Auch mit neunundsechzig Jahren unverkennbar (2012) |
1996 Cannes Film Festival: Special Jury Prize
"...for originality, for daring and for audacity."
Irgendwo im Studium habe ich mich in einen Regisseur verliebt, und das war Dario Argento, der Kopf hinter Suspiria (1977) und Profondo Rosso (1975) und einigen weiteren sehr berühmten Vertretern des giallo. Mir war anfangs gar nichts von dieser Liebe bewusst, bis ich irgendwann gemerkt habe, dass man sich in den Stil eines Regisseurs verlieben kann. Es gibt einige wenige Regisseure, bei denen das bei mir der Fall ist; David Lynch ist ein weiterer Vertreter der Gruppe, auch Alfred Hitchcock. Quentin Tarantino gehört nicht dazu, obwohl ich seine Filme zu schätzen weiß (besonders Jackie Brown (1997)). Und Danny Boyle gehört nicht dazu, weil mich sein hektischer Stil irritiert (dennoch hat mir 127 Hours (2010) gefallen).
Ich mag es, wenn ein Regisseur "anders" ist, gern kompromisslos, hauptsache faszinierend, ich habe in dem Beitrag Auteur einmal über das Prinzip geschrieben. Nicht unbedingt einfach zugänglich, gern rätselhaft, manchmal anspruchsvoll, immer unverkennbar ein bestimmter Regisseur. Einen der Vertreter dieser Gruppe habe ich jahrelang geradezu krampfhaft vermieden, und zwar den Mann, den ich ausschließlich mit dem Film Scanners (1981), den ich nie gesehen hatte, in Verbindung gebracht hatte, und mit der darin enthaltenen Szene eines explodierenden Kopfes, die ich nie gesehen hatte. Warum sollte ich mir so etwas anschauen? Das klang nach exploitation, nach gratuitous violence, danke, kein Bedarf. Und schnell hatte ich mir eine Meinung gebildet, ohne überhaupt zu wissen, wovon ich spreche.
Ein Wahres ist daran: Davod Cronenberg darf als Pionier des Genre body horror bezeichnet werden. Horrorfilme, die sich auseinandersetzen mit der menschlichen Angst vor Krankheiten, Verletzungen, Verstümmelungen. Hinzu kommt, dass Cronenberg ein Meister der Spezialeffekte war und ist, und so ist auch schon sein Frühwerk in einzelnen Szenen sehr drastisch, sehr grafisch - und oft sehr surreal - umgesetzt. Gewalt ist eines seiner Hauptthemen; das andere ist Sex. Und das alles niemals unter dem trashigen Filter der exploitation movies, die darauf abzielen, dem Zuschauer einfach nur Gewalt und Sex zu zeigen; Cronenberg ist ein no-nonsense director, er geht an seine Themen sehr ernsthaft heran - was zu seinem dritten Hauptthema führt, der Psychologie des Menschen. In fast allen seiner Filme lassen sich alle drei Themen wiederfinden, zumindest aber zwei von ihnen, wechselnd je nach Schaffensphase.
Cronenberg hat sich etwas getraut, gerade in seinem Frühwerk, und hat damit seine Kritiker polarisiert. Manche haben ihn als kühnen Regisseur gefeiert, andere haben seine Bilder als widerlichen Müll abgetan. Dieser Mut, neue Regionen zu erschließen, hat ihm einen ganz besonderen Preis eingebracht, der diesen Beitrag einleitet.
Als mir bewusst geworden ist, dass Cronenberg wesentlich mehr macht als nur splatterige Gewalt, bin ich neugierig geworden - und hungrig, geradezu gierig auf seine Filme, auch wenn manche von ihnen zur Zeit nur schwer aufzutreiben sind. Mich fasziniert, wie er Gewalt und Sex verbindet, genauer: wie er die Verbindungen von Gewalt und Sex aufzeigt, und immer ernsthaft an seine Themen geht, fast schon klinisch-kühl analysierend, am Denken des Menschen interessiert. Mittlerweile habe ich eine Reihe seiner Filme gesehen, einige von ihnen meiner Sammlung hinzugefügt, bin noch auf der Suche nach einer guten Bluray-Ausgabe eines seiner Filme (Crash, siehe unten).
Ein paar seiner Werke möchte ich hier nur ganz kurz anspechen, für jene, die vielleicht neugierig darauf sein könnten und auf der Suche nach Horizonterweiterungen sind. Ganz unsortiert.
Über Videodrome (1983) hatte ich hier schon einmal geschrieben; es geht um Videos - ganz dem damaligen VHS-Boom entsprechend - und den Hang der Zuschauer, Sex und Gewalt im Fernsehen zu finden; im selben Atemzug geht es darum, Menschen per Fernsehen zu kontrollieren, das Thema wird also zu einem Politikum. Darüber hinaus geht es um Transhumanismus: Vor sechsunddreißig Jahren hat man sich mit dem Konzept auseinandergesetzt, das menschliche Bewusstsein in ein technisches System einzuspeisen und somit "unsterblich" zu werden. Das alles war mutig, originell, hat die Kritiker polarisiert und Otto Normalzuschauer sehr verwirrt - heute gilt Videodrome als wichtiger Film im Science Fiction-Genre.
Nur über fünf Ecken bin ich irgendwann auf den Film Crash (1996) gestoßen - interessant, dass der Film auf einer über zwanzig Jahre älteren Romanvorlage basiert. Interessant deswegen, weil der Film sich äußerst freizügig mit dem Konzept sexueller Erregung durch Unfälle, Wunden, Verformungen des menschlichen Körpers auseinandersetzt. Noch viel polarisierender als Videodrome - wobei Roger Ebert dem Film eine sehr hohe Wertung hat zukommen lassen - wird hier also Sex als Resultat eines außerordentlich ungewöhnlichen Fetisches beleuchtet. Ich kann nicht genau sagen, was mich an dem Film fasziniert hat, und ich bin immer noch auf der Suche nach einer Bluray-Veröffentlichung. Vielleicht ist es die kühle, sachliche Betrachtung eines Fetisches, die den Sex selbst zweitrangig werden lässt und Unterscheidungen hinsichtlich der Sexualität vollkommen aufhebt - es werden hetero-, bi- und auch homosexuelle Handlungen gezeigt; spannend, weil der Protagonist sich niemals als schwul bezeichnen würde, und dennoch lässt er sich von einem Crash verführen. Sehr wagemutiger Film.
Etwas massentauglicher, aber immer noch vollkommen auf Cronenbergs Hauptthemen fokussiert, ist A History of Violence (2005). Der Filmtitel sagt eigentlich schon alles; es geht um einen Resturantbesitzer, der mit seiner Familie ein ruhiges Leben in einer Kleinstadt führt, friedlich, fast schon spießig, bis eines Tages sein Restaurant überfallen wird. Der Protagonist kann sich der Verbrecher außerordentlich gut erwehren - und diese Erkenntnis triggert Erinnerungen in seinem Kopf, die er für weggeschlossen hielt. Gewalt und Psychologie, von Cronenberg wieder analytisch beleuchtet, hervorragend gespielt und mit zwei Nominierungen bei den Academy Awards bedacht. Dieser Film kann einem breiten Publikum uneingeschränkt empfohlen werden.
Und gerade dadurch merkt man, wie Cronenberg sich in seinem Schaffen zumindest ein wenig dem Mainstream zugewandt hat. Seine frühen Filme waren sehr speziell, oft mit Fokus auf dem body horror, psychologisch, dabei aber sehr grafisch, auch in sexueller Hinsicht; gleichzeitig nie auf exploitation bedacht, sondern immer mit der Frage im Hinterkopf, was die Menschen zu ihrem Handeln antreibt.
Wer Cronenbergs Werk kennt, merkt, dass ich hier einige seiner bekanntesten Filme (oder solche, die definitiv sehenswert sind) nicht besprochen habe - The Fly (1986), Scanners (1981), Dead Ringers (1988), eXistenZ (1999), Naked Lunch (1991), The Dead Zone (1983), Eastern Promises (2007), A Dangerous Method (2011). Mir geht es nur um einen ersten Einblick in Cronenbergs Werk, falls jemand, der bisher einen großen Bogen um seine Filme gemacht hat - so wie ich damals - nun doch einen Blick riskieren möchte.
Es lohnt sich auf jeden Fall.
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