...kann ich noch nicht einmal gute Nachrichten vorweisen, im Gegenteil, und das obige Bild lässt schon erkennen, dass es um meine beruflichen Aussichten geht. Ich habe in der Zwischenzeit noch zwei weitere Beiträge geschrieben, die - etwa jeweils zu drei Viertel fertiggestellt - im Entwurfsordner liegen, da ging es um den
Eurovision Song Contest und um einen Besuch bei'm Psychiater (kein Zusammenhang dazwischen). Die bleiben aber erst einmal liegen, und stattdessen hier ein Zitat zur Erinnerung:
"Mit 99%iger Wahrscheinlichkeit haben sie im Sommer ihre Planstelle."
Das wurde mir vom Ministerium mit einer Überzeugung und positiver Atmosphäre gesagt, und das hat mich lange durch die letzten Wochen getragen. Inzwischen sind einige Mails, ebenfalls vom Ministerum eingetroffen, die mir klar gemacht haben, dass das so überhaupt nicht der Fall sein wird. Warum? Was hat sich in den letzten Wochen so sehr geändert, dass ich diese Mails bekomme, die sich nicht mit dem Gespräch im Ministerium im Februar vereinbaren lassen?
Der Landeshaushalt wurde besprochen, die finanzielle Schieflage, in der wir uns offensichtlich und bekannterweise befinden. "Offensichtlich" kann ich nicht sehen, wenn man einige teure Projekte bedenkt, die geplant wurden, und "bekannterweise" kann ich auch nicht sehen, ich schaue zwar die Nachrichten, aber sowas scheint an mir vorbeizugehen.
Ich hatte mich schon gefragt, warum so wenige Planstellen für das kommende Jahr ausgeschrieben werden, und warum das so lange dauert. Die Antwort ist einfach:
(Na toll, eben habe ich mich mal wieder ausgesperrt, anstelle des Schlüsselbundes "Wohnung" habe ich den Bund "Schule" eingesteckt, an dem kein Schlüssel mehr hängt, aber genug Klöterkram - die große Buba und ich sagen Geh-Keh-Wöter - so dass man in der Eile denken kann, es sei der richtige. Zum Glück leben Buba-Mama und Buba-Papa ganz in der Nähe und haben meinen Zweitschlüssel. Ich sehe sie nicht oft, aber ich liebe sie, als wären sie meine [tollen] Schwiegereltern.)
Der Landeshaushalt wurde besprochen, und Schleswig-Holstein befindet sich in einer ordentlichen Schieflage. Also wird gekürzt, zuerst an den Gemeinschaftsschulen, die teilweise so extrem überbesetzt sind, dass eine Lehrkraft möglicherweise etwa siebzig Prozent ihres Deputats mit Bereitschaftsstunden verbringen muss. Zig Stellen werden im kommenden Schuljahr abgebaut, und dann geht das Streichkonzert in das zweite movement, wenn im Jahr darauf ein Vielfaches an Stellen verschwindet, so dass ich auf keine einzige Ausschreibung an einer GemS mit Englisch hoffen muss (zuverlässige Quelle).
Also riet man mir, mich an zwei Schulen auf Föhr und in Schleswig bewerben soll. Das habe ich erstmal nicht verstanden, weil die Absprachen im Februar ganz anders klangen ("Bordesholm oder NMS wären okay?" - "Ja. Irgendwas, was mit dem ÖPNV gut erreichbar ist."). Föhr steht völlig außer Frage, und nach Schleswig wären es mit dem Nahverkehr je nach Baustellenlage zwischen neunzig und hundertzwanzig Minuten je Tour. Auto nur die Hälfte, aber Auto kommt für mich eigentlich nicht mehr in Frage; ich bin nicht allein in der Lage, ein Auto zu warten (was zu Pannen führen kann, schon erlebt) und ein aufregender Schultag oder drängelnde, rücksichtslose Verkehrsteilnehmer können dafür sorgen, dass ich unkonzentriert bin (was zu Unfällen führen kann, auch schon überlebt, zum Glück nur mit Schleudertrauma, aber das hat meine Angst vor dem Autofahren noch weiter verstärkt).
"Ja, es würde einen Neuanfang und Umzug bedeuten." - das wird mir auf Nachfrage eingeräumt, aber das entspricht halt auch überhaupt nicht unserem Februargespräch, in dem ich versucht habe zu erklären, dass ich diese meinen Bedarfen entsprechende Traumwohnung, in der ich seit zehn Jahren lebe, nicht verlassen werde. Ich würde das nicht einmal dann machen, wenn man mir zusagte, sofort eine Planstelle ohne Auswahlgespräche zu bekommen.
Das sind die Momente, in denen ich Euch beneide, Ihr neurotypischen oder hochfunktionalen Menschen; in letzte Gruppe gehöre ich eigentlich, aber seitdem ich arbeitslos bin, steigt der psychische Druck und ich werde zum Autisten pur. Immerhin, das gibt mir mehr Verständnis für "normale" Autisten und wird mir in meiner Arbeit definitiv weiterhelfen.
WENN ich denn Arbeit habe - morgen geht es zur Agentur für Arbeit, die Lage besprechen und unter anderem gezwungenermaßen nachfragen, wie und wann man Bürgergeld beantragt und ob man dafür Hilfe bekommen kann. Ich habe vor alledem Angst, und mein Gesundheitszustand macht es nicht besser. Bitte, ganz fest weiter die Daumen drücken. Es bringt zwar nichts, und ein Buddhist macht sich keine Hoffnungen, aber für den Moment fühlt es sich - leider! - gut an.
Also - auf zum Arbeitsamt!
(...)
Okay, ich werde hiermit den Satz "Schlimmer kann es nicht kommen" endgültig aus meinem Sprachrepertoire streichen. Immer, wenn man tatsächlich denkt, es kann nicht mieser werden, findet das Leben einen Weg, noch einen draufzugeben. Das Leben, oder eine Kieler Schule, die ihre ausgeschriebene Vertretungsstelle für das kommende Schuljahr - eine meiner letzten Chancen auf Beschäftigung - jetzt kurzfristig wieder zurückgezogen hat. Klar, nichts ist entspannender als das anzunehmen, was kommt, aber manchmal möchte ich einfach die Wand anschreien und mich dann heulend im Bett verkriechen.
Heute ging das nicht, denn die Nachricht der zurückgenommenen Stellenausschreibung hat mich dreißig Minuten vor Aufbruch zum Arbeitsamt erreicht. Also schnell etwas zum Beruhigen nehmen, Kopf irgendwie aufrichten, Taschentuch einpacken und auf in die Adolf-Westphal-Straße, Herr S wartet.
Und dem berichte ich dann von der aktuellen Nachricht. Ich würde ja versuchen zu lächeln, immer freundlich sein, und auf dem ganzen Fußmarsch hat die Sonne geschienen, aber meine Moral ist irgendwo unter meinen neuen Schuhsohlen verschwunden. Ich erzähle Herrn S auch die ganze Geschichte, wie das Ministerium mir meine Vertretungsstelle in diesem Halbjahr versaut hat.
Und dann macht er wieder dieses Gesicht, das ich mittlerweile leider zu gut von ihm kenne - dieses "Ich wünschte, ich könnte etwas für sie tun"-nette, mitfühlende, verständnislose, hilflose Gesicht. Und er erzählt mir, dass ich nicht der einzige Kollege bin, der in diesem Jahr vom Bildungsministerium extra rücksichtslos behandelt worden ist, und berichtet kurz von zwei anderen "Kunden" des Arbeitsamtes. Das soll mir etwas Schmerz nehmen, und für den Moment wirkt das auch im Ansatz.
Dann aber müssen wir zum Pragmatischen umschwenken, und so frage ich ihn, wann und wie ich mich an den Antrag auf Bürgergeld machen sollte. Drei Wochen noch, dann sollte ich loslegen, denn der Antrag ist umfangreich und benötigt eine Menge Nachweise.
Ich spüre richtig, wie unangenehm es Herrn S ist, als er mich fragt, ob ich mir nicht vielleicht irgendwie vorstellen könnte, einen Neustart woanders zu machen, wo Stellen zu bekommen sind. Er weiß genau, dass ich mir als Autist so etwas nicht vorstellen kann, also schildert er mir als kleine Hilfestellung einen Fall eines anderen Autisten, der in einer ähnlichen Situation war wie ich, und wie man ihm zu helfen versucht hat: Mittels Langzeitpraktika am neuen Arbeitsort und einer durch Anträge zur Teilhabe am Arbeitsleben für ein paar Monate finanzierten Wohnung parallel zu seinem gewohnten Rückzugsort konnte er "testen", ob die Option für ihn klappt, und hat irgendwann den Absprung geschafft.
Könnte bedeuten, dass ich zum Beispiel für zwei bis drei Monate eine Wohnung in Elmshorn finanziert bekomme, während ich hier meine Kieler Wohnung behalte, und dann im dortigen Umfeld eine Stelle suche. Das Blöde ist nur: Wenn ich dort dann den Vertrag zu einer unbefristeten Stelle unterschrieben habe, komme ich nicht mehr zurück. Und was, wenn es dann doch nicht passt?
Das habe ich schon einmal erlebt, und zwar, als ich für das Referendariat für ein Jahr nach Husum gezogen bin. Es war schlimm, und ich war so erleichtert und glücklich, als ich danach wieder nach Kiel zurück konnte.
Dennoch ist das eine Option, die ich mal im Kopf bewegen werde. Sowas hilft einem Autisten wirklich weiter: Beschreiben, wie so eine Situation aussehen könnte. Denn "Naja, das können sie sich ja vorstellen" gilt für Menschen auf dem Spektrum nicht.
Bleibt aber dabei, dass ich jetzt erstmal fertig mit der Welt bin. Den dämlichen Telefonvertreter an der Wohnungstür hätte ich fast angeschrien, denn sein Timing war nun wirklich zum Kotzen und er hat nicht einsehen wollen, dass er aufdringlich ist und dass ich heute niemanden mehr sehen wollte.
"Wie geht es ihnen?" hat Herr S mich heute zur Begrüßung gefragt. Normalerweise überfordert die Frage mich, weil ich nicht weiß, was gemeint ist: Gesundheitliche Lage, berufliche Lage, psychische Lage, jetzt im Moment, oder generell? Heute konnte ich schnell antworten - es geht mir schlecht. Ich bin mit leichtem Fieber gestern abend in's Bett gegangen, habe eine Reihe Arztbesuche vor mir, habe kaum noch Aussichten auf Arbeit im kommenden Schuljahr, Rechnungen liegen hier herum.
Nicht gut.