Sonntag, 1. April 2018

Style Over Substance

Das visuelle Design des Films hat mich sehr angesprochen...

Vor einigen Tagen hat Er mir geschrieben, eine Antwort auf eine Nachricht, die ich ihm nach einer gefühlt ewigen Funkstille gesendet habe. Mein Fehler; ich hatte den Kopf so mit Schule vollgestopft, dass Er komplett in den Hintergrund geraten ist. Vielleicht nicht die schlechteste Idee. Jedenfalls hat Er geschrieben, dass er jetzt angefangen hat, The X-Files zu schauen, und ich habe ihm geschrieben, dass ich ihm gute Unterhaltung wünsche. Ich habe die Serie sehr genossen, unter anderem den Aspekt, dass es eine recht intelligente Serie ist, das hat mir sehr zugesagt.

Ist es das, was eine gute Serie oder einen guten Film ausmacht? Intelligenz? Jeder hat eine andere Vorstellung davon, was einen guten Film ausmacht. Und zusätzlich kann es auch noch von der Tagesform abhängen. Und dann gibt es immer wieder Filme, die das Publikum polarisieren. Die einen können dem Film etwas abgewinnen, die anderen finden immer neue Gründe, ihn zu hassen. Einer dieser Filme ist The Cell (2000) des Regisseurs Tarsem Singh, sein Spielfilmdebüt, nachdem er bis dahin viele Werbeclips und Musikvideos gefilmt hat.

Mich verbindet eine sehr langjährige Neugier mit diesem Film. 2001, in meinem Abiturjahr, hatten wir ein Fach mit dem Namen PU - Projektunterricht. Und ich weiß noch genau, wie ich in der zwölften Klasse auf die damals noch recht neu an die Schule gekommene Lehrerin Steffi Schiller zugegangen bin. Sie war dafür mitverantwortlich, dass mein Notenspiegel in der Oberstufe um mehr als eine ganze Note nach oben geklettert ist (neben Rainer Krüger) und ich fand sie einfach toll. Also habe ich sie nicht nur gefragt, ob sie meine Tutorin werden würde, das war so gut wie selbstverständlich, sondern ein Jahr später dann, ob sie mit uns einen Projektunterricht Filmanalyse machen würde.

Dazu ist es schließlich gekommen, und so haben wir uns in kleinen Gruppen Filme vorgeknöpft und uns bestimmten Aspekten der Filmanalyse gewidmet. Eine Schülerin hat ein Infoblatt zu The Cell geschrieben; ich weiß noch, wie ich das gelesen habe, den Film aber nie angeschaut habe. Obwohl das, was sie geschrieben hat, eigentlich ganz faszinierend klang. Und irgendwie verwirrend. Irgendwie zu surreal für mich. Das war vor beinah achtzehn Jahren; mittlerweile bin ich ein bisschen aufgeschlossener und neugieriger geworden und habe mich bei der Wikipedia über die Rezeption des Films informiert. Dort habe ich von der polarisierenden Wirkung des Streifens gelesen.

Von den großartigen Bildern, dem minimalen Plot, den eindimensionalen Charakteren, der Ähnlichkeit zu Silence of the Lambs. Bei Rotten Tomatoes hat gerade mal knapp die Hälfte der Kritiker eine positive Rezeption abgegeben, und ich kann jeden von ihnen verstehen. Der Hauptkritikpunkt war, dass dem Film einfach jegliche Substanz fehlt, weggelassen zugunsten eines visuellen Flairs, das bombastisch und für viele zu aufgesetzt wirkt. Style over substance, könnte man kurz und knapp sagen.

Dem mag ich zustimmen, aber für mich persönlich bedeutet das nicht, dass es gleich ein schlechter Film sein muss. Im Gegenteil: Ich bin äußerst empfänglich für bildgewaltige Filme. Ich mag es, mich auf Reisen in Fantasiewelten mitnehmen zu lassen, ich kann mich daran gar nicht satt sehen und hören. Meine Lieblingsszenen im Film Interstellar sind die Reise durch das Wurmloch und der Flug in's Schwarze Loch. Eine meiner Lieblingsszenen in Contact ist die Reise durch die höhere Dimension. Und einer der Filme, die ich immer wieder schauen kann, ist Dario Argentos Suspiria, der wie eine Meisterübung in style over substance wirkt.

Weil die Ausgangslage immer unsere ganz normale Realität ist, mit der ich mich noch sehr gut identifizieren kann, und plötzlich gehen die Filmhelden dann etwas weiter und reisen in unvorstellbare Welten.

In The Cell reist Jennifer Lopez (besser, als ich vielleicht denken sollte) in der Rolle einer Sozialarbeiterin mittels einer Virtual-Reality-Einrichtung in das Bewusstsein eines kleinen Jungen, der im Koma liegt. Das erste Viertel des Films widmet sich diesen Reisen, so dass ich schnell damit vertraut werde. Parallel wirft Tarsem weitere Storylines ein und wir sehen, wie ein Serienmörder (Vincent D'Onofrio) seiner Arbeit nachgeht. Dabei zeigt er sehr ungewöhnliche Verhaltensweisen, die mich fragen lassen, warum er das alles wohl macht. Ich frage mich, was in seinem Kopf vorgeht, und ich denke mir, dass es bestimmt aufregend wäre, sein Bewusstsein in der virtuellen Realität zu erforschen.

Stargher, der Mörder, wird recht bald gefasst, in einem Zustand der Katatonie - er reagiert kaum noch auf äußere Reize und Kommunikation mit ihm scheint unmöglich. Das Prekäre an der Lage: Er hat vor seiner Gefangennahme noch eine Frau entführt und hält sie in einer Zelle gefangen. Wenn es nicht innerhalb von wenigen Tagen geschafft wird, sie zu finden, wird sie genauso sterben wie ihre Vorgängerinnen. Also wird versucht, in Starghers Bewusstsein zu gehen, um herauszufinden, wo die Frau gefangen gehalten wird.

Das ist die Prämisse, und damit ist auch schon der gesamte Plot erzählt. Alle oben genannten Kritikpunkte sind berechtigt, aber die Ausflüge in die Gedankenwelt eines Serienmörders sind visuell beeindruckend. Ich weiß, dass ich den Film unbedingt noch einmal sehen möchte. Es kommen keine Aha-Effekte, der Plot sollte besser nicht zu intensiv untersucht werden. Einfach nur zurücklehnen und staunen, was Tarsem hier auf's Zelluloid gebannt hat. Die Einflüsse sind eindeutig, neben diversen Kunstwerken aus der Malerei, die verarbeitet wurden, scheinen auch psychedelische Reisen als Vorbild gedient zu haben. "Surreal" klingt recht bescheiden angesichts des visuellen Feuerwerks.

Ich verstehe die 46% positiven Bewertungen bei Rotten Tomatoes.
Ich kann nicht genug davon bekommen und freue mich schon drauf, Tarsems Film The Fall (2006) zu schauen.

post scriptum: Roger Ebert war auch sehr positiv angetan, das war einer der Hauptgründe, warum ich mich dann doch dazu gebracht habe, den Film zu schauen. War eine gute Entscheidung!

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