Samstag, 21. April 2018

Woyzeck: Trau' Dich, HB!

Ich selbst merke, wie ich herausragende Leistungen manchmal nicht angemessen lobe...

Als Underachiever bezeichnet man im schulischen Kontext Schüler, die in ihren Leistungen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Die Gründe dafür können vielfältig sein, und für eine Lehrkraft kann es eine besondere Herausforderung sein, einen hochbegabten Underachiever zu erkennen: Wenn der Schüler immer nur Dreien abliefert, im Zeugnis, in Leistungsnachweisen, im Unterricht, woher soll ich dann auf die Idee kommen, dass er hochbegabt ist?

Die Sannitanic und auch die große Buba haben seit vielen Jahren sehr engen Umgang mit hochintelligenten Menschen, und sie sind beide Lehrerinnen, denen ihre Erfahrungen im Unterrichtsalltag zugute kommen können. Mir geht es in diesem Beitrag gar nicht so sehr um die Diagnostik als um die Frage, wie man als Lehrer mit einem hochbegabten Underachiever umgehen sollte. Und erinnere mich dafür an Rainer Krüger, mein Deutschlehrer im zwölften Jahrgang.

Ich war nie besonders gut in Deutsch. Halt, das stimmt nicht; Grammatik und Diktate konnte ich immer gut, aber sobald es an's Interpretieren ging, stellte sich heraus, dass ich ein Dreierkandidat war. Ich bin über eine Drei im Zeugnis selten hinausgekommen. Und dabei hatte ich mir so oft und intensiv die Frage gestellt, was meine Deutschlehrerinnen wohl von mir hören wollten! Ich wollte es ihnen Recht machen, und leider traf ich bei Frau Z und Frau J meistens daneben.

Dann kam die Oberstufe, und ich hatte keine Ahnung, wie ich meine Deutschnote verbessern sollte. Ich kam auf die Idee "Naja, wenn du eh' nicht auf was Besseres als eine Drei kommst, dann schreib' Krüger jetzt nicht das hin, was er vielleicht hören will, sondern das, was du wirklich über den Text denkst". Das führte zu dreizehn Punkten in meiner ersten Deutschklausur über Schillers Die Räuber. Das konnte ich überhaupt nicht verstehen. Eine Eins??? Habe ich zur Abwechslung einmal irgendwas richtig gemacht?

Rainer Krüger tat das, was man als guter Pädagoge in solch' einer Situation wohl tun sollte: Er ermutigte mich, meine Gedanken aufzuschreiben. Er ermutigte mich, in den Klausuren meine Theorien zu schreiben, auch wenn sie vielleicht für mich selbst ungewöhnlich schienen. Das führte dann zu vierzehn Punkten für In der Sache J. Robert Oppenheimer von Heinar Kipphardt - ich konnte einfach nicht verstehen, dass ich diesmal irgendwas verstanden zu haben schien. Und ich weiß noch genau, wie ich mich geschämt habe dafür, und wie ich versucht habe, das in der Klasse geheim zu halten. Aber Krüger spornte mich an.

Und dann kam der Mut. Dann kam der Ehrgeiz. Dann wollte ich es wissen. Und so schrieb ich dann ausgerechnet über Büchners Woyzeck (der Kurs hat geflucht, wie unverständlich das sei) meine erste Deutschklausur mit fünfzehn Punkten. Von da an wurde ich mir meines Potentials bewusst, und auf diese Weise habe ich am eigenen Leib erfahren dürfen, wie es ist, sich vom Underachiever weiterzuentwickeln, und ich habe selbst erleben dürfen, wie wichtig dabei die Mithilfe der Lehrkräfte ist.

Deshalb, liebe Kollegen und Kolleginnen: Wenn Ihr einen Verdacht auf einen hochbegabten Underachiever habt, dann macht ihm Mut! Motiviert ihn, seine Gedanken zu äußern, macht ihm klar, dass er sich dafür nicht schämen muss. Und wenn er einmal eine tolle Leistung abliefert, dann lobt ihn bitte! Nehmt es nicht als selbstverständlich hin - "Na siehste, ich wusste es doch." - sondern macht ihm klar, dass er etwas Besonderes vollbracht hat. Denn es gibt viele Hochbegabte, die nicht von allein, nicht von sich aus ihr Potential abrufen (können).

Sie brauchen Eure Unterstützung.

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