Ich höre sehr gern Musik. Welchen Musikstilen ich mich dabei zuwende, wechselt in Phasen. In meiner Teenagerzeit war ich mit Leib und Seele Raver, in meinen frühen Twens wandte ich mich dem Gothic Metal zu, später der ganzen Schwarzen Szene. Es folgte eine Goa- und Psytrance-Phase und über Psybient und Ambient bin ich dann im Downtempo gelandet.
Epische Musikstile habe ich vornehmlich beim Metal kennengelernt, von Bands wie Edenbridge, Nightwish oder Epica habe ich gelernt, dass ein Musikstück nicht immer drei Minuten und fünf Sekunden dauern muss, es geht auch umfangreicher. Als Komponist sollte man sich allerdings immer bewusst sein: Bei der Ausdehnung eines Stückes auf eine lange Spielzeit wird eine gut überlegte Songstruktur unabdingbar. Nightwish - Ghost Love Score ist ein Beispiel für eine epische Komposition. Aber was bedeutet das überhaupt?
Das griechische Verb eipeîn bedeutet in etwa "erzählen", ein épos ist dem gemäß eine "Erzählung". Man nennt ein Musikstück episch, wenn es eine Geschichte erzählt, mit einer Einleitung, einem Hauptteil und einem Schluss und Spannungsbogen. Das wird oft mit umfangreicher, gern bombastischer Orchestrierung bewerkstelligt, die Musikgeschichte hat uns reich beschert mit Epen ohne Ende (wörtlich).
Aber wie passt Bombast mit Ambient zusammen? Kann es epische Ambient-Stücke geben?
Der Franzose Alexandre Scheffer kann das. Unter dem Namen Cell hat er auf verschiedenen Compilations epische Downtempomusik beigesteuert, die in diesem Blog zumindest einmal erwähnt sein soll - denn er hat das wirklich richtig gut gemacht.
Ich erwähne zunächst das Stück Floating Retention. Ich habe vor einer Weile auf die Compilation Oxycanta hingewiesen; Scheffer hat hierzu das Mittelstück beigesteuert, definitiv ein Höhepunkt. Sehr leise und ruhig beginnt das Werk, man hat als aufmerksamer Zuhörer viel Zeit, sich auf die Tonart einzustellen und die Soundsamples kennenzulernen, mit denen Scheffer hier arbeitet. Nach und nach baut sich ein Klangteppich auf, es kommt Bewegung in die Erzählung, es wird richtiggehend dramatisch. Man spürt, wie sich eine Situation zuspitzt, das Werk wird drängender, ohne dabei die Tonspuren zu überfrachten, wie man das z.B. vom Power Metal kennt (was nicht heißen soll, dass das schlecht ist). Das nennt man dann subtil.
Man spürt genau, wann der Höhepunkt erreicht ist, sozusagen die musikalische Peripetie. Und dann? Ganz langsam und in aller Ruhe fährt Scheffer seine Sounds runter, kein hastiger Abbruch, noch immer klingen die Harmonien nach, er dünnt die Tonspuren aus, bis nur noch ein einziger Ton bleibt, der in das folgende Musikstück überleitet. Die Spieldauer von mindestens zehn Minuten ist genau gestaffelt und voll ausgenutzt, kein Füllmaterial.
Floating Retention ist nach Meinung dieses Bloggers das "mächtigste" Stück auf der CD Oxycanta. Da passt es ganz gut, dass es in der Mitte positioniert ist - und der Song wirkt nach. Scheffer hat aber auch andere Stücke gebracht, die diesem Anspruch - episch und ambient - gerecht werden. Ich empfehle hier das Stück Idea Spiral, das sich auf der Compilation Greenosophy findet (in der Version vom Ozora-Festival in 2011; Ozora sollte für jeden Psy-Freund ein Muss sein). Gleich beim ersten Anhören hat der Song mit seinen markanten Tönen einen bleibenden Eindruck hinterlassen - Alexandre Scheffer weiß, was er da tut.
Wer das volle Wirkpotential dieser Stücke erleben möchte, sollte alle störenden Einflüsse abschalten (Licht, Telefon, whatever) und dann für zehn bzw. zwölf Minuten ganz auf die Musik fokussiert sein. Viel Spaß!
post scriptum: Läse Flo diesen Beitrag, so wunderte er sich, dass ich nicht Entheogenic's "Love Letters to the Soul" hier erwähnt habe. Der Song bedeutet mir so viel, dass ich ihm zu gegebener Zeit einen eigenen Eintrag widmen werde.
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