Dienstag, 31. Januar 2017

Gespräch mit Bruder

Es reicht, wenn Dr Hilarius (mit den Armen oben) in der Achterbahn schnell unterwegs ist...

Eigentlich hätte dieser Beitrag auch Einhundertundzehn v2.0 oder Entschleunigung v2.0 heißen können. Hat nämlich wieder was mit der Geschwindigkeit zu tun.

Aber zuallererst mit meiner Sturheit: Ich nehme keine Tipps von anderen Menschen an. Ich höre sie mir gern an, aber setze nichts um, von dessen Wirksamkeit ich mich nicht selbst überzeugt hätte. "Die Platte ist heiß!" - jaja, und trotzdem fasse ich drauf. "Den Film musst du unbedingt sehen!" - jaja, und ich kenne ihn bis heute noch nicht. "Du solltest mal dies und das im Unterricht machen!" - jaja, ich bleib' bei lehrerzentriertem Frontalunterricht. Es kommt selten vor, dass ich einen Denkimpuls von irgendjemandem nicht nur umsetze, sondern vielleicht sogar in meinen Alltag integriere. Denn ich sage mir "Wenn ich möchte, dass etwas gut gemacht wird, mache ich es am liebsten selbst", und so tappe ich natürlich auch erstmal in alle verfügbaren Fallen, bevor ich gangbare Wege gehe.

Und so fuhr ich kurz nach Weihnachten im Auto meines Bruders zurück nach Kiel, während Familienwagen Nr.2 auf die Werkstatt und TÜV-Begutachtung wartete. Und unter anderem haben wir uns auch darüber unterhalten, welche Fahrweise auf der Autobahn wohl sinnvoll ist. Ich fahre viel zu oft zu schnell. Denn ich denke schnell, ich bin drei Schritte weiter, ich fahre schnell, blablabla, der geneigte Leser kennt diesen Sermon bereits. Und ich kann noch so oft schreiben, wie gut mir Entschleunigung tun würde, das heißt nicht, dass ich es umsetze.

Mein Bruder hat da die Ruhe weg, die Gelassenheit von seinem Vater geerbt, und erzählt mir, dass er auf der Autobahn nicht schneller als mit hundert Sachen fährt. Bitte was? Ich mein', da sind immerhin hundertzwanzig erlaubt (A210). Und auf der A215/A7 darf man auch schneller fahren, ich hab' morgens eh' keine Zeit zum Trödeln. Nein, er fährt Strich hundert und macht es mir vor: Be the change you wish to see in the world. Und dann habe ich mir vorgenommen, dass ich es zumindest einmal ausprobiere: Eine Tankfüllung lang ausschließlich hundert fahren.

Das ist mir am Anfang echt schwergefallen... aber dann kamen sie, nach und nach, die positiven Effekte:

- der Tank reicht für etwa sechzig Kilometer mehr
- mein Blutdruck bleibt unten und ich entspannt
- die Anderen können alle gern überholen
- ich brauche nicht länger als mit der anderen Fahrweise

Ist das geil! Zu erleben, wie es mal die anderen Autofahrer sind, die alle gehetzt überholen, drängeln, whatever, und selbst vollkommen seelenruhig die Strecke abzuklappern. Toll. Das behalte ich jetzt erstmal eine Weile bei.

Und so habe ich einen Denkimpuls übernommen. Danke, Bruder!

Montag, 30. Januar 2017

Was haben Straßenbahnen mit Freizeitparks zu tun?


So auf den ersten Blick vielleicht nichts. Oder vielleicht denkt der geneigte Leser sich, nun ja, Straßenbahnen fahren auf Schienen, Achterbahnen tun das auch, vielleicht war die Straßenbahn ein Vorläufer für moderne Achterbahnen.

Wer das denkt, sollte allerdings nach Russland schauen; dort gab es schon verhältnismäßig früh Schnee- und Eisrutschen, bei denen man auf einen "Berg" (oder auch mal einen Turm) stieg und dann hinabrutschte. Eine Menge Spaß! Und ein Beweis dafür, dass es sich hierbei um einen spirituellen Vorläufer der Achterbahnen handelt, findet sich in der spanischen Bezeichnung für "Achterbahn" wieder: montanya rusa, russischer Berg. Ganz interessant in diesem Zusammenhang: Ausgerechnet in Russland nennt man diese Bahnen amerikanskiye gorki - amerikanische Berge. Doch zurück zur Straßenbahn.


Wir befinden uns knapp vor Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Amerika; wie so Vieles haben wir uns auch die Vergnügungsparkwelle dort abgeschaut, wenngleich sie in Deutschland erst mit dem zweiten Goldenen Zeitalter der Freizeitparks in den Siebzigern begann. Das erste goldene Zeitalter fand in den Staaten in den Goldenen Zwanzigern statt. Freizeitparks gab es da bereits seit über dreißig Jahren. Und die Straßenbahn hat den Grundstein dafür gelegt.

Trolleys (so der amerikanische Begriff für Straßenbahnen) waren absolut unverzichtbar, wenn man sich kein Auto leisten konnte und einigermaßen bequem von den Vororten der großen Städte, wo man wohnte, zur Arbeit in die Stadt kommen wollte. Tatsächlich verdienten die Trolley companies den Großteil ihrer Einnahmen durch Fahrgäste aus der working class. Wer so weit folgen konnte, wird sich fragen, was am Sabbat, am Sonntag war: An freien Tagen hatte so gut wie niemand einen Grund, die Straßenbahn zu benutzen, und so mussten trotz reduziertem Fahrplan kaum besetzte Bahnen Verluste einfahren.

Ein geniale Überlegung war es, einen Anreiz zu schaffen, warum man am Sonntag unbedingt mit der Straßenbahn unterwegs sein sollte. Dass der Sonntag von den meisten Menschen zum Abschalten genutzt wurde, um ein bisschen Zeit mit der Familie zu verbringen, überrascht niemanden. Also dachten sich die Bahnunternehmen, dass es gut wäre, einen Ort für Freizeit und Entspannung zu erschaffen, für den die Familien mit ihren Bahnen fahren mussten.

Aus diesem Grund bauten sie an manch einem line terminus - Endhaltestelle - kleine Freizeitparks, die als Trolley Parks große Popularität erlangen sollten. Hier könnten Familien im Grünen entspannen, Spiele spielen oder mit Karussells fahren. Hier kamen einige der ersten Holzachterbahnen Amerikas zu großem Ruhm - es störte auch keinen, wenn sie damals noch sehr ruppig waren. Es sollte an "Tortur" für den Körper noch nichts gegen das sein, was in den Zwanzigern anstand.

Die amerikanischen Trolley Parks sind also direkte Vorläufer der modernen Freizeitparks und eine Idee der Straßenbahngesellschaften. Und da hätten wir den Link, der ausnahmsweise mal nichts mit den Schienen zu tun hat, auf denen beide Fahrzeuge unterwegs sind.

Achterbahnen waren in den USA sehr populär. Man kann sich das heute nicht mehr so gut vorstellen, gerade in Deutschland ist es schwer, sich in die Golden Twenties hineinzuversetzen (übrigens ein Grund, warum The Great Gatsby so berühmt geworden ist: Dieses Buch fängt den damaligen Zeitgeist sehr authentisch ein).

Achterbahnen waren so revolutionär, versprachen so viel Spaß und einfach ein ungewohntes Erlebnis, das wollte jeder einmal ausprobieren, sofern er den Mut aufbringen konnte, sich in eines der hölzernen Ungeheuer zu setzen. Mut war nötig, und das nutzten die Betreiber von Achterbahnen aus: Sie appellierten an die Angst der Gäste, an die Chance, den eigenen Mut zu testen, und das nicht nur mit großen Worten: Es war nicht unüblich, dass eine Krankenschwester im Bahnhof der Achterbahn bereitstand, um eventuelle Übelkeit oder Blessuren zu verarzten.

Ja, Blessuren - noch so viele Verletzungen haben niemanden davon abgehalten, Achterbahnen wie z.B. Harry Travers Terrible Triplets zu fahren, eine besonders brutale Kreation eines Freizeitpark-Pioniers.

Was nun also Harry Traver mit Achterbahnen und Krankenschwestern zu tun hatte, und warum so viele Achterbahnen den Namen Cyclone trugen, darum soll es ein anderes Mal gehen.

Sonntag, 29. Januar 2017

Feel the Bern!


Feel the burn!

Im Englischen wird diese durchaus positive Redewendung benutzt, wenn man zum Beispiel im Training ist, Bodybuilding, und eine anstrengende Trainingssession hatte. Fühl' es brennen, fühl' den Schmerz! Als Beweis dafür, dass man etwas erreicht hat. In den vergangenen vierundzwanzig Monaten hat die homophone Variante mit dem Wort Bern eine ganz neue Bedeutung erhalten, die mich langsam, aber sicher begeistert. Leider erst nach der US-Wahl, und so geht es auch vielen Amerikanern. Das ist zwar schade, denn die Rede ist von Bernie Sanders, einem Senator des amerikanischen Bundesstaates Vermont, der zur Wahl des demokratischen Kandidaten angetreten ist und den weitaus erbittertsten Kampf geführt hat, aber er schließt sein Antreten in Zanzigzwanzig nicht aus. Und das freut mich, denn seine Popularität ist gewaltig und steigt weiter an. Woran liegt das? Ich habe von Sanders zuvor nie etwas gehört und fange erst jetzt an, mich mit diesem Menschen auseinanderzusetzen. Und ich frage mich, warum nicht noch viel mehr Menschen für ihn gestimmt haben. Aber wenn uns die US-Wahl Eines gezeigt hat, dann, dass die Popularität allein keinen Präsidenten macht.

Sanders ist besonders bei den jungen Menschen sehr beliebt. Ist es, dass seine politischen Ideen auf die Zukunft junger Menschen angelegt sind? Ist es die Art, wie er spricht? Laut, deutlich, mit Inbrunst und gezielt, als wolle er sein Gegenüber vernichten? Oder ist es vielleicht die Art, wie er Lügen und Bigotterie schonungslos aufdeckt? Ich könnte ihm stundenlang zuhören.

Als Lehrer hat mich natürlich die Anhörung der zukünftigen Bildungsministerin Betsy DeVos interessiert, und was Bernie ihr zu sagen hat. Einfach mal hineinschauen, gute Unterhaltung! Und bei dieser Gelegenheit auch gern das weibliche Bernie-Pendant anschauen, Senatorin Elizabeth Warren, ebenfalls voller Inbrunst, ebenfalls als Revolutionärin, ebenfalls unglaublich beliebt bei der Bevölkerung (zumindest der, die nicht zu den oberen Zehntausend gehört). Ich wünschte, manch ein junger, aufstrebender Politiker schaute sich Einiges von den beiden ab, um später genau so mitreißend zu sprechen und zu handeln.



Immerhin während meiner Zeit als Mitglied des Kieler Studierendenparlament habe ich den einen oder anderen Studierenden erlebt, der ebenfalls charismatisch gesprochen hat. Vollkommen zurecht wurde eine von ihnen in einem Jahr zur Präsidentin des Parlaments gewählt.

Ich wünschte, das Gros der amerikanischen Bevölkerung ließe sich nicht so leicht von Trump für dumm verkaufen. Aber dazu braucht es Intelligenz, einen breiten Wissens- und Erfahrungshorizont, Aufgeschlossenheit für andere Meinungen. Und das ist anstrengend.

Mit leerem Kopf nickt es sich leichter.

Samstag, 28. Januar 2017

Das Misstrauen

Was ist es, das wir im jeweils Anderen sehen? Was lässt uns entscheiden, ob wir ein Vertrauen oder eine Distanz aufbauen?

Langsam wird es spürbar, greifbar, nicht mehr nur wie ein Nebel im Kollegium, sondern teilweise wie eine Wand, die ich nicht sehen, nicht greifen kann, aber ich spüre, dass sie da ist und fühle, dass ich die Menschen dahinter nicht mehr erreichen kann. Hier eine gerunzelte Stirn, da ein abfälliger Blick, dort eine abgewandte Körperhaltung. Ich kann noch so viel gegenan lächeln: Das wird nichts. Und es kommt mir so bekannt vor - I've been down that road a million times...

Okay, ich versuche immer wieder, mich in den Anderen hineinzuversetzen. Das klappt auch recht gut, ich bekomme den neuen Blickwinkel, ich erhalte die Außensicht von Dr Hilarius. Was ich allerdings bisher nicht gut fühlen kann, ist die Verschlossenheit mancher Menschen. Das fällt mir ernsthaft schwer. Denn bis dahin kann ich die Situation verstehen:

Da kommt ein Mensch, den kenne ich nicht. Er ist groß, er trägt schwarz, und zwar komische Klamotten, und komischen Schmuck. Er sieht aus wie so ein Punk. Muss ich nichts mit zu tun haben (hier geht das mit der Verschlossenheit los) und versuche ihm aus dem Weg zu gehen. Gibt ja genügend Platz hier, dass man sich nicht so oft begegnet. Man, das nervt, nur weil der neu ist, reden die momentan über ihn. Und was gefällt den Schülern daran? Der soll Unterricht machen und sich nicht mit ihnen verbünden. Was höre ich? Der soll eigentlich ganz nett sein, sagt ein Kollege? Ne lass mal, muss ich nicht haben (es passt so wohl besser in das Schubladenmodell, glaube ich) - jetzt lackiert der sich noch die Fingernägel, und sitzt bei einer Versammlung da und löst Rätsel, der scheint sich echt für was Besseres zu halten. Ach ja, ich vergaß, er ist ja hochbegabt, ich kann den nicht leiden. Der soll mal erstmal sein Referendariat machen, dann merkt er, dass das hier der falsche Beruf für ihn ist.

Und es gibt auch noch ein anderes Narrativ - Er würde das wiedererkennen (irgendwann zeige ich Ihm diesen Text mal), denn Er hat das live miterlebt und es hat Ihn echt verletzt, darauf werde ich dann danach eingehen:

Wer ist denn dieser Hilarius, von dem Er jetzt dauernd erzählt? Kenn ich nicht, hab ich noch nie gesehen, Er fährt ja auch immer zu ihm hin und bringt ihn nicht einmal mit oder so. Komischer Mensch. Warum will Er immer etwas mit ihm zusammen machen? Bah, dieser Hilarius macht sich bestimmt an Ihn ran, Er sollte sich echt in Acht nehmen, ich kenn' solche Typen. Warum fährt Er denn jetzt schon wieder zu ihm? Ich will gar nicht wissen, was die zusammen machen! Zu spät, jetzt hat Er mir davon erzählt, Hilarius ist bestimmt so ein kranker Typ. Ob wir mal was zusammen machen wollen, fragt Er mich jetzt, ne lass mal, mir ist der Typ suspekt. Er sollte lieber auf mich, seinen "besten Freund" hören, da wird nix Gutes bei rauskommen. Oh nein, jetzt fragt Hilarius mich auch noch, ob ich Lust hab', bei einer kleinen Überraschung für Ihn mitzumachen? Was für ein Scheiß soll das sein? Ich erzähl Ihm besser mal gleich davon, dann kann Er ihm absagen. Ich will mit dem nichts zu tun haben.

Und das hat "Er" eben alles miterlebt, und es hat Ihn wirklich verletzt. Nicht nur, weil Er dachte, dass jener hier Beschriebene Sein bester Freund war  (weil sie einfach WG-bedingt viel Zeit und viele Erlebnisse zusammen hatten), sondern weil Er Dr Hilarius wirklich mochte. Wirklich sehr, und es hat Ihn verletzt, wie jener "beste Freund" in seiner Verschlossenheit Hilarius immer wieder kleingemacht hat und ihm ausgewichen ist. Er konnte das nicht verstehen. Dieses Misstrauen. Und wenn es nur seitens seines besten Freundes gewesen wäre, wäre das eine Sache. Aber es ist Ihm überall begegnet: Seitens Seiner Eltern, Seiner Freundin, Seiner Kumpels, und das hat Ihn verstört, verletzt, verunsichert, es hat Ihn schweigsam gemacht.

Er stand vor einer Entscheidung: Würde Er Hilarius einfach abschieben? Dann müsste Er sich endlich nicht mehr dem Misstrauens-Dauerfeuer stellen, sondern könnte Sein Leben in der bisherigen Form weiter genießen. Dazu kam ja auch, dass Dr Hilarius mit Ihm nicht gerade zimperlich umgegangen ist. Er hat Ihm mehr als nur einen Spiegel vorgehalten und ihn ordentlich zurechtgewiesen.

Er hat sich entschieden. Und das habe ich nie verstehen können: Er hat sich entschlossen, zu schweigen, um das Misstrauen Seiner Freunde nicht weiter ertragen zu müssen, aber bis heute hat Er zu mir gehalten. Das hat mich verwirrt, warum sollte Er das tun? Das mit dem Misstrauen und der Abkehr wäre ein für Ihn viel einfacherer Weg gewesen, so machen es Viele. Mittlerweils habe ich eine mögliche Erklärung.

Die Menschen, die mir nicht (mehr) mit Misstrauen begegnen, sind wenige, und ich freue mich über jeden Einzelnen. In der Schule sind es noch weniger, aber das braucht Zeit, das bekomme ich immer wieder zu hören. "Gib' den Menschen Zeit und Gelegenheit, dich besser kennenzulernen, damit sie merken, dass ihre Vorannahmen falsch sind. Versuch' nicht, ihre Verdächtigungen mit ungewöhnlichem Verhalten zu untermauern. Sei geduldig."

Das fällt mir schwer. Aber es klappt dank der Menschen, die mich dabei unterstützen. Vielleicht wird das Misstrauen dann irgendwann verschwunden sein.

post scriptum: Meine Ma rät mir öfters, mich dann beim ersten Kontakt - auch wenn es unangenehm ist und schwerfällt - mich etwas anzupassen, damit die Menschen nicht gleich ablehnend auf mich reagieren. Ich verstehe den Ratschlag. Ich versuche dann, ihr zu erklären, dass ich mich etwa zweiundzwanzig Jahre lang an die Erwartungen meiner Mitmenschen anzupassen versucht habe - und dass ich dabei draufzahle. Dass ich mich nicht wohlfühle. Und früher oder später müssen die Menschen eh' erfahren, dass mit mir "etwas nicht stimmt". Deswegen habe ich vor ein paar Jahren beschlossen, offen und konfrontativ damit umzugehen. Auch wenn es eine Distanz zu den Menschen aufbaut: Wenigstens fühle ich mich in meiner eigenen Haut wieder wohl und kann mir selbst treu bleiben. Wie sagte Thekla einst?

"Bleib', wie du bist. Die Menschen werden immer versuchen, an dir herumzufeilen, lass' sie ruhig. Sie dürfen aber nichts abschlagen!"

Freitag, 27. Januar 2017

Die Kommentarfunktion


Humanistische Pädagogik war das Eine meiner beiden Prüfungsthemen im Pädagogikexamen. Das andere lautete Soziale Netzwerke als Mittel zur Konstruktion von Identität, oder so ähnlich. Ich fand das sehr spannend, weil auch ich mich selbst ausprobiert habe und Profile von mir erstellt habe, im StudiVZ, bei Facebook oder auf den blauen Seiten.

Was macht man da so? Nun, der Eine oder die Andere lädt dort Bilder von sich hoch, oder Videos, oder teilt Inhalte mit Anderen. Nach dem Motto "Wow, das musst du dir anschauen, ganz toll!" - und man schaut und kommentiert dann. Ja, das war wirklich ganz toll - oder eben nicht. Manche Menschen kommentieren alles. Sie bringen zu jeder Sache ihre Meinung. Der 0815-Internetuser bringt seine Meinung nur, wenn provokante Bilder oder Thesen gezeigt werden.

Ja, das ist schon spannend, was die Leute so alles zu sagen haben, wenn zum Beispiel Marcus Pretzell von der AfD zum Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt sagt "Es sind Merkels Tote!" Also, er hat es nicht gesagt, er hat es getwittert. Macht es nicht besser: Diesen Tweet kann man, wie alles Andere auch, kommentieren. Ist doch super, so kann man endlich der Neuen Rechten das Maul stopfen.

Dachte ich einst.

Damals habe ich Kommentare gelesen. Und ich habe gemerkt, dass mir das nicht gut tut: In den Kommentaren zeigt sich ein Gesicht von Deutschland, das mich anwidert. Da werden rechte Parolen gepostet, ausländerfeindliche Sprüche, homophobe Hetze. Das ist richtig beliebt! Denn in der Anonymität des Internets wird man "ja wohl mal seine Meinung sagen dürfen." Man muss niemandem Rede und Antwort stehen, einfach einen menschenverachtenden Kommentar in die Tasten kloppen, fertig.

Ich dachte damals, das wäre ein Einzelfall. Aber beim Anschauen weiterer Inhalte stieß ich auf mehr Einzelfälle... und noch mehr... bis ich dann irgendwann wütend, schockiert, ängstlich und traurig dagesessen habe und kurz davor war, den Glauben an das Gute im Menschen zu verlieren. Und das hochbegabte Gehirn kocht innerhalb weniger Sekunden auf hundertachtzig hoch und lässt sich dann nicht mehr so leicht beruhigen.

"Wir sind ja so eine aufgeschlossene Gesellschaft." - Nein.
"Ich habe nichts gegen Schwule, aber..." - Nein.
"Ich bin kein Nazi, nur weil..." - Nein.

Ich lese mittlerweile keine Kommentare mehr. Ich bin im Internet unterwegs, um mir die Inhalte anzuschauen und mir meine eigene Meinung zu bilden. Und endlich verfalle ich auch nicht mehr der Versuchung, doch noch einmal die Kommentare zu durchstöbern, weil ich endlich eingesehen habe, dass es mir nichts bringt. Dass ich nur wieder wütend werde.

Die einzigen Kommentare, die ich immer wieder gern lese, sind jene zu den Inhalten, die ich selbst gepostet habe. Und da dürfen auch gern die Hater loslegen. Und ich find's gut, dass Heiko Maas, unser derzeitiger Justizminister, versucht, konsequent dagegen vorzugehen.

Donnerstag, 26. Januar 2017

Unterrichtsversuch, pt.2: Das Gutachten


Gestern habe ich hier meine Hausarbeit aus dem Referendariat gepostet. Der Vollständigkeit halber soll nun das Gutachten von Herrn Kruse, meinem damaligen Studienleiter, folgen. Das macht vielleicht dem einen oder anderen Referendar etwas Mut, der sich nicht sicher ist, ob er einen waghalsigen Unterrichtsversuch unternehmen soll.

Dazu muss gesagt sein, dass Herr Kruse ein großartiger Studienleiter war, der mit einem etwas anderen als dem üblichen IQSH-Auge auf die auszubildenden Lehrkräfte und deren Unterrricht geschaut hat. Er war eine der vier Personen, die mich in meinem eigenen Ref damals dazu gebracht haben, bis zum Ende durchzuhalten und nicht einfach alles hinzuschmeißen. Warum spreche ich in der Vergangenheit? Nicht nur, weil meine eigene Ausbildung zum Glück abgeschlossen ist (auch wenn einige meiner Kollegen sich das nicht vorstellen können - wirke ich doch auf sie wie ein Nulltsemester ohne jegliche pädagogische Erfahrung und Ahnung), sondern auch, weil Herr Kruse nun einen anderen Posten angetreten hat: Er ist Schulleiter der Friedrich-Paulsen-Schule in Niebüll - ein Karrieresprung, von dem die ganze Schule profitiert haben wird, denn da sitzt jemand mit einem Auge für den Menschen.

Nun denn, was hatte also jener Herr Kruse zu diesem vollkommen versemmelten Unterrichtsversuch zu sagen? Voll für die Tonne konnte die ganze Nummer dann ja doch nicht gewesen sein, sonst würde Cai Christophel, IQSH-Leiter für die Schulart Gymnasium, nicht am Examenstag angefragt haben, ob man die Hausarbeit im IQSH ausstellen dürfe. Daran hatte ich allerdings kein Interesse; jener Laden für "Qualitätssicherung" an schleswig-holsteiner Schulen hat so intensiv an mir herumzudoktern versucht, um aus mir einen "guten Lehrer" zu machen, dass ich keine Lust darauf hatte, dass die Hausarbeit womöglich noch als Ergebnis der "hervorragenden" Ausbildung des IQSH dargestellt würde. Nein danke. Stattdessen möchte ich sie lieber den Lesern dieses Blogs zur Verfügung stellen, zusammen mit dem nun folgenden Gutachten.

"Dr Hilarius leitet seinen Unterrichtsversuch aus der pädagogischen Praxis, genauer gesagt aus seinen Hospitationen ab. Er beobachtet aufmerksam die lehrerzentrierten Stunden eines Kollegen seiner Schule und nimmt zwei Defizite wahr, die er auf die zu hohe Lehrersteuerung zurückführt: Der Kollege arbeite kaum themenorientiert und übergebe seinen Schülern in den Stunden keine Verantwortung für den eigenen Lernprozess. Bezüglich der Themenorientierung ist festzuhalten, dass diese auch in lehrerzentriertem Unterricht erreicht werden kann und muss. Da dieser Aspekt für die weitere Arbeit aber keine Rolle spielt, wirkt sich die fälschlich postulierte kausale Verknüpfung von fehlender Sinnorientierung und Lehrerzentrierung nicht weiter negativ aus. Stattdessen macht Dr Hilarius den Aspekt der Verantwortung für den Lernprozess zu seinem Thema und das gelingt ihm sehr überzeugend.

Es wird argumentiert, dass Schüler der neunten Klasse (unter G-8 Bedingungen) vor dem Eintritt in die Oberstufe auf die stetig wachsende Übernahme der Verantwortung für ihren Lernprozess vorzubereiten seien. Dr Hilarius sieht darin einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung der Schüler und möchte ermöglichen, dass die Schüler in stärkerem Maße ihr eigenes "Potential selbst entdecken können" (S. 3). Diesen Effekt möchte er durch die radikalste Form von materialgestütztem offenen Unterricht erzielen, der Freiarbeit. Auch der Lerngegenstand, die Einführung in den Konjunktiv im Hauptsatz, ist radikal: Bisher ist es Konsens in der fachdidaktischen Literatur, dass sich die Einfürung neuer Grammatik nicht für offenen Unterricht eignet. Diese Setzung möchte der junge Kollege hinterfragen und tut dies mit einem Grammatikum, das an Komplexität kaum zu überbieten ist. Die Übergabe der Verantwortung für den Lernprozess wird gewissenmaßen einem "Härtetest" unterzogen. Am Ende wird zu evaluieren sein, ob das Vorgehen lernwirksamer als in lehrerzentriertem Unterricht ist (L 1). Außerdem will der Verfasser prüfen, ob die Schüler die Herausforderung an die eigene Selbstkompetenz gebührend nutzen. 

Dr Hilarius stützt seine Arbeit auf sehr wenig Sekundärliteratur. Das wirkt sich aus zwei Gründen aber nicht negativ auf die Qualität der Darstellung aus. Einmal ist das Thema aufgrund seiner Radikalität sehr innovativ und bietet somit wenig adäquate fachdidaktische Literatur. Dass Dr Hilarius nicht auf allgemeine pädagogische Literatur oder fachdidaktische Arbeit verwandter Fächer zur vertieften Problematisierung seines Vorgehens zurückgreift, ist unwesentlich, weil sich der fachdidaktisch-pädagogische Blick des jungen Kollegen im Verlauf der Arbeit als außerordentlich sensibel und scharf erweist.

Fraglich bleibt bis in die Reflektion hinein die Wahl der Freiarbeit. Während dem Gutachter einleuchtet, dass dem Thema der Arbeit die Radikalität der Freiarbeit zuträglich ist, so ist doch zu bezweifeln, dass man bei einer Grammatikeinführung die Festlegung eines Pflichtpensums "vermeiden" (S. 10) kann. Leider erkennt Dr Hilarius diese Fehleinschätzung auch im Resümee nicht (vgl. S. 16), weil der Wunsch, größtmögliche Freiheit einzuräumen, den Blick für diesen inneren Widerspruch verstellt. Die ursprüngliche Idee der Planarbeit wäre sicher das passendere Instrument gewesen.

Sehr erfreulich hingegen ist der fachkompetente Umgang mit dem Thema Konjunktiv im Hauptsatz. Dr Hilarius erkennt genau, worauf es bei dem Thema ankommt, und kann in der Reflexion zeigen, dass er seine Fehleinschätzungen bezüglich der Anforderungen nach der Durchführung klar erkennt und geeignete Wege zur Optimierung findet. 

Die Konzeption der Reihe ist klug durchdacht und genügt hohen Ansprüchen. Sie ist auch gut auf die Lerngruppe abgestimmt und geeignet, am Ende der Reihe den Unterrichtsversuch angemessen zu evaluieren. Die gesamte Arbeit ist von großer gedanklicher Klarheit geprägt. Dr Hilarius hat seine Fragestellung stets vor Augen und gibt wichtige Eindrücke aus den Freiarbeitsstunden wieder. Die Darstellung der Höhen und Tiefen des Versuchs wirkt uneingeschränkt realistisch. Die Evaluationsinstrumente greifen eindrucksvoll ineinander und werden in ihrer Aussagekraft nicht überstrapaziert. Die Leitfragen werden überzeugend und differenziert beantwortet.

Der Höhepunkt der Arbeit ist zweifelsohne das Resümee. Besonders der vortrefflich-schonungslose Blick für die Schwächen der Arbeit ist beeindruckend. Für jedes Defizit kann der Verfasser auch überzeugend aufzeigen, wie die Reihe für einen zweiten Durchgang verändert werden müsste. Dr Hilarius exemplifiziert somit Unterrichtsentwicklung auf sehr hohem Niveau.

Fazit

Dr Hilarius traut sich zu, einen radikalen Versuch zu unternehmen. Die Neigung zur reformpädagogischen Arbeit nach Montessori und das Ringen um selbstkompetente Schüler sind die Triebfedern des Ansatzes, der reiche fachdidaktische und fachmethodische Früchte trägt. Besonders beeindruckend ist, dass die Begeisterung für die Arbeit in offenen Formen nicht den Blick für die Erfordernisse des Faches verstellt. Die Arbeit ist somit trotz einiger Monita noch sehr gut.
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Danke, Herr Kruse!

post scriptum: Ich habe mittlerweile gemerkt, dass ich in lehrerzentriertem Unterricht viel besser arbeiten kann - wenn die Schüler das mitmachen. In der Regel klappt das.    

Mittwoch, 25. Januar 2017

Unterrichtsversuch, voll versemmelt


Angeregt durch gestrigen Chat mit einem Referendar möchte ich hier einen Text veröffentlichen, der reichhaltige Rückschlüsse auf mich zulässt, nämlich Dr Hilarius als verblendeter, idealistischer Pädagoge.

Ich glaube immer an das Gute im Menschen, ich verorte mich da ganz im Humanismus. Und ich glaube daran, dass Schüler eine Menge unentdecktes Potential besitzen - und dass ich die Rolle des Begleiters übernehme, der ihnen den nötigen Entwicklungskontext zur Verfügung stellt, damit sie sich selbst ausprobieren und entdecken können. Ja ja, laberlaber, klingt wie fein auswendig gelernt und vorgetragen. Ist aber so; Humanistische Pädagogik war eines meiner Prüfungsthemen im Pädagogikexamen. Über das Verhältnis zwischen Referendariat und Pädagogik möchte ich hier kein Wort mehr als nötig verlieren. Stattdessen erzähle ich von eben jenem Unterrichtsversuch, der vollkommen gescheitert ist.

Ich glaube immer wieder mit funkensprühendem Idealismus an die Entwicklung der Eigenverantwortung der Schüler und wollte daher mal schauen, was sie so machen, wenn man sie - mit einer Materialkiste - einfach mal machen lässt. Konkret: Grammatikeinführung in Freiarbeit im Fach Latein. Wen es interessiert, der kann nun lesen, wie der Unterrichtsversuch baden gegangen ist:




Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein – IQSH

Sommer 2013
  
Hausarbeit im Fach Latein


Förderung des eigenverantwortlichen Lernens durch Grammatikeinführung im offenen Unterricht – am Beispiel des Konjunktivs im Hauptsatz


Prüfer (Studienleiter Latein): Eckhard Kruse

Dr Hilarius
Studienreferendar Lat/Eng, 2.Sem.

Abgabe: 02.07.13


1.         Problemstellung

1.1  Bezug zu Ausbildungsinhalten und -standards

Der Unterrichtsversuch „Einführung von Grammatik im Offenen Unterricht“ bezieht sich auf die zum Zeitpunkt der Unterrichtseinheit noch nicht durchgeführten Module zur Unterrichtsöffnung.[1] Die Idee zum Versuch hat sich nicht aus den Ausbildungsinhalten ergeben, sondern ist Produkt eigener Interessen (z.B. alternativer Unterrichtskonzeptionen) und Beobachtungen der Lerngruppe gewesen, dazu mehr unter 2.1.
Der Lateinunterricht, den ich bei meinem Mentor in einer 7.Klasse (G8) habe beobachten können, ist zu einem sehr hohen Anteil lehrergesteuert und -zentriert. Selbst wenn in den Erarbeitungsphasen oft Partner- und Gruppenarbeit eingesetzt werden, hat die Lehrkraft nie die Kontrolle „abgegeben“, sondern in kleinen Schritten immer wieder Kontrollpunkte in den Unterrichtsverlauf eingebettet, so dass von einer Anwendung von Makromethoden in dem durch mich beobachteten Unterricht keine Rede sein konnte.
Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass dieser Unterricht in irgendeiner Weise „schlecht“ sei: Die Lehrkraft gilt durch alle Jahrgangsstufen hindurch als sehr beliebt und meine Unterrichtserfahrungen in der Oberstufe haben gezeigt, dass die Schüler[2], die ihre Spracherwerbsphase zumindest anteilig unter dieser Lehrkraft absolviert haben, eine hohe Sprachkompetenz besitzen.
Es zeigen sich allerdings Schwächen im Rahmen des thematischen Arbeitens, der Schritt der Abstraktion vom übersetzten Text mag teilweise noch gelingen, der Transfer auf andere Kontexte (z.B. in die Gegenwart) fällt manchmal schwer. Ein weiteres Problem, das ich sehe, ist der Umgang mit Schülern, die zu lateralem Denken neigen und deswegen eher eigene Wege suchen, Probleme zu lösen und, in unserem Fach, Texte zu entschlüsseln. Jene Schüler scheinen mir in einem Frontalunterricht nicht genug berücksichtigt zu werden.
Es böten sich also zwei weitere Schwerpunkte des Unterrichtsversuches an, die Inklusion von Schülern mit besonderen Lernvoraussetzungen als Möglichkeit zur Binnendifferenzierung sowie eine Kompetenzstreuung in der Spracherwerbsphase weg vom schlichten Übersetzen über das sinnorientierte Übersetzen hin zu einer themenzentrierten Arbeit im Fach Latein.
Der Unterrichtsversuch stellt sich allerdings einem anderen Problem, das ich den Schülern im Unterricht des Kollegen unterstelle – es wird kaum Verantwortung für den eigenen Lernprozess in größeren Unterrichtseinheiten übernommen. Der Unterricht ist stark verschult und geht kleinschrittig voran, so dass keine Risiken im Lernfortschritt eingegangen werden, die Schüler allerdings in ihrer persönlichen Entwicklung auch nicht weitgehend genug gefördert werden. Das mag in einer 7.Klasse noch der richtige Weg sein, im Rahmen der Umstellung auf G8 allerdings im letzten Jahr der Sekundarstufe I, dem 9.Jg., den ich in diesem Versuch betreut habe, sehe ich in einem solchen Unterricht einen Hemmschuh für den Beitrag, den wir Lehrkräfte zur persönlichen Entwicklung der Schüler im Rahmen ihrer Mündigwerdung und Erziehung zur Urteilsfähigkeit leisten können und müssen.
Ein wesentlicher Bezug des Unterrichtsversuchs zu den allgemeinen Ausbildungsstandards liegt also vor zum Bereich „Bildungs- und Erziehungseffekte“, genauer zu Punkt V/30 – „Die Lernenden tragen im Unterricht der Lehrkraft i.A. Verantwortung für den eigenen Lernprozess“. Dabei wird hier besonders dem Bildungsbegriff im humanistischen Sinne Rechnung getragen, nach dem die Schüler ihre Probleme, aber auch ihr Potential selbst entdecken können und wir als Pädagogen ihnen dafür den nötigen Kontext zur Verfügung stellen.
Der hauptsächliche Bezug zu den fachlichen Ausbildungsstandards findet sich in Punkt 11, „Der Referendar arbeitet nach den Grundsätzen der Differenzierung und Inklusion“, auch wenn dies nicht der Schwerpunkt der Arbeit ist – auch dazu mehr unter 2.1.
In der Planung habe ich mich in erster Linie an der Ausgabe 1/97 des „Altsprachlichen Unterrichts“[3] zur Öffnung von Unterricht sowie an dem Beitrag von Ingvelde Scholz zur Freiarbeit im Lateinunterricht[4] orientiert.

1.2  Leitfragen und Zielvorstellungen

Zwei Leitfragen stehen im Mittelpunkt dieses Unterrichtsversuchs. Es soll beobachtet werden, ob die Einführung von Grammatikinhalten in einer offenen Unterrichtsform, in diesem Fall der Freiarbeit, lernwirksamer ist als in einer geschlossenen Unterrichtsform – mit Schwerpunkt auf der Ausbildung der Sachkompetenz.
Als Resultat meiner Beobachtungen im frontalen Unterricht des Kollegen erwarte ich mir keinen höheren Lerneffekt im Bezug auf die Sachkompetenz der Schüler unter Verwendung einer geöffneten Unterrichtsform. Dies würde den Resultaten der Hattie-Studie von 2009 entsprechen, die nur eine minimale Steigerung des sichtbaren Lerneffektes durch Unterrichtsöffnung feststellt.
Der zweite, dadurch umso wichtigere Schwerpunkt liegt in der Förderung der bereits angesprochenen Selbstkompetenz, der Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lernprozess: Erkennen die Schüler im Kontakt mit den ihnen gestellten Aufgaben die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, diese Probleme zu bewältigen? Ziehen sie aus dieser Erkenntnis die nötigen Schlussfolgerungen für den weiteren Lernprozess? Nehmen sie infolge der Selbstreflexion die für sie angemessenen Förderungsmöglichkeiten (Grammatikhilfen, Unterstützung durch die Mitschüler oder die Lehrkraft) wahr?
Eine Zielvorstellung dieses Unterrichtsversuchs lautet: Indem die Schüler beim Erlernen der Formen und Funktionen des Konjunktivs im Hauptsatz in einer Freiarbeit ihren Lernprozess strukturieren, regelmäßig reflektieren und daraus angemessene Konsequenzen für ihre weitere Arbeit ziehen, lernen sie, Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen als Teil ihrer Selbstkompetenz.
Hier erhoffe ich mir tatsächlich positive Resultate. Es wird erwartet, dass die Schüler mit Abschluss der gymnasialen Oberstufe in der Lage sind, ohne enge Führung den Alltag zu bestreiten; sie müssen ggf. einen weiteren Ausbildungsweg bestreiten, der nur teilweise ähnlich strikt verschult sein wird, wie es in der Sekundarstufe I der Fall ist.
Mit einem Blick auf die Universitäten[5] sehe ich durchaus den Zweck dieses Unterrichtsversuchs in Frage gestellt. Im Zuge der Umstellung auf die neuen Studiengänge (vom Staatsexamen zu Bachelor/Master) wurden die Studienpläne deutlich stärker verschult. Der Student ist aus der Verantwortungsübernahme für den eigenen Studienprozess entlassen worden. Wurden in den alten Studiengängen lediglich die groben zu bearbeitenden Fachbereiche vorgegeben, so gibt es in den neuen Studiengängen ein wesentlich engeres Korsett der Fachausbildung mit strengem Blick auf den zu erstrebenden Abschluss und die spätere „Verwertbarkeit“[6] der Absolventen auf dem Arbeitsmarkt.
Eine weitere Gefahr für das Erreichen sehe ich in der Umstellung unserer Schule auf G8. Es wird erwartet, dass die Schüler mit dem Abschluss des 9.Jahrgangs den gleichen Stand in der persönlichen Entwicklung erreicht haben wie unter G9 mit dem Abschluss von Klasse 10; Initiationsstudien dagegen postulieren den Beginn des Reifeprozesses etwa mit dem 16.Lebensjahr, der dann bis zum 21. Lebensjahr durchlaufen wird. In diesem Zeitraum findet die angesprochene Mündigwerdung statt, in diesem Zeitraum lernen die Schüler als selbstbestimmt handelnde Wesen (im Sinne des Humanismus) ihre eigenen Möglichkeiten, aber auch Probleme in der eigenen Entwicklung zu erkennen, zu analysieren und Konsequenzen für das eigene Handeln daraus zu ziehen. Ob durch eine Verschiebung der Oberstufe um ein Jahr nach unten auch die persönliche Entwicklung dem angepasst werden kann, halte ich für sehr fraglich.
Ich selbst würde daher diesem Unterrichtsversuch einer 10.Klasse in G9 mehr Erfolgschancen einräumen – doch spricht nichts dagegen, den Prozess der Verantwortungsübernahme im 9.Jahrgang zu beginnen und ihn dann in den weiteren Klassen fortzuführen.

1.3  Evaluationsverfahren

Zur Evaluation des Unterrichtsversuches sollen drei Verfahren herangezogen werden. Zur Kontrolle des Erwerbs der nötigen Sachkompetenz dient eine Klassenarbeit am Ende der Freiarbeitsphase. Der Klassenarbeit wird keine Plenumsphase vorangeschoben: Diese würde die Validität der Lernkontrolle in Frage stellen, da nicht überprüft würde, ob die Schüler sich selbst das nötige Wissen angeeignet haben, sondern ob sie in der Plenumsphase die richtigen Fragen gestellt bzw. gut aufgepasst haben. Der Text der Klassenarbeit konzentriert sich zur Sicherung der Validität auf das im Deckblatt zum FA-Ordner angegebene Pensum.
Zur Evaluation des Unterrichtsversuchs im Hinblick auf die zweite Leitfrage wird von den Schülern ein Lerntagebuch geführt.[7] Hier sollen die Schüler neben dem in der jeweiligen Stunde bearbeiteten Pensum auch angeben, in welchen Sozialformen gearbeitet wurde und ein besonderer Schwerpunkt auf Schwierigkeiten, aber auch persönliche Stärken gelegt werden. Den Schülern werden am Ende jeder Stunde fünf Minuten eingeräumt, um diese Eintragungen mit Bedacht zu machen.
Das Lerntagebuch halte ich für die wichtigste Dokumentation des Erfolgs des Unterrichtsversuchs. Zu Beginn sollen hier bisherige Erfahrungen mit Makromethoden eingetragen werden, danach die durchgeführten Stunden dokumentiert werden. Hier zeigt sich die Selbstkompetenz der Schüler zum einen in der Art der Einträge – sind diese ausführlich? Werden nur die Aktivitäten der jeweiligen Unterrichtsstunde eingetragen oder auch die eigenen Lernfortschritte reflektiert? Werden aus den bisherigen Überlegungen die nötigen Konsequenzen für die weitere Arbeit gezogen?
Um den Schülern die Möglichkeit zu geben, diese Konsequenzen in der unterrichtlichen Praxis umzusetzen, wird zu Beginn jeder Stunde eine kurze Einstiegsphase gewährt, in der das Lerntagebuch gelesen wird. Auf diese Weise erhoffe ich mir regelmäßige, kontinuierliche Reflexion der eigenen Fortschritte, aber auch Rückstände. Die Lerntagebücher werden nach Abschluss der Freiarbeit eingesammelt, damit ich mir ein Bild machen kann, ob diese Dokumentationsmöglichkeit genutzt wurde und ob tatsächlich die Selbstkompetenz der Schüler in diesem Unterrichtsversuch gefordert und gefördert worden ist.[8]
Als dritte Maßnahme zur Evaluation folgt nach der FA-Phase, direkt anschließend an die Klassenarbeit, eine Auswertungsphase, wie sie bei allen Makromethoden vorgeschlagen wird. Ich orientiere mich hier ebenfalls teils am Vorschlag vom Scholz: In einer ersten Reflexionsphase werden in Einzelarbeit auf roten Zetteln Probleme mit der FA, auf grünen Zetteln deren Vorteile aufgeschrieben. Auf gelben Zetteln werden Verbesserungsvorschläge oder allgemeine Fragen notiert. In der zweiten Phase findet ein Karussellgespräch in drei Durchgängen statt. Im doppelten Stuhlkreis als Kugellager teilen sich die Schüler gegenseitig ihre positiven und negativen Erfahrungen in der Freiarbeit mit. In dieser Phase ist die Lehrkraft nicht anwesend, um einen möglichst freien  und „unbelasteten“, ehrlichen Austausch der Schüler untereinander zu gewährleisten, die Kursleiter übernehmen hierbei die Weiterschaltung des Kugellagers. Um zu gewährleisten, dass die Schüler die Argumente ihres Gegenübers verstehen, verarbeiten und mit den eigenen abgleichen können, notieren sie sich zunächst die Punkte ihres Gesprächspartners und fassen sie einmal zusammen, bevor sie ihre eigenen Notizen vorstellen. In der dritten Phase schließlich findet ein Plenumsgespräch statt, in dem die Lehrkraft in erster Linie moderiert und sich Notizen für das eigene Resümee macht.[9]
Die Auswertungsphase dient sowohl zur Überprüfung der Sach- als auch Selbstkompetenz; ggf. wird eine Nachsteuerung zum Erwerb der nötigen Sprachkompetenz nötig sein.



2.   Unterrichtspraxis

In den folgenden Ausführungen wird jeweils zunächst auf die Überlegungen zu den einzelnen Punkten während der Planung, dann auf meine Beobachtungen während der Durchführung des Unterrichtsversuchs eingegangen.

2.1  Analyse der Lerngruppe

Zum Zeitpunkt der ursprünglichen Durchführung des Unterrichtsversuchs in den letzten Wochen vor den Osterferien 2013 habe ich die zwölf Schülerinnen und neun Schüler des Kurses Latein III des 9. Jg. (G8, 2.Lj.) seit gut einem Jahr unterrichtet.[10] In dieser Zeit konnte ich mir ein umfassendes Bild der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft des Kurses erstellen.
Die Schüler zeigen überwiegend eine intrinsische Motivation, sich die lateinische Sprache anzueignen. Sie gehen offen und neugierig auf die neuen Sprachinhalte zu. Man mag diesen Umstand als Lehrkraft fast schon erwarten; Latein III steht als Wahlpflicht im 8.Jg. den Fächern Französisch, Dänisch, Technik oder MINT gegenüber. Umfragen unter der Schülerschaft und die Arbeit in der Gruppe „Sprachenkonzept“ am Schulentwicklungstag im Herbst 2012 haben gezeigt, dass gerade das Fach Technik aufgrund des von den Schülern erwarteten niedrigen Schwierigkeitsgrades (der allerdings nicht durch die Notenspiegel bestätigt wurde) gerne gewählt wurde. In diesem Lateinkurs hat sich gezeigt, dass die Schüler Latein lernen wollen und zu einem erfreulich großen Teil mögliche Hürden des Spracherwerbs mit spielerischem Eifer gemeistert haben.
In Erarbeitungs- und Vergleichsphasen zur Übersetzung von Texten hat sich gezeigt, dass die Lerngruppe hervorragend auf kooperative Lernmethoden reagiert. Es wird nicht nur gerne geholfen – von einer breiten Gruppe an Schülern im oberen Leistungsbereich – sondern die Hilfe wird auch gerne und ohne Angst vor Bloßstellung in Anspruch genommen. Dadurch herrscht ein sehr offenes, von Neugier und Freude am Lernen geprägtes Lernklima, das mich zur Durchführung dieses Unterrichtsversuchs mit dieser Lerngruppe inspiriert hat.
Die Schüler schaffen es ohne besondere „Umgewöhnung“, übersetzungsbezogene Schüler-Schüler-Gespräche durchzuführen. Die Lehrkraft kann als Moderator fungieren, das Prinzip des Schüler-hilft-Schüler wurde nach kurzer Einübungsphase nahtlos in die Unterrichtspraxis übernommen. Die Schüler haben als Teil ihrer Sozialkompetenz schnell gelernt, die Übersetzungen ihrer Mitschüler nicht zu korrigieren, sondern in einem ersten Gedankengang zu überlegen, wo das Problem gelegen haben mag, dieses Problem dann in einer Rückmeldung zu benennen und somit ihrem Mitschüler die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu verbessern. Einen derart wertschätzenden Umgang miteinander habe ich erfreut zur Kenntnis genommen und in meine Unterrichtsplanung übernommen.
Es hat sich dabei nicht als hinderlich erwiesen, dass der Kurs aus drei Klassen (9 d (13 S), e (5 S), f (3 S)) zusammengesetzt war. Die Sitzordnung ist gemischt und lässt keine Rückschlüsse auf Klassenzugehörigkeit zu, im Gegenteil, es haben sich tolle Lernpartnerschaften ergeben und die Schüler haben gelernt, die „Macken“ ihrer Mitschüler zu akzeptieren – dazu gehört auch ein gegenseitiges Aufziehen und trotzdem eine friedliche Atmosphäre. Wenn ich es so formulieren kann: Der Unterrichtsalltag in dieser Lerngruppe läuft von der Begrüßung bis zur Verabschiedung äußerst organisch ab, kleine Rituale zur Alltagsgestaltung haben sich oftmals als Schüleridee etabliert, so dass – auch als Konsequenz regelmäßiger Evaluationsstunden – das Unterrichtsgeschehen als Resultat gemeinsamer Gestaltung gesehen werden kann.
Ich habe mir daraus eine fortgeschrittene persönliche Reife der Schüler erschlossen und eine Bereitschaft und auch Fähigkeit, Verantwortung nicht nur für soziale Prozesse, sondern auch für die eigene Entwicklung zu übernehmen. Die Inanspruchnahme fremder Hilfe in Erarbeitungsphasen geschieht so selbstverständlich, dass ich mich gefragt habe, ob die Schüler sich einen neuen Sachverhalt völlig selbständig erschließen können – ob sie sich dabei mit der Neugier, die sie im bisherigen Unterricht gezeigt haben, Möglichkeiten zur Unterstützung suchen, sei es in der Grammatik, im Internet, in ihren Mitschülern oder in der Lehrkraft.
Mit der Überzeugung, dass das möglich sein würde, habe ich diesen Unterrichtsversuch entworfen. Ich habe dabei die Aussage von Peter Nissen,  Freiarbeit sei sinnvollerweise „nicht auf sprachlichen Neuerwerb, sondern auf Wiederholung, Festigung, Übungsdefizite sowie Kreativität hin auszurichten“,[11] als Herausforderung verstanden – dieser Unterrichtsversuch soll im Sinne der Bezeichnung versuchen, die Aussage zu widerlegen und dabei einen Vorteil gegenüber geschlossenem Unterricht in Bezug auf die Entwicklung der Selbstkompetenz feststellen.
Ich betrachte die Lerngruppe im Bezug auf den Unterrichtsversuch mit einem ähnlichen Optimismus und Idealismus wie Michaela Pfeiffer in ihrem Artikel über die Freiarbeit,[12] allerdings kann ohne dieses progressive, forschende Lehren kein aktiver Diskurs über Unterricht gestaltet werden. Während Nissen seine These postuliert, ohne Befunde oder Quellen anzuführen, möchte ich nun also die Gegenthese mit einer Fallstudie unterfüttern.
Von den leistungsstärkeren Schülern wie Dorothea, Fritzi, Jane, Tanne, Momme und Niklas erwarte ich mir aufgrund ihrer bisherigen Leistungen und ihres selbständigen Arbeitsverhaltens genau die erhofften Ergebnisse, während ich bei schwächeren Schülern wie Finja oder Kevin erwarte, dass diese von sich aus häufiger die zur Verfügung gestellten Hilfen nutzen. Erik zeigt ein bemerkenswertes Verhalten bei der Erschließung von Texten: Manchmal kann er diese mit kleineren grammatikalischen Abweichungen inhaltlich völlig korrekt erschließen, manchmal auch mit sehr freien Übersetzungen die Texte in ihren Aussagen verstehen, bei einigen Übungen zur Grammatik zeigt er wiederum erhebliche Schwierigkeiten. Ich habe mir bisher nicht erschließen können, ob er einfach in den Klassenarbeiten „drauflos rät“ oder ob er tatsächlich zum lateralen Denken neigt und auf anderen Wegen als den im lehrergelenkten Unterricht eingeübten ans Ziel gelangt. Dieser Unterrichtsversuch soll mir besonders im Hinblick auf ihn als Diagnostikum dienen: Welche Hilfen wird er in Anspruch nehmen, arbeitet er vorwiegend allein oder mit anderen Schülern, wie wird seine Klassenarbeit ausfallen? In dieser Unterrichtseinheit kann ich also gezielt mit bestimmten Schülern gemäß ihrer Anforderungen binnendifferenzierend arbeiten, ohne dass dies Schwerpunkt der Hausarbeit sein soll.

In der Durchführung der Freiarbeit hat sich gezeigt, dass die Schüler tatsächlich mit der bisher beobachteten Neugier auf die zur Verfügung gestellten Materialien zugehen. Es herrschte ein zu erwartender hoher Grad an Ausgelassenheit, der mitunter für einige Schüler störend gewirkt hat, ohne dass diese die nötige Courage besessen hätten, um Ruhe zu bitten, so dass ich an dieser Stelle mitunter eingegriffen habe. Dieses Verhalten hätte allerdings angesichts der Ausgelassenheit, die manchmal in den bisherigen Erarbeitungsphasen herrschte, antizipiert werden können; viele Schüler haben diesen Punkt auch in ihren Lerntagebüchern erwähnt.
Wie ich angesichts der Heterogenität in den Methoden zur Erschließung neuer Inhalte bisher im Unterricht beobachten konnte, sind die Schüler auch hier völlig unterschiedlich an das neue Thema herangetreten. Dabei war zu beobachten, dass gerade die genannten leistungsstärkeren Schüler, darunter besonders Fritzi und Niklas, sich selbständig mit dem Material auseinandergesetzt haben und zunächst den „Wissenspool“ über die Formen und Funktionen des Konjunktivs im FA-Ordner angesteuert haben. Dagegen haben die Schüler im mittleren Leistungsniveau sich vorwiegend mit den spielerischen Übungen beschäftigt, die noch keine Bildungsregeln der neuen Formen vorausgesetzt haben, wie z.B. die Formensuchspiele. Auch haben sie sich eher auf kooperatives Arbeiten und die Nutzung der spielerisch aufbereiteten Materialen konzentriert. Finja, Kevin und Erik haben zunächst eher einzeln gearbeitet und dann bei Fragen bereitwillig die Hilfsangebote in Anspruch genommen. Über das genaue Nutzungsverhalten der Materialien mehr in Kapitel 2.3.
Bei der Durchführung der Unterrichtseinheit haben sich ebenfalls die erheblich unterschiedlichen Erfahrungsstände der Schüler im Umgang mit geöffneten Unterrichtsformen gezeigt. Die Erhebung in den Lerntagebüchern hat gezeigt, dass etwa drei Viertel der Schüler bereits mit Unterrichtsöffnung konfrontiert wurden, in der Regel in Form von Stationenlernen, etwa die Hälfte aller Schüler hat schon einmal einen Wochenplan bearbeitet. Im Methodencurriculum der Schule ist die Erziehung zum Umgang mit einem Wochenplan in den unteren Jahrgangsstufen vorgesehen. Da es sich hier allerdings um einen Kurs aus drei unterschiedlichen Klassen handelt, wurde sehr deutlich, dass einige Schüler wesentlich souveräner mit dem ihnen zur Verfügung gestellten Material umgehen konnten und wussten, was es bedeutet, sich die zur Verfügung stehende Zeit ihren Anforderungen entsprechend einzuteilen. Die Diskrepanz zwischen dem von mir erwarteten (selbstverständlichen) und dem gezeigten Umgang mit der neuen Situationen hat erhebliche Auswirkungen auf meine Konsequenzen dieses Unterrichtsversuchs, dazu mehr im Schlusskapitel. Hier sei nur meine Beobachtung während der Freiarbeit festgehalten, dass die Erhebung des Erfahrungsstandes wesentlich früher, deutlich vor der Planung der Einheit, hätte stattfinden müssen.

2.2  Didaktische Aufbereitung

Ich habe als Thema der Freiarbeit den Erwerb des Konjunktivs im Hauptsatz gewählt, da dieses zum Zeitpunkt der Planung in der folgenden Lektion 20 des Lehrbuchs behandelt wurde.[13] Im Lehrbuch wird der Konjunktiv in allen Formen (inklusive der verba anomala) und Funktionen des Präsens und Imperfekt sowohl im Haupt-, als auch im Nebensatz eingeführt. Dieses Pensum erschien mir auf den ersten Blick zu umfangreich, nicht nur für die zur Verfügung stehende Zeit, sondern auch für die Methode Freiarbeit. Während für gewöhnlich der Konjunktiv über den Nebensatz eingeführt wird, habe ich den Stoff auf die Hauptsatzfunktionen reduziert. In den Nebensätzen wird er oft von einer einleitenden Konjunktion erzwungen und kann im Deutschen oft indikativisch wiedergegeben werden. Im Hauptsatz dagegen stehen sieben Funktionen zur Verfügung, die in der Übersetzung alle durch Hilfsverben, verneinte Imperative etc. kenntlich gemacht werden müssen.
Hier liegt mehr als ein bloßer Erwerb von Sachkompetenz vor. Bei den Schülern findet eine stärkere Reflexion der Funktionen sowohl im Lateinischen als auch Deutschen statt. Sie lernen den Konjunktiv als Vorstellungsmodus kennen im Gegensatz zum Indikativ als Aussagemodus. Im Gegensatz zum einfachen „Reinpauken“ müssen sich die Schüler eigene Alltagssituationen vergegenwärtigen, in denen sie die vorliegenden Konjunktivfunktionen verwenden. Hier werden die Schüler in ihrer Selbstkompetenz gefordert und gefördert: Sie lernen, metakognitive Strategien anzuwenden, um über Sprache zu reflektieren und sie infolgedessen besser zu durchdringen. Dies ist umso wichtiger, als dass auch das Bewusstsein für die Muttersprache geschärft wird. Ich behaupte, dass eine solche Reflexion bei der Bearbeitung des Konjunktivs im Nebensatz nicht in jenem Maße stattfindet. Dieser Kompetenzerwerb entspricht (neben der Förderung der Verantwortungsübernahme) den Forderungen im Grundlagenteil des Lehrplans – der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten sowie dem Aufgreifen von Problemen über die Fachgrenzen hinaus (da hier eben auch Deutschunterricht betrieben wird).
Da wir das Plusquamperfekt zu diesem Zeitpunkt noch nicht hatten, habe ich sowohl die Formenbildung als auch die Funktion des Irrealis in der Vergangenheit aus der Einheit gestrichen.
Das zu lernende Vokabelpensum umfasste die Vokabeln der Lektion 20 sowie die Vokabeln der einschlägigen Lektion 21 des Lehrbuches Actio,[14] abzüglich der Deponentien, die in unserem Kurs zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt waren. Die zusätzlichen Vokabeln begründen sich in der Wahl des in der Klassenarbeit zu übersetzenden Textes, den ich aus der Actio-Lektion zusammengestellt habe.

In der Praxis hat sich zunächst ein organisatorisches Problem ergeben: An insgesamt drei Stunden der vorgesehenen Arbeitszeit fehlten große Teile des Kurses zum einen wegen einer kurzfristig angekündigten Wanderfahrt, zum anderen wegen nicht konsequent beachteter Absprachen bzgl. des Nachmittagsunterrichtes an einem mündlichen Prüfungstag. Das hatte zur Folge, dass die Unterrichtseinheit nicht mehr vor den Osterferien durchgeführt werden konnte. An die Ferien schloss sich dann ein zweiwöchiges Betriebspraktikum der Schüler an, so dass die gesamte Einheit insgesamt um fünf Wochen nach hinten verlegt werden musste, und trotz intensiver Ankündigungen im Mitteilungsbuch und bei den Kollegen fehlten während einer Doppelstunde wiederum acht Schüler. Dieser Punkt muss in der „Didaktik“ Beachtung finden, da die Zeit vor den Osterferien mit Inhalt gefüllt werden musste. Ich hatte daher den Konjunktiv aufgeschoben und stattdessen noch den abl.abs. vorgezogen, ich habe mich dagegen entschieden, den Konjunktiv im normalen Unterricht zu behandeln und stattdessen den abl.abs. in die Freiarbeit zu legen, da sämtliche Materialien und Ordner bereits fertig gestellt waren.
Während der Durchführung hat sich gezeigt, dass trotz Reduktion des Inhaltes das Pensum für die Schüler zu hoch war. Anhand der Checkliste auf dem Deckblatt des FA-Ordners (s.Anhang) konnte ich erkennen, dass im letzten Viertel der Freiarbeitsphase bisher sehr wenige Kenntnisse gefestigt waren. Die leistungsstärksten Schüler, insbesondere Jane, Dorothea und Momme, halten in ihren Lerntagebüchern fest, dass die Stoffmenge sehr umfangreich, aber schaffbar war. Das kann mir als Lehrkraft nicht ausreichen. Beim Spracherwerb geht es nicht darum, dass die leistungsstarke Minderheit alles schafft, sondern dass möglichst viele (im Idealfall natürlich alle) die neuen Inhalte begreifen. Aus dieser Beobachtung ergibt sich eine der wesentlichen konzeptionellen Konsequenzen für eine eventuelle Wiederholung der Freiarbeit, dazu mehr in Kapitel 3.3.

2.3  Methodische Überlegungen

Die Idee, Grammatikeinführung in einer geöffneten Unterrichtsform zu probieren, ist aus zwei Grundgedanken entstanden. Zum einen sollen die Schüler ein Gespür dafür entwickeln, die ihnen zur Verfügung stehende Lernzeit abzuschätzen und die von ihnen erwarteten Aufgaben dieser Zeit entsprechend aufzuteilen. Darin liegt eine der Leitfragen dieses Unterrichtsversuchs.
Zum anderen bin ich der Meinung, dass Schüler durch entdeckendes Lernen viele Inhalte schneller und einsichtiger begreifen können. Ich beziehe mich hierbei auch auf meine eigenen Erfahrungen sowohl als Schüler als auch in der Gegenwart. Ich muss oft selbst erfahren, warum einige Sachen nicht funktionieren, damit die Lösungswege mir einleuchtend erscheinen. Durch den Forschungscharakter (z.B. des Durchstöberns des FA-Ordners oder der Materialbox) werden Schüler stärker motiviert und aktiviert. Eine eventuelle Trotzblockade gegenüber einer Lehrerhaltung, die ausdrückt, die Lehrkraft wüsste immer, was das Beste für den Schüler sei, wird hier nicht oder nur sehr selten auftreten.
Zunächst schwebte mir eine Wochenplanarbeit vor. Da meine Leitfrage sich allerdings mit der Förderung von Selbstkompetenz im Hinblick auf die Gestaltung selbstverantwortlichen Lernens beschäftigt, wollte ich den Schülern so wenige Maßgaben wie möglich stellen. Der wichtigste Unterschied zwischen dem Wochenplan und der Freiarbeit lag hierbei für mich in der Festlegung eines Pflichtpensums, die ich vermeiden wollte.
Der Zeitraum der Unterrichtseinheit entspricht dem normalen Bearbeitungszeitraum, der mir angesichts der schulischen Unterrichtssituation für die Behandlung einer Lektion des Buches zur Verfügung steht, elf Unterrichtsstunden. Davon verwende ich die ersten beiden Stunden als Einführungsphase. Zuerst erschien mir eine Doppelstunde zu lang, aber ich habe mich an Scholz gehalten.[15] Sie schlägt diesen Zeitraum vor, damit sich der organisatorische Aufwand lohne. Die folgenden acht Stunden werden dann für die Freiarbeit genutzt. In der letzten Stunde findet eine Auswertungsphase statt. Dieses Phasenmodell orientiert sich an zwar an Scholz’ Beitrag zur Freiarbeit, lässt sich aber sinnvoll auf jede Form der Makromethoden anwenden.
Der Stundenverlauf sieht folgendes Schema vor: Nach der Begrüßung sollen die Schüler zunächst kurz ihr Lerntagebuch konsultieren, um sich ein Vorhaben für die Stunde zu nehmen. In der darauf folgenden Zeit haben die Schüler alle Freiheiten, die Stunde zu gestalten. Lediglich die letzten fünf Minuten werden darauf verwendet, die aktuellen Eintragungen ins Lerntagebuch vorzunehmen. An dieser Stelle mag man einwerfen, dass ein bestimmtes Maß an Arbeit oder ein bestimmtes Verhalten im Klassenraum eingefordert werden sollte. Ich habe mich dagegen entschieden, um den Schülern so viel Verantwortung wie möglich zu übertragen. Hier liegt ein Grundgedanke Montessoris und Freinets vor: Sozialform, Bearbeitungszeit und Inhalte werden von den Schülern selbst gewählt. Lediglich die Inhalte habe ich vorgegeben, weshalb hier nicht von einer „radikalen“ Freiarbeit gesprochen werden kann.
Aufgrund des Raummangels an der Schule findet die gesamte Freiarbeit im normalen Klassenraum statt. Ich hätte gerne einen angrenzenden zweiten Raum zur Verfügung gehabt, um eine ausgelassene und eine konzentrierte Lernatmosphäre zu schaffen, die sich nicht gegenseitig beeinflussen.
Die Materialien zur Unterrichtseinheit erstrecken sich über zwei Bereiche, zum einen den FA-Ordner, den jeder Schüler bekommt, zum anderen die Materialbox mit Übungen, Spielen, Arbeitsmaterialien und einem Lösungsordner, die der ganzen Klasse zur freien Verfügung steht.
Der FA-Ordner gliedert sich in drei Teile: Zunächst erhalten die Schüler ein Deckblatt mit dem anzustrebenden Lernpensum (s.Anhang), sowie eine Inhaltsübersicht des Ordners und die Gliederung der Materialien in der Übungsbox. Außerdem befinden sich hier die Tabellen der Verbformen aus Actio zum Nachschlagen (nicht zum Auswendigkernen!). Der Hauptteil ist dann der „Lernteil“, der sich wiederum in Vokabeln (V), Formenlehre (F) und Funktionen des Konjunktivs (Ü) gliedert. Die Grammatik habe ich hierbei aus verschiedenen Lehrbüchern kopiert, so dass die Schüler sich das für sie passende Lernmaterial suchen können. Neben Actio habe ich hier die Schulgrammatik Latein des Pons[16] sowie Videte[17] gewählt. Letzteres halte ich für herausragend in seiner Übersichtlichkeit. Den Abschnitten F und Ü ist dabei jeweils eine extrem geraffte Kurzübersicht vorangestellt, als Kontrolle für die Schüler. Der dritte Teil des FA-Ordners ist das Lerntagebuch.
Die Materialbox unterteilt sich im ersten Schritt ebenfalls nach den Bereichen V, F und Ü, die jeweils farbig einheitlich gestaltet sind: Auf rosafarbenen Bögen finden sich Übungen, Spiele, Tandembögen etc. zur Vokabelarbeit. Auf den grünen Bögen sind Suchspiele, Tandembögen, ein lateinischer Song[18] (mit deutscher Übersetzung und anbei einem MP3-Player nebst Kopfhörern) mit Aufgabe zum Erkennen und Bestimmen der Verbformen im Text sowie Übungen zum Bestimmen und Bilden der Verbformen zu finden. Die blauen Materialien schließlich behandeln die Übersetzung sowohl einzelner Formen als auch kürzerer und längerer Sätze, sowohl als Tandembögen als auch für Einzelarbeit. Sämtliche Lösungen zu den Materialien befinden sich in einem offen ausliegenden Lösungsordner. Für die Suchspiele und Übungsbögen befinden sich in der Box wasserlösliche Stifte und reichlich Taschentücher, für die Spiele Figuren und Würfel. Ich habe mich bemüht, möglichst viele Lernkanäle mit der Materialbox anzusprechen, natürlich sind alle Materialien mehrfach vorhanden. Außerdem erhält jeder Schüler eine „Rote Karte“. Wenn er Hilfe benötigt, kann er dies mit der Karte anzeigen, damit ich oder – besser noch – einer der Mitschüler kommen und helfen kann.

In der Praxis haben sich folgende Beobachtungen hinsichtlich der Methodik ergeben: Die Verwendung einer Doppelstunde für den Einstieg war absolut notwendig, um den Schülern die ungewohnte Arbeitsform zu erklären. Wir sind in Ruhe den FA-Ordner durchgegangen, ich habe das Ziel der gesamten Einheit erläutert und mich versichert, dass das Vorhaben allen Schülern einleuchtete. Wir konnten zum Ende der Einführungsphase bereits mit der Arbeit beginnen, allerdings hätte ich mir mehr Zeit nehmen müssen, um die Inhalte der Materialbox einmal genau zu erklären, das habe ich neben der Besprechung des Ordners nicht genügend behandelt. Infolgedessen waren die Schüler mitunter von der Materialmenge erschlagen oder wussten nicht, welche Bögen sie schon bearbeitet hatten (hier müsste dem FA-Ordner unbedingt eine Inhaltsübersicht der Box anbei gefügt werden!). Auch war einigen nicht klar, dass es zum Beispiel mehr als einen Tandembogen für Vokabeln gab („Vokabeltandem 1/2/3“). Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass alle Materialien sehr schnell durchgearbeitet waren. Auch hätte ich die Schüler noch darauf hinweisen müssen, dass die Übungsmaterialien mehrfach durchgearbeitet werden können, um die Sprachsicherheit zu festigen. Die Bedeutung der blauen Übersetzungsbögen wurde zudem unterschätzt, dabei macht die Übersetzung 2/3 der Note eines Leistungsnachweises aus. Hier hätte ich den Schülern deutlichere Akzente setzen müssen.
Die erhoffte Motivierung und Aktivierung der Schüler hat stattgefunden. Von der ersten Stunde an sind sie forsch auf die Materialien zugegangen, und wenn die Stimmung mitunter auch sehr ausgelassen war, gab es keine Stunde, in der ein Schüler nicht mit der lateinischen Sprache gearbeitet hätte.
Die Gestaltung der Materialien war für die Schüler ansprechend, allerdings hatten die Übungen keinen ausreichend nachhaltigen Effekt. Dazu hätte am Ende jedes Bogens ein Verweis sein müssen, wo die Schüler Hilfe finden können, wenn sie Probleme mit der Aufgabe hatten, z.B.: „Wenn Dir diese Übungen Schwierigkeiten bereitet hat, schau Dir nochmals die Bildung des Konjunktiv Präsens auf Seite 27 Deines FA-Ordners an.“ Diese Hilfestellung schränkt die Schüler nicht in ihrer Eigenverantwortlichkeit ein, da sie die Hilfe in Anspruch nehmen können, aber nicht müssen.
Die roten Karten wurden zwar eingesetzt, allerdings meistens nur als Hilfegesuch an die Lehrkraft. Ich hätte hier in der Einführung deutlicher darauf hinweisen müssen, dass wir nach dem ShS-Prinzip arbeiten und auch andere Schüler sich angesprochen fühlen sollen, ihren Mitschülern zu helfen. Dadurch hätte die Sozialkompetenz wesentlich gefördert werden können: Die Schüler trainieren ihre Empathiefähigkeit, indem sie die Notlage der anderen erkennen, sich mit deren Problem beschäftigen und eine ihnen angemessene Lösungsstrategie entwickeln.
Zuletzt ist das Lerntagebuch von einigen Schülern ausschließlich als Dokumentation der bearbeiteten Aufgaben benutzt worden mit kurzen Einträgen wie „Heute habe ich Vokabeln gelernt.“; im Anhang finden sich zwei Seiten eines äußerst gelungenen Tagebuchs. Um die sinnvolle Nutzung dieses sehr wichtigen Reflexionsinstrumentes  zu unterstützen, hätte ich dem FA-Ordner eine Beispielseite eines solchen Tagebuchs anfügen müssen, damit die Schüler eine strukturelle Hilfestellung erhalten, die sie wiederum in Anspruch nehmen können, dazu aber nicht verpflichtet sind. Die Verwendung des Lerntagebuchs hätte ich in der Einführung wesentlich deutlicher besprechen müssen. Auch dieser Punkt zeigt, dass eine Doppelstunde zur Einführung absolut notwendig sein kann. Der genaue Zeitbedarf hängt allerdings wesentlich davon ab, wie erfahren die Schüler bereits im Umgang mit Makromethoden sind.
Hierin liegt der zweite grundlegende konzeptionelle Fehler in der Planung des Unterrichtsversuchs. Eine Erhebung des Erfahrungsstandes habe ich in der Einführungsphase durchgeführt; sie hätte allerdings wesentlich früher, bei der Planung der Einheit, stattfinden müssen, damit ich daraus Konsequenzen für die Einführungsphase ziehen kann. Auf diese Weise hätte ich frühzeitig feststellen können, dass viele Schüler mit dem ungewohnten Maß an Freiheit in der Gestaltung ihrer Unterrichtszeit noch nicht umgehen können.

3.   Evaluation und persönliches Resümee

Die drei Methoden zur Evaluation wurden bereits im Kapitel 1.3 vorgestellt, so dass ich hier nur auf die Ergebnisse selbst eingehen werde.

3.1  Evaluation der Ergebnisse in Bezug auf die Leitfragen

Die erste Leitfrage des Unterrichtsversuchs beschäftigte sich mit der Ausbildung von Sachkompetenz durch den Erwerb neuer sprachlicher Inhalte: Würde der Zuwachs den Erfolg einer geschlossenen Unterrichtsform übertreffen? Ich habe mir hier keinen wesentlichen Vorteil erwartet. Sowohl meine eigenen Unterrichtsbeobachtungen als auch jene im Unterricht meines Mentors zeigen mir, dass mit geschlossenem, stark gelenktem Unterricht sehr gute Erfolge im Hinblick auf die Sprachfertigkeit zu erzielen sind.
Direkt vor der Klassenarbeit habe ich ein Meinungsbild eingeholt. Ich habe gefragt, ob die Schüler sich gut vorbereitet fühlen, nur drei Schüler aus der leistungsstärkeren Gruppe konnten dies von sich behaupten. Es herrschte eine sehr große Angst vor der Klassenarbeit, die auch aus einer mangelnden vorherigen Rückmeldung über den Leistungsstand der Schüler durch die Lehrkraft resultierte. Die Klassenarbeit selbst ist durchschnittlich ausgefallen,[19] wobei beim Erkennen, Bilden und Übersetzen der Konjunktive weniger Fehler gemacht wurden als z.B. durch fehlende Vokabelkenntnis oder Ungenauigkeit beim Erkennen einzelner Formen (Numeri, Kasus etc.).
Die Lerntagebücher der Schüler unterstützen diese Feststellung, wenn sie auch bei der eigenen Einschätzung oft zu niedrig im Bezug auf den Lernerfolg angesetzt haben. Viele Schüler halten fest, dass sie die Grammatik gelernt haben und „irgendwie“ auch anwenden könnten, dass sie aber im normalen Unterricht dasselbe Pensum wesentlich schneller hätten erarbeiten können. Die erste Leitfrage muss als Ergebnis der Evaluationsverfahren also verneint werden. Die Freiarbeit bietet beim Erwerb neuer sprachlicher Strukturen keine Vorteile gegenüber geschlossenen Unterrichtsformen, sie nimmt eher sogar mehr Zeit in Anspruch und durch das fehlende Lehrerfeedback kommt nicht das Gefühl auf, dass die Grammatik „sitzt“.
Die zweite, mir wesentlich wichtigere Leitfrage lautete, ob durch die Freiarbeit eigenverantwortliches Lernen gefördert wird. In kleineren Schritten bedeutete dies: Erkennen die Schüler Möglichkeiten zur Bewältigung der Probleme, die sich ihnen gestellt haben? Sie haben gelernt, die roten Karten ohne Scheu einzusetzen. Einige Schüler haben genau im Lerntagebuch dokumentiert, wie sie nach Bearbeitung einzelner Aufgaben bestimmte Grammatikseiten nochmals gelesen haben. Im Überblick lässt sich festhalten, dass die Schüler im leistungsstarken Bereich, die ohnehin schon ein hohes Maß an Selbständigkeit im bisherigen Unterricht aufgewiesen haben, auch hier über metakognitive Strategien etc. reflektiert haben, während besonders die Schüler im Leistungsmittel mehrfach resigniert haben, ohne sich intensiver mit den Problemen auseinandergesetzt zu haben. Ich werte es allerdings als Erfolg, dass gerade die leistungsschwächeren Schüler (Kevin, Finja, Vanessa, Torben) von den Möglichkeiten der Freiarbeit guten Gebrauch gemacht haben. Sie haben versucht, ihre Probleme genau zu benennen und sich daraufhin Hilfe gesucht. Im Hinblick auf diese Teilfrage war der Unterrichtsversuch mäßig erfolgreich, gerade die Schüler im Leistungsmittel hätten stärker ermutigt werden müssen.
Die zweite Teilfrage lautete: Ziehen die Schüler aus den Erfahrungen Konsequenzen für ihren weiteren Lernprozess? Darin würden sich ein Erkenntniszuwachs und eine Verantwortungsübernahme im Rahmen ihrer Selbstkompetenz zeigen. Die Antwort auf diese Frage hätte wesentlich besser dokumentiert werden können, wenn ich mehr Wert auf die zielgerichtete Führung der Lerntagebücher gelegt hätte. Auf diese Weise wäre vielen Schülern rechtzeitig bewusst geworden, dass sie einen Großteil der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit schlicht „verplempert“ haben. Die eigene Einsicht wäre hier wesentlich wertvoller gewesen als der Hinweis durch die Lehrkraft. Mit Blick auf diese Frage ist aber immerhin eine Bewusstmachung erreicht worden, so dass auch hier kein reiner Misserfolg vorliegt: Alle Schüler, so lässt sich aus ihren Resümees und dem Evaluationsgespräch in der Auswertungsphase erkennen, haben eingesehen, dass sie nicht nur früher mit der Arbeit hätten beginnen müssen, sondern auch, dass sie sich einen Arbeitsplan zu Beginn der Einheit hätten erstellen müssen – da er ja, im Gegensatz z.B. zum Wochenplan, nicht vorgegeben war. Für einen 9.Jg. halte ich diese Erkenntnis für sehr wichtig und wertvoll. Allerdings hätte sie auch mit einem Kurzversuch über eine Doppelstunde erreicht werden können, in der man die Schüler bewusst „ins Messer laufen“ lässt. Elf Unterrichtsstunden sind hierfür definitiv zu viel.
Dazu kommt, dass noch zwei Stunden nachgesteuert werden musste, so dass die Leitfragen zwar teils positiv beantwortet werden konnten, die Methode zum Erzielen der positiven Effekte allerdings nicht effizient war. Die nötigen Konsequenzen aus dieser Feststellung finden sich in Kapitel 3.3.
Ich hatte befürchtet, dass zu viele Vorgaben die Selbständigkeit der Schüler einschränken würden und damit das Ziel des Unterrichtsversuchs in Frage gestellt würde. Allerdings war die Öffnung des Unterrichts für die meisten Schüler zu drastisch. So finden sich in den Lerntagebüchern sowie auf den gelben Zetteln aus der Auswertungsphase auch konkrete Vorschläge für die weitere Arbeit. Simon schreibt: „Um den offenen Unterricht zu verbessern, wäre es vielleicht gut, wenn es ungefähre Angaben geben würde, wie viel man nach z.B. 4 Stunden geschafft haben sollte. Das könnte als Orientierung für uns Schüler dienen.“ Ähnlich wie bei der Projektmethode hätte man also einzelne „Meilensteine“ setzen können, an denen Zwischenevaluationen des eigenen Fortschrittes hätten durchgeführt werden können. Im Falle des Scheiterns hätte man auf diese Weise den Versuch auch rechtzeitig abbrechen können, um möglichst wenig Zeit zu vergeuden.

3.2  Evaluation der Ergebnisse in Bezug auf die Zielvorstellungen

Die Zielvorstellung lautete: Indem die Schüler beim Erlernen der Formen und Funktionen des Konjunktivs im Hauptsatz in einer Freiarbeit ihren Lernprozess strukturieren, regelmäßig reflektieren und daraus angemessene Konsequenzen für ihre weitere Arbeit ziehen, lernen sie, Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen als Teil ihrer Selbstkompetenz.
Das Erlernen der Formen und Funktionen hat stattgefunden, das konnte ich aus den Ergebnissen der Klassenarbeit und einer Fehleranalyse erkennen. Das Strukturieren und Reflektieren des Lernprozesses hat nur bei etwa der Hälfte der Schüler stattgefunden. Die Lerntagebücher sind zu halbherzig geführt worden, als dass sie ihrer Rolle als Reflexionsinstrument hätten gerecht werden können. Infolgedessen konnte auch der nächste Punkt nur von einigen Schülern erfüllt werden: Es wurden kaum angemessene Konsequenzen für die weitere Arbeit innerhalb des Unterrichtsversuches gezogen. Die wesentliche Einsicht wurde erst zum Schluss erlangt, so dass ich mir zumindest den Erkenntnisgewinn für weiteres Arbeiten über den Rahmen der Freiarbeit hinaus erhoffe. Ich bin optimistisch, dass dieses Erlebnis für viele Schüler eine Art „Katharsis“ dargestellt hat. Ein einsichtiger Ton kann in vielen Tagebucheinträgen erkannt werden, so z.B. bei Eddy:

„Ich fühle mich überhaupt nicht gut auf die Arbeit vorbereitet, da ich den freien Unterricht nicht sinnvoll genutzt habe. Nach der Arbeit: Ich habe die Arbeit verkackt, da ich den freien Unterricht falsch interpretiert habe und ich mich nicht angestrengt habe, sondern diesen Unterricht als „Ausruhen“ gesehen habe. Nun muss ich die Konsequenzen tragen (…) Ich bereue es, diese Zeit nicht sinnvoll genutzt zu haben.“

Sehr ähnliche Einträge finden sich bei einer Vielzahl von Schülern. Hier zeigt sich wieder die Bedeutung der Einführungsphase, in der jeglicher „Fehlinterpretation“ der Freiarbeit hätte entgegengewirkt werden müssen. Dass aber die Schüler ausnahmslos die „Schuld“ bzw. Verantwortung bei sich suchen, deutet auf eine Verantwortungsübernahme hin, auch wenn diese sich vielleicht erst in den folgenden Unterrichtsversuchen zeigen wird. Ich bin der Meinung, hier einen positiven Effekt erzeugt zu haben, auch wenn dadurch, wie in 3.1 erwähnt, nicht der Zeitaufwand gerechtfertigt wurde.

3.3  Persönliches Resümee und Schlussfolgerungen

Hat der Unterrichtsversuch eine Förderung der Verantwortungsübernahme für den eigenen Lernprozess bewirkt? Nein. Er hat aber das Bewusstsein dafür geschaffen, dass diese Übernahme angesichts gestellter Aufgaben geschehen muss; diese Einsicht hat der Großteil der Schüler in ihrem Lerntagebuch und den Reflexionen in der Auswertungsphase festgehalten. Zwar mag darin ein Gewinn liegen, doch rechtfertigt er nicht elf Stunden Unterrichtszeit, das hätte wesentlich einfacher in einem Kurzversuch geschehen können. Die Konsequenzen aus diesem Versuch lassen sich in kleinere, handwerkliche und zwei größere, konzeptionelle Faktoren zerlegen.
Auf der handwerklichen Ebene muss darauf geachtet werden, eine vernünftige Arbeitsatmosphäre für die Schüler zu schaffen. Im Idealfall geschieht dies durch Bereitstellung zweier Lernräume, von denen einer für eine ausgelassene Atmosphäre, der andere für stilles Arbeiten zur Verfügung steht, so dass jeder Schüler sich für die zu ihm passende Arbeitsform entscheiden kann.
In der Einführungsphase der FA müsste das Material gründlicher gesichtet werden, hier vor allem die Materialbox zum Üben. Der FA-Ordner war im Aufbau klar und ist auch ausführlich besprochen worden; für die Schüler muss in ihrem eigenen FA-Ordner ein Übersichtsblatt über den genauen Inhalt der Materialbox zur Verfügung stehen.
Den Übungsmaterialien sollte jeweils am Ende der Seite eine auffällige Box hinzugefügt werden mit folgendem Text: „Wenn Du mit dieser Aufgabe Probleme hattest, kannst Du [an Stelle XY im Ordner oder Zusatzmaterial] Lernhilfen finden.“ – auf diese Weise wird den Schülern ein hilfreicher Weg aufgezeigt, ohne dass damit die Selbständigkeit im Lernprozess in Frage gestellt würde.
Da die Schüler zuerst auf die grafisch ansprechenderen Materialien reagieren, sollten davon mehrere zur Verfügung gestellt werden. Es dürfen sich mehrere Spiele unter den Übungsmaterialien befinden, wobei immer der sprachliche Kontext im Vordergrund stehen muss. Auch muss man darauf achten, dass trotzdem die „herkömmlichen“ Aufgaben durch die Schüler nicht vernachlässigt werden. Dem kann durch kleine grafische Organizer oder kreative Zusätze bei den Aufgaben entgegengewirkt werden.
Der Einsatz der roten Karten hat sich als hilfreich erwiesen, allerdings sollte auch hier in der Einführungsphase die Bedeutung noch stärker als „Hilfegesuch an alle Teilnehmer der Freiarbeit“ deutlich gemacht werden. Die Karte wurde meistens als Hilferuf an die Lehrkraft eingesetzt, wodurch das kooperative Lernen nicht gefördert wird; der Sinn sollte eigentlich sein, dass auch Mitschüler die Karten sehen und von sich aus auf die hilfesuchenden Lerner zugehen (im Rahmen der Ausbildung ihrer Sozialkompetenz).
Es wäre zu überlegen, ob ein Pflichtaufgabenteil eingeführt wird. Dies hätte zur Folge, dass zumindest ein Grundstock an Wissen vor Bearbeitung der Lernerfolgskontrolle vorhanden ist. Ich persönlich widersetze mich dem vehement: Ziel des Versuches war eine starke Öffnung des Unterrichts. Durch Vorgabe eines Pflichtpensums liegt de facto keine Freiarbeit mehr vor, sondern ein Wochenplan. Dass es sinnvoll gewesen wäre, der Unterrichtseinheit einen Wochenplan vorzuschalten, dazu im Folgenden mehr. Freiarbeit nach Maria Montessori bedeutet allerdings, dass ich als Schüler mir aussuche, was ich in welcher Zeit und mit wem bearbeite. Wir sprechen hier von pädagogischer „Freiheit“, die den Schülern eingeräumt wird, nach Montessoris Grundsatz „Hilf mir, es selbst zu tun.“
Der letzte handwerkliche Faktor zur Verbesserung betrifft das Lerntagebuch. Da es als Reflexionswerkzeug für die Schüler von grundlegender Bedeutung ist, muss dieser Punkt bei einer Wiederholung des Versuchs unbedingt optimiert werden. Das sollte mittels zweier Faktoren geschehen: Den Schülern muss in der Einführungsphase noch wesentlich stärker bewusst gemacht werden, welche Funktion das Lerntagebuch hat. Es dient nicht als Kontrolle für die Lehrkraft, dass die Schüler bestimmten Aktivitäten in der Stunde nachgegangen sind. Es soll den Schülern den aktuellen Lernstand, den bisher gegangenen Weg und ihre eigenen Überlegungen zur weiteren Gestaltung des Lernprozesses vor Augen halten und zu einer vernünftigen Einschätzung des Lernstandes beitragen.[20] Neben der Bewusstmachung ist es auch notwendig, für die Schüler eine Beispielseite eines Lerntagebuchs anzufertigen und sie dem FA-Ordner hinzuzufügen, wie es auch in Scholz’ Beitrag zur Freiarbeit geschehen ist.[21] Den Schülern wird auf diese Weise ein Muster vorgegeben, das sie übernehmen können, aber nicht müssen.
Der erste konzeptionelle Faktor ist das Thema der Freiarbeit. Einzelne Schüler haben im Lerntagebuch festgehalten, dass das Thema „Konjunktiv im Hauptsatz“ zu komplex ist. Es umfasst die Neueinführung der Formen des Konjunktivs sowie eine hohe Zahl an unterschiedlichen Funktionen, die der Konjunktiv einnehmen kann. Meistens führen Schulbücher den Konjunktiv über den Nebensatz ein, wo er zum Beispiel von Konjunktionen grammatikalisch erzwungen ist. Ist es also zuviel von den Schülern erwartet, dass sie sich neben der Bildung des Konjunktivs noch die Funktionen Optativ, Hortativ, Iussiv, Deliberativ, Prohibitiv, Potentialis und Irrealis in acht Schulstunden aneignen? Auch wenn es sich hierbei um einen Latein III-Kurs handelt, der aufgrund der schulischen Unterrichtssituation[22] eine extrem gedrängte Stoffverteilung für 9.2 vorsieht, so stellte dieses Pensum definitiv eine Überforderung für den Großteil der Schüler dar. Das Projekt war zu ambitioniert. Bei einer Wiederholung des Versuchs könnte man anstreben, in einer Freiarbeit den Konjunktiv im Hauptsatz erarbeiten zu lassen, wenn die Formen und die Nebensatz-Funktionen bereits bekannt sind; das stelle ich mir wesentlich realistischer vor. Ich habe mich hierbei etwas durch meine zu idealistische Einschätzung der Lerngruppe blenden lassen. Wenn auch Pfeiffer meiner Meinung nach auf ähnliche Weise zu idealistisch die Möglichkeiten der Freiarbeit betrachtet, so muss ich dennoch Nissen widersprechen, wenn er behauptet, diese Makromethode eigne sich nicht zur Einführung neuer Grammatik – hier unterschätzt er die Möglichkeiten der Schüler und den positiven Effekt auf  die Ausbildung von Selbst- und Sozialkompetenz, den eine Freiarbeit haben kann.
Der größere konzeptionelle Fehler liegt meines Erachtens allerdings in der mangelhaften Vorentlastung dieses Unterrichtsversuchs.
Es ist vermessen, zu glauben, indem man die Kinder ohne Schwimmflügel ins kalte Wasser wirft, dass sie das Schwimmen lernen könnten. Sie lernen, sich über Wasser zu halten, aus bloßem Überlebenswillen. Von nachhaltiger Kompetenzentwicklung kann hier allerdings keine Rede sein. Ebenso muss bei der Erziehung zum freien Arbeiten hin eine graduelle Entfernung der „Stützräder“ geschlossenen Unterrichts stattfinden.
Gerade bei einem Kurs, der sich aus Klassen unterschiedlichen Erfahrungswertes im Bezug auf den Umgang mit Makromethoden zusammensetzt, ist es zunächst nötig, den Erfahrungsstand sorgfältig zu erheben. Das ist hier geschehen, müsste aber bei einer Wiederholung dieses Versuchs weit vor der Einführungsphase zur Freiarbeit stattfinden. Als Konsequenz aus Sichtung der Ergebnisse müsste dann versucht werden, die Schüler auf einen gemeinsamen Stand zu bringen. Die Vorarbeit zu einer Freiarbeit und einem eventuell folgenden Projekt, das eine der stärksten Unterrichtsöffnungen darstellt, muss in einer teilweisen Öffnung stattfinden; dies kann zum Beispiel gelingen, indem man Unterrichtseinheiten nacheinander geschlossen, im Lernzirkel, als Stationsarbeit, im Wochenplan und schließlich in Freiarbeit durchführen lässt.
Dabei ist es wichtig, vom ersten Schritt an den Schülern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was hier aus pädagogischer Sicht vor sich geht. Sie müssen sich bewusst sein, dass sie von Einheit zu Einheit mehr Verantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen sollen und dies dann angeleitet durch die Lehrkraft tun.
Die Notwendigkeit, die Schüler zum freien Arbeiten zu erziehen, ergibt sich nicht nur aus dem Lehrplan, der in der Sekundarstufe II Arbeit in Projektform vorsieht, sondern auch aus den Anforderungen, die das Leben nach dem Schulabschluss an die Schüler stellt. Auf einem G8-Bildungsweg sehe ich die 9.Klasse trotz des teils misslungenen Versuchs als geeignet an, jenen Weg zu beginnen, damit er in der Oberstufe fortgeführt werden kann. In dieser Jahrgangsstufe setzt der Prozess der Initiation der Jugendlichen langsam ein, in dessen Rahmen sie erkennen, dass es eine Welt „da draußen“ gibt, mit der sie bald konfrontiert werden. Damit sie nicht nach dem Schulabschluss ebenso unvorbereitet dastehen wie die Schüler in der hier durchgeführten Freiarbeit, muss rechtzeitig mit der Kompetenzausbildung zur Urteilsfähigkeit und damit verbundenen Verantwortungsübernahme für die eigene Entwicklung begonnen werden.



[1] In Latein das Modul „C: Selbständiges Arbeiten“ am 12.06.13, in Pädagogik das Modul „B1: Grundformen des Unterrichts und deren methodische Gestaltung II“ am 13.02.13., in dem allerdings nicht auf Freiarbeit eingegangen wurde, zudem stand das Konzept für den Unterrichtsversuch zu diesem Zeitpunkt bereits.
[2] Ich verwende in dieser Hausarbeit das generische Maskulinum.
[3] Pfeiffer, M. (Hrsg.): Der Altsprachliche Unterricht (1/97). Wochenplan und Freiarbeit.
[4] Scholz, I.: Freiarbeit, in: Drumm, J., Frölich, R.: Innovative Methoden für den Lateinunterricht. Göttingen 22008, 90-102.
[5] Beispielhaft soll hier der Blick auf die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gelten, an der ich einige Jahre lang die Gestaltung und Entwicklung der Studiengänge im Studierendenparlament, in der Fachschaftsarbeit und als stud. Hilfskraft begleitet habe.
[6] Ich benutze bewusst dieses Unwort, da ich mit Sorge die Umstrukturierung der Studiengänge miterlebt habe, die eine freie Entfaltung des Studenten und die Universität als Ort des Wissens und als alma mater ad absurdum führt.
[7] Scholz 94.
[8] Das Format richtet sich nach dem Vorschlag von Scholz (94).
[9] Scholz (96), jedoch ohne vorhergehendes Rollenspiel zur Darstellung der Erfahrungen oder Auslegen von Dokumentationsmappen, die in diesem Unterricht nicht angefertigt worden sind. Sie unterscheiden sich von den Lerntagebüchern darin, dass sie, ähnlich einer Projektmappe, auch angefertigte Ergebnisse festhalten und damit genaugenommen über eine reine Dokumentation hinausgehen.
[10] Ich habe den Kurs im Februar 2012 nach einem halben Jahr der Spracherwerbsphase von einem Kollegen im 0.Semester übernommen.
[11] Nissen, P.: Öffnung von Unterricht, in: Pfeiffer, M. (Hrsg.): Der Altsprachliche Unterricht (1/97). Wochenplan und Freiarbeit. 12.
[12] Pfeiffer, M.: Freiarbeit im Lateinunterricht, in: Pfeiffer, M. (Hrsg.): Der Altsprachliche Unterricht (1/97). Wochenplan und Freiarbeit. 47. Sie gibt zwar unter anderem auch konkrete Beispiele zur Arbeit mit dem Konjunktiv im Hauptsatz, einen Übungsbogen sowie die entsprechende Lösungsseite, spricht allerdings in ihren Ausführungen nur von „Üben und Wiederholen in Freiarbeits-Stunden“ (49), während sie im Einstieg auch die Erschließung neuer Themengebiete anspricht (Erarbeitungsstunde), ohne dabei zu erwähnen, ob sie sich damit auf inhaltliche oder sprachliche Themen bezieht (48). Sie bezieht sich außerdem m.E. in erster Linie auf einzelne FA-Stunden im Rahmen des normalen Unterrichts, wohingegen ich versuche, eine komplette Unterrichtseinheit in FA zu gestalten. Ich habe mich deswegen mehr auf Scholz bezogen.
[13] Schlüter, H. et al. (Hrsg.): Latinum. Lehrgang für den spät beginnenden Lateinunterricht. Göttingen 22005, 112-118.
[14] Holtermann, M. et al. (Hrsg.): Actio 2. Leipzig 2006, 182.
[15] Scholz 92.
[16] Rinderspacher, I.: Schulgrammatik Latein. Stuttgart 2007, 104-106.
[17] Blank, M. et al. (Hrsg.): Videte. Lateinische Grammatik. Berlin 2007, 122-125.
[18] Der Song „Ista?!“ des gleichnamigen deutschen Musikprojektes, http://www.ista-latina.de/ (gepr. 02.07.13)
[19] Der Klassenspiegel: 2x1, 5x2, 2x3, 6x4, 4x5 bei zwei fehlenden Schülern.
[20] Der Idealfall lag in diesem Versuch z.B. bei Dorotheas Tagebuch vor. Sie hat die bearbeiteten Aufgaben notiert, geschaut, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und mögliche Wege zur Lösung der Probleme erwogen. Sie hat vor der Klassenarbeit festgestellt, dass sie sich gut vorbereitet fühlt. Sie hat erkannt, dass die FA für sie erfolgreich war und das Ergebnis ihrer Klassenarbeit (1+) hat ihre Beobachtungen reflektiert.
[21] Scholz 94.
[22] Hohe Unterrichtsausfälle durch (teils kurzfristig geplante) Wanderfahrten, zweiwöchiges Praktikum, Musikprojekte u.ä.