Donnerstag, 19. Januar 2017

From okay to not

Ich hab' das Bild von einer Aktionswebsite gegen  Gewalt gegen Frauen geklaut - einfach weil der Hashtag hier ganz gut passt...

Eigentlich wäre es Zeit, nach dem (für mich) etwas unbequemen Beitrag von gestern über Pädophilie wieder etwas leichter Bekömmliches zu schreiben. Tatschlich geistert in meinen Gedanken bereits ein Artikel über einen französischen Downtempo-Künstler rum, der mich seit einiger Zeit immer stärker begeistert. Ich möchte ihm aber noch etwas Zeit geben, mich noch mehr zu begeistern, also widme ich mich heute einem Spruch, dessen Bedeutung ich an einer neuen Schule leider immer wieder erfahren muss:

Die beste Lüge ist die Wahrheit: Die glaubt einem keiner!

Seitdem ich weiß, mit welchen Problemen ich (aufgrund der Hochbegabung) im Schulalltag zu kämpfen habe, gehe ich offen und konfrontativ damit um. Ich erzähle den Menschen davon, weil ich aufklären möchte. Ich kann nicht erwarten, dass sie Verständnis zeigen, aber alles unter den Teppich zu kehren und mit mir selbst abzumachen, das führt letztlich nicht zu einer Besserung der Lage.

Deswegen erzähle ich Menschen, für die diese Information relevant sein könnte (wie zum Beispiel meiner zukünftigen Schulleitung bei einem Bewerbungsgespräch) von den Problemen, mit denen ich als hochbegabte Lehrkraft zu kämpfen habe. Ich werde dabei explizit, ich erzähle Anekdoten von meinen bisherigen Schulen. Die Reaktion der Schulleitungen war dabei bisher einhellig - und auch, wenn ich mit manchen Kollegen spreche, bekomme ich immer wieder die gleichen Sätze zu hören:

"Ach, mach' dir darum keine Sorgen, solche Probleme haben wir auch."
"Das ist vollkommen okay, das geht auch normalbegabten Menschen so."
"Machen sie sich darum keine Gedanken, solche Situationen erleben wir alle mal im Unterricht."

Das ist also alles vollkommen okay.

Woher wissen die Leute das? Sie kennen mich nicht! Und ich kann ihnen noch so viele Anekdoten erzählen, noch so viele Szenen aus meinem Alltag, es ist immer wieder alles okay, oder nicht so schlimm, oder das bekommen wir schon hin. Und ich Vollidiot habe mir anfangs dabei auch noch gedacht, die Menschen meinen das wirklich so. Dabei gibt es drei wesentliche Gründe, warum sie das sagen:

1. Sie haben eine Lehrkraft wie mich noch nie zuvor erlebt, haben also keinerlei Erfahrungswerte, auf denen sie ihre Einschätzung basieren könnten ("Danke, dass ich nach vierzig Dienstjahren nochmal so jemanden erleben durfte!" habe ich mir nicht für den künstlerischen Effekt ausgedacht - danke, Henning, ich vermisse Euch alle wirklich sehr!).

2. Sie lesen meine dienstliche Beurteilung, die fabelhaft klingt und von all den Problemen, die ich im Beruf habe, nichts erwähnt; das ist der Hauptgrund, warum ich das im Bewerbungsgespräch immer wieder anführe. Nein, sie haben das Gutachten gelesen und denken sich "Den will ich mal an meiner Schule haben, der klingt interessant".

3. Sie wollen mir die Ängste nehmen, die ich aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen an Schulen mit mir herumtrage. Sie meinen das ernst, sie wollen irgendwie verhindern, dass ich aufgrund meiner Unsicherheiten oder meiner eigenen Unzulänglichkeiten das Stellenangebot ausschlagen könnte. Das geht soweit, dass sie sich meine Anekdoten nicht mal richtig anhören - ich kann ihnen das nicht verübeln, sie sind Schulleiter großer Schulen, sie haben in dem Moment viel Anderes im Kopf. Sie gehen in das Bewerbungsgespräch mit "Den will ich hier haben" und achten gar nicht wirklich darauf, was ich erzähle.

Und das hat Konsequenzen. So ist tatsächlich alles vollkommen okay. Auch wenn ich um Beratungsgepräche bitte, weil ich merke, da kommen Probleme, es hat nur noch nicht so richtig gekracht. Da heißt es dann vielleicht "Wenn wir Inklusion leben, dann gilt das selbstverständlich auch für das Kollegium" oder so ähnlich, und man versucht mir Mut zu machen.

Doch dann knallt es. Dann kommt irgendwann, früher oder später, eine der mir mittlerweile hinlänglich bekannten Dr Hilarius-Grenzüberschreitungen. Kinder erzählen ihren Eltern davon, die Eltern drehen durch und melden sich bei der Schulleitung. Und die Schulleitung meldet sich bei mir, und plötzlich heißt es "Also DAS geht wirklich GAR nicht!" zu genau dem gleichen Sachverhalt, der Tage, Wochen, Monate zuvor noch vollkommen okay war.

From OKAY to NOT.

Dann heißt es nicht mehr "das geht uns allen so", "diese Probleme haben wir doch alle mal" und so weiter. Dann werden die Sätze deutlicher.

"Da brauchst du echt professionelle Hilfe."
"Das ist eine Störung, das musst du beseitigen lassen."
"Hier haben mehrere psychische Probleme, die tragen wir auch nicht in den Beruf." 
"Da hast du eine riesige Baustelle."

Und ich kann nur schwer ausdrücken, wie sehr mich das verletzt. Denn händeringend habe ich immer wieder versucht, klarzumachen, dass mir die ganze Sachlage vollkommen bewusst ist. Aber nein, die Leute müssen mir dann wieder demonstrieren, dass sie es ja besser wissen, dass ich scheinbar in einer Phantasiewelt lebe, wenn ich glaube, der Lehrberuf wäre das Richtige für mich.

Es kotzt mich an. Aber jemand hat mir beigebracht, dass die richtige Haltung in so einer Situation nicht sein kann "Hier versteht man mich nicht, ich will hier weg.", sondern "Hier muss ich darum kämpfen, ein Verständnis zu erzeugen." Denn hier ist ein Potential, ein Sachverhalt, den ich irgendwann vielleicht verbessern kann.

Und deswegen würde ich gern an meiner Schule bleiben, egal, ob okay oder nicht. Denn, und das mag man glauben oder nicht: Für die Schülerinnen und Schüler, und um die geht es letztlich, bin ich vollkommen in Ordnung. Anders, aber gut. Das Umdenken muss in den Köpfen der Erwachsenen stattfinden, denn wie sagte einst jemand so treffend?

Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.

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