Das Abitur naht, für viele von uns stehen nach den Ferien haufenweise Prüfungen an, haufenweise Protokolle, das lässt mich an mein eigenes Abitur denken. Ich habe zwar meine Abizeitung nicht mehr, wohl aber den Beitrag, den ich vor rund sechzehn Jahren für das Blatt geschrieben habe. Wer Fehler findet, darf sie behalten ;-)
„Livius
als Möbelfälscher...“
oder: Latein-LK bei
Peer Hedersen
...schrieb bereits vor mehr als 2000 Jahren die menschlichen Tugenden nieder. Einige seiner wichtigsten Virtutes:
Amor Patriae – Vaterlandsliebe: Oder wie sollte man es
sonst nennen, wenn wir mal wieder vor dem verschlossenen Raum 12
saßen und den nächstbesten Lehrer (zufällig meistens Herr Köhmann)
baten, die Tür zu öffnen und uns zurück in unsere erfrischende,
unverbraucht duftende Heimat zu lassen?
Severitas – Strenge: Oh ja, in unserem Unterricht ging
der Lehrer mit gnadenloser Härte gegen uns vor. Wurde unter den
Schülern über ein außerunterrichtliches Thema diskutiert, hatte
der Lehrer davon unterrichtet zu werden, um mitreden zu können. Man
musste dabei laut genug reden, damit auch die kleinen Feinheiten
verstanden wurden. Im Gegenzug wurde Gehorsam von den Schülern
verlangt! Es war Vorschrift, dem Lehrer immer bis zum Ende der
Campergeschichten zuzuhören.
Dignitas – Würde: Wer Schüler des Latein-LK war,
hatte sich würdig zu äußern. Das galt natürlich auch für die
Lehrer. Ausdrücke wie z.B. „Ach, das heilige Jahr des Vatikan...
So´n Scheiß, wen interessiert das schon!“ waren
selbstverständlich Tabu. Nie wurde abfällig spottend von
drogensüchtigen, schwedischen Reitlehrerinnen gesprochen. Warum
auch; Thema war schließlich gerade Seneca. „Perfer,
obdura!“
Disciplina – Auch: Disziplin:
Strengste Disziplin war vorgeschrieben und wurde stets befolgt. Dabei
hatte der Lehrer die Rolle des Vorbildes inne und führte diese
beispielhaft aus. Kam er jemals zu spät? Lachte er jemals lauthals
über gewisse Äußerungen? Hat er jemals die Stunde überzogen?
Nein, unser Lehrer hielt sich immer genau an die Vorschriften.
Audacia – Kühnheit: Die Schüler waren in der Tat
kühn, dass lässt sich nicht bestreiten. Wie sollte man sonst einen
Menschen nennen, der sich seine täglichen zehn Minuten Frischluft
selbst im Winter nicht nehmen lässt und, wohl wissend, dass ihm von
seinen Mitschülern ärgste Bestrafung droht, das Fenster öffnet,
eine Lungenentzündung riskierend?
Constantia – Festigkeit: Es geht hier um die Festigkeit des
Geistes. Zweifelsohne hatten die Schüler ihren schwankenden Geist
längst hinter sich gelassen. Einmal mehr erwies sich der Magister
als Wegbereiter für diese Entwicklung. Was man sich vorgenommen
hatte, das wurde streng befolgt und konsequent durchgezogen, seien es
nun die Vorsätze, nach einer Klausur besonders hart an der Grammatik
zu arbeiten oder das Vorhaben, eine Vokabelsammlung gründlich
durchzugehen. „Festina lente.“
Benevolentia – Wohlwollen: Dies ging von Seiten des Lehrers aus. Er
hätte mit erbarmungsloser Härte sich uns verweigern können, doch
was tat er, als in einem Anfall von geistiger Umnachtung einem
Schüler während der Klausur der Atem stockte? Er erklärte die
Deklination der Vokabel „duo, duae, duo“. War dieses nicht
ein Zeichen des Lehrers, welches uns sagen sollte, dass er uns
unbedingt wohlbehalten durch das Abitur bringen wollte? Auf jeden
Fall!
Temperantia – Zurückhaltung: Wenn dem Lehrer in plötzlicher
Großmut ein Stück Kuchen angeboten wurde, so lehnte er es
selbstverständlich ab. Im äußersten Fall ließ er sich dazu
hinreißen, mit seinem Taschenmesser einen kleinen Brocken des
Gebäckes abzuschaben, enthaltsam aber, denn er achtete sehr auf
seine Linie. Hätte er ungebändigt von dem Kuchen gegessen, so hätte
er es sich schließlich nach erledigter Arbeit nicht mehr daheim mit
einem Bier und seiner großen Latte von Grisham-Romanen gemütlich
machen können. „Ergo bibamus!“
Modestia – Auch: Bescheidenheit: Obwohl der Magister sich
selbst stundenlang für die Entwicklung der Schüler aufopferte,
brüstete er sich nie mit ganz besonders guten Formulierungen. Falls
mal ein Zitat angebracht wurde, so folgte stets der Satz: „Das ist
nicht von mir.“ Wenn das nicht ein Zeichen von Bescheidenheit ist!
Und erst recht der nächste Satz, in unmittelbarer Folge: „Aber ich
könnte das auch so schreiben.“
Vielen Dank, Herr Petersen, dass sie
nicht in jeder Hinsicht dem römischen Ideal entsprochen haben, so
wenig wie wir alle, wenn auch wahrscheinlich mit ein wenig mehr
„Constantia“. Wie sagt man so schön? „Iucundi acti
labores.“ Das soll aber nicht heißen, dass wir ihrem
Unterricht nicht gerne beigewohnt hätten. Es heißt nämlich auch:
„Ducunt volentem fata, nolentem trahunt.“ Es war der erste
Latein-LK seit acht Jahren. Warum? Das ist wirklich eine gute Frage.
Trotz einiger weniger Längen fanden wir den Unterricht sehr
interessant und zügellos genug, dass man gleichzeitig lernte, ohne
einem großen Druck unterworfen zu sein. Natürlich muss man sich für
das Fach begeistern können, um den LK zu wählen. Die Ausrede:
„Latein ist eine tote Sprache, ich bin doch nicht verrückt!“
gilt aber längst nicht mehr.
„De gustibus non est disputandum.“
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