Donnerstag, 11. Mai 2017

Schwarz färbt ab

Wie geil: Mittlerweile gibt es selbst meinen favorisierten Nagellackentferner in schwarz!

Vorwort: Bei den X-Files gibt es zwei Typen von Episoden. Sogenannte "Monster-of-the-Week-Episodes", die keinen Bezug zur Geschichte im Hintergrund haben, sondern unabhängige Fälle berichten, und "Mythology"-Episoden, die den über die gesamte Serie hinweg ragenden Storybogen fortführen. Ähnlich kommt es mir gerade in diesem Blog vor: Es gibt Beiträge, die wie Tagebucheinträge fungieren - die von meinem täglichen Auf und Ab berichten und gern kitschig und emotional sind und wahrscheinlich für manch' einen Leser sehr albern wirken. Und dann gibt es solche, die einzelne Themen behandeln, und die ich von allzu emotionalen Komponenten freizuhalten versuche. In der Literatur würde man wohl von "comic relief" sprechen, mal mehr, mal weniger komisch. Heute geht es um die schwarze Seuche, und ich blende wieder alles aus, was irgendwie belasten könnte. Das ist absolut notwendig, um überhaupt einigermaßen funktionieren zu können.


Wie Schüler so sind:

Er hat noch nie Kajal getragen. Jungs machen sowas nicht. Er ist noch nicht einmal auf die Idee gekommen, Kajal zu benutzen. Aber jetzt musste es einfach mal sein, er wollte einmal wissen, wie sich das so anfühlt, und was die Anderen sagen. Und er hat sich einen neuen Sitzplatz gesucht: In der ersten Reihe, direkt vor dem Lehrerpult, und war immer voll bei der Sache.

Sie hat zum ersten Mal in ihrem Leben eine schwarze Haartönung ausprobiert. Was ihre Mutter davon gehalten haben mag? Egal, sie hat es gemacht, und hat nun schwarze Haare. Sie möchte wissen, wie das bei ihren Mitschülern ankommt. Sie hat sich nicht in die erste Reihe gesetzt - aber sie hat hinten aufmerksam gesessen und dem Unterricht zugehört, und sich ab und an einmal gemeldet. Anders als in den Fächern, in denen sie weiterhin ihre "Fickt euch alle"-Attitüde zur Schau stellte.

Er hat Nagellack aufgetragen. Natürlich schwarz, fein säuberlich - und fällt damit auf. Welcher Junge lackiert sich die Fingernägel? Was sein Vater sich wohl gedacht haben mag, als er das gemacht hat. Ich vermute, er konnte ihm eine überzeugende Erklärung liefern, genauso wie er von da an eine verdammt gute Unterrichts-Performance abgeliefert hat, ohne Angst davor, sich zu melden und etwas Falsches zu sagen.

Sie geht mit Kopftuch in die Schule, denn das ist eine Tradition, die sie wahren möchte. Doch seit ein paar Wochen trägt sie vermehrt schwarze Kopftücher und findet das sehr elegant. Und endlich, endlich meldet sie sich im Unterricht, sie gibt richtige Antworten und strahlt, wenn sie dafür gelobt wird: Ein Gefühl, das sie vorher nicht kannte.

Wie Schüler eben so sind, wenn ein neuer Lehrer an die Schule kommt. Natürlich ist dieses Verhalten nicht unerklärlich. Natürlich zeigt es, dass Schüler selbst aussuchen, wen sie sich zum Vorbild nehmen. Natürlich bekräftigt es, dass die Vorbildfunktion, die der neue Lehrer ganz nebenbei eingenommen hat, wenig zu tun hat mit der Vorbildfunktion, die ihm das IQSH vermittelt - nämlich dass er keine auffällige Kleidung tragen soll, dass er zum Beispiel keine kurzen Hosen tragen soll (Quelle: Referendariatsbroschüre im Jahr zweitausendzwölf), um die Schüler nicht vom Unterricht abzulenken und um eine gesunde Distanz zwischen Schülern und Lehrkraft zu wahren. Um zu signalisieren, dass er eben keiner von ihnen ist. Natürlich zeigt es auch, dass die professionelle Distanz zwischen Schülern und Lehrkraft nicht bedeuten soll, dass man als Lehrer nicht zeigen darf, dass man auch ein Mensch ist. Nichts davon überrascht, und so wird das Schwarz auch an eventuellen zukünftigen Schulen abfärben.

Was ich allerdings bemerkenswert finde, ist, dass diese "Verseuchung" stattfindet unabhängig von der Schulart, unabhängig vom sozialen Hintergrund oder häuslichem Bildungsstand, unabhängig von der Klassenstufe und unabhängig vom Geschlecht der Schüler. Sie zeigt uns, dass jeder Schüler individuell ist, dass wir sie nicht in Schubladen werfen sollten ("Jungs tragen kein Kajal!"), sondern jeden mit seiner individuellen Seelenwelt wahrnehmen.

Und auch das ist eigentlich nicht überraschend.


post scriptum: Ich habe heute nichts geschafft. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauert, diesen Brief an die Schulleitung zu schreiben. Nach jedem "Akt" habe ich eine Pause gemacht - weil es eben doch belastend ist. Aber ich wollte alles drin haben, ich wollte, dass der Leser versteht, wie sich die letzten zehn Monate für mich angefühlt haben. So wie ich das an dieser Stelle geschrieben hatte. Und das braucht scheinbar sieben eng computergeschriebene Seiten.

Anlass für diesen Beitrag? Der Satz einer Schülerin: "Sie können jetzt nicht gehen, ich habe gerade angefangen, schwarz zu tragen!" 

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