Sonntag, 21. Mai 2017

So schnell gebe ich nicht auf...

Wird Zeit, die Zähne zusammenzubeißen...

Die vergangenen zwei Wochen waren für meine Gedankenwelt sehr ereignisreich. Der Erdrutsch wurde ausgelöst durch die Mitteilung, dass ich mich nach einer neuen Schule umsehen sollte. In diese Bewegungen hinein kamen solche Kleinigkeiten wie ein linker Zeigefinger, der mir endlich wieder zur Verfügung steht und den ich nach und nach wieder in meine alltäglichen Bewegungen einzubinden versuchen muss - so tippe ich zum Beispiel gerade endlich wieder mit zehn Fingern - was zwar ungewohnt ist, aber ich genieße die normal rasante Schreibgeschwindigkeit. Denn die Gedanken kommen schnell, sehr schnell, und genauso schnell sollen sie auch auf das "Papier".

Sometimes you don't know what you've got - 'til it's gone...

Klassischer Spruch, nichts Überraschendes, und nun trifft er also auch auf diese Schule zu, an der ich arbeite. Jetzt, wo ich quasi weiß, dass ich die Schule (aller Voraussicht nach) werde verlassen müssen, wird mir bewusst, was ich daran habe.

Mir wird bewusst, dass ich jetzt ein knappes Jahr dort unterrichtet habe. Mir wird bewusst, dass sich endlich die ersten Kollegen richtig an mich gewöhnen, mit all' meinen "Sonderlichkeiten". Sicherlich mag eine Frau Reichelt mich sofort akzeptiert haben, aber sie ist eine Ausnahme, ihrer Persönlichkeit geschuldet. Es dauert immer ziemlich lange, Anerkennung im Kollegium zu erhalten. An jeder neuen Schule. Auch in Brachenfeld.

Mir wird bewusst, dass ich im Kollegium ein paar Menschen gefunden habe, die mich bereits jetzt unterstützen. Und die es nicht ganz leicht ertragen, dass ich im Sommer gehen muss. Das zeigt mir, dass ich auch dort wieder einen Fußabdruck hinterlassen habe, und das tut mir ganz besonders weh: Ich möchte endlich irgendwo nachhaltig wirken können. Diese Nichtigkeit des Ganzen erklärt sich mir nicht. Ich kann das nicht verarbeiten und es nimmt mir die Motivation, an einer neuen Schule überhaupt noch etwas schaffen zu wollen, ausgehend davon, dass ich dort eh' wieder werde gehen müssen.

Mir wird bewusst, dass ich wieder eine Menge Kinder und Eltern ohne Erklärung zurücklasse. Sie werden nicht verstehen, dass dieser Lehrer gehen muss, ausgerechnet. Sie können das System des Bildungsministeriums nicht verstehen, und ich frage mich, ob Klassen-, Stufen- oder Schulleitung ihnen das irgendwie werden vermitteln können. Oder wollen. Letzteres scheint nicht immer gewünscht zu sein.

Mir wird bewusst, dass im Juli eine Projektwoche ansteht. Dass ich in der letzten Woche des Schuljahres ein Projekt anbiete unter dem Titel Mit Stift und Papier: Rollenspiele selbstgemacht!, mit dem Ziel, ein paar Jugendliche für die Dauer des Projektes wegzubekommen von Handy, Konsolen, MP3-Player, jeglichen anderen Medien als Papier, Stift und menschlicher, direkter Kommunikation. Mit dem Ziel, dass sie ein echtes Erlebnis mitnehmen, von dem sie ihren Freunden erzählen. Mit dem Ziel, dass ich das mal wieder machen kann, und noch mehr Jugendliche davon begeistern - und mir wird bewusst, dass es mit diesem Ziel nichts wird.

Mir wird bewusst, dass ich immer mehr Schüler entdecke, die anders ticken als die Norm. Die anders getaktet sind. Die vielleicht hochbegabt sind. Immer mehr Fragen kann ich klären, immer mehr Verständnis, immer mehr Aufklärung bewirken an einer Schule, die davon sehr profitieren kann. Und jetzt, wo es gerade richtig losgeht, wird das Projekt eingestampft. Es wird keine HB-Sprechstunde geben (oder wie auch immer es geheißen hätte).

Mir wird bewusst, dass ich keine weitere Werbung für Latein an dieser Gemeinschaftsschule werde machen können. Da mache ich eine Schnupperstunde für dieses Fach, kann tatsächlich ein paar wenige Schüler dafür interessieren, und das war es dann auch schon. Ich erlaube mir kein Urteil darüber, ob ein anderer Kollege vielleicht ebenso viel Interesse wecken konnte. Ich sage nur, dass ich den Funken, den ich bei den Wenigen erzeugt habe, leider nicht in ein Feuer werde entfachen können. Und das tut mir sehr leid für die Schule, und es tut mir persönlich weh, der ich seit mittlerweile dreieinhalb Jahren kein Latein mehr unterrichten konnte.

Mir wird bewusst, dass ich an einer neuen Schule wieder den ganzen Gegenwind würde ertragen müssen. Wieder würde das Kollegium mich misstrauisch beäugen, so wie mittlerweile vier Mal. Wieder würden Eltern von den Erzählungen ihrer Kinder verwirrt werden. Wieder müsste ich mich meiner Schulleitung von Null auf erklären. Wieder würde ich mit gesenktem Kopf durch die Schule gehen, monatelang. Wieder würde ich um jeden Funken Anerkennung ringen, ohne mich dabei zu verstellen. Wieder würde ich lange dauaruf hinarbeiten müssen, dass die Schule irgendwann stolz auf ihren komischen, ungewöhnlichen Dr Hilarius ist.

Und genau deswegen bricht da für mich eine Welt zusammen, und das lasse ich nicht so einfach zu. So leicht werde ich diesmal nicht aufgeben.

Ich habe den Namen einer Kieler Psychologin mit Schwerpunkt Hochbegabung, und wenn es nötig ist, werde ich mir von ihr ein ärztliches Gutachten einholen, dass ein weiterer Schulwechsel mir nicht zuzumuten ist, schon gar nicht mit neuerlicher Unsicherheit hinsichtlich einer Weiterbeschäftigung. Der Sachbearbeiter im Arbeitsamt hat mir im letzten Jahr erklärt, wenn so ein ärztliches Gutachten vorläge, könne man damit begründen, warum ein Jobangebot zum Beispiel in Elmshorn ausgeschlagen werden kann und weiterhin ALGI bezogen werden kann.

So unangenehm mir dieser ganze bürokratische Krieg dräut, ich werde da rangehen, wenn es mir vielleicht hilft, irgendeine Perspektive an dieser Schule einzuräumen.

Denn ich möchte wirklich in Brachenfeld bleiben.

post scriptum: Ich habe diesen Artikel zum ersten Mal wieder mit Zehn-Finger-System geschrieben, ich bitte zu viele oder zu wenige oder aber falsche Buchstaben im Text zu entschuldigen, ich muss mich erst wieder daran gewöhnen. Aber es fühlt sich so gut an, endlich wieder schnell schreiben zu können...

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