Fachkraft hat mir nun eine Mahnung und Vorladung zur Anhörung zugesandt, in der mir vorgeworfen wird, mein Beschäftigungsverhältnis nicht angegeben zu haben und dass mir daher seit Mitte April überhaupt kein ALGI mehr zusteht. Mehr noch, neben der Rückzahlung der Leistungen soll ich noch die zuviel entrichteten Beiträge zur Krankenversicherung an das Arbeitsamt überweisen.

Hier zeigt sich also, weshalb vom Tempel des ALG-Todes die Rede ist. Wie wird es weitergehen? Ich habe Widerspruch eingelegt, wieder in Kiel, wieder werde ich Antwort aus Neumünster erhalten, vermutlich wieder von einem neuen Sachbearbeiter. Diesmal hoffentlich mit der Miteilung, dass da ein Fehler (Fehwer!) unterlaufen ist, für den ich ganz bestimmt nicht mit dem Leben (Wehben!) zu bezahlen (bezahwen!) habe.

Und vielleicht wird es dann zur Fortsetzung kommen - "Bürokratiergehege 3: Der letzte Kreuzzug ins Amt".

Samstag, 18. Juni 2016

Ein Tag in Weiß


Herrje, ich habe gestern eine Frage aus den Schülerrückmeldungen nicht hier beantwortet, das tut mir leid, das wird jetzt nachgeholt!

Ein Schüler hatte gefragt, ob ich im Blog nicht erklären könnte, warum ich am letzten Tag ganz in weiß in der Schule war. Normalerweise trage ich schwarze Outfits, schwarzen Schmuck, hin und wieder auch schwarzes Make-Up. Das gehört einfach zu mir, das macht mich aus. Meine Schüler gewöhnen sich zügig daran. Ich habe mir irgendwann einen Spaß draus gemacht, einmal komplett in weiß in der Schule zu erscheinen. Ungläubige Blicke, "Dr Hilarius, ich hätte sie fast nicht wiedererkannt!", aufgerissene Augen, "Sind sie krank?"

Ich habe daraus eine Art running gag gemacht: Jede meiner Lerngruppen erlebt mich einmal in der Unterrichtszeit ganz in weiß. Damit mache ich den Schülern klar, dass man Gewohnheiten auch mal aufbrechen soll. Dass man bereit sein soll, umzudenken. Ich erkläre ihnen das dann meistens auch ausführlich. Das Umdenken hilft, neue Blickwinkel zu entdecken und aus festgefahrenen Verhaltensmustern auszubrechen. Sonst gewöhnt man sich irgendwann so sehr daran, als wäre es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Dr Hilarius immer schwarz tragen muss.

"Ich muss gar nichts", hat ein Berliner Elektropop-Team namens Grossstadtgeflüster mal gesungen und da ist viel dran. Wer sagt, dass ich immer schwarz tragen muss? Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann!

Na, habe ich Deine Frage damit beantwortet? ;-)

Freitag, 17. Juni 2016

An Euch

Bevor das Gemecker losgeht: Die Rückmeldungen, die ich hier erwähne, tragen das offizielle OK der Schüler. Ich schreibe hier nichts Privates.

Nun sitze ich hier und lese mir Eure Rückmeldungen durch. Und schon beim dritten Text muss ich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Toll, da schreibt mir jemand, dass er mich am Anfang ganz falsch eingeschätzt hat, ein verschlossenes Buch, vielleicht, weil er versucht hat, vom Äußeren auf den Charakter zu schließen und das passte dann irgendwie nicht. Wenn ich jetzt den Gedanken angestoßen habe, dass man Menschen nie nach dem Aussehen beurteilen sollte (jaaaaaa, eine Rückmeldung beginnt mit dem never judge a book by its cover!), bin ich verdammt stolz. Ich habe versucht, Euch das vorzuleben - Offenheit und Aufgeschlossenheit.

Ein Auszug aus der Rückmeldung mit dem Buchumschlag: "Vor allem gaben Sie uns nie das Gefühl, total dämlich zu sein. Sie haben uns nämlich nicht nur stets vor einer Unterrichtseinheit Gelegenheit gegeben, über bestimmte Ereignisse vorab zu recherchieren, sondern lobten uns auch. Dafür danke." Ich erlebe es in meinem Privatleben manchmal, dass Menschen sich neben mir dumm fühlen, und das tut mir richtig Leid. Deswegen versuche ich immer, eine gedankliche Hand zu reichen.

Mehreren von Euch haben die Spiele gefallen, weil Ihr auf diese Weise einen Anreiz hattet, zu lernen (a.k.a. Ferrero Küsschen, zum Beispiel) und weil manch einer auf diese Weise die Inhalte nicht nur gut behalten konnte, sondern auch genau wusste, wo noch inhaltliche Lücken sind. Genau so war es auch gedacht, meine Damen und Herren, und ich war echt überrascht, als alle Gruppen mir den Taoiseach mit richtiger Aussprache nennen konnten! Das Quiz war mein Highlight, weil Ihr gezeigt habt, dass Ihr echt was gelernt habt. Und denkt dran: Die Spiele kamen dran, weil Ihr Euch das in der ersten Stunde gewünscht habt. Ihr könnt Unterricht mitgestalten!

"Sie sind der erste Lehrer, der mich so akzeptiert, wie ich bin. Es tut gut, auch mal positives Feedback zu bekommen." Manchmal braucht man Mut, um zu sich selbst zu stehen, auch wenn noch so viel Gegenwind kommt. Ich freue mich, dass ich Menschen das Gefühl geben kann, OK zu sein. Dass sie bei mir so sein dürfen wie sie eben sind.

Eure Kritikpunkte sind für mich vollkommen nachvollziehbar, ich nehme sie als Impulse für meinen zukünftigen Unterricht mit. Deswegen ist es mir so wichtig, die negativen Aspekte zu lesen - nur so kann ich etwas zum Positiven ändern.

Okay, ich bin durch und hab tatsächlich ein paar Tränen rollen lassen. Ich freue mich, dass ich etwas bewirken konnte und dass Ihr etwas für Euch mitgenommen habt. Schule setzt einem leider bestimmte Maßregeln, manchmal verhindern diese einen progressiven Unterricht. Ihr habt "Humanistische Pädagogik" erlebt, ein bisschen Pestalozzi, ein bisschen Montessori. Leider gibt es Menschen, die sowas als "Kuschelpädagogik" bezeichnen und sich abfällig darüber äußern. Ich finde das sehr schade.

DANKE, dass Ihr mitgemacht habt. Dass Ihr aufgetaut seid. Dass Ihr offen ward. Dass Ihr mich akzeptiert habt. Unterricht lebt von Lehrern und Schülern.

Wir sehen uns!

Mittwoch, 15. Juni 2016

Kärnan kriecht


So, das wird heute mal ein etwas klassischerer Blogeintrag mit Tagebuchcharakter. Zunächst eine interessante Erfahrung, die ich gemacht habe: Bei längeren Meditationen löst sich der Geist vom Körper, es entsteht ein Gefühl, als läge der Körper nur wie eine leere Hülle auf der Couch, während der Geist durch Gedankenwelten reist. Ein wunderbares Gefühl. Spannend wird es, wenn in diesem Zustand reale Dinge auf das Erlebnis Einfluss üben.

Wenn ich in der Tiefenentspannung bin, kann jemand an der Tür klingeln, aber ich gehe nicht hin. Bitte nicht die Meditation unterbrechen. Aber je nach Klingelsound fährt es mir wie ein Blitz durch Mark und Bein. Oder eher: Wie eine Bandsäge. Die Kunst besteht darin, diese unangenehme Erfahrung möglichst schnell auszugleichen und sich nicht rausbringen zu lassen.

Heute war das erste Mal, dass ein Gewitter während der Meditation aufgezogen ist. Ich liege also da, die erste halbe Stunde ist rum, die perfekte Musik malt mir meine Gedankenreisen aus und ich verarbeite die Ereignisse des Tages. Das Gewittergrummeln ist nicht so "sägend" wie die Türklingel. Es grollt ja schon aus der Ferne, ein tiefes Wummern, das sich mit der Musik vermischt und phasenweise nicht mehr von der Musik zu unterscheiden ist. Doch dann wird es lauter - es fühlt sich an, als würde eine U-Bahn unter mir hindurch fahren, alles wackelt, bebt, aufregende Szenen in der Gedankenreise! Aber es bringt mich nicht aus der Meditation raus, denn im Gegensatz zu der Türklingel ist das Gewittergrollen ein natürlicher Sound und ich konnte wunderbar dabei entspannen. Diese Gewittermeditation war sehr angenehm.

Dann muss ich nochmal etwas aufgreifen, was ich hier schon einmal beschrieben habe. Ich kenne es mittlerweile, dass Bauwerke mehr Zeit zur Fertigstellung benötigen als geplant. Ich kenne es, dass die Kosten explodieren. Die Elbphilharmonie war ursprünglich mit 77 Millionen Euro veranschlagt. Mittlerweile ist bekannt, dass das Bauwerk den Steuerzahler 789 Millionen kosten wird, ein kleines bisschen höher als gedacht - und ein Ende ist nicht in Sicht. Oder der neue Berliner Flughafen: Eine Milliarde Euro wurden eingeplant und der Flughafen sollte im Oktober 2007 seinen Betrieb aufnehmen. Nun ist es Juni 2016, auch hier kein Ende in Sicht, und die Kosten nähern sich heute der Sechs-Milliarden-Marke.

Okay, die jüngste Achterbahn im Hansa-Park spielt nicht in diesen Größenklassen. Aber Parallelen sind zu entdecken: Angedacht war es, 2015 zu bauen und 2016 zu thematisieren ("Thematisierung 2016"). Und dann kamen die Widrigkeiten. Schlechte Wetterverhältnisse, jemand, der vom Vertrag zurücktritt (ist nur ein Gerücht, kann falsch sein!), ich frage mich, ob das Team Leicht sich da übernommen hat ("Thematisierungsbeginn 2016")?

Mich stören die Drängler in Internetforen, die auf einmal nur noch über die Bahn meckern, weil sie noch nicht fertig ist. Leute, Zeit ist Geld und der Hansa-Park ist kein Disneyland, das mal eben EINHUNDERT MILLIONEN DOLLAR für eine Achterbahn verprassen kann (Weltrekord; Expedition Everest im Animal Kingdom). Das Vorhaben des Familienbetriebs ist gigantisch - allein die Planung hat fünf Jahre gebraucht. Ich würde all diesen Meckerern gerne sagen, dass niemand sie zwingt, mit der unfertigen Bahn zu fahren. Einen 80m hohen Turm komplett zu verkleiden, das dauert, und einen kompletten Darkride in der Burg zu installieren - das ist eine andere Größenklasse als der Fluch von Novgorod.

Nach meiner Einschätzung wird das Ergebnis ein echtes Erlebnis, und wir coaster junkies sollten uns einfach in Geduld üben. Ich finde toll, was die da machen, und es tut mir Leid, wenn jetzt tatsächlich der Betrieb, der für die Turmfassade verantwortlich zeichnet, zurückgetreten sein soll. Durchhalten, es wird irgendwann vollendet sein!

post scriptum: Drollige Beobachtung für die Leser - in der Regel wird ein Beitrag von der Publikation bis zum folgenden Tag hier dreißigmal aufgerufen. Der gestrige Beitrag zu meiner Jobperspektive wurde fünfhundertmal geöffnet. Ich finde die Blog-Statistiken immer ziemlich spannend.

Dienstag, 14. Juni 2016

Denk-Zettel

Agentur für Arbeit Kiel
Adolf-Westphal-Str.2
24143 Kiel

Sehr geehrter Herr Denk, hier der Zettel:

Was ich damit sagen möchte: Wenn jetzt nichts mehr dazwischen kommt, habe ich endlich wieder Arbeit und freue mich sehr auf die neue Schule, die erfrischend bunt zu sein scheint. 

Montag, 13. Juni 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 4)




Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.

Identität – die Geschichte von Timo und Julian


part 4

Sonnenaufgang über Lichtenberg. Die Fenster meiner Wohnung zeigen nach Osten, die Morgensonne scheint direkt auf mein Bett, das kann ich gut gebrauchen, weil ich morgens Probleme mit dem Aufstehen habe. Zum Glück sind noch Sommerferien, da ist ausschlafen angesagt.
Meine Wohnung entspricht zur Zeit besonders dem Trash-Messie-Klischee. Es ist nicht nur der Müll, der hier herumliegt, weil ich mich nicht zum Aufräumen aufraffen konnte. Es ist auch die völlig veraltete Kesseltherme, die mit Gas erstmal eine ganze Weile das Wasser aufheizen muss, bevor ich warmes Wasser aus der Leitung bekomme. Es sind auch die Stromkabel, die gut sichtbar an der Flurdecke verlegt wurden und wie als solches gedachte Dekoration die Zimmer schmücken. Es sind auch die papierdünnen Wände, die mich am Privatleben meiner Nachbarn teilhaben lassen: Oben Streits und reichlich Sex, neben meinem Bett LAN-Partys und laute Schlagermusik.
Immerhin hat es mich nicht so schlimm getroffen wie Meike, meine Nachbarin quer über den Flur. Über ihrer Wohnung wohnen ein paar junge Erwachsene, die regelmäßig unter der Woche derartig laute – und scheinbar auch zerstörerische – Feiern veranstalten, dass die Polizei schon mehrfach des Nachts an unserer Reihenhausscheibe geklingelt hat. Aber was erwarte ich, ich bewohne ein spottbilliges Fleckchen Wohnraum, Adenauerstraße 11, in einem der miesesten Vierteil von Lichtenberg, tief im Berliner Osten. Für das Referendariat. Es sind rein pragmatische Überlegungen; meine Ausbildungsschule, das Marx-Gymnasium, liegt nicht einmal einen Kilometer entfernt. Und ich habe kein Geld.
An all diese Gedanken hatte ich mich gewöhnt, so dass ich am Morgen nach unserem Treffen bei Reg direkt zur Tagesordnung ging und mich ans Aufräumen machte. Ich hatte keine Lust. Keine Lust, das Chaos hier zu beseitigen, keine Lust, etwas für die Schule vorzubereiten. Keine Lust nach dieser grandios verpassten Chance gestern. Ich beschloss, Reg zu schreiben und etwas von meinem Frust loszuwerden, dass ich schon wieder gekniffen hatte.
Ich öffnete Facebook, meine einzige Verbindung zur Welt außerhalb meiner Wohnung, in der ich mich von meinen Mitmenschen abgeschottet hatte. Auf der Startseite begrüßte mich der leuchtend rote Hinweis, dass ich eine Nachricht erhalten hatte – und so sah ich, was Julian mir noch in der Nacht geschrieben hatte.
Scheiße. Verdammte Scheiße, warum bin ich so eine feige Sau, warum bekomme ich nie mein Maul auf, warum denke ich immer, dass ich es nicht wert bin, dass sich mal jemand mit mir privat trifft, wo ist mein Selbstbewusstsein, wo ist mein Selbstvertrauen? Das Referendariat hatte mir bis dahin systematisch mein Rückgrat gekillt. „Herr Schneider, ihr Unterricht ist sehr ungewöhnlich. Warum halten sie sich nicht an die Hinweise in den Fachdidaktiken, warum ziehen sie keine pädagogische Literatur zu Rate, warum hören sie nicht auf ihre Mentoren?“ Ich kann das nicht. Ich habe ein ganz konkretes Konzept von Schule und Unterricht in meinem Kopf. Ich kann mich nicht anpassen an die Erwartungen der Anderen. Ich habe das jetzt ein Jahr lang versucht und bin regelmäßig untergebuttert worden. Mein Unterricht hatte jegliche Authentizität verloren. Von allen Seiten wurde mir suggeriert, dass ich überhaupt nichts mehr auf die Reihe bekomme, dass ich für die einfachsten Dinge zu blöd sei. Julians Nachricht passte wunderbar in dieses Denkmuster.
Dabei sollte ich mich doch eigentlich freuen, oder nicht? Denn nun hatte ich die Gewissheit, dass er an einem Gespräch mit mir interessiert war. Ich wusste nicht, warum, wahrscheinlich sagte er das zu jedem, den er kennen lernte. Oder lag es eben doch speziell an mir? Mir fiel wieder dieser Augenblick ein, diese zwei, drei Sekunden zu viel, die ich in seine Augen gestarrt hatte, letzte Nacht am Kleistpark. Das verwirrte mich alles noch viel mehr, ich konnte das nicht einordnen. Ich entschloss mich, ein neues Treffen anzuberaumen. Nicht nur mit Julian, bloß nicht, warum sollte er da zusagen, der würde sich doch bestimmt denken, ich hätte irgendwas vor. Also schrieb ich eine Nachricht an Cory und Julian, ob wir uns nicht am nächsten Wochenende bei Cory treffen wollten. Wraps futtern, oder so, ich war mir sicher, dass so eine Verabredung weniger „verbindlich“ wäre, unauffälliger eben. Und ich entschied mich dagegen, Reg zu schreiben, weil ich Angst vor ihrer Antwort hatte. Vielleicht eine weitere Zurechtweisung im Stile von „Wie kann ein Mann so kompliziert sein?“ – und das konnte ich zur Zeit wirklich nicht gebrauchen.
Es dauerte keine drei Stunden, bis ich die Antworten der Beiden hatte, zwei Zusagen, großartig! Wir teilten uns die Einkaufsliste auf.
„Hey Julian, soll ich uns vielleicht mal etwas zum Entspannen mitbringen? Weiß nicht, ob Du an so was Interesse hast. Aber wir könnten uns dann ja zwei Stunden vorher bei Dir treffen, chillen eine Runde, und dann fahren wir weiter zu Cory. Was meinst Du, klingt gut?“
Welcher Teufel hatte mich geritten, das zu schreiben? Und warum ist es so verdammt einfach, eine Nachricht abzusenden, ein einfacher Klick, aber so unmöglich, diese Nachricht zurückzunehmen? Nun sah ich sie die ganze Zeit im Nachrichtenverlauf und kam mir so schlecht vor – und es wurde noch schlimmer, als ich plötzlich dieses kleine Häkchen sah, den Hinweis, dass er die Nachricht gelesen hatte. Ich hatte Angst vor der Antwort, ich schloss den Browser sofort, fuhr den Rechner herunter, als könne ich damit verhindern, dass da irgendeine Antwort kam. Raus hier, weg hier, ich verließ die Wohnung, ging zum S-Bahnhof, stieg ein in Richtung Potsdam. Ich suchte mir einen Fensterplatz, dort saß ich gern, schaute nach draußen und dachte nach. Wieder ein Fluchtversuch vor der eigenen Verantwortung. Und im Hinterkopf immer wieder die Neugier, wie ein kleines Teufelchen, das mit seinem Dreizack ohne Unterlass meinen Verstand piekste, das wissen wollte, ob er wohl geantwortet hatte. Was er wohl geantwortet hatte. Face the music, Timo, übernimm endlich mal die volle Verantwortung für Dein Handeln. Nur so kannst Du irgendwann stärker werden.
Am Grunewald stieg ich aus. Das Wetter war perfekt für einen Spaziergang durchs Grüne. Während ich etwas abseits der vorgesehenen Pfade wanderte, wurde mir wieder bewusst, wie allein ich zur Zeit war. Und wie sehr ich mit Julian befreundet sein wollte, und wie sehr ich wieder in die City ziehen wollte, in die Nähe von Cory und Reg. Sollte ich nur einen einzigen Wunsch für das neue Lebensjahr haben, nahm ich mir vor, Lichtenberg endgültig hinter mir zu lassen. Spießerschule, auf die hatte ich eh keinen Nerv mehr – nur weil sie nicht damit klarkommen, dass ich kein Mainstream-Lehrer bin. Was sollte ich also vermissen, wenn ich wieder in meine gefundene Heimat zurückkehrte?
Ich brauchte dafür nur noch eines: Mehr Mut. Mehr Mut, die Brücken hinter mir abzubrechen, mehr Mut, mich bei einer anderen Schule zu bewerben. Und mehr Mut, auf neue Freunde zuzugehen. Vor meinem geistigen Auge sah ich wieder das Facebook-Häkchen. Bestimmt hatte Julian inzwischen geantwortet. Wovor hatte ich solche Angst? Dass er über mich lacht. Dass er denkt, ich würde ihn irgendwie mögen. Dass ihm das peinlich ist. Dass ich mich in etwas verrenne? Dass er einfach absagt? Letzte Nacht wäre er auch mit mir mitgekommen, wenn ich ihn einfach gefragt hätte. Und worum ging es denn überhaupt, zwei Stunden vorher zu zweit bei ihm verbringen, da ist doch nichts bei. Und wenn es nicht so toll läuft, wären wir danach ja bei Cory, das würde die Spannungen rausnehmen. Und so oft, wie Julian sich volllaufen ließ, sollte er eigentlich auch keine Hemmungen haben, mal etwas Angenehmeres als Alk zu konsumieren. Worauf wartete ich?
Ich machte mich auf den Heimweg. Vom Bahnhof Lichtenberg waren es noch etwa zwanzig Minuten zu Fuß bis zur Adenauerstraße und ihren potthässlichen Reihenhäusern, bei denen der Putz bröckelte, und überhaupt erweckte der Bau den Anschein, als warte er nur noch auf seinen Abriss. Ich entledigte mich meiner Schuhe, holte mir etwas zu trinken und klappte mein Notebook auf. Klasse, Timo, du bist onlinesüchtig, hallte es in meinem Kopf. Mir scheißegal, in diesem Viertel gab es ja sonst keinen Grund zu überleben, außer um regelmäßig seine Nachrichten zu checken und sich anhand der News davon zu überzeugen, dass die Welt sich immer noch dreht. Erster Klick: Facebook. Erster Blick: Eine neue Nachricht. Von Julian.

fortsetzung folgt...

post scriptum: Das Autobahnkreuz Kiel-West - für die nächsten dreizehn Monate bin ich Stammgast!

Samstag, 11. Juni 2016

Haus-DJ


(nicht so subtiles product placement)

"Ey, ich hab' total Lust, heute tanzen zu gehen." - "Ja, coole Idee, wollen wir in die Trauma? MAX? Atrium?" - "Nee, lass ma' Katzenstreu kaufen!"

Klingt zunächst wie ein non sequitur, könnte aber gestern oder heute durchaus so geschehen sein. Da wandere ich durch plaza hindurch und eine leichte Panikattacke schleicht sich an: Überall sind diese Verkostungsstände aufgebaut, Käsewürfel, Wein, Schokolade, Mottenkugeln, alles, was der Mensch zum Wohlfühlen braucht. Dass ich im Durchschnitt einen dieser Stände beim Einkaufsbummel treffe, ist vollkommen normal. Diesmal bin ich allerdings noch nicht mal beim Hackfleisch angekommen, da bin ich schon im Slalom sieben dieser netten jungen VerkäuferInnen ausgewichen. Reizüberflutung, überall die bunten Farben, natürlich besonders aromatischer Käse und da vorne reißt eine Einkaufstasche, Saft überflutet den Boden und ich bin kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Oder Kreislaufkollaps. Oder kurz davor, 2,5kg Tilsiter zu kaufen, die Auswirkungen sind fast gleich.

Nun gut, vielleicht sind Aktionstage, ich schaue auf meine Armbanduhr, damit ich nicht die vielen Stände sehen muss - das regelmäßige Ticken des Sekundenzeigers beruhigt mich. Und siehe da, kaum bin ich am Brot vorbei, gibt es keine Stände mehr - die folgenden Nahrungsmittel sind vermutlich zu billig oder zu gesund, sowas kaufen die Leute auch ohne Verkostung.

Was mich allerdings ein bisschen verunsichert, ist das Wummern, ein regelmäßiges UHNtiss UHNtiss UHNtiss UHNtiss. Musik aus dem Kaufhausradio? Aber nein, es wird immer lauter, je näher ich an die Kasse komme und registriere plötzlich, dass im Hauptflur, mitten in der Kunden-Aorta, ein DJ-Pult aufgebaut ist, dahinter ein Klaus oder eine Telse mit Sonnenbrille und Headset, konnte das nicht richtig erkennen, und scratcht sich die Seele aus dem Leib.

Ich kann gar nicht anders, als meine Schritte an das UHNtissUHNtiss (findet man das Wort im Duden?) anzupassen. Ich möchte da möglichst schnell vorbei, denn das irritiert mich noch mehr als die Verkostungsstände. Warum gibts jetzt in der Sky-Disse nen DJ Hacksteak? Oder DJane Tamponade-Girl? Ich verstehe es tatsächlich nicht, reicht nicht mehr der normale Sender aus? Oder ist das eine der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Flüchtlinge, einer der einhunderttausend Ein-Euro-Jobs, auf die Frau Nahles so stolz ist?

Es muss eine Epidemie sein; so streunere ich heute zu Rossmann und bin ob einer riesigen Menschentraube verwirrt. Sie stehen vor irgendwas, ich kann's nicht erkennen, alle mit gesenkten Häuptern. Man könnte es für eine Gebetszeremonie halten, wenn da nicht die Boxen des Soundsystems hier und da aus der Menge herausstächen. Und wieder: UHNtissUHNtissA-TEM-LOStissUHNtiss... ich muss mich durch die Menge drängeln, um überhaupt an den Eingang der Drogerie zu kommen, und da sehe ich, dass diese Tausenden von Menschen sich um eine Reihe Wühltische scharen. Ich weiß nicht, was es da gibt, das scheint schon so leer zu sein, dass ich nicht bis auf den Boden der Kästen blicken kann.

Ich biege ab in den Laden, schnell noch an der letzten Lautsprecherbox vorbei, da ballert eine Stimme mir fast das Trommelfell heraus: "JAAAA, Leute Leute, ich sag's nochmal, alles nur fünfzig Cent, alles nur fünfzig Cent, ich sag's Euch, nur fünfzig Cent, fünfzig Cent, meine Damen und Herren, greifen sie zu!" Wenn er es noch einmal sagt, kaufe ich mir Deospray und ein Feuerzeug und wende an, was ich (nicht bei der Sendung mit der Maus) gelernt habe. Beim After Shave angekommen, höre ich nicht mehr so viel von der menschlichen Sound-Uzi mit dem Headset. Zum Glück. Ich kaufe alles, was ich brauche, möchte bezahlen, da rastet die Kassiererin aus: "KÖNNT IHR MAL DIESE SCHEISS MUSIK LEISER MACHEN, wenn ich das hier noch fünf Stunden ertragen soll, kann ich für nichts garantieren!"

Mit Tinnitus auf dem Heimweg weiß ich jetzt wieder, warum ich lieber keine Kassiererin werden möchte.

Freitag, 10. Juni 2016

Dude


Ich bin dabei, eine weitere Wissenslücke in Sachen Filmkunst zu schließen, und die trägt den Namen der Coen-Brüder. Und wer sie kennt und den Titel des Beitrags liest, wird schnell darauf schließen können, dass ich mir gestern endlich einmal The Big Lebowski (1998) angeschaut habe, und das mit Begeisterung.

Ich könnte mich jetzt darüber auslassen, dass ich den Film genau im richtigen Moment geschaut habe, weil es nämlich um eine Lebenseinstellung geht - den Dudeism, der viel damit zu tun hat, die Dinge ruhig anzugehen und gelassen zu bleiben im Angesicht drängender Situationen. Ich könnte davon erzählen, dass diese Haltung mir in dieser Phase gerade ein echtes Vorbild ist - aber das tue ich nicht und genieße eine zünftige praeteritio.

Stattdessen möchte ich von ein paar Dingen erzählen, die mich beim ersten Ansehen schon begeistert haben. Die Reihenfolge? Wie immer bei meinen Einträgen so, wie es mir gerade in den Kopf kommt. Ich mache nur selten vorher eine Gliederung, schließlich ist das hier keine Klausur in der Schule.

Ich fange an mit den ersten Momenten des Filmes, genauer des Vorspanns, in dem Julianne Moore erwähnt wird. Ich halte sie für eine großartige Schauspielerin, die zu Recht den Academy Award gewonnen hat (2014 als Beste Schauspielerin in Still Alice). Ich liebe ihre offbeat-Performances in Cookie's Fortune (1999) und eben jenem The Big Lebowski, ich genieße aber auch ihre etwas mehr am Mainstream orientierten Darstellungen wie z.B. in Non-Stop (2014) oder dem Remake von Carrie (2013). Sie hat keine Probleme damit, ungewöhnliche und anspruchsvolle Rollen zu übernehmen, und so habe ich mir schon vor Anblick ihres Gesichtes gedacht, dass sie es ist, die da gerade nackt an einem Ledergestell aufgehängt durch den Raum fliegt, um ein Gemälde zu kreieren. Grandios!

Jeff Daniels spielt den Dude ("Nobody calls me Jeffrey Lebowski, my name is Dude!") so überzeugend, als hätte er sein Leben lang nichts Anderes gemacht. Das ist keine Schauspielerei mehr, das ist richtige Darstellung. Ich nehme ihm die Rolle sofort ab. John Goodman macht einen perfekten Job als sein Partner, die beiden ergänzen sich, als könne es sie nur im Doppelpack geben.

An Kritik wird nicht gespart, so zum Beispiel daran, Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen und der arroganten Überzeugung, sie deswegen wie Vollidioten behandeln zu können. Ich muss mich damit einfach identifizieren, denn ich erlebe es selbst immer wieder, dass Menschen aufgrund meines Äußeren zu einem vorschnellen Urteil gelangen und mich behandeln, als wäre ich eher am unteren Ende der Intelligenzkurve vertreten. Ich provoziere das bewusst, das ist mir klar. Ich tue das, um Menschen davon zu überzeugen, sich eine Meinung durch eigenes Erleben zu bilden. (Das wäre, als würde man davon ausgehen, jemand sei eine gute Lehrkraft, nur weil er gut aussieht oder Nadelstreifenanzüge trägt.)

Es hat mir sehr gut getan, den Film zu sehen, gerade jetzt. Weiß nicht, warum ich damit so lange gewartet habe.


Donnerstag, 9. Juni 2016

Hauntingly Beautiful


Ich erinnere mich an einen sehr schönen Abend mit Dir, an dem wir wichtige Dinge für uns klargestellt haben. Du hattest den Sessel und ich saß im Schneidersitz vor Dir auf dem Boden. Bis auf das Licht einer einsamen Kerze war es dunkel. Im Hintergrund lief dieser wunderschöne Song, während ich Dir vorlas, was ich Dir unbedingt sagen wollte, an jenem Novemberabend:


(bietet sich an, die Musik im Hintergrund zu hören, Effekt und so...)


Das Vertrauen in uns

Es tut so gut, zu sehen und mitzuerleben, wie Du erwachsen wirst. Es tut weh, mit Dir Schmerzen zu erleiden, aber es beruhigt, gleichzeitig immer die Perspektive zu haben, dass Du reifer wirst. Es ist ein schönes Gefühl, Dich auf diese Reise mitzunehmen, und ich genieße das, seit wir uns zum ersten Mal die Welt des jeweils Anderen gezeigt haben. Es ist immer wieder schön, den Aha-Moment bei Dir zu erleben. Das Unverständnis, das sich irgendwann in Einsicht wandelt. Und das daraus resultierende, unglaublich starke Vertrauen zu spüren. Egal, ob als Freund oder als Partner – Du gibst mir das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden. Es dauert, bis ich dieses Vertrauen in Dich und uns aufbauen kann und ich komme leider nur in unseren Krisen weiter voran dabei, weil Du mich nur dann wirklich spüren lässt, wie wichtig ich Dir bin. Allzu oft kommt mir das alles so selbstverständlich vor, wenn es uns gut geht. Ansonsten sind es nur Worte, und ich habe allgemein den Glauben an Worte zum Großteil verloren. Actions speak louder than words do.

Wer ich für Dich bin

Was mich bei unserem letzten Gespräch sehr bewegt hat, war die Erkenntnis, dass Du scheinbar niemanden hast, bei dem Du ohne Ängste und ohne Tabus Druck ablassen kannst. Kein Tagebuch, kein so enger Vertrauter. Als es uns beiden bewusst geworden ist, bzw. als Du mir gesagt hast, dass ich dieser Mensch geworden bin, hast Du mich für einen Moment glücklich gemacht. Das, was wir beide uns wünschen. Ich wollte Dir immer etwas bieten können, was Dir niemand sonst bieten kann. Ich wollte für Dich etwas ganz Besonderes sein, etwas Einmaliges. Und mir fehlt immer das Selbstvertrauen, zu glauben, dass ich tatsächlich so jemand sein könnte. Und dass ich so jemand für Dich bin, den Menschen, den ich so lieb habe, gibt mir tatsächlich ein Gefühl von Glück.

Unsere Meilensteine

Es gibt Vieles, was wir erreicht haben. Du hast mir in einer sehr schweren Phase einen sehr wichtigen Impuls gegeben und mir meine eigene Perspektive wieder sichtbar gemacht. Und in Deinem Leben haben wir eine wichtige Pforte geöffnet – eine Initiation für Dich begonnen, die mit Stress und negativen Konnotationen verbunden war und noch immer ist – mit mehr Weitsicht, mehr Einsicht, mehr Perspektive. Du hast die Abwechslung in mein Leben gebracht. Wir haben absurde Momente erlebt, auf Parkplätzen, mit Sonnenbrillen, einer rettenden Tasse Kaffee am Tag dazwischen und der Einsicht, dass manchmal bereits was zu Futtern gegen Übelkeit helfen kann und dass Pizzaburger echt lecker sind. Und wir haben unsere Fähigkeit verbessert, das aufzulösen, was Du „tote Punkte“ genannt hast, und positiv rauszugehen. Du hast mich im Schreibgespräch gefragt, wie wir es schaffen können, nicht mehr an diese toten Punkte zu kommen. Gute Frage – es wird sie immer wieder geben – aber wir sind nicht mehr so hilflos wie damals. Du hast zuerst gelernt, dann nicht stumm zu bleiben. Dann hab auch ich das gelernt. Und dann hast Du wieder etwas dazugelernt, und zwar, Dich nicht mit dem Schweigen zufrieden zu geben, sondern nachzubohren und von mir das Gespräch einzufordern. Auch das war mal anders, weil wir damals den Weg der Vermeidung gegangen sind, wir beide. Wir haben Vieles erreicht und uns eben nicht nur im Kreis gedreht.

Der Preis

Der Preis dafür ist deutlich: Ich lass Dir nicht alles durchgehen, wenn Du es mal wieder zu locker und unkompliziert siehst – und Du lässt mir nicht alles durchgehen, wenn ich es wieder zu schwarz und nihilistisch sehe. Und genau das ist es, womit wir uns damals gut getan haben. Du hast mich auf einen positiven Weg zurückgebracht und ich hab Dich auf einen nachdenklichen Weg gebracht. Diese beiden Einflüsse müssen sich irgendwie die Waage halten. Mir ist das Problem jetzt sehr deutlich geworden. In Phasen, in denen es zu positiv wird, wirst Du „trampelig“ und fällst in Dein Anfangsverhalten zurück. Und in Phasen wie der jetzigen, in denen es zu negativ wird, rede ich alles kaputt, was wir erreicht haben, und spreche uns jegliche Chance für die Zukunft ab. Auch ich falle dann in mein früheres Verhaltensmuster zurück. Du nanntest es damals wegen unserer langen Pausen „auf Null zurückfallen“. Gleichzeitig sagtest Du, dass unsere Freundschaft viel Energie und Zeit benötigt. Eben wegen dieses hohen Preises, wegen dieser anzustrebenden Balance aus Lockerheit und Verantwortung. Und genau wie Du vor ein paar Tagen meintest – es ist kein „lockeres Genießen“ drin. Sollten wir nur das suchen, haben wir beide verloren. Aber: Hätten wir in den letzten eineinhalb Jahren nur das gesucht, wären wir uns nicht so wichtig geworden, sondern nur ein Link bei Facebook gewesen. Und jetzt besteht dieser Link nicht mehr, im Gegenteil, da steht mittlerweile ein Block. Und dennoch sind wir uns wichtig. Die Einsicht, dass jeder von uns aus dieser Freundschaft mehr rausholen kann – ich die Lockerheit und Du das Verantwortungsgefühl – hat uns immer wieder zueinander gebracht. Und wir haben die Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt, denn da ist noch Vieles, was vor uns liegt.

Was vor uns liegt

Es gibt noch so viele Dinge, die ich mit Dir erleben will, und einige dieser Ideen stammen von Dir. Ich will mit Dir zu den Osterinseln und nach Koh Pha Ngan reisen. Ich will mit Dir Cedar Point erobern. Ich möchte mit Dir Twin Peaks schauen, und Mulholland Drive aufklären, auf die Suche nach dem Yeti gehen und Dir noch so viele Sachen zeigen, die Dich bereichern können. Ich möchte das mit Dir weiterführen, was wir begonnen haben.

Wer Du für mich bist

Und das geht nur mit Dir. Ich konnte noch nie so unbeschwert neben jemandem einschlafen. Ich habe es noch nie erlebt, dass ich jemandem so viel erzähle, ich bin eigentlich jemand, der sein Inneres verschlossen hält. Du hast einen Zugang zu mir gefunden. Und dadurch auch beschlossen, Dich selbst zu öffnen. Du hast den Schritt geschafft, mir zu erzählen, was Dich bewegt. Auch das war mal anders. Ich erlebe mit, wie Teile dessen, was Du für Deine Festung erachtet hast, auseinanderbrechen. Die Einsicht, dass Dein bester Freund vielleicht eben doch nicht Dein bester Freund ist. Überhaupt – was ein richtiger Freund ist. Vielleicht müssen wir beide das lernen. Und dann die Unsicherheit sich selbst gegenüber, das eigene Image, das plötzlich wackelt. Zeit, eine Hülle abzustreifen und sich eine neue Haut zuzulegen, dünner, verletzlicher, authentischer. Und wir geben uns dabei Halt. 

...boah ne, ist das kitschig hier! Die sollten mal sinnvollere Texte für ihre Tourismuskampagne schreiben, das hier interessiert doch kein Schwein...