Freitag, 27. April 2018
Wenn das Herz bricht...
Früher war es sehr einfach, mir das Herz zu brechen. Verschiedene Mädchen haben das in der Schule geschafft, oder auch ein paar Filme, und im Studium haben mir die ersten Männer das Herz gebrochen. Ich bin jetzt ein wenig älter, habe mehr Dinge gesehen und weiß mehr Dinge zu verarbeiten. Dennoch gibt es immer wieder Ereignisse und Momente, die mir eine Wehmutsträne in den Augenwinkel hexen.
Als ich damals meine erste "richtige" Schulklasse verabschieden musste, die 7a in SPO, da hat es mich nach langer Zeit wieder zum Zittern gebracht. Diese Klasse war eine Art Befreiungsschlag für mich - ich werde nie vergessen, wie Leona bei meiner Vorstellung sehr deutlich hörbar "Boah, ich find' den jetzt schon scheiße!" gerufen hat - bei der Verabschiedung liefen dann die Tränen.
Es ist nicht leicht, eine Klasse gehen zu lassen, die einem zwei Jahre lang an's Herz gewachsen ist. Mit ihren Stärken und Schwächen, mit den Ups und Downs, die mancher Schüler der Klasse während dieser zwei Jahre erlebt hat. Ich habe oft auf Konferenzen über diese Schüler gesprochen, das hat nur dazu beigetragen, dass sie ein Teil von mir geworden sind. Und wann immer die Allgemeinsituation mal scheiße war, war es ausgerechnet diese mir an's Herz gewachsene Klasse, die mich dann aufgemuntert hat.
Und die Schüler haben ihren Dr Hilarius auch kennengelernt, sie haben ihn glücklich und traurig gesehen, er hat geschrien, getobt und getanzt, sie haben mit ihm gestritten und gelacht; es mag ihnen zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht so ganz bewusst gewesen sein, aber er war ihnen ebenso lieb geworden wie sie ihm. Dieser Trennungsschmerz bei der Verabschiedung von meiner ersten "richtigen" Klasse hat mir noch lange nachgehangen.
Ihr kennt das Gefühl. Und daher wisst Ihr auch, dass man sich an das Klassenabgeben mit der Zeit gewöhnt, das nimmt mich mittlerweile nicht mehr so stark mit wie damals. Wie muss es sich erst für einen Waldorflehrer anfühlen, nach acht (!) Jahren nicht mehr Klassenlehrer seiner Klasse zu sein... wie viel Zeit man mit einer Klasse verbracht hat, das kann sich erheblich auf die Ausprägung des Abschiedsschmerzes auswirken.
Umso mehr hat mich ein Erlebnis von gestern bewegt. Ich habe eine Klasse abgegeben, da eine erkrankte Kollegin wieder in den Dienst zurückkehrt. Ich hatte gar nicht mal so lange in dieser Klasse unterrichtet, nur drei Monate. Es war allerdings eine sehr individualistische Klasse, in der viele schräge Köpfe saßen, und diese Vielfalt hat mich von Anfang an begeistert. Da waren Großmäuler, Hochleister, Sprachfreaks, Coole... wie sehr die Klasse mich beeindruckt hat, konnte ich daran feststellen, dass ich die Namen der Schüler (zu einem für meine Verhältnisse großen Teil) schnell drauf hatte.
Es fühlte sich an wie ein Nach-Hause-Kommen, wenn ich in die Klasse kam und von mir schnell liebgewonnenen Verhaltensweisen begrüßt wurde - Schleimerei, Rumgewinsel, Extrafleiß, und sie hatten als Klasse, die zu Beginn des Schuljahres aus zwei Klassen neu zusammengesetzt worden war, trotzdem eine Art gemeinsamen Charme gewonnen. Ich habe die intellektuelle Herausforderung sehr genossen, die Begeisterung für das Fach bei den einen, die too cool for school-Attitüde der anderen, von Woche zu Woche. Immer wieder.
Das wird mir jetzt fehlen. Und es macht die Situation nicht leichter zu verarbeiten, dass sie sich bei mir für die "coole Zeit zusammen" bedankt haben. Ich hatte ein Gefühl von "Ich würde euch noch so gern bis zum Abitur begleiten!" und beneide die Kollegin ein wenig darum, dass sie jetzt wieder das Lateinheft in die Hand nimmt. Die Schüler und ich waren uns einig, dass wir dieses kleine Intermezzo so schnell nicht würden vergessen werden. Ihr kennt diese Abschiede, liebe Kollegen, und habt selbst viele davon schon erlebt. Klar wird man von Jahr zu Jahr etwas mehr abgehärtet.
Und trotzdem hat es mir gestern fast das Herz gebrochen.
post scriptum: Was für ein toller Film! Heute habe ich Terrence Malicks "The Tree Of Life" (2011) gesehen, ein unglaublich ambitionierter Film, der es sich vorgenommen hat, die gesamte Existenz darzustellen. Und weil Malick sich dabei auf Lebensereignisse stützt, die jeder von uns verstehen kann, die jeder von uns so oder so ähnlich erlebt hat, ist es, als würde ich in einen Dialog mit dem Film treten. Das war echt ein tolles Erlebnis, purer Genuss.
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