Dienstag, 16. Juli 2019

Ein feiner Unterschied


Sechs Jahre lang habe ich es geradezu professionell geschafft, nicht zu einem Intelligenztest zu gehen. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Szene, vor sechs Jahren, als Die Tante mich zu meinem dreißigsten Geburtstag damals in Husum besucht hat, und wir vor einem Café gesessen haben. Ich war damals ganz neu auf die Idee gekommen, dass ich hochbegabt sein könnte. Ausgelöst durch ein Modul - das einzige Modul bei Herrn Biethahn, aus dem ich etwas für mich mitnehmen konnte - in Pädagogik, nämlich Besondere Lernausgangslagen.

Und so habe ich mit DT ein wenig philosophiert über das Dreißigsein und die Pläne, und zu diesen Plänen gehörte auch, endlich einen wissenschaftlichen Intelligenztest zu machen. Wie wir sehen, habe ich immer wieder erstaunliche Gründe gefunden, den Test noch zu verschieben, Lieblingsausrede: "Ich habe Angst vor einer schlechten Performance im Intelligenztest, weil meine Lebenssituation gerade so scheiße ist." Referendariat und so.

An dieser Situation hat sich, genau genommen, bis heute nicht viel geändert, und so habe ich immer wieder Kollegen davon erzählt, dass ich "bald" mal einen Test würde machen wollen. Häufigste Reaktion darauf: "Und was bringt dir das?" Und diese Frage war gar nicht so unberechtigt, was würde sich denn damit für mich ändern? Zumindest nichts an der Art, wie ich bin, aber es würde mir ganz viele "Warum verhalte ich mich so?"-Fragen beantworten.

Dieser Tage geht es mir nicht mehr um den Intelligenztest, sondern um ein psychiatrisches Gutachten. Und wenn mir das dann tatsächlich eine Form von Autismus bescheinigen sollte, was bringt mir das dann? Ein kleiner, aber feiner Unterschied zur damaligen Antwort, denn es geht nicht mehr nur darum, Antworten auf offene Fragen zu bekommen. Es geht mir darum, dass ich mir keine Vorwürfe mehr machen muss:

Irgendwie machst Du alles falsch.
Dass Du nicht normal bist, ist Deine eigene Entscheidung gewesen.
An jeder neuen Schule versaust Du es Dir mit der Schulleitung.
Du musst Dein Verhalten ändern!

Sind nur ein paar Gedanken, aber sie haben mich jetzt teilweise jahrzehntelang durch mein Leben begleitet. Ich könnte endlich die gedankliche Freiheit bekommen, zu wissen, dass ich so geboren bin - dass ich keine Schuld dafür trage.

Und das ist ein bisschen mehr als nur "Antworten bekommen".

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