Sonntag, 12. Februar 2017

Meisterjahre


Während ich die Erkältung nutze, um mich mal wieder Alfred Hitchcocks Oeuvre zu widmen, komme ich auf die Idee, eine Kleinigkeit zu Meistern zu schreiben.

Jede Kunst bringt ihre Meister hervor: Menschen, die ihr Fach beherrschen - manche, indem sie geradezu Lehrstücke ihrer Kunst hervorbringen, manche durch ungewöhnliche Arbeitsweisen. Viele Meister werden erst lange nach ihrer Schaffensperiode als solche erkannt und erhalten teilweise erst posthume Lorbeeren.

Ein Meister zu sein, bedeutet allerdings nicht, dass der Künstler ausschließlich Meisterwerke kreiert. Jeder fängt mit Fingerübungen an, jeder arbeitet sich den harten Weg zur Perfektion hinauf. Er verbringt eine Weile in jenen Jahren, die den Höhepunkt seines Wirkens markieren, und scheint dann irgendwann das je ne sais quoi zu verlieren, seiner eigenen Meisterlichkeit überdrüssig oder müde zu werden. Anhand zweier Beispiele möchte ich das illustrieren und hier, wie auch im vorhergehenden Beitrag, auf einen weltbekannten und einen genrebekannten Regisseur zurückgreifen.

Es ist spannend, zu beobachten, wie Alfred Hitchcock in seinen früheren Jahren verschiedenste Filmtechniken vorsichtig ausprobiert, die er dann später perfektionieren sollte. Meiner Meinung nach hat Hitchcock seine besten Filme in den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts gedreht, beginnend mit Das Fenster zum Hof (Rear Window) über Der unsichtbare Dritte (North by Northwest), Vertigo, Psycho bis Die Vögel (The Birds). Diese Filme werden oft zu den besten Filmen aller Zeiten gerechnet; das mag eine subjektive Wahrnehmung sein, aber der Großteil der Filmkritiker würde dem zustimmen.

Besonders North by Northwest stellt ein beeindruckendes Werk dar, in dem Hitchcock alle Bremsen löst und Action, Verwirrung, Romanze und natürlich die von ihm perfektionierte Suspense großzügig zum Einsatz bringt. Selten hat ein Kleidungsstück so viel Aufsehen erregt wie Cary Grants Anzug, niemals davor und niemals danach ist Hitchcock so frivol geworden wie mit der Schlussszene des Films, in der Grant zu Eva Marie Saint ins Bett des Schlafwagenabteils steigt und man den Zug daraufhin genüsslich in einen Tunnel einfahren lässt. Das ist Hitchcock, wie man ihn kennt, mit dem Schalk im Nacken und jederzeit Herr der Kamera, ein Virtuose.

Dabei habe ich eine spannende Beobachtung gemacht, die wohl häufiger auftritt, wenn man sich im Internet umschaut: Eigentlich geht es in den Filmen um nichts Bedeutendes. Hitchcock hat sich gern des Macguffins bedient, ein Plotelement, das nicht genauer definiert wird, das aber den Film vorantreibt - in diesem Film die Rolle des George Kaplan, ein Mensch, der gar nicht existiert (ein weiteres schönes Beispiel, das vielleicht heute bekannter ist, ist der Koffer mit was-eigentlich-genau?, um den sich alles in Tarantinos Pulp Fiction dreht). Das führt dazu, dass man während der Spieldauer des Films hochgespannt und bestens unterhalten auf der Kante des Stuhls sitzt, sich aber zwei, drei Monate später sich überhaupt nicht mehr an den genauen Inhalt des Films erinnern kann. Ich wusste nur noch, dass es ein grandioser Film gewesen ist. Ähnlich ging es mir beim Rear Window oder bei Psycho, bei dem ich mich natürlich an den Mord unter der Dusche und an den Twist erinnern konnte, aber der Rest war mir nicht mehr im Gedächtnis geblieben. Faszinierend!

Und nun zu einem Regisseur, der sehr stark von Hitchcock inspiriert wurde: Dario Argento.


Dario Argento hat einen großen Kopf, und diesem Kopf entspringen die verrücktesten Ideen. Er ist tätig im sogenannten Giallo, ein kleines Subgenre, im Wesentlichen handelt es sich um Krimis mit erhöhter Gewalt- und Erotikrate. Also, eigentlich Horrorfilme. Das würde einen eigenen Eintrag benötigen. Jedenfalls hatte auch Argento seine Meisterjahre, beginnend mit dem 1975 erschienenen Film Profondo Rosso (außerhalb Italiens bekannt als Deep Red); in diesem Film finden sich alle Merkmale, die von nun an Argentos Markenzeichen sein sollten: Intensives Spiel der Farben, die schwarzen Handschuhe des Mörders, unkonventionelle Kameraeinstellungen, unkonventionelle Filmmusik (kein Wunder, dass Argento von da an häufig mit der Band Goblin zusammengearbeitet hat).

Suspiria (1977) ist sein anderes Meisterwerk, weltweit bekannt geworden durch den ungewöhnlichen Einsatz von Licht, Schatten und Farben. Bei beiden Filmen merkt man, dass Argento versucht hat, seine Visionen möglichst genau umzusetzen - jeder Schnitt, jede Kameraeinstellung ist das Werk eines Perfektionisten. Es folgten weitere Filme, allesamt einzigartig - Tenebre (insbesondere die Szene, drei Minuten mit einem einzigen langen Schnitt, in der Argento aus einem Fenster eines Hauses herauszoomt, weg von einem Streitgespräch, und sich dann an der Fassade entlangarbeitet - der Filmsoundtrack im Hintergrund - bis in ein Zimmer auf der anderen Hausseite, wo ein Einbrecher gerade dabei ist, die Fensterläden zu knacken), Inferno, Phenomena und schließlich dann Opera (1987). Man ist sich einig, dass dies der letzte Film mit dem typischen Argento-Stil war. Alles, was folgte, wirkt wie lieblos zusammengeschusterte Kost, immer noch mit ungewöhnlicher Kameraarbeit, aber der richtige Esprit schien ihn verlassen zu haben.

Meister kommen und gehen.

Was unbedingt noch erwähnt werden sollte: Während die späteren Filme beider Regisseure nach gängiger Meinung  nicht mehr dem selbst gesetzten Standard entsprochen haben, so sind sie, verglichen mit dem, was es noch so an Filmen gibt, immer noch überdurchschnittlich gut. Man sollte das nicht aus dem Blick verlieren, wenn man über einen Frenzy oder ein Sleepless herziehen möchte.

post scriptum für die große Buba: Das Hitchcock-Zitat oben erinnert mich an Resident Evil - eine der spannendsten Stellen war es, die Kapsel mit dem Sprengstoff vom Lager zum Generator zu bringen - ein Schritt zu schnell und das Teil fliegt in die Luft. I was on the edge of my seat - that's what they call "suspense".

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