Donnerstag, 12. Dezember 2019

Sprachlicher Reichtum: Lesen!

Lesen bildet

Selbst wenn man Muttersprachler ist oder eine Fremdsprache auf muttersprachlichem Niveau beherrscht, gibt es Lektüren, durch die man sich richtig durchbeißen muss - hat schonmal jemand von Euch Arno Schmidt gelesen? KAFF auch Mare Crisium, wer es kürzer mag, oder Zettels Traum, wer der Bibliothekarin ein Arm-Workout spendieren möchte.

Auch im Englischen finden wir das wieder; ich habe phasenweise an Ayn Rands The Fountainhead geknabbert, noch umständlicher war David Foster Wallaces Infinite Jest mit seinen über hundert Seiten Fußnoten. Ich bin immer noch in Thomas Pynchons Gravity's Rainbow versunken, das mir Radi damals empfohlen hat, und brauche teilweise wirklich lange, nur um eine Seite zu lesen, das geht normalerweise sehr schnell (die große Buba kennt das von mir, ich fliege dann über die Buchstaben und drücke die Nachrichtenverläufe zu schnell weiter, wenn wir zusammen ein Videospiel angehen).

interim: Wie schnell liest man durchschnittlich? Die Frage ist mir tatsächlich wichtig, damit ich weiß, welche Maßstäbe ich an meine Schüler ansetzen kann. In meiner Wahrnehmung ist mein Leseverhalten ganz normal; die dreihundertsechsundzwanzig Seiten von Bret Easton Ellis' Roman "The Rules of Attraction" habe ich an zwei Nachmittagen durchgelesen.

Warum sind diese Sachen so schwer zu lesen? Manchmal kann es einfach am Schrifttypus liegen, kein Times New Roman, sondern alles Mögliche zusammengewürfelt, Piktographien, Kathy Ackers Blood and Guts in High School habe ich nur einmal ansatzweise gelesen. Pynchon schreibt teils sehr lange Sätze, seine Erzählungen sind reich an Details, die eigentlich nicht nötig wären, er verlangt dem Leser unglaublich viel Hintergrundwissen ab (wenn man den Roman richtig genießen möchte). Dazu kommen gut hundert Hauptfiguren in einem Roman, da muss man erstmal den Überblick behalten können.

Und dann der sprachliche Reichtum. Pynchon kann auf einen gewaltigen Wortschatz zurückgreifen, ich lese Wörter, die mir bis dahin unbekannt waren (und bei den Namen schießt er den Vogel ab: Raoul de la Perlimpinpin, Säure Bummer, U.S.S. John E. Badass, Ernest Pudding uvm.) - und manche klingen so toll, dass ich sie von da an selbst benutze. Mein eigener Wortschatz wird größer, und Pynchon macht auch vor Fremdsprachen nicht halt, er verwendet viel Deutsch, Afrikaans, Französisch, natürlich plotbedingt.

Das heißt, ich kämpfe mich durch diese Bücher durch, und das ist anstrengend, aber danach fühle ich mich reicher als vorher - von den ganzen Lachern mal abgesehen, Pynchons Humor sagt mir zu. Es ist natürlich klar, dass man Pynchon in der Regel nicht mit Schülern behandeln kann, aber es geht um das allgemeine Konzept:

Lesen bereichert unsere Sprache. In einer Zeit, in der Wörter durch Emojis ersetzt werden, in der kürzenden Digitalsprache, gilt das besonders. Ich denke, wir sollten unsere Schüler dazu bringen, mehr "analog" zu lesen. Und auch mit ihnen im Unterricht lesen. Sonst kommen nachher Abiturienten an die Uni, die sich überhaupt nicht ausdrücken können - wenn sie denn überhaupt das Abitur erreichen.

Ich kann verstehen, dass die digital natives mit schneller Sprache aufwachsen, weniger Wörter, mehr Bilder. Das ist eine Situation, mit der wir umgehen müssen. Irgendwie möchte ich meine Schüler zum Lesen bringen, und deswegen behandele ich auch gern Romane mit meinen Schülern, die keine hohe Literatur sind - dafür aber spannend, aufregend, einfach zu lesen. Lois Duncan, Lemony Snicket, was immer die Lust am Lesen weckt.

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