Samstag, 31. März 2018

Livius als Möbelfälscher



Das Abitur naht, für viele von uns stehen nach den Ferien haufenweise Prüfungen an, haufenweise Protokolle, das lässt mich an mein eigenes Abitur denken. Ich habe zwar meine Abizeitung nicht mehr, wohl aber den Beitrag, den ich vor rund sechzehn Jahren für das Blatt geschrieben habe. Wer Fehler findet, darf sie behalten ;-)

Livius als Möbelfälscher...“
oder: Latein-LK bei Peer Hedersen

...schrieb bereits vor mehr als 2000 Jahren die menschlichen Tugenden nieder. Einige seiner wichtigsten Virtutes:


Amor Patriae – Vaterlandsliebe: Oder wie sollte man es sonst nennen, wenn wir mal wieder vor dem verschlossenen Raum 12 saßen und den nächstbesten Lehrer (zufällig meistens Herr Köhmann) baten, die Tür zu öffnen und uns zurück in unsere erfrischende, unverbraucht duftende Heimat zu lassen?
Severitas – Strenge: Oh ja, in unserem Unterricht ging der Lehrer mit gnadenloser Härte gegen uns vor. Wurde unter den Schülern über ein außerunterrichtliches Thema diskutiert, hatte der Lehrer davon unterrichtet zu werden, um mitreden zu können. Man musste dabei laut genug reden, damit auch die kleinen Feinheiten verstanden wurden. Im Gegenzug wurde Gehorsam von den Schülern verlangt! Es war Vorschrift, dem Lehrer immer bis zum Ende der Campergeschichten zuzuhören.
Dignitas – Würde: Wer Schüler des Latein-LK war, hatte sich würdig zu äußern. Das galt natürlich auch für die Lehrer. Ausdrücke wie z.B. „Ach, das heilige Jahr des Vatikan... So´n Scheiß, wen interessiert das schon!“ waren selbstverständlich Tabu. Nie wurde abfällig spottend von drogensüchtigen, schwedischen Reitlehrerinnen gesprochen. Warum auch; Thema war schließlich gerade Seneca. „Perfer, obdura!“
Disciplina – Auch: Disziplin: Strengste Disziplin war vorgeschrieben und wurde stets befolgt. Dabei hatte der Lehrer die Rolle des Vorbildes inne und führte diese beispielhaft aus. Kam er jemals zu spät? Lachte er jemals lauthals über gewisse Äußerungen? Hat er jemals die Stunde überzogen? Nein, unser Lehrer hielt sich immer genau an die Vorschriften.
Audacia – Kühnheit: Die Schüler waren in der Tat kühn, dass lässt sich nicht bestreiten. Wie sollte man sonst einen Menschen nennen, der sich seine täglichen zehn Minuten Frischluft selbst im Winter nicht nehmen lässt und, wohl wissend, dass ihm von seinen Mitschülern ärgste Bestrafung droht, das Fenster öffnet, eine Lungenentzündung riskierend?
Constantia – Festigkeit: Es geht hier um die Festigkeit des Geistes. Zweifelsohne hatten die Schüler ihren schwankenden Geist längst hinter sich gelassen. Einmal mehr erwies sich der Magister als Wegbereiter für diese Entwicklung. Was man sich vorgenommen hatte, das wurde streng befolgt und konsequent durchgezogen, seien es nun die Vorsätze, nach einer Klausur besonders hart an der Grammatik zu arbeiten oder das Vorhaben, eine Vokabelsammlung gründlich durchzugehen. „Festina lente.“
Benevolentia – Wohlwollen: Dies ging von Seiten des Lehrers aus. Er hätte mit erbarmungsloser Härte sich uns verweigern können, doch was tat er, als in einem Anfall von geistiger Umnachtung einem Schüler während der Klausur der Atem stockte? Er erklärte die Deklination der Vokabel „duo, duae, duo“. War dieses nicht ein Zeichen des Lehrers, welches uns sagen sollte, dass er uns unbedingt wohlbehalten durch das Abitur bringen wollte? Auf jeden Fall!
Temperantia – Zurückhaltung: Wenn dem Lehrer in plötzlicher Großmut ein Stück Kuchen angeboten wurde, so lehnte er es selbstverständlich ab. Im äußersten Fall ließ er sich dazu hinreißen, mit seinem Taschenmesser einen kleinen Brocken des Gebäckes abzuschaben, enthaltsam aber, denn er achtete sehr auf seine Linie. Hätte er ungebändigt von dem Kuchen gegessen, so hätte er es sich schließlich nach erledigter Arbeit nicht mehr daheim mit einem Bier und seiner großen Latte von Grisham-Romanen gemütlich machen können. „Ergo bibamus!“
Modestia – Auch: Bescheidenheit: Obwohl der Magister sich selbst stundenlang für die Entwicklung der Schüler aufopferte, brüstete er sich nie mit ganz besonders guten Formulierungen. Falls mal ein Zitat angebracht wurde, so folgte stets der Satz: „Das ist nicht von mir.“ Wenn das nicht ein Zeichen von Bescheidenheit ist! Und erst recht der nächste Satz, in unmittelbarer Folge: „Aber ich könnte das auch so schreiben.“

Vielen Dank, Herr Petersen, dass sie nicht in jeder Hinsicht dem römischen Ideal entsprochen haben, so wenig wie wir alle, wenn auch wahrscheinlich mit ein wenig mehr „Constantia“. Wie sagt man so schön? „Iucundi acti labores.“ Das soll aber nicht heißen, dass wir ihrem Unterricht nicht gerne beigewohnt hätten. Es heißt nämlich auch: „Ducunt volentem fata, nolentem trahunt.“ Es war der erste Latein-LK seit acht Jahren. Warum? Das ist wirklich eine gute Frage. Trotz einiger weniger Längen fanden wir den Unterricht sehr interessant und zügellos genug, dass man gleichzeitig lernte, ohne einem großen Druck unterworfen zu sein. Natürlich muss man sich für das Fach begeistern können, um den LK zu wählen. Die Ausrede: „Latein ist eine tote Sprache, ich bin doch nicht verrückt!“ gilt aber längst nicht mehr.
De gustibus non est disputandum.“

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