Sonntag, 18. November 2018

Angst vor dem Rampenlicht

Schüchtern, Arme hinter dem Körper verschränkt, Angst - ja, so war ich mal.

prae scripto: Das wird jetzt wieder wie ein Ich-bin-so-geil-Artikel klingen, aber genau genommen geht es mir um Pädagogik - darum, wie wir mit (zumindest einigen) Schülern umgehen können, die im Unterricht "klein und unauffällig" sind. Wer den persönlichen Scheiß überspringen und gleich zur schulischen Anwendung gehen möchte, soll einfach zur Linie herunterscrollen.

Flamboyant - dieser Begriff wird gern für ein Verhalten benutzt, was all over the place ist. Wenn jemand die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, eine Ausstrahlung hat, der man kaum ausweichen kann, ob man das nun möchte oder nicht. So ein Mensch kann sehr unterhaltsam sein - er kann aber auch unglaublich nervig sein. Ich kann unglaublich nervig sein, damals wie heute, und darüber hatte ich einmal in einem Saturnalien-Beitrag hier im Blog geschrieben. Das hat mir damals auch Er erzählt, als Er neu zur Saturnaliengruppe gestoßen war. Nicht das Nervige, sondern das mit dem Im-Mittelpunkt-Stehen. Und wenn ich mir die Saturnalienaufführungen aus meinen letzten Jahren in der Gruppe anschaue, ist es mir fast unangenehm, wie präsent ich auf der Bühne war. Nicht fast. Es ist mir unangenehm - dass ich zu einer solchen Rampensau geworden bin.

Das war nicht immer so; ich habe mir gerade die erste Saturnalienvorführung angeschaut, bei der ich selbst auf der Bühne stand. Vor fast genau vierzehn Jahren. Bei Sketchen in der Gruppe mitzuspielen, okay, das ging noch, habe ich dann gemacht, weil die Anderen meinten, dass ich einen unserer Dozenten recht treffend auf die Bühne brächte. Und um selbst kreativ zu sein, habe ich auch einen Sketch und einen Song für die Aufführung geschrieben. Den Sketch aus meinen Erfahrungen in den Lateinischen Stilübungen I heraus, und den Song aus der Lateinischen Metrik bei Prof. Dr. Jan Radicke.

Ich wollte den Song nicht singen. Auf keinen Fall. Ich hatte ihn nur geschrieben, weil er mir aus der Seele gesprochen hat. Weil Radi im Seminar jede einzelne Woche mich dran genommen hat, um das jeweils neue Metrum vorzustellen, und ich wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte, dass ich das verdient hatte. Kopftuch? Sandalen im Winter? Nee, oder?

Und so habe ich den Song auf Grönemeyers Was soll das? umgedichtet. Einfach meinen Frust loswerden, mit dem Gedanken, gut so, wenn die anderen das im Chor singen, dann wird nicht so ganz direkt deutlich, dass das von mir stammt. Und ich kann eh' nicht singen. Ich möchte nicht allein auf die Bühne. Auf gar keinen Fall! Und so habe ich den Song zu einem Saturnalientreffen mitgebracht, und er scheint auf positive Resonanz gestoßen zu sein, aber ich habe gleich gesagt: "Überlegt euch, wer das von euch singen möchte. Ich kann nicht singen, ich will das nicht."

Und so blieb der Song mehrere Wochen fest im geplanten Programm - aber ohne Besetzung. Und immer wieder bei den Treffen sind andere Saturnalier auf mich zugekommen und meinten, ich solle das machen, das sei echt witzig. Und Ich? Hab' gedacht, sie verarschen mich. So wie mich auch in der Schule in der Mittelstufe immer alle verarscht haben, denn irgendwie konnte ich nichts richtig. Zumindest nicht singen, deswegen war ich beim Schulmusical auch immer "nur" Teil der Band. Und trotzdem habe ich den Song zuhause immer wieder gesungen, weil er Spaß gemacht hat, und weil er mir eben doch aus der Seele gesprochen hat. Auch wenn die Töne schief und krumm waren; ich wohnte damals in den Kronshagener Bergen im fünfzehnten Stock, und außer Conny musste niemand mein Gekreische ertragen.

Ich hatte richtige Angst davor, allein auf der Bühne zu stehen, im Rampenlicht, und vor Leuten irgendwas zu machen, was ich nicht kann, die Töne nicht zu treffen, meinen Text zu vergessen.

Und trotzdem haben unser Pianist und ich uns dann regelmäßig bei den Probentreffen zusammengesetzt und haben das geübt. Haben versucht, eine passende Tonart zu finden, und er hat mir immer wieder Mut gemacht, immer wieder gesagt, dass das echt witzig ist. Und dann, bei den Hauptproben, haben auch die Anderen das zu mir gesagt, und ich habe mir gedacht, hey, ihr lügt mich doch jetzt nicht alle zusammen an, oder? Aber es gab kein Zurück mehr: Der Song war fest im Programm verankert, in der zweiten Hälfte des Programms, und ich hatte panische Angst vor der Aufführung. Ich war heilfroh, dass ich vorher im Rahmen zweier Sketche mit vielen anderen Studenten auf der Bühne stand und schonmal das Rampenlicht "einatmen" konnte, und es waren so tolle andere Lieder vor mir dran, ein wunderbarer Choral und Sashs zauberhafte Version von Durch die Nacht - das ich mir jahrelang immer wieder angehört habe, weil sie eine tolle Stimme hat, und es für mich einer der besten Examenssongs war, die ich in meinen Saturnalienjahren hören durfte. Aber dann war es irgendwann soweit. Ich, spindeldürr, Akne, schlabberige Körperhaltung, komisches Outfit, allein auf der Bühne mit Town rechts von mir, der die richtigen Töne anstimmte. Kein Zurück mehr, Augen zu - oder besser auf - und durch.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie das Gefühl während des Songs war. Das Einzige, was mir bleibt, ist die Videoaufnahme des Songs, auf der man, glaube ich, nicht merkt, wieviel Angst ich dabei hatte. Aber man merkt, dass der Song gut angekommen ist, und dieses Erlebnis, diese Reaktionen haben mir geholfen, das Eis zu brechen und die Bühne tatsächlich für mich zu entdecken.

____________________________________________

Warum ich hier davon erzähle: Ich habe auch unter den jungen Erwachsenen, die ich jetzt unterrichte, Schüler, die Einiges draufhaben, die sich aber nicht trauen, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Ich dachte, das tritt nur in der Mittelstufe auf, aber hey, es scheint offensichtlich bis in's Studium hinein zu reichen. Und ich versuche, jegliche kleine positive Beteiligung dieser Schüler mit einem persönlichen, Mut machenden Feedback zu versehen - so wie Town mich damals ermutigt hat, diesen einen Song auf die Bühne zu bringen. Es braucht jemanden, der an Dich glaubt, um diese Barriere zu durchbrechen, und wir Lehrer sind, meine ich, prädestiniert für diese Rolle.

Ich habe einmal gelesen, dass manche Lehrer sich zu sehr darauf konzentrieren, den Schülern aufzuzeigen, was an ihrer Antwort falsch ist. Manchmal werden Klassenarbeiten nur konzipiert, um herauszufinden, was die Schüler alles nicht können. Ich versuche immer wieder, mich an Grönemeyer zu erinnern, damit mir das nicht auch passiert.

post scriptum: Sandro Boldrinis "Metrik und Prosodie der Römer" steht immer noch in meinem Regal, und den Songtext werde ich auch nach vierzehn Jahren nicht mehr los...

Was soll das?

Boldrini hat mich lang´ gequält,
ist Metrik alles, was hier zählt? Was soll das? Was soll das?
Der Dienstagabend mir versaut,
wenn Radi auf die Pauke haut, was soll das? Was soll das?
Die altrömische Prosodie,
die int´ressierte mich noch nie, was soll das? Uh, was soll´s?

Hexameter mit Daktylus,
das lern´ wir jetzt im Überfluss, was soll das? Was soll das?
Mit trochäischem Septenar
Kommen wir hier nicht wirklich klar, was soll das? Was soll das?
Der Plautus hat es ausgeheckt
Und wir, wir stecken tief im Dreck, was soll das? Uh, was soll´s?

Oh, womit hab´ ich das verdient, dass der mich so blöde angrient?
Warum hat er mich nicht einmal nur verschont?
Dass des Plautus cantica ein rotes Tuch für mich war´n,
das weiß er genau, doch in sein´ Augen blitzt es auf
und diabolisch - uuuhhhh... nimmt er mich wieder dran.

Vor´m Lesen wird mir übel schon,
doch Radi grinst auf seinem Thron, was soll das? Was soll das?
Erklärt´s mir dann mit Müh und Not,
mein Kopf, der raucht schon wie ein Schlot, was soll das? Was soll das?
Alles Primitivtheorien,
doch ich kann sie nicht nachvollzieh´n, was soll das? Uh, was soll´s?

Oh, womit hab´ ich das verdient, dass der mich so blöde angrient?
Warum sieht er es nicht endlich einmal ein?
Die Metrik passt nicht mehr rein, dazu ist mein Kopf viel zu klein,
der platzt eh´ schon bald, doch das lässt den Radi kalt,
und dämonisch - uuuhhh... würgt er mir wieder eins rein!

Ich glotz´ mit meiner Unschuldsmiene, denk´ dass ich eine 1 verdiene,
doch es stellt sich dann anders raus!
Der Radi hat ganz and´re Pläne, oh, wie ich mich nach Hause sehne!
Doch bevor ich die Ohren schließ´, hab´ ich die 6, wie mies!

Oh, womit hab´ ich das verdient, dass der mich so blöde angrient?
Warum hat er mich nicht wenigstens gewarnt?
Dass ich hier was vortragen muss, ich dachte, mit Metrik wär´ Schluss!?
Hätt´ mich zwar gefreut, wahrscheinlich hätt´ ich´s doch bereut,
denn die Metrik, hhmmm... die ist ja schließlich ein Muss.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen