Das trifft die Atmosphäre |
Die Schulwoche ist zuende und sicherlich gäbe es auch nach der Typisierungsaktion vom Mittwoch noch nette kleine Geschichtchen zu erzählen - allerdings drängt es mich heute zu einem anderen Beitrag. Ich habe neulich im Artikel über Abwechslung ein paar Filme erwähnt, die ich wieder und wieder schauen kann, ohne dass mir langweilig wird. Ich habe jeden dieser Filme zum entsprechenden Beitrag in diesem Blog verlinkt, mit einer Ausnahme: Der allererste Film dieser Aufzählung, Dark City (1998), hatte noch keinen Beitrag. Eigentlich kann ich nicht verstehen, warum das so ist, denn der hat mich vom ersten Ansehen an umgehauen. Uneigentlich kann ich es doch verstehen, weil ich warten wollte, bis mir ein wirklich guter Text dazu einfällt. Nun habe ich ihn mir gestern Abend wieder angeschaut und kann einfach nicht länger abwarten, sondern muss hier ein paar Worte verlieren.
Und dabei ist beim ersten Ansehen damals eigentlich alles suboptimal gelaufen. Ich war über Roger Eberts Great Movies auf den Titel gekommen und habe Amazon prime danach gesucht - und tatsächlich eine Version gefunden. Okay, nur SD statt HD. Okay, nur in deutscher Sprache. Okay, mit viel zu dunklem Bild - was mich aber wiederum nicht gestört hat, denn angesichts des Filmtitels dachte ich, dass das so gehört.
Und dann wird es dunkel, ein dunkler Nachthimmel, und aus dem Himmel sinkt die Kamera abwärts, in eine scheinbar zeitlose Stadt: futuristische Konstruktionen finden sich hier ebenso wieder wie Einrichtungen aus den Dreißigern - und das finde ich großartig, denn ich konnte mich in dieser Stadt gleichzeitig wiederfinden und trotzdem spüren, wieviel Fantasie in die Ausgestaltung gesteckt wurde. Ein Mann kommt auf die Kamera zu, lächelt sinister, trägt einen Trenchcoat und einen Fedora. Er holt eine altmodische Taschenuhr hervor, die Zeiger nähern sich Mitternacht. Blick auf die Stadt, ohne Verzögerung setzt das musikalische Hauptthema des Films ein und zeigt uns zu bombastischer, sinistrer Musik überfüllte Straßen, Hochbahn, volle Cafés, Kinos, zahlreiche Menschen auf der Straße. Blick zurück auf die Taschenuhr: Es schlägt Mitternacht, und plötzlich steht die gesamte Stadt still. Die Autos und Bahnen halten an Ort und Stelle an, Fahrer schlafen ein, Menschen auf der Straße legen sich hin. Totenstille kehrt ein, nur die jetzt ominöse Musik fährt fort - und der Mann mit der Taschenuhr scheint nicht von der "Lähmung" betroffen zu sein. Er lächelt, steckt die Uhr ein und geht hinkend davon. Fade to Black, und im Zwielicht schimmert der Titel über den Bildschirm: Dark City.
Diese Eröffnungsszene dauert nicht einmal drei Minuten, wir werden sofort in die Handlung geworfen, in ein seltsames Phänomen, das um Mitternacht eintritt. Und in diesem Stil wird der Film voranschreiten: Pausen zur Erholung gibt es nicht - das soll aber nicht auf übermäßige Action hinweisen, ganz im Gegenteil, es ist beängstigend ruhig und friedlich. Durch den fast ununterbrochen dräuenden Soundtrack wird eine beklemmende Atmosphäre aufgebaut, und die Geschichte wird aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt (klingt komplizierter, als es ist): Der Mann mit dem Filzhut, der einiges zu wissen scheint, ein Inspector, der eine Mordserie an Prostituierten lösen soll, seltsame große, in schwarz gekleidete Männer, und nicht zuletzt: aus der Sicht des Mörders, der völlig unvermittelt während der ersten "Stadtlähmung" aufwacht und sich an nichts erinnern kann. Wo ist er? Wer ist er? Und warum sind so viele Menschen hinter ihm her?
Seine Suche nach Antworten auf diese Fragen ist Dreh- und Angelpunkt des Filmes, der ein ordentliches Erzähltempo vorlegt - so dass nach gut achtzig Minuten der Höhepunkt erreicht wird. Und in dieser kurzen Zeit wirft der Film unglaublich viele Fragen im Kopf des Zuschauers auf, verlangt Aufmerksamkeit, behandelt die Zuschauer wie intelligente Wesen - und ist ein kleines audiovisuelles Kunstwerk (was Roger Ebert in seinen Rezensionen besser erläutert, als ich das könnte). Die künstlerischen Einflüsse sind vielfältig - Gemälde von Edward Hopper, alte Filme wie Metropolis (1927), Nachtclubmusik - und all' das fällt letztlich zusammen in einem Film, der sich als science-fiction film noir einordnen lässt. Noir war Eberts Lieblingsgenre, ich muss mich dafür erst noch begeistern, aber ich liebe SciFi und ich habe diesen Film verschlungen.
Ich möchte auf keinen Fall spoilern, weil der Film in eine andere Richtung gehen wird, als man vielleicht denkt. Einen Hinweis möchte ich aber unbedingt loswerden: Wer sich Dark City anschauen möchte, sollte den Ton am Anfang abschalten - so lange, bis die Taschenuhr in Großaufnahme gezeigt wird. Die Filmstudios hatten Angst, dass das Massenpublikum den Film nicht verstehen würde, und deshalb eine erzählerische Exposition über die ersten dreißig Sekunden gelegt, die alles vorwegnimmt. Ich finde das sehr schade (und im Director's Cut wurde diese Erzählung gestrichen).
Ich habe den Film mit der großen Buba geschaut, die ebenfalls begeistert war (hat mich gefreut) und den Film nun auch ihren Schülern zeigt oder empfiehlt - jedesmal ebenfalls ohne Ton ganz am Anfang. Da hat jemand eine sehr präzise Vision davon gehabt, wie der Film aussehen sollte. Und falls sich jemand fragt, wie es zum Titel des Beitrags kommt, der kann im PPS eine Erklärung lesen - aber SPOILERWARNUNG, denn dort werden wichtige Informationen aus dem Film verraten.
post scriptum: Der heutige Film war "Moon" (2009), eine tolle Kombination aus Erkenntnis- und Science Fiction-Film. Passt wegen des Erkenntnis-Aspekts sogar zum heutigen Beitrag. Ich kann den Film weiterempfehlen; Hauptdarsteller Sam Rockwell hat endlich für "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" den Oscar erhalten, aber auch schon bei Moon habe ich ihm abgekauft, dass er drei Jahre lang allein auf dem Mond gearbeitet hat. Erinnert an "The Martian" (2015), aber Moon ist psychologischer, und das liebe ich.
paulo post scriptum: "Dark City" ist deswegen wirklich originell, weil es die Idee von "konstruierter Realität" und "shape your reality" und "der Eine" bereits ein Jahr vor dem Film dargestellt hat, der damals unglaublich gehyped und als bahnbrechend bezeichnet wurde: "The Matrix" (1999) - kein schlechter Film, aber Dark City war vorher da und geht noch einen Schritt weiter. ;-)
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