Was ist es, das wir im jeweils Anderen sehen? Was lässt uns entscheiden, ob wir ein Vertrauen oder eine Distanz aufbauen? |
Langsam wird es spürbar, greifbar, nicht mehr nur wie ein Nebel im Kollegium, sondern teilweise wie eine Wand, die ich nicht sehen, nicht greifen kann, aber ich spüre, dass sie da ist und fühle, dass ich die Menschen dahinter nicht mehr erreichen kann. Hier eine gerunzelte Stirn, da ein abfälliger Blick, dort eine abgewandte Körperhaltung. Ich kann noch so viel gegenan lächeln: Das wird nichts. Und es kommt mir so bekannt vor - I've been down that road a million times...
Okay, ich versuche immer wieder, mich in den Anderen hineinzuversetzen. Das klappt auch recht gut, ich bekomme den neuen Blickwinkel, ich erhalte die Außensicht von Dr Hilarius. Was ich allerdings bisher nicht gut fühlen kann, ist die Verschlossenheit mancher Menschen. Das fällt mir ernsthaft schwer. Denn bis dahin kann ich die Situation verstehen:
Da kommt ein Mensch, den kenne ich nicht. Er ist groß, er trägt schwarz, und zwar komische Klamotten, und komischen Schmuck. Er sieht aus wie so ein Punk. Muss ich nichts mit zu tun haben (hier geht das mit der Verschlossenheit los) und versuche ihm aus dem Weg zu gehen. Gibt ja genügend Platz hier, dass man sich nicht so oft begegnet. Man, das nervt, nur weil der neu ist, reden die momentan über ihn. Und was gefällt den Schülern daran? Der soll Unterricht machen und sich nicht mit ihnen verbünden. Was höre ich? Der soll eigentlich ganz nett sein, sagt ein Kollege? Ne lass mal, muss ich nicht haben (es passt so wohl besser in das Schubladenmodell, glaube ich) - jetzt lackiert der sich noch die Fingernägel, und sitzt bei einer Versammlung da und löst Rätsel, der scheint sich echt für was Besseres zu halten. Ach ja, ich vergaß, er ist ja hochbegabt, ich kann den nicht leiden. Der soll mal erstmal sein Referendariat machen, dann merkt er, dass das hier der falsche Beruf für ihn ist.
Und es gibt auch noch ein anderes Narrativ - Er würde das wiedererkennen (irgendwann zeige ich Ihm diesen Text mal), denn Er hat das live miterlebt und es hat Ihn echt verletzt, darauf werde ich dann danach eingehen:
Wer ist denn dieser Hilarius, von dem Er jetzt dauernd erzählt? Kenn ich nicht, hab ich noch nie gesehen, Er fährt ja auch immer zu ihm hin und bringt ihn nicht einmal mit oder so. Komischer Mensch. Warum will Er immer etwas mit ihm zusammen machen? Bah, dieser Hilarius macht sich bestimmt an Ihn ran, Er sollte sich echt in Acht nehmen, ich kenn' solche Typen. Warum fährt Er denn jetzt schon wieder zu ihm? Ich will gar nicht wissen, was die zusammen machen! Zu spät, jetzt hat Er mir davon erzählt, Hilarius ist bestimmt so ein kranker Typ. Ob wir mal was zusammen machen wollen, fragt Er mich jetzt, ne lass mal, mir ist der Typ suspekt. Er sollte lieber auf mich, seinen "besten Freund" hören, da wird nix Gutes bei rauskommen. Oh nein, jetzt fragt Hilarius mich auch noch, ob ich Lust hab', bei einer kleinen Überraschung für Ihn mitzumachen? Was für ein Scheiß soll das sein? Ich erzähl Ihm besser mal gleich davon, dann kann Er ihm absagen. Ich will mit dem nichts zu tun haben.
Und das hat "Er" eben alles miterlebt, und es hat Ihn wirklich verletzt. Nicht nur, weil Er dachte, dass jener hier Beschriebene Sein bester Freund war (weil sie einfach WG-bedingt viel Zeit und viele Erlebnisse zusammen hatten), sondern weil Er Dr Hilarius wirklich mochte. Wirklich sehr, und es hat Ihn verletzt, wie jener "beste Freund" in seiner Verschlossenheit Hilarius immer wieder kleingemacht hat und ihm ausgewichen ist. Er konnte das nicht verstehen. Dieses Misstrauen. Und wenn es nur seitens seines besten Freundes gewesen wäre, wäre das eine Sache. Aber es ist Ihm überall begegnet: Seitens Seiner Eltern, Seiner Freundin, Seiner Kumpels, und das hat Ihn verstört, verletzt, verunsichert, es hat Ihn schweigsam gemacht.
Er stand vor einer Entscheidung: Würde Er Hilarius einfach abschieben? Dann müsste Er sich endlich nicht mehr dem Misstrauens-Dauerfeuer stellen, sondern könnte Sein Leben in der bisherigen Form weiter genießen. Dazu kam ja auch, dass Dr Hilarius mit Ihm nicht gerade zimperlich umgegangen ist. Er hat Ihm mehr als nur einen Spiegel vorgehalten und ihn ordentlich zurechtgewiesen.
Er hat sich entschieden. Und das habe ich nie verstehen können: Er hat sich entschlossen, zu schweigen, um das Misstrauen Seiner Freunde nicht weiter ertragen zu müssen, aber bis heute hat Er zu mir gehalten. Das hat mich verwirrt, warum sollte Er das tun? Das mit dem Misstrauen und der Abkehr wäre ein für Ihn viel einfacherer Weg gewesen, so machen es Viele. Mittlerweils habe ich eine mögliche Erklärung.
Die Menschen, die mir nicht (mehr) mit Misstrauen begegnen, sind wenige, und ich freue mich über jeden Einzelnen. In der Schule sind es noch weniger, aber das braucht Zeit, das bekomme ich immer wieder zu hören. "Gib' den Menschen Zeit und Gelegenheit, dich besser kennenzulernen, damit sie merken, dass ihre Vorannahmen falsch sind. Versuch' nicht, ihre Verdächtigungen mit ungewöhnlichem Verhalten zu untermauern. Sei geduldig."
Das fällt mir schwer. Aber es klappt dank der Menschen, die mich dabei unterstützen. Vielleicht wird das Misstrauen dann irgendwann verschwunden sein.
post scriptum: Meine Ma rät mir öfters, mich dann beim ersten Kontakt - auch wenn es unangenehm ist und schwerfällt - mich etwas anzupassen, damit die Menschen nicht gleich ablehnend auf mich reagieren. Ich verstehe den Ratschlag. Ich versuche dann, ihr zu erklären, dass ich mich etwa zweiundzwanzig Jahre lang an die Erwartungen meiner Mitmenschen anzupassen versucht habe - und dass ich dabei draufzahle. Dass ich mich nicht wohlfühle. Und früher oder später müssen die Menschen eh' erfahren, dass mit mir "etwas nicht stimmt". Deswegen habe ich vor ein paar Jahren beschlossen, offen und konfrontativ damit umzugehen. Auch wenn es eine Distanz zu den Menschen aufbaut: Wenigstens fühle ich mich in meiner eigenen Haut wieder wohl und kann mir selbst treu bleiben. Wie sagte Thekla einst?
"Bleib', wie du bist. Die Menschen werden immer versuchen, an dir herumzufeilen, lass' sie ruhig. Sie dürfen aber nichts abschlagen!"
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