Samstag, 10. März 2018

Das Schiff in der Nacht (Prolog)


So, nun habe ich mich also entschlossen, diese Geschichte stückweise zu veröffentlichen. Bei "Beteigeuze" habe ich es damals so gemacht, dass ich abwechselnd die Geschichte und andere Beiträge gepostet habe, ich denke, so werde ich es auch dieses Mal machen. Erwartet kein Meisterwerk, klar? ;-) Das war damals nur eine Fingerübung eines Oberstufenschülers...

 
Kapitel 1 - Vergangenheit

Ethan hatte sich damals im Juli wie schon so oft also entschlossen, ins Schwimmbad zu gehen – eigentlich nichts Besonderes. Zumindest, wenn man das Grünauer Schwimmbad kannte. Mit einem Safarium in der Eingangshalle war es schon ein Besuchermagnet. Und eigentlich konnte Ethan ja nichts dafür, dass ausgerechnet er so neugierig war und nur aufgrund einer Falltür im Schwimmbecken – und ich bin mir noch immer sicher, dass er sich diesen Schwachsinn ausgedacht hat – eine Bombe im Schwimmbad entdeckt hat. Er hat dann auch noch den Bombenleger gestellt, unglaublich! Und nachdem die Polizei das halbzerstörte Schwimmbad endlich erreicht hatte, war Ethan schon wieder unterwegs. Sein Auftreten war natürlich vom Bademeister nicht unbemerkt geblieben, und der war sauer! Klar, dass Ethan sofort die Flucht angetreten hat. Aber nun wird es verwirrend. Nachdem Ethan in einem Ort mit Namen Ziehl angekommen war und sein Fluchtauto den Geist aufgegeben hatte, fand er dort auf einem Feld eine Zauberformel. Klar, ich kann zaubern und viele andere hier auch, aber Ethan war ja nicht von hier. Er kam aus Grünau – und Grünau war ebenso wie Ziehl ein Ort der Parallelwelt. Das mag seltsam klingen und war für mich damals auch ein ziemlicher Schock, aber so war es nun mal. Ziehl ist ein Ort einer Welt, in der es keine Magie gibt. Faszinierend, oder? Na ja, jedenfalls hatte Ethan diesen Zauberspruch gefunden und sprach ihn daraufhin aus. Dadurch wurde er in unsere Welt, zu mir nach Hause, nach Dandera katapultiert, genauer gesagt: Vor unseren Flughafen.“
Sie zögerte. Es war schon ein riesiger Zufall, dass er ihr genau vor die Füße gefallen war.
Und wie es das Schicksal so wollte, war es der Tag, an dem ich mit meinen Freunden Betsy und Jake meine Urlaubsreise anging. Das wollte ich zumindest, aber auf dem Flughafen gab es irgendwelche Probleme. Wie sich später herausstellte, hatte der Bademeister von der Parallelwelt her einen Fluch über unser Land gelegt. Ich will gar nicht erst von den Strapazen anfangen, die wir auf uns nehmen mussten, damit dieses Problem endlich aus der Welt geschafft wurde. Wenn ich nur an den brennenden kleinen Tim Green denke, oder Derek Hartfort, den wir zum Selbstmord getrieben hatten, oder an Frau Turtula, die sich als Drahtzieher hinter dem Bademeister-Komplott herausgestellt hatte! Ich war sogar schon tot! Ethan, dieser Vollidiot (Ach, Buch, irgendwie war ich ja doch in ihn verknallt) hat mich auf eine Kirche geschickt, über der mal wieder ein Fluch lag. Der hat mich dann erwischt und im wahrsten Sinne des Wortes zerstört. Eingefroren und zerschmettert – es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens, tot zu sein. Aber Ethan hat mich dann ja auch gerettet, mit der Hilfe des Phoenix bin ich wieder auferstanden. Das klingt verrückt, aber ich würde auch von niemandem verlangen, diese Geschichte zu glauben. Wir haben es jedenfalls geschafft, alle Flüche und grausamen Gegner zu besiegen. Mann, war das ein Trip – und deswegen hab ich mir ja auch dann endlich meinen Urlaub gegönnt. Ich weiß aber nicht genau, was mich hierher gezogen hat. ,Ausgerechnet England!´ hat meine Schwester gesagt. Warum denn nicht? Ist England vielleicht nicht weit weg genug, oder was? Manchmal treibt Ruth mich in den Wahnsinn, denke ich zumindest. Nachdem ich erfahren hatte, dass es diese Parallelwelt gibt, hat es mich gekitzelt und ich habe mich mal umgeschaut. Diese Welt ist mit meiner fast identisch! Nur, dass Mendozar hier England heißt und noch ein paar andere Sachen ganz komisch sind. Aber gerade deswegen war es ja so verlockend, hierher zu reisen. Nur leider kann ich hier nicht mehr zaubern. Das bringt schon Umstellungen mit sich. Man muss so vieles selbst machen… Ach was, Mädel, jetzt sei mal nicht so faul! Und jetzt werde ich nach draußen gehen und mir den schönen Sonnenuntergang anschauen.“
Sie überlegte kurz, während sie durch das Fenster nach draußen schaute. Warm wehte der Sommerwind herein.
Ich bin sicher, dass ich zwei zauberhafte Wochen hier verbringen werde. Verstanden? Zauberhaft, haha“, waren die letzten Sätze, die Vivien in ihr Tagebuch schrieb, bevor sie es zuklappte.
 
Kapitel 2 – Gegenwart

Daraufhin legte sie es an einen sicheren Ort, wo es keiner finden würde. Das übliche Versteck ihres Tagebuchs war schließlich mehrere hundert Kilometer entfernt, also musste eine Alternative gefunden werden. Vivien blinzelte. Die Abendsonne stand so niedrig, dass sie durch das Fenster direkt auf ihre Augen traf. Ein wunderschöner Sommer! Sie verließ ihre Ferienwohnung, schloss ab und steckte den Schlüssel in die rechte Hosentasche. So verliere ich ihn garantiert nicht, dachte sie bei sich. Doch noch bevor Vivien das Grundstück verlassen hatte, war der Schlüssel durch ein Loch in der Tasche herausgefallen, ohne dass sie es bemerkte.
Sie ging der Dämmerung entgegen über einen steinigen Pfad Richtung Küste, während sie die letzten Tage Revue passieren ließ. All die Hektik, nachdem die Flughafenaffäre geregelt war, die überstürzte Abreise… aber es hatte sich gelohnt. Nun war Vivien endlich am Ziel angekommen, in einer kleinen, verschlafenen Provinz an der Westküste Englands, deren Namen sie nicht einmal aussprechen konnte. Das war aber auch egal, denn sie hatte, was sie wollte: Ruhe. Und einen schönen, inspirierenden Sonnenuntergang, den man am besten von der nicht einmal einen Kilometer entfernten Küste sehen konnte. Langsam ging sie weiter. Tim und Sally, ihre beiden Wohnungsnachbarn, kamen ihr entgegen. „Hi Vivien! Willst du auch das Abendrot genießen?“ fragte Tim. „Es ist unglaublich dieser Tage. Die Sonne spiegelt sich auf dem Meer wieder und alles ist in ein feuerrotes Licht getaucht.“ Vivien musste schmunzeln. „Jaja, Tim, das kennen wir. Das Licht wird natürlich unter gewissen Voraussetzungen noch bunter, nicht wahr?“ meinte sie und deutete auf den Picknickkorb, den Sally trug. Sie war sich sicher, dass er wie so oft die übliche Flasche Champagner enthielt. Die beiden waren eben Genießer! Sally gab sich empört: „Also Vivien, du willst uns doch hoffentlich keine Trinkeskapaden unterstellen, oder? Du weißt genau, dass wir es uns nun mal gerne gemütlich machen, und ein kleines Gläschen Schampus rundet einen Abend wie heute einfach ideal ab.“ „Ist ja schon gut, ich lass euch mal weiterziehen. Ich will schließlich auch noch zur Küste, bevor es dunkel ist.“ „Na, dann beeil dich mal“, rief Tim hinter Vivien her. Zusammen mit Sally machte er sich auf den Heimweg.
Das Feuer war wirklich atemberaubend. Vivien musste aufpassen, dass sie nicht zu lange in die Sonne starrte, aber der Anblick ließ einen nicht los. Sie stand an einer der vielen Steilklippen, wie es sie in der Gegend so oft gab. Die See unter ihr war ziemlich ruhig. Die Harmonie, die dadurch entstand, brachte Vivien schließlich dazu, sich ins Gras zu legen und die Augen zu schließen. In ihren Gedanken war alles ganz still und friedlich. Nochmals sah sie die Schrecken von vor einer Woche – der Bademeister mit seinem geradezu teuflischen Hund und die Rache der Frau Turtula. Diesmal jedoch waren sie alle ganz ruhig und freundlich. Noch während sich Viviens Gedanken neu ordneten, übermannte sie der Schlaf. Sie wurde erst wieder von einem Geräusch geweckt, das sich wie Schiffshörner anhörte.
Tatsächlich! Vivien blickte langsam auf. Es war schon sehr dunkel, eine sternenklare Nacht. In der Ferne zeigten sich schemenhaft die Umrisse eines Schiffes. Es war ziemlich frisch geworden und ein kühler Wind streifte durch Viviens Haar. Sie stand auf und ging bis an die Klippe, um das Schiff besser erkennen zu können. Weit unter ihr ruhte die See. Ihr Blick wanderte hinauf zum Mond. Er stand voll am Himmelszelt und erleuchtete die Nacht. Langsam zogen jedoch ein paar einsame Wolken auf und der Wind wurde ein wenig forscher. Das Schiff kam unmerklich langsam näher. Vivien überkam ein Schaudern. Unfreiwillig drehte sie sich um; sie hatte das Gefühl, als würde sie beobachtet. Aber hinter ihr lag ein freies Feld und es war niemand dort. Nur sie allein, die mitten in der Nacht an einer Klippe stand und auf ein schwarzes Schiff schaute. Was machte dieses Schiff hier? Der nächste Hafen war mindestens 25 Kilometer entfernt, und warum hielt dieses Schiff weiter Kurs auf die Klippen? Es würde auflaufen, wenn es weiterhin geradeaus hielt. Aber was geht mich das an, dachte Vivien. Doch obwohl der Wind immer stärker wurde und sie stark zu frösteln begann, hielt ihre Neugier sie an der Klippe fest. Was würde wohl mit dem Schiff passieren? Würde es den Kurs ändern? Was war das überhaupt für ein Schiff? Es war nun so nahe, dass sie mehr davon erkennen konnte. Zwei große Segel waren gespannt, aber irgendwas war mit ihnen nicht in Ordnung. Und das ganze Schiff war schwarz – nicht ein einziges Licht oder Lebenszeichen. Viviens Gedanken wanderten automatisch zurück zu den Zeitungsartikeln, die sie seit ihrer Ankunft gelesen hatte, und natürlich waren auch die Dorfbewohner nicht gerade zurückhaltend mit den Nachrichten vom Verschwinden mehrerer Menschen umgegangen. An der Westküste Englands sollen vereinzelt Menschen verschwunden und nicht mehr aufgetaucht sein. Seit mehreren Jahren schon, aber es war höchstens ein harmloser Einwohner pro Jahr, dessen Fehlen ungeklärt blieb. Die Behörden haben diesen Fall schnell als unwichtig abgetan; vielleicht war es mal ein Betrunkener, der von den Klippen gestürzt ist oder Ähnliches. Dem ist man nie weiter nachgegangen. Aber was um alles in der Welt konnte das mit einem Schiff zu tun haben? Vivien verwarf den Gedanken, das war doch nur ein altes Schiff auf dem Meer! Sie setzte sich ins kühle Gras und beobachtete das seltsame Schiff. Sie bemerkte nicht einmal, wie immer mehr Wolken am Himmel zusammenzogen. Davon offensichtlich unbeeindruckt schien der Mond weiter und erhellte das unheimliche Szenario.
Plötzlich lag das Schiff direkt vor der Küste. Vivien stand wieder auf und ging bis zur Kliffkante. Auf dem Deck war niemand zu sehen. Es schien, als stünde das Schiff auf dem Meer. Es übte eine seltsame Faszination auf Vivien aus – oder war es mehr als das? Vivien fühlte sich von dem Schiff angezogen, aber nicht nur ihr Geist, ihr ganzer Körper wurde wie von einem Magneten von diesem seltsamen Schiff angezogen. Mittlerweile stürmte es und ein starker Wellengang brachte das Schiff zum Schaukeln. Und dann geschah das Unfassbare. Vivien ging über die Klippe. Aber sie fiel nicht ins Wasser, sondern schwebte nur ein paar Meter von der Klippe entfernt hoch über den spitzen Felszacken, die aus dem Wasser ragten. Verwirrt drehte sie sich zur Klippe um, wobei sie fast der Schlag traf. Sie sah sich selbst, ihren eigenen Körper, an der Klippe stehen und aufs Meer hinausschauen. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, doch zu weiteren Gedanken blieb Vivien keine Zeit. Sie sah, wie sich jemand in dunkler Kutte von hinten an ihr zweites Ich auf der Klippe heranschlich. Sie wollte rufen und sich selbst warnen, doch es kam kein einziger Ton über ihre Lippen. Die dunkle Gestalt trat immer näher, ein langer Gegenstand blitzte in ihrer rechten Hand auf. Sie hob den Arm und stieß Vivien den Gegenstand in den Rücken. Da sie noch immer in der Luft schwebte, musste Vivien hilflos mitansehen, wie sich eine Lanze durch die Brust ihres zweiten Ichs bohrte. Sie erlebte ihre eigene Ermordung mit. Die verhüllte Gestalt riss die Lanze aus der Brust und verschwand mit langsamen Schritten in der Dunkelheit. Der durchbohrte Körper sackte zusammen und stürzte über die Klippe auf die Felsen und ins Wasser. Bevor Vivien darüber nachdenken konnte, was soeben geschehen war, merkte sie, wie ein unheimlich starker Sog sie ergriff. Das Schiff unter ihr machte Fahrt aufs offene Meer mit einem unheimlichen Tempo. Vivien flog hinterher und wurde immer stärker von dem Schiff angezogen. Sie stieß mit dem Kopf gegen einen Mast und fiel zuerst auf das Schiffsdeck und dann in eine tiefe Ohnmacht. Als sie wieder erwachte, herrschte um sie herum eine Totenstille.

Fortsetzung: Erster Tag (Kapitel 3-5)

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