Freitag, 13. April 2018

Die Fliege


Ich meditiere sehr gern und viel. In meiner Jugend wäre ich nie auf die Idee gekommen, das zu tun, und auch zu Beginn meines Studiums hatte ich die Einstellung, dass das wertvolle Zeit ist, die ich nützlicher verbringen könnte. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein, und heute hat eine Fliege es geschafft, mir das wieder in's Bewusstsein zu rufen.

Wenn ich in die Meditation gehe, habe ich meistens vorher geduscht oder gebadet, so dass die Haut etwas aufgeweicht und anfälliger für Reize ist. Ich finde das sehr schön, das ist auch der Grund, warum ich zum Meditieren gestärkte Handtücher brauche: Wenn ich mich langsam auf das knisterige Handtuch lege, kribbelt es am Körper, und ich nehme das tatsächlich als sehr angenehm wahr.

Die weiche Haut bedeutet aber auch, dass es ein absoluter Meditationskiller sein kann, wenn ohne Vorwarnung im Moment tiefster Entspannung eine Fliege auf dem Körper landet und herumkrabbelt. Vor ein paar Jahren hat mich das rasend gemacht: Ich unterbreche die Meditation abrupt, Licht an, und versuche, das Monster zu beseitigen, damit ich wieder "ungestört" in die Gedankenwelt abtauchen kann.

Heute hat sich eine Fliege auf meinem linken Arm niedergelassen, und ich war für einen kurzen Moment versucht, sie zu verscheuchen. Ich habe es dann aber gelassen und habe sie weiterkrabbeln lassen. Es hat mich überhaupt nicht gestört. Das ist das Ergebnis jahrelanger Meditation: Ich halte mehr aus, werde nicht gleich bei der kleinsten Kleinigkeit verrückt.

Das hat weitreichende Konsequenzen, denn ich bin mittlerweile nicht mehr so ängstlich wie früher. Paradebeispiel Zahnarzt - als ich damals erfahren habe, dass alle Weisheitszähne raus müssen, hatte ich nur noch Dauerpanik und brauchte am Vorabend der OP ein Benzodiazepin zur Beruhigung. Heute ist das anders; ich habe keine Angst mehr davor, zum Zahnarzt zu gehen, und auch keine Angst mehr davor, dass er bohren muss o.ä.; außerdem kann ich mittlerweile wesentlich mehr Schmerz aushalten.

Ich staune selbst, wie viel man mit konzentrierter Meditation erreichen kann. Und dann macht es mir auch nichts mehr aus, dafür eine Stunde meines Tages zu "opfern", im Gegenteil, ich sehe es als Training und als Chance. Ich werde ausgeglichener, friedlicher. Das hätte ich damals nie gedacht, ich dachte früher, Meditationen seien irgendein Esoterikkram, rumsitzen und langweilen.

Die Fliege heute hat mir meinen Fortschritt in's Bewusstsein gerufen, und es hat sich toll angefühlt.

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