Irgendwo da unten... |
vorweg: Wie im letzten Beitrag geschrieben, habe ich mir gestern Tarsems Film "The Fall" (2006) angeschaut - ich bin hin und weg, wie ein Film mit so wenig "Grundlage" so bezaubernd sein kann. Die Story ist, naja, eine Geschichte, die ein Mann in einem Hospital einem fünfjährigen Mädchen erzählt - gezeigt wird sie per subjektiver Kamera aus der Sicht des Mädchens und das unglaublich bildgewaltig; definitiv ein weiterer Beitrag in der Kategorie Style Over Substance und ein weiterer Film für meine Bluray-Sammlung.
Zurück aus... wo war ich? ...wann war ich? ... ...wer und vor allem... wie war ich??? Ich fange vielleicht dort an, wo die Geschichte beginnt. Weit vor dem Einrasten, weit vor dem Schmelzkäse, weit vor - oder eigentlich genau während der Starthilfe, oder besser, dem Mangel an selbiger.
Lehrer haben die unsinnige Angewohnheit, pünktlich zu den Ferien krank zu werden. Da das so ein Trend zu sein scheint, weigere ich mich natürlich, daran teilzuhaben. Dafür falle ich in eine andere Art Loch, und das ist nicht unbedingt besser; kaum legt sich der Schulstress, stellt sich eine Form der Katatonie ein. Antriebslosigkeit. Ich bekomme den Arsch nicht mehr hoch. Und wie passend - die Ferien beginnen natürlich mit dem Feiertagswochenende, an dem sowieso alles tot zu sein scheint, wenn man vom Klopapier-Einkaufswahn davor und danach und am Samstag mittendrin absieht.
Und so steigere ich mich von Tag zu Tag immer mehr in die Antriebslosigkeit hinein und sehe auch keinen Grund, da rauszukommen: Ich bin mit einem Videospiel versorgt, ich habe noch Nahrungsmittel zuhaus und zur Not reichlich Schnellimbisse innerhalb von fünf Minuten erreichbar. Mittlerweile muss man ja überhaupt nichts mehr einkaufen, zumindest dafür nicht das Haus verlassen: Das Wunder Internet sorgt dafür, dass man sich alles schicken lassen kann und dass der Fachhandel vor Ort eingeht. Wie toll! Moderne Zeiten, würde Charles Chaplin gesagt haben, oder Jacques Tati.
Zumindest könnte man sich alles kommen lassen, wenn die Versandunternehmen mitspielten. Da ich bei DHL mittlerweile grundlegend davon ausgehe, dass alle Lieferungen erstmal einen Tag in den Verteilzentren herumliegen - und das geht noch besser: Letztes Mal lag meine Lieferung nicht nur drei Tage im Verteilzentrum herum, sondern wurde dabei beschädigt, neu verpackt und zwei weitere Male ausgeliefert, so dass ich acht Tage nach Versanddatum ein Monster in Plastik entgegennehmen konnte. Da ich auf so etwas mittlerweile gefasst bin, versuche ich auf andere Versandunternehmen umzusteigen, wenn möglich. Und dachte einmal, DPD sei eine nette Alternative.
Und so sollte am Samstag eine Lieferung hier ankommen, und damit beginnt die Geschichte, die auch mit Schmelzkäse zu tun hat. Ich finde es ziemlich genial, dass man bei DPD ein "Live-Tracking" machen kann. Wenn man auf deren Seite die Sendungsnummer und die Postleitzahl eingibt, wird direkt angezeigt, wo das Paket gerade ist. Auf einer Karte. Und das wird regelmäßig aktualisiert; darüber hinaus wird ein Zeitfenster errechnet, in dem die Lieferung ankommen soll.
Die Idee ist fantastisch, stellt aber hohe Anforderungen an die Paketboten. GPS lebe hoch, und so sehe ich am Samstag auf der Karte einen kleinen Avatar, der mir anzeigt, dass der Wagen mit meinem Paket noch in Gaarden herumeiert. Wird voraussichtlich zwischen 11:44 und 12:14 Uhr hier eintrudeln. Und so aktualisiere ich die Karte hin und wieder, der Wagen kommt meinem Haus immer näher, ich kann näher heranzoomen, der Wagen steht zwei Straßen weiter. Und dann... passiert nichts mehr. Der Status wird nicht mehr aktualisiert. Mittlerweile ist es 12:30 Uhr, und als ich die Sendungsverfolgung neustarte, wird das Paket überhaupt nicht mehr angezeigt. Bermuda-Dreieck? Waldwiesenkreisel?
Am Sonntag wird der Status aktualisiert: Man habe am Samstag um 11:59 leider niemanden in meiner Wohnung antreffen können und eine Benachrichtigung hinterlassen. Wie aufschlussreich. Ich war um 11:59 Uhr anwesend, und es wurde definitiv keine Benachrichtigung hinterlassen. Nun denn, ich lerne, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen, und akzeptiere eine erneute Zustellung am heutigen Dienstag.
Jetzt wird es spannend, und es ist auch nicht mehr weit bis zum Schmelzkäse. Heute zeigt mir der Sendungsstatus an, dass das Paket im Paketzentrum in Osterrönfeld liegt, gut, das kenne ich schon, im Laufe des Vormittags dürfte dann wieder der kleine DPD-Auto-Avatar auf der Karte angezeigt werden, Lieferdatum wird mit "heute" angegeben. Um 12:29 Uhr allerdings nicht mehr. Das Paket liegt im Depot, keine Zustellung. Jetzt wird es mir zu bunt, und es ist endlich so weit: Ich bekomme den Arsch hoch.
Und zwar telefoniere ich - und ich liebe es ja, mit unbekannten Menschen zu telefonieren! Aber es wird Zeit, dass ich endlich mal aktiv werde, dass ich endlich aus meinem Feriensumpf herauskomme. Also rufe ich bei DPD an, denn ich möchte herausfinden, ob ich das Paket persönlich in Osterrönfeld abholen kann. Und das ist gar nicht so leicht, bei DPD durchzukommen: Man soll am Sprachcomputer seine Sendungsnummer eingeben - zu einem menschlichen Ansprechpartner kommt man nur, wenn man still bleibt - was einem netterweise nicht erklärt wird.
Jedenfalls schaffe ich es, mir nach Hin und Her ein OK abzuholen: Das Paket liegt in Osterrönfeld bereit, ich kann es bis achtzehn Uhr dort abholen. Warum ich nicht einfach bis morgen warte? Um in die Gänge zu kommen! Jetzt habe ich endlich einen Grund, den ADAC antanzen zu lassen, weil mein Wagen ein paar Monate draußen still überwintert hat und die Batterie tot ist. Also folgt Anruf Nummer Zwei und eine gute halbe Stunde später kommt ein netter gelber Engel vorbei und gibt mir Starthilfe. Also, dem Wagen; meine eigene mentale Starthilfe hatte ich schon.
Und er gibt mir den Hinweis, dass meine erste Tour möglichst eine Stunde am Stück dauern sollte, damit die Batterie sich wieder etwas erholen kann. Also drucke ich mir meinen Fahrplan zum DPD-Lager in Osterrönfeld aus, fahre aber erstmal nach Rendsburg rein, eine kleine Sightseeing-Tour durch den Kanaltunnel, und dabei wird mir bewusst, dass ich monatelang nicht mehr Auto gefahren bin. Und endlich habe ich einen legitimen Grund mit achtzig Sachen über die A210 zu tingeln: Ich muss eine Stunde Fahrzeit voll bekommen, bevor ich mich nach Osterrönfeld aufmache und irgendwann dort endlich den Wagen auf einem Lidl-Parkplatz abstelle.
Neuland. Ich kenne mich nicht aus. Es trägt nicht gerade zu meinem Gefühl von Sicherheit bei, dass der Laden geschlossen ist - oder nicht? Überall stehen Leitern und Handwerker herum. Aber ich brauche ja keine Lütticher Waffeln (Buba sabbert), also kann mir Lidl egal sein. Ich gehe ein paar Hausnummern weiter. Von DPD nichts zu sehen, aber ein Pförtnerhäuschen. Ich gehe dort hinein, trage mich in eine Besucherliste ein. Ich bekomme einen auffälligen Anhänger, den ich während meiner Aufenthaltsdauer immer gut sichtbar tragen soll, ein Besucherausweis. Und ich bekomme die Wegbeschreibung, mit dem Hinweis, dass ich immer auf dem Weg innerhalb der gelben Linien bleiben soll. Muss so sein, denn sonst greift die Versicherung nicht, falls etwas passiert. Und es könnte etwas passieren, denn hier ist ein Umschlagplatz für diverse Unternehmen, es fahren ununterbrochen LKWs durch die Gegend.
Mit diesem neuen Ausweis um den Hals fühle ich mich wie... Schmelzkäse: Ich laufe und laufe, keine Ahnung, wohin, überallhin, und die gelben Linien, die den Gehweg begrenzen, sind wie der Rand des Backblechs, und ich achte darauf, nicht drüberzutreten. DPD? Nicht in Sicht, aber ich laufe weiter, um eine große blaue Halle herum, und plötzlich erkenne ich ein kleines weißes Gebäude mit einem großen Schild "DPD-Paketshop". Endlich hat die Odyssee ein Ende. Ich gehe dorthin, treffe eine sehr freundliche Frau hinter mehreren großen, schweren Türen, die mir mein Paket aushändigt. Von nun an ziert ein Dauergrinsen mein Gesicht.
Ich grinse, weil die Dinge jetzt laufen. Ich grinse, weil gerade die Sonne hervorkommt. Ich grinse, weil mein Auto tatsächlich wieder fährt, auch wenn ich noch nicht weiß, ob es nun auf dem Lidl-Parkplatz wieder anspringt. Grinsend gehe ich den gelb gerahmten Weg zurück, grinsend gehe ich zurück zum Pförtner, grinsend gebe ich ihm meinen Besucherausweis zurück und trage die Uhrzeits meines Abgangs ein. Grinsend steige ich in's Auto, lasse die Zündung an... er startet! Jetzt kann mir eigentlich alles egal sein. Grinsend fahre ich vom Parkplatz, grinsend fahre ich auf die A210.
Und dann fängt es an zu regnen, und dann kommt - wie immer - Stau auf der B76, und dann kommt noch dazu, dass Dank der Baustelle im Viertel Chaos am Waldwiesenkreuz herrscht. Und einige Autofahrer benehmen sich wie Vollpfosten! Ich könnte ausrasten! Aber: Ich raste lieber ein. Ich habe gelernt, in solchen Momenten Tonglen im Augenblick zu praktizieren, das ist eine Meditationstechnik, die mich runterfährt. Und so schaffe ich auch noch die letzten Meter, und als kleinen Gruß der ollen Areté bekomme ich den Parkplatz direkt unten an der Kreuzung.
Ein Abenteuer ganz besonderer Art. Was für ein Aufwand! Aber das war gut so: Endlich habe ich etwas gemacht. Und deswegen bin ich froh, wie der Tag sich entwickelt hat.
Zeit zum Meditieren.
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