Angeregt durch gestrigen Chat mit einem Referendar möchte ich hier einen Text veröffentlichen, der reichhaltige Rückschlüsse auf mich zulässt, nämlich Dr Hilarius als verblendeter, idealistischer Pädagoge.
Ich glaube immer an das Gute im Menschen, ich verorte mich da ganz im Humanismus. Und ich glaube daran, dass Schüler eine Menge unentdecktes Potential besitzen - und dass ich die Rolle des Begleiters übernehme, der ihnen den nötigen Entwicklungskontext zur Verfügung stellt, damit sie sich selbst ausprobieren und entdecken können. Ja ja, laberlaber, klingt wie fein auswendig gelernt und vorgetragen. Ist aber so;
Humanistische Pädagogik war eines meiner Prüfungsthemen im Pädagogikexamen. Über das Verhältnis zwischen Referendariat und Pädagogik möchte ich hier kein Wort mehr als nötig verlieren. Stattdessen erzähle ich von eben jenem Unterrichtsversuch, der vollkommen gescheitert ist.
Ich glaube immer wieder mit funkensprühendem Idealismus an die Entwicklung der Eigenverantwortung der Schüler und wollte daher mal schauen, was sie so machen, wenn man sie - mit einer Materialkiste - einfach mal machen lässt. Konkret: Grammatikeinführung in Freiarbeit im Fach Latein. Wen es interessiert, der kann nun lesen, wie der Unterrichtsversuch baden gegangen ist:
Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen
Schleswig-Holstein – IQSH
Sommer 2013
Hausarbeit im
Fach Latein
Förderung des
eigenverantwortlichen Lernens durch Grammatikeinführung im offenen Unterricht –
am Beispiel des Konjunktivs im Hauptsatz
Prüfer (Studienleiter Latein): Eckhard Kruse
Dr Hilarius
Studienreferendar Lat/Eng, 2.Sem.
Abgabe: 02.07.13
1.
Problemstellung
1.1 Bezug
zu Ausbildungsinhalten und -standards
Der Unterrichtsversuch „Einführung von
Grammatik im Offenen Unterricht“ bezieht sich auf die zum Zeitpunkt der
Unterrichtseinheit noch nicht durchgeführten Module zur Unterrichtsöffnung. Die Idee
zum Versuch hat sich nicht aus den Ausbildungsinhalten ergeben, sondern ist
Produkt eigener Interessen (z.B. alternativer Unterrichtskonzeptionen) und
Beobachtungen der Lerngruppe gewesen, dazu mehr unter 2.1.
Der Lateinunterricht, den ich bei
meinem Mentor in einer 7.Klasse (G8) habe beobachten können, ist zu einem sehr
hohen Anteil lehrergesteuert und -zentriert. Selbst wenn in den
Erarbeitungsphasen oft Partner- und Gruppenarbeit eingesetzt werden, hat die
Lehrkraft nie die Kontrolle „abgegeben“, sondern in kleinen Schritten immer
wieder Kontrollpunkte in den Unterrichtsverlauf eingebettet, so dass von einer
Anwendung von Makromethoden in dem durch mich beobachteten Unterricht keine
Rede sein konnte.
Es soll nicht der Eindruck entstehen,
dass dieser Unterricht in irgendeiner Weise „schlecht“ sei: Die Lehrkraft gilt
durch alle Jahrgangsstufen hindurch als sehr beliebt und meine
Unterrichtserfahrungen in der Oberstufe haben gezeigt, dass die Schüler, die
ihre Spracherwerbsphase zumindest anteilig unter dieser Lehrkraft absolviert
haben, eine hohe Sprachkompetenz besitzen.
Es zeigen sich allerdings Schwächen im
Rahmen des thematischen Arbeitens, der Schritt der Abstraktion vom übersetzten
Text mag teilweise noch gelingen, der Transfer auf andere Kontexte (z.B. in die
Gegenwart) fällt manchmal schwer. Ein weiteres Problem, das ich sehe, ist der
Umgang mit Schülern, die zu lateralem Denken neigen und deswegen eher eigene
Wege suchen, Probleme zu lösen und, in unserem Fach, Texte zu entschlüsseln.
Jene Schüler scheinen mir in einem Frontalunterricht nicht genug berücksichtigt
zu werden.
Es böten sich also zwei weitere
Schwerpunkte des Unterrichtsversuches an, die Inklusion von Schülern mit
besonderen Lernvoraussetzungen als Möglichkeit zur Binnendifferenzierung sowie
eine Kompetenzstreuung in der Spracherwerbsphase weg vom schlichten Übersetzen
über das sinnorientierte Übersetzen hin zu einer themenzentrierten Arbeit im
Fach Latein.
Der Unterrichtsversuch stellt sich
allerdings einem anderen Problem, das ich den Schülern im Unterricht des
Kollegen unterstelle – es wird kaum Verantwortung für den eigenen Lernprozess
in größeren Unterrichtseinheiten übernommen. Der Unterricht ist stark verschult
und geht kleinschrittig voran, so dass keine Risiken im Lernfortschritt
eingegangen werden, die Schüler allerdings in ihrer persönlichen Entwicklung
auch nicht weitgehend genug gefördert werden. Das mag in einer 7.Klasse noch
der richtige Weg sein, im Rahmen der Umstellung auf G8 allerdings im letzten
Jahr der Sekundarstufe I, dem 9.Jg., den ich in diesem Versuch betreut habe,
sehe ich in einem solchen Unterricht einen Hemmschuh für den Beitrag, den wir
Lehrkräfte zur persönlichen Entwicklung der Schüler im Rahmen ihrer
Mündigwerdung und Erziehung zur Urteilsfähigkeit leisten können und müssen.
Ein wesentlicher Bezug des
Unterrichtsversuchs zu den allgemeinen Ausbildungsstandards liegt also vor zum
Bereich „Bildungs- und Erziehungseffekte“, genauer zu Punkt V/30 – „Die
Lernenden tragen im Unterricht der Lehrkraft i.A. Verantwortung für den eigenen
Lernprozess“. Dabei wird hier besonders dem Bildungsbegriff im humanistischen
Sinne Rechnung getragen, nach dem die Schüler ihre Probleme, aber auch ihr
Potential selbst entdecken können und wir als Pädagogen ihnen dafür den nötigen
Kontext zur Verfügung stellen.
Der hauptsächliche Bezug zu den
fachlichen Ausbildungsstandards findet sich in Punkt 11, „Der Referendar
arbeitet nach den Grundsätzen der Differenzierung und Inklusion“, auch wenn
dies nicht der Schwerpunkt der Arbeit ist – auch dazu mehr unter 2.1.
In der Planung habe ich mich in erster
Linie an der Ausgabe 1/97 des „Altsprachlichen Unterrichts“ zur
Öffnung von Unterricht sowie an dem Beitrag von Ingvelde Scholz zur Freiarbeit
im Lateinunterricht
orientiert.
1.2 Leitfragen und Zielvorstellungen
Zwei Leitfragen stehen im Mittelpunkt
dieses Unterrichtsversuchs. Es soll beobachtet werden, ob die Einführung von
Grammatikinhalten in einer offenen Unterrichtsform, in diesem Fall der
Freiarbeit, lernwirksamer ist als in einer geschlossenen Unterrichtsform – mit
Schwerpunkt auf der Ausbildung der Sachkompetenz.
Als Resultat meiner Beobachtungen im
frontalen Unterricht des Kollegen erwarte ich mir keinen höheren Lerneffekt im
Bezug auf die Sachkompetenz der Schüler unter Verwendung einer geöffneten
Unterrichtsform. Dies würde den Resultaten der Hattie-Studie von 2009
entsprechen, die nur eine minimale Steigerung des sichtbaren Lerneffektes durch
Unterrichtsöffnung feststellt.
Der zweite, dadurch umso wichtigere
Schwerpunkt liegt in der Förderung der bereits angesprochenen Selbstkompetenz,
der Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lernprozess: Erkennen die
Schüler im Kontakt mit den ihnen gestellten Aufgaben die ihnen zur Verfügung
stehenden Möglichkeiten, diese Probleme zu bewältigen? Ziehen sie aus dieser
Erkenntnis die nötigen Schlussfolgerungen für den weiteren Lernprozess? Nehmen
sie infolge der Selbstreflexion die für sie angemessenen
Förderungsmöglichkeiten (Grammatikhilfen, Unterstützung durch die Mitschüler
oder die Lehrkraft) wahr?
Eine Zielvorstellung dieses
Unterrichtsversuchs lautet: Indem die Schüler beim Erlernen der Formen und
Funktionen des Konjunktivs im Hauptsatz in einer Freiarbeit ihren Lernprozess
strukturieren, regelmäßig reflektieren und daraus angemessene Konsequenzen für
ihre weitere Arbeit ziehen, lernen sie, Verantwortung für den eigenen
Lernprozess zu übernehmen als Teil ihrer Selbstkompetenz.
Hier erhoffe ich mir tatsächlich
positive Resultate. Es wird erwartet, dass die Schüler mit Abschluss der gymnasialen
Oberstufe in der Lage sind, ohne enge Führung den Alltag zu bestreiten; sie
müssen ggf. einen weiteren Ausbildungsweg bestreiten, der nur teilweise ähnlich
strikt verschult sein wird, wie es in der Sekundarstufe I der Fall ist.
Mit einem Blick auf die Universitäten sehe
ich durchaus den Zweck dieses Unterrichtsversuchs in Frage gestellt. Im Zuge
der Umstellung auf die neuen Studiengänge (vom Staatsexamen zu Bachelor/Master)
wurden die Studienpläne deutlich stärker verschult. Der Student ist aus der
Verantwortungsübernahme für den eigenen Studienprozess entlassen worden. Wurden
in den alten Studiengängen lediglich die groben zu bearbeitenden Fachbereiche
vorgegeben, so gibt es in den neuen Studiengängen ein wesentlich engeres
Korsett der Fachausbildung mit strengem Blick auf den zu erstrebenden Abschluss
und die spätere „Verwertbarkeit“ der
Absolventen auf dem Arbeitsmarkt.
Eine weitere Gefahr für das Erreichen
sehe ich in der Umstellung unserer Schule auf G8. Es wird erwartet, dass die
Schüler mit dem Abschluss des 9.Jahrgangs den gleichen Stand in der
persönlichen Entwicklung erreicht haben wie unter G9 mit dem Abschluss von
Klasse 10; Initiationsstudien dagegen postulieren den Beginn des Reifeprozesses
etwa mit dem 16.Lebensjahr, der dann bis zum 21. Lebensjahr durchlaufen wird.
In diesem Zeitraum findet die angesprochene Mündigwerdung statt, in diesem
Zeitraum lernen die Schüler als selbstbestimmt handelnde Wesen (im Sinne des
Humanismus) ihre eigenen Möglichkeiten, aber auch Probleme in der eigenen
Entwicklung zu erkennen, zu analysieren und Konsequenzen für das eigene Handeln
daraus zu ziehen. Ob durch eine Verschiebung der Oberstufe um ein Jahr nach
unten auch die persönliche Entwicklung dem angepasst werden kann, halte ich für
sehr fraglich.
Ich selbst würde daher diesem
Unterrichtsversuch einer 10.Klasse in G9 mehr Erfolgschancen einräumen – doch spricht
nichts dagegen, den Prozess der Verantwortungsübernahme im 9.Jahrgang zu
beginnen und ihn dann in den weiteren Klassen fortzuführen.
1.3 Evaluationsverfahren
Zur Evaluation des Unterrichtsversuches
sollen drei Verfahren herangezogen werden. Zur Kontrolle des Erwerbs der
nötigen Sachkompetenz dient eine Klassenarbeit am Ende der Freiarbeitsphase.
Der Klassenarbeit wird keine Plenumsphase vorangeschoben: Diese würde die
Validität der Lernkontrolle in Frage stellen, da nicht überprüft würde, ob die
Schüler sich selbst das nötige Wissen angeeignet haben, sondern ob sie in der
Plenumsphase die richtigen Fragen gestellt bzw. gut aufgepasst haben. Der Text
der Klassenarbeit konzentriert sich zur Sicherung der Validität auf das im
Deckblatt zum FA-Ordner angegebene Pensum.
Zur Evaluation des Unterrichtsversuchs
im Hinblick auf die zweite Leitfrage wird von den Schülern ein Lerntagebuch
geführt. Hier
sollen die Schüler neben dem in der jeweiligen Stunde bearbeiteten Pensum auch
angeben, in welchen Sozialformen gearbeitet wurde und ein besonderer
Schwerpunkt auf Schwierigkeiten, aber auch persönliche Stärken gelegt werden.
Den Schülern werden am Ende jeder Stunde fünf Minuten eingeräumt, um diese
Eintragungen mit Bedacht zu machen.
Das Lerntagebuch halte ich für die
wichtigste Dokumentation des Erfolgs des Unterrichtsversuchs. Zu Beginn sollen
hier bisherige Erfahrungen mit Makromethoden eingetragen werden, danach die
durchgeführten Stunden dokumentiert werden. Hier zeigt sich die Selbstkompetenz
der Schüler zum einen in der Art der Einträge – sind diese ausführlich? Werden
nur die Aktivitäten der jeweiligen Unterrichtsstunde eingetragen oder auch die eigenen
Lernfortschritte reflektiert? Werden aus den bisherigen Überlegungen die
nötigen Konsequenzen für die weitere Arbeit gezogen?
Um den Schülern die Möglichkeit zu
geben, diese Konsequenzen in der unterrichtlichen Praxis umzusetzen, wird zu
Beginn jeder Stunde eine kurze Einstiegsphase gewährt, in der das Lerntagebuch
gelesen wird. Auf diese Weise erhoffe ich mir regelmäßige, kontinuierliche Reflexion
der eigenen Fortschritte, aber auch Rückstände. Die Lerntagebücher werden nach
Abschluss der Freiarbeit eingesammelt, damit ich mir ein Bild machen kann, ob
diese Dokumentationsmöglichkeit genutzt wurde und ob tatsächlich die
Selbstkompetenz der Schüler in diesem Unterrichtsversuch gefordert und
gefördert worden ist.
Als dritte Maßnahme zur Evaluation folgt
nach der FA-Phase, direkt anschließend an die Klassenarbeit, eine
Auswertungsphase, wie sie bei allen Makromethoden vorgeschlagen wird. Ich
orientiere mich hier ebenfalls teils am Vorschlag vom Scholz: In einer ersten
Reflexionsphase werden in Einzelarbeit auf roten Zetteln Probleme mit der FA,
auf grünen Zetteln deren Vorteile aufgeschrieben. Auf gelben Zetteln werden
Verbesserungsvorschläge oder allgemeine Fragen notiert. In der zweiten Phase
findet ein Karussellgespräch in drei Durchgängen statt. Im doppelten Stuhlkreis
als Kugellager teilen sich die Schüler gegenseitig ihre positiven und negativen
Erfahrungen in der Freiarbeit mit. In dieser Phase ist die Lehrkraft nicht
anwesend, um einen möglichst freien und
„unbelasteten“, ehrlichen Austausch der Schüler untereinander zu gewährleisten,
die Kursleiter übernehmen hierbei die Weiterschaltung des Kugellagers. Um zu
gewährleisten, dass die Schüler die Argumente ihres Gegenübers verstehen,
verarbeiten und mit den eigenen abgleichen können, notieren sie sich zunächst
die Punkte ihres Gesprächspartners und fassen sie einmal zusammen, bevor sie
ihre eigenen Notizen vorstellen. In der dritten Phase schließlich findet ein
Plenumsgespräch statt, in dem die Lehrkraft in erster Linie moderiert und sich
Notizen für das eigene Resümee macht.
Die Auswertungsphase dient sowohl zur
Überprüfung der Sach- als auch Selbstkompetenz; ggf. wird eine Nachsteuerung
zum Erwerb der nötigen Sprachkompetenz nötig sein.
2. Unterrichtspraxis
In den folgenden Ausführungen wird jeweils
zunächst auf die Überlegungen zu den einzelnen Punkten während der Planung,
dann auf meine Beobachtungen während der Durchführung des Unterrichtsversuchs
eingegangen.
2.1 Analyse der Lerngruppe
Zum Zeitpunkt der ursprünglichen Durchführung des Unterrichtsversuchs
in den letzten Wochen vor den Osterferien 2013 habe ich die zwölf Schülerinnen
und neun Schüler des Kurses Latein III des 9. Jg. (G8, 2.Lj.) seit gut einem
Jahr unterrichtet. In
dieser Zeit konnte ich mir ein umfassendes Bild der Leistungsfähigkeit und
-bereitschaft des Kurses erstellen.
Die Schüler zeigen überwiegend eine intrinsische
Motivation, sich die lateinische Sprache anzueignen. Sie gehen offen und
neugierig auf die neuen Sprachinhalte zu. Man mag diesen Umstand als Lehrkraft
fast schon erwarten; Latein III steht als Wahlpflicht im 8.Jg. den Fächern
Französisch, Dänisch, Technik oder MINT gegenüber. Umfragen unter der
Schülerschaft und die Arbeit in der Gruppe „Sprachenkonzept“ am
Schulentwicklungstag im Herbst 2012 haben gezeigt, dass gerade das Fach Technik
aufgrund des von den Schülern erwarteten niedrigen Schwierigkeitsgrades (der
allerdings nicht durch die Notenspiegel bestätigt wurde) gerne gewählt wurde.
In diesem Lateinkurs hat sich gezeigt, dass die Schüler Latein lernen wollen
und zu einem erfreulich großen Teil mögliche Hürden des Spracherwerbs mit
spielerischem Eifer gemeistert haben.
In Erarbeitungs- und Vergleichsphasen zur Übersetzung
von Texten hat sich gezeigt, dass die Lerngruppe hervorragend auf kooperative
Lernmethoden reagiert. Es wird nicht nur gerne geholfen – von einer breiten
Gruppe an Schülern im oberen Leistungsbereich – sondern die Hilfe wird auch
gerne und ohne Angst vor Bloßstellung in Anspruch genommen. Dadurch herrscht
ein sehr offenes, von Neugier und Freude am Lernen geprägtes Lernklima, das
mich zur Durchführung dieses Unterrichtsversuchs mit dieser Lerngruppe
inspiriert hat.
Die Schüler schaffen es ohne besondere „Umgewöhnung“,
übersetzungsbezogene Schüler-Schüler-Gespräche durchzuführen. Die Lehrkraft
kann als Moderator fungieren, das Prinzip des Schüler-hilft-Schüler wurde nach
kurzer Einübungsphase nahtlos in die Unterrichtspraxis übernommen. Die Schüler
haben als Teil ihrer Sozialkompetenz schnell gelernt, die Übersetzungen ihrer
Mitschüler nicht zu korrigieren, sondern in einem ersten Gedankengang zu
überlegen, wo das Problem gelegen haben mag, dieses Problem dann in einer
Rückmeldung zu benennen und somit ihrem Mitschüler die Möglichkeit zu geben,
sich selbst zu verbessern. Einen derart wertschätzenden Umgang miteinander habe
ich erfreut zur Kenntnis genommen und in meine Unterrichtsplanung übernommen.
Es hat sich dabei nicht als hinderlich erwiesen, dass
der Kurs aus drei Klassen (9 d (13 S), e (5 S), f (3 S)) zusammengesetzt war.
Die Sitzordnung ist gemischt und lässt keine Rückschlüsse auf
Klassenzugehörigkeit zu, im Gegenteil, es haben sich tolle Lernpartnerschaften
ergeben und die Schüler haben gelernt, die „Macken“ ihrer Mitschüler zu
akzeptieren – dazu gehört auch ein gegenseitiges Aufziehen und trotzdem eine
friedliche Atmosphäre. Wenn ich es so formulieren kann: Der Unterrichtsalltag
in dieser Lerngruppe läuft von der Begrüßung bis zur Verabschiedung äußerst
organisch ab, kleine Rituale zur Alltagsgestaltung haben sich oftmals als Schüleridee
etabliert, so dass – auch als Konsequenz regelmäßiger Evaluationsstunden – das
Unterrichtsgeschehen als Resultat gemeinsamer Gestaltung gesehen werden kann.
Ich habe mir daraus eine fortgeschrittene persönliche
Reife der Schüler erschlossen und eine Bereitschaft und auch Fähigkeit,
Verantwortung nicht nur für soziale Prozesse, sondern auch für die eigene
Entwicklung zu übernehmen. Die Inanspruchnahme fremder Hilfe in
Erarbeitungsphasen geschieht so selbstverständlich, dass ich mich gefragt habe,
ob die Schüler sich einen neuen Sachverhalt völlig selbständig erschließen
können – ob sie sich dabei mit der Neugier, die sie im bisherigen Unterricht
gezeigt haben, Möglichkeiten zur Unterstützung suchen, sei es in der Grammatik,
im Internet, in ihren Mitschülern oder in der Lehrkraft.
Mit der Überzeugung, dass das möglich sein würde,
habe ich diesen Unterrichtsversuch entworfen. Ich habe dabei die Aussage von
Peter Nissen, Freiarbeit sei
sinnvollerweise „nicht auf sprachlichen Neuerwerb, sondern auf Wiederholung,
Festigung, Übungsdefizite sowie Kreativität hin auszurichten“, als
Herausforderung verstanden – dieser Unterrichtsversuch soll im Sinne der
Bezeichnung versuchen, die Aussage zu widerlegen und dabei einen Vorteil
gegenüber geschlossenem Unterricht in Bezug auf die Entwicklung der
Selbstkompetenz feststellen.
Ich betrachte die Lerngruppe im Bezug auf den
Unterrichtsversuch mit einem ähnlichen Optimismus und Idealismus wie Michaela
Pfeiffer in ihrem Artikel über die Freiarbeit,
allerdings kann ohne dieses progressive, forschende Lehren kein aktiver Diskurs
über Unterricht gestaltet werden. Während Nissen seine These postuliert, ohne
Befunde oder Quellen anzuführen, möchte ich nun also die Gegenthese mit einer
Fallstudie unterfüttern.
Von den leistungsstärkeren Schülern wie Dorothea,
Fritzi, Jane, Tanne, Momme und Niklas erwarte ich mir aufgrund ihrer bisherigen
Leistungen und ihres selbständigen Arbeitsverhaltens genau die erhofften
Ergebnisse, während ich bei schwächeren Schülern wie Finja oder Kevin erwarte,
dass diese von sich aus häufiger die zur Verfügung gestellten Hilfen nutzen.
Erik zeigt ein bemerkenswertes Verhalten bei der Erschließung von Texten:
Manchmal kann er diese mit kleineren grammatikalischen Abweichungen inhaltlich
völlig korrekt erschließen, manchmal auch mit sehr freien Übersetzungen die
Texte in ihren Aussagen verstehen, bei einigen Übungen zur Grammatik zeigt er
wiederum erhebliche Schwierigkeiten. Ich habe mir bisher nicht erschließen
können, ob er einfach in den Klassenarbeiten „drauflos rät“ oder ob er
tatsächlich zum lateralen Denken neigt und auf anderen Wegen als den im
lehrergelenkten Unterricht eingeübten ans Ziel gelangt. Dieser
Unterrichtsversuch soll mir besonders im Hinblick auf ihn als Diagnostikum
dienen: Welche Hilfen wird er in Anspruch nehmen, arbeitet er vorwiegend allein
oder mit anderen Schülern, wie wird seine Klassenarbeit ausfallen? In dieser
Unterrichtseinheit kann ich also gezielt mit bestimmten Schülern gemäß ihrer
Anforderungen binnendifferenzierend arbeiten, ohne dass dies Schwerpunkt der
Hausarbeit sein soll.
In der Durchführung der Freiarbeit hat sich gezeigt,
dass die Schüler tatsächlich mit der bisher beobachteten Neugier auf die zur
Verfügung gestellten Materialien zugehen. Es herrschte ein zu erwartender hoher
Grad an Ausgelassenheit, der mitunter für einige Schüler störend gewirkt hat,
ohne dass diese die nötige Courage besessen hätten, um Ruhe zu bitten, so dass
ich an dieser Stelle mitunter eingegriffen habe. Dieses Verhalten hätte
allerdings angesichts der Ausgelassenheit, die manchmal in den bisherigen
Erarbeitungsphasen herrschte, antizipiert werden können; viele Schüler haben
diesen Punkt auch in ihren Lerntagebüchern erwähnt.
Wie ich angesichts der Heterogenität in den Methoden
zur Erschließung neuer Inhalte bisher im Unterricht beobachten konnte, sind die
Schüler auch hier völlig unterschiedlich an das neue Thema herangetreten. Dabei
war zu beobachten, dass gerade die genannten leistungsstärkeren Schüler,
darunter besonders Fritzi und Niklas, sich selbständig mit dem Material
auseinandergesetzt haben und zunächst den „Wissenspool“ über die Formen und
Funktionen des Konjunktivs im FA-Ordner angesteuert haben. Dagegen haben die
Schüler im mittleren Leistungsniveau sich vorwiegend mit den spielerischen
Übungen beschäftigt, die noch keine Bildungsregeln der neuen Formen
vorausgesetzt haben, wie z.B. die Formensuchspiele. Auch haben sie sich eher
auf kooperatives Arbeiten und die Nutzung der spielerisch aufbereiteten
Materialen konzentriert. Finja, Kevin und Erik haben zunächst eher einzeln
gearbeitet und dann bei Fragen bereitwillig die Hilfsangebote in Anspruch
genommen. Über das genaue Nutzungsverhalten der Materialien mehr in Kapitel 2.3.
Bei der Durchführung der Unterrichtseinheit haben
sich ebenfalls die erheblich unterschiedlichen Erfahrungsstände der Schüler im
Umgang mit geöffneten Unterrichtsformen gezeigt. Die Erhebung in den
Lerntagebüchern hat gezeigt, dass etwa drei Viertel der Schüler bereits mit
Unterrichtsöffnung konfrontiert wurden, in der Regel in Form von
Stationenlernen, etwa die Hälfte aller Schüler hat schon einmal einen
Wochenplan bearbeitet. Im Methodencurriculum der Schule ist die Erziehung zum
Umgang mit einem Wochenplan in den unteren Jahrgangsstufen vorgesehen. Da es sich
hier allerdings um einen Kurs aus drei unterschiedlichen Klassen handelt, wurde
sehr deutlich, dass einige Schüler wesentlich souveräner mit dem ihnen zur
Verfügung gestellten Material umgehen konnten und wussten, was es bedeutet,
sich die zur Verfügung stehende Zeit ihren Anforderungen entsprechend
einzuteilen. Die Diskrepanz zwischen dem von mir erwarteten
(selbstverständlichen) und dem gezeigten Umgang mit der neuen Situationen hat
erhebliche Auswirkungen auf meine Konsequenzen dieses Unterrichtsversuchs, dazu
mehr im Schlusskapitel. Hier sei nur meine Beobachtung während der Freiarbeit
festgehalten, dass die Erhebung des Erfahrungsstandes wesentlich früher,
deutlich vor der Planung der Einheit, hätte stattfinden müssen.
2.2 Didaktische Aufbereitung
Ich habe als Thema der Freiarbeit den Erwerb des
Konjunktivs im Hauptsatz gewählt, da dieses zum Zeitpunkt der Planung in der
folgenden Lektion 20 des Lehrbuchs behandelt wurde. Im
Lehrbuch wird der Konjunktiv in allen Formen (inklusive der verba anomala) und Funktionen des
Präsens und Imperfekt sowohl im Haupt-, als auch im Nebensatz eingeführt.
Dieses Pensum erschien mir auf den ersten Blick zu umfangreich, nicht nur für
die zur Verfügung stehende Zeit, sondern auch für die Methode Freiarbeit.
Während für gewöhnlich der Konjunktiv über den Nebensatz eingeführt wird, habe
ich den Stoff auf die Hauptsatzfunktionen reduziert. In den Nebensätzen wird er
oft von einer einleitenden Konjunktion erzwungen und kann im Deutschen oft
indikativisch wiedergegeben werden. Im Hauptsatz dagegen stehen sieben
Funktionen zur Verfügung, die in der Übersetzung alle durch Hilfsverben,
verneinte Imperative etc. kenntlich gemacht werden müssen.
Hier liegt mehr als ein bloßer Erwerb von
Sachkompetenz vor. Bei den Schülern findet eine stärkere Reflexion der
Funktionen sowohl im Lateinischen als auch Deutschen statt. Sie lernen den
Konjunktiv als Vorstellungsmodus kennen im Gegensatz zum Indikativ als
Aussagemodus. Im Gegensatz zum einfachen „Reinpauken“ müssen sich die Schüler
eigene Alltagssituationen vergegenwärtigen, in denen sie die vorliegenden
Konjunktivfunktionen verwenden. Hier werden die Schüler in ihrer
Selbstkompetenz gefordert und gefördert: Sie lernen, metakognitive Strategien
anzuwenden, um über Sprache zu reflektieren und sie infolgedessen besser zu
durchdringen. Dies ist umso wichtiger, als dass auch das Bewusstsein für die
Muttersprache geschärft wird. Ich behaupte, dass eine solche Reflexion bei der
Bearbeitung des Konjunktivs im Nebensatz nicht in jenem Maße stattfindet.
Dieser Kompetenzerwerb entspricht (neben der Förderung der
Verantwortungsübernahme) den Forderungen im Grundlagenteil des Lehrplans – der
Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten sowie dem Aufgreifen von Problemen über
die Fachgrenzen hinaus (da hier eben auch Deutschunterricht betrieben wird).
Da wir das Plusquamperfekt zu diesem Zeitpunkt noch
nicht hatten, habe ich sowohl die Formenbildung als auch die Funktion des
Irrealis in der Vergangenheit aus der Einheit gestrichen.
Das zu lernende Vokabelpensum umfasste die Vokabeln
der Lektion 20 sowie die Vokabeln der einschlägigen Lektion 21 des Lehrbuches Actio,
abzüglich der Deponentien, die in unserem Kurs zu dem Zeitpunkt noch nicht
bekannt waren. Die zusätzlichen Vokabeln begründen sich in der Wahl des in der
Klassenarbeit zu übersetzenden Textes, den ich aus der Actio-Lektion
zusammengestellt habe.
In der Praxis hat sich zunächst ein organisatorisches
Problem ergeben: An insgesamt drei Stunden der vorgesehenen Arbeitszeit fehlten
große Teile des Kurses zum einen wegen einer kurzfristig angekündigten
Wanderfahrt, zum anderen wegen nicht konsequent beachteter Absprachen bzgl. des
Nachmittagsunterrichtes an einem mündlichen Prüfungstag. Das hatte zur Folge,
dass die Unterrichtseinheit nicht mehr vor den Osterferien durchgeführt werden
konnte. An die Ferien schloss sich dann ein zweiwöchiges Betriebspraktikum der
Schüler an, so dass die gesamte Einheit insgesamt um fünf Wochen nach hinten
verlegt werden musste, und trotz intensiver Ankündigungen im Mitteilungsbuch
und bei den Kollegen fehlten während einer Doppelstunde wiederum acht Schüler.
Dieser Punkt muss in der „Didaktik“ Beachtung finden, da die Zeit vor den
Osterferien mit Inhalt gefüllt werden musste. Ich hatte daher den Konjunktiv
aufgeschoben und stattdessen noch den abl.abs. vorgezogen, ich habe mich
dagegen entschieden, den Konjunktiv im normalen Unterricht zu behandeln und
stattdessen den abl.abs. in die Freiarbeit zu legen, da sämtliche Materialien
und Ordner bereits fertig gestellt waren.
Während der Durchführung hat sich gezeigt, dass trotz
Reduktion des Inhaltes das Pensum für die Schüler zu hoch war. Anhand der
Checkliste auf dem Deckblatt des FA-Ordners (s.Anhang) konnte ich erkennen,
dass im letzten Viertel der Freiarbeitsphase bisher sehr wenige Kenntnisse
gefestigt waren. Die leistungsstärksten Schüler, insbesondere Jane, Dorothea
und Momme, halten in ihren Lerntagebüchern fest, dass die Stoffmenge sehr
umfangreich, aber schaffbar war. Das kann mir als Lehrkraft nicht ausreichen.
Beim Spracherwerb geht es nicht darum, dass die leistungsstarke Minderheit
alles schafft, sondern dass möglichst viele (im Idealfall natürlich alle) die
neuen Inhalte begreifen. Aus dieser Beobachtung ergibt sich eine der
wesentlichen konzeptionellen Konsequenzen für eine eventuelle Wiederholung der
Freiarbeit, dazu mehr in Kapitel 3.3.
2.3 Methodische Überlegungen
Die Idee, Grammatikeinführung in einer geöffneten
Unterrichtsform zu probieren, ist aus zwei Grundgedanken entstanden. Zum einen
sollen die Schüler ein Gespür dafür entwickeln, die ihnen zur Verfügung
stehende Lernzeit abzuschätzen und die von ihnen erwarteten Aufgaben dieser
Zeit entsprechend aufzuteilen. Darin liegt eine der Leitfragen dieses
Unterrichtsversuchs.
Zum anderen bin ich der Meinung, dass Schüler durch
entdeckendes Lernen viele Inhalte schneller und einsichtiger begreifen können.
Ich beziehe mich hierbei auch auf meine eigenen Erfahrungen sowohl als Schüler
als auch in der Gegenwart. Ich muss oft selbst erfahren, warum einige Sachen
nicht funktionieren, damit die Lösungswege mir einleuchtend erscheinen. Durch
den Forschungscharakter (z.B. des Durchstöberns des FA-Ordners oder der
Materialbox) werden Schüler stärker motiviert und aktiviert. Eine eventuelle
Trotzblockade gegenüber einer Lehrerhaltung, die ausdrückt, die Lehrkraft
wüsste immer, was das Beste für den Schüler sei, wird hier nicht oder nur sehr
selten auftreten.
Zunächst schwebte mir eine Wochenplanarbeit vor. Da
meine Leitfrage sich allerdings mit der Förderung von Selbstkompetenz im
Hinblick auf die Gestaltung selbstverantwortlichen Lernens beschäftigt, wollte
ich den Schülern so wenige Maßgaben wie möglich stellen. Der wichtigste
Unterschied zwischen dem Wochenplan und der Freiarbeit lag hierbei für mich in
der Festlegung eines Pflichtpensums, die ich vermeiden wollte.
Der Zeitraum der Unterrichtseinheit entspricht dem
normalen Bearbeitungszeitraum, der mir angesichts der schulischen
Unterrichtssituation für die Behandlung einer Lektion des Buches zur Verfügung
steht, elf Unterrichtsstunden. Davon verwende ich die ersten beiden Stunden als
Einführungsphase. Zuerst erschien mir eine Doppelstunde zu lang, aber ich habe
mich an Scholz gehalten. Sie
schlägt diesen Zeitraum vor, damit sich der organisatorische Aufwand lohne. Die
folgenden acht Stunden werden dann für die Freiarbeit genutzt. In der letzten
Stunde findet eine Auswertungsphase statt. Dieses Phasenmodell orientiert sich
an zwar an Scholz’ Beitrag zur Freiarbeit, lässt sich aber sinnvoll auf jede
Form der Makromethoden anwenden.
Der Stundenverlauf sieht folgendes Schema vor: Nach
der Begrüßung sollen die Schüler zunächst kurz ihr Lerntagebuch konsultieren,
um sich ein Vorhaben für die Stunde zu nehmen. In der darauf folgenden Zeit
haben die Schüler alle Freiheiten, die Stunde zu gestalten. Lediglich die
letzten fünf Minuten werden darauf verwendet, die aktuellen Eintragungen ins
Lerntagebuch vorzunehmen. An dieser Stelle mag man einwerfen, dass ein
bestimmtes Maß an Arbeit oder ein bestimmtes Verhalten im Klassenraum eingefordert
werden sollte. Ich habe mich dagegen entschieden, um den Schülern so viel
Verantwortung wie möglich zu übertragen. Hier liegt ein Grundgedanke
Montessoris und Freinets vor: Sozialform, Bearbeitungszeit und Inhalte werden
von den Schülern selbst gewählt. Lediglich die Inhalte habe ich vorgegeben,
weshalb hier nicht von einer „radikalen“ Freiarbeit gesprochen werden kann.
Aufgrund des Raummangels an der Schule findet die
gesamte Freiarbeit im normalen Klassenraum statt. Ich hätte gerne einen
angrenzenden zweiten Raum zur Verfügung gehabt, um eine ausgelassene und eine
konzentrierte Lernatmosphäre zu schaffen, die sich nicht gegenseitig
beeinflussen.
Die Materialien zur Unterrichtseinheit erstrecken
sich über zwei Bereiche, zum einen den FA-Ordner, den jeder Schüler bekommt,
zum anderen die Materialbox mit Übungen, Spielen, Arbeitsmaterialien und einem
Lösungsordner, die der ganzen Klasse zur freien Verfügung steht.
Der FA-Ordner gliedert sich in drei Teile: Zunächst
erhalten die Schüler ein Deckblatt mit dem anzustrebenden Lernpensum
(s.Anhang), sowie eine Inhaltsübersicht des Ordners und die Gliederung der
Materialien in der Übungsbox. Außerdem befinden sich hier die Tabellen der
Verbformen aus Actio zum Nachschlagen
(nicht zum Auswendigkernen!). Der Hauptteil ist dann der „Lernteil“, der sich
wiederum in Vokabeln (V), Formenlehre (F) und Funktionen des Konjunktivs (Ü)
gliedert. Die Grammatik habe ich hierbei aus verschiedenen Lehrbüchern kopiert,
so dass die Schüler sich das für sie passende Lernmaterial suchen können. Neben
Actio habe ich hier die Schulgrammatik Latein des Pons
sowie Videte
gewählt. Letzteres halte ich für herausragend in seiner Übersichtlichkeit. Den
Abschnitten F und Ü ist dabei jeweils eine extrem geraffte Kurzübersicht
vorangestellt, als Kontrolle für die Schüler. Der dritte Teil des FA-Ordners
ist das Lerntagebuch.
Die Materialbox unterteilt sich im ersten Schritt
ebenfalls nach den Bereichen V, F und Ü, die jeweils farbig einheitlich
gestaltet sind: Auf rosafarbenen Bögen finden sich Übungen, Spiele, Tandembögen
etc. zur Vokabelarbeit. Auf den grünen Bögen sind Suchspiele, Tandembögen, ein
lateinischer Song (mit
deutscher Übersetzung und anbei einem MP3-Player nebst Kopfhörern) mit Aufgabe
zum Erkennen und Bestimmen der Verbformen im Text sowie Übungen zum Bestimmen
und Bilden der Verbformen zu finden. Die blauen Materialien schließlich behandeln
die Übersetzung sowohl einzelner Formen als auch kürzerer und längerer Sätze,
sowohl als Tandembögen als auch für Einzelarbeit. Sämtliche Lösungen zu den
Materialien befinden sich in einem offen ausliegenden Lösungsordner. Für die
Suchspiele und Übungsbögen befinden sich in der Box wasserlösliche Stifte und
reichlich Taschentücher, für die Spiele Figuren und Würfel. Ich habe mich
bemüht, möglichst viele Lernkanäle mit der Materialbox anzusprechen, natürlich
sind alle Materialien mehrfach vorhanden. Außerdem erhält jeder Schüler eine
„Rote Karte“. Wenn er Hilfe benötigt, kann er dies mit der Karte anzeigen,
damit ich oder – besser noch – einer der Mitschüler kommen und helfen kann.
In der Praxis haben sich folgende Beobachtungen
hinsichtlich der Methodik ergeben: Die Verwendung einer Doppelstunde für den
Einstieg war absolut notwendig, um den Schülern die ungewohnte Arbeitsform zu
erklären. Wir sind in Ruhe den FA-Ordner durchgegangen, ich habe das Ziel der
gesamten Einheit erläutert und mich versichert, dass das Vorhaben allen
Schülern einleuchtete. Wir konnten zum Ende der Einführungsphase bereits mit
der Arbeit beginnen, allerdings hätte ich mir mehr Zeit nehmen müssen, um die
Inhalte der Materialbox einmal genau zu erklären, das habe ich neben der
Besprechung des Ordners nicht genügend behandelt. Infolgedessen waren die
Schüler mitunter von der Materialmenge erschlagen oder wussten nicht, welche
Bögen sie schon bearbeitet hatten (hier müsste dem FA-Ordner unbedingt eine
Inhaltsübersicht der Box anbei gefügt werden!). Auch war einigen nicht klar,
dass es zum Beispiel mehr als einen Tandembogen für Vokabeln gab
(„Vokabeltandem 1/2/3“). Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass alle
Materialien sehr schnell durchgearbeitet waren. Auch hätte ich die Schüler noch
darauf hinweisen müssen, dass die Übungsmaterialien mehrfach durchgearbeitet
werden können, um die Sprachsicherheit zu festigen. Die Bedeutung der blauen
Übersetzungsbögen wurde zudem unterschätzt, dabei macht die Übersetzung 2/3 der
Note eines Leistungsnachweises aus. Hier hätte ich den Schülern deutlichere
Akzente setzen müssen.
Die erhoffte Motivierung und Aktivierung der Schüler
hat stattgefunden. Von der ersten Stunde an sind sie forsch auf die Materialien
zugegangen, und wenn die Stimmung mitunter auch sehr ausgelassen war, gab es
keine Stunde, in der ein Schüler nicht mit der lateinischen Sprache gearbeitet
hätte.
Die Gestaltung der Materialien war für die Schüler
ansprechend, allerdings hatten die Übungen keinen ausreichend nachhaltigen
Effekt. Dazu hätte am Ende jedes Bogens ein Verweis sein müssen, wo die Schüler
Hilfe finden können, wenn sie Probleme mit der Aufgabe hatten, z.B.: „Wenn Dir
diese Übungen Schwierigkeiten bereitet hat, schau Dir nochmals die Bildung des
Konjunktiv Präsens auf Seite 27 Deines FA-Ordners an.“ Diese Hilfestellung
schränkt die Schüler nicht in ihrer Eigenverantwortlichkeit ein, da sie die
Hilfe in Anspruch nehmen können, aber nicht müssen.
Die roten Karten wurden zwar eingesetzt, allerdings
meistens nur als Hilfegesuch an die Lehrkraft. Ich hätte hier in der Einführung
deutlicher darauf hinweisen müssen, dass wir nach dem ShS-Prinzip arbeiten und
auch andere Schüler sich angesprochen fühlen sollen, ihren Mitschülern zu
helfen. Dadurch hätte die Sozialkompetenz wesentlich gefördert werden können:
Die Schüler trainieren ihre Empathiefähigkeit, indem sie die Notlage der
anderen erkennen, sich mit deren Problem beschäftigen und eine ihnen
angemessene Lösungsstrategie entwickeln.
Zuletzt ist das Lerntagebuch von einigen Schülern
ausschließlich als Dokumentation der bearbeiteten Aufgaben benutzt worden mit
kurzen Einträgen wie „Heute habe ich Vokabeln gelernt.“; im Anhang finden sich
zwei Seiten eines äußerst gelungenen Tagebuchs. Um die sinnvolle Nutzung dieses
sehr wichtigen Reflexionsinstrumentes zu
unterstützen, hätte ich dem FA-Ordner eine Beispielseite eines solchen
Tagebuchs anfügen müssen, damit die Schüler eine strukturelle Hilfestellung
erhalten, die sie wiederum in Anspruch nehmen können, dazu aber nicht
verpflichtet sind. Die Verwendung des Lerntagebuchs hätte ich in der Einführung
wesentlich deutlicher besprechen müssen. Auch dieser Punkt zeigt, dass eine
Doppelstunde zur Einführung absolut notwendig sein kann. Der genaue Zeitbedarf
hängt allerdings wesentlich davon ab, wie erfahren die Schüler bereits im
Umgang mit Makromethoden sind.
Hierin liegt der zweite grundlegende konzeptionelle
Fehler in der Planung des Unterrichtsversuchs. Eine Erhebung des
Erfahrungsstandes habe ich in der Einführungsphase durchgeführt; sie hätte
allerdings wesentlich früher, bei der Planung der Einheit, stattfinden müssen,
damit ich daraus Konsequenzen für die Einführungsphase ziehen kann. Auf diese
Weise hätte ich frühzeitig feststellen können, dass viele Schüler mit dem
ungewohnten Maß an Freiheit in der Gestaltung ihrer Unterrichtszeit noch nicht
umgehen können.
3. Evaluation und persönliches Resümee
Die drei Methoden zur Evaluation wurden bereits im
Kapitel 1.3 vorgestellt, so dass ich hier nur auf die Ergebnisse selbst
eingehen werde.
3.1 Evaluation der Ergebnisse in Bezug auf die
Leitfragen
Die erste Leitfrage
des Unterrichtsversuchs beschäftigte sich mit der Ausbildung von Sachkompetenz
durch den Erwerb neuer sprachlicher Inhalte: Würde der Zuwachs den Erfolg einer
geschlossenen Unterrichtsform übertreffen? Ich habe mir hier keinen
wesentlichen Vorteil erwartet. Sowohl meine eigenen Unterrichtsbeobachtungen
als auch jene im Unterricht meines Mentors zeigen mir, dass mit geschlossenem,
stark gelenktem Unterricht sehr gute Erfolge im Hinblick auf die
Sprachfertigkeit zu erzielen sind.
Direkt vor der
Klassenarbeit habe ich ein Meinungsbild eingeholt. Ich habe gefragt, ob die
Schüler sich gut vorbereitet fühlen, nur drei Schüler aus der
leistungsstärkeren Gruppe konnten dies von sich behaupten. Es herrschte eine
sehr große Angst vor der Klassenarbeit, die auch aus einer mangelnden
vorherigen Rückmeldung über den Leistungsstand der Schüler durch die Lehrkraft
resultierte. Die Klassenarbeit selbst ist durchschnittlich ausgefallen,
wobei beim Erkennen, Bilden und Übersetzen der Konjunktive weniger Fehler
gemacht wurden als z.B. durch fehlende Vokabelkenntnis oder Ungenauigkeit beim
Erkennen einzelner Formen (Numeri, Kasus etc.).
Die Lerntagebücher
der Schüler unterstützen diese Feststellung, wenn sie auch bei der eigenen
Einschätzung oft zu niedrig im Bezug auf den Lernerfolg angesetzt haben. Viele
Schüler halten fest, dass sie die Grammatik gelernt haben und „irgendwie“ auch
anwenden könnten, dass sie aber im normalen Unterricht dasselbe Pensum
wesentlich schneller hätten erarbeiten können. Die erste Leitfrage muss als
Ergebnis der Evaluationsverfahren also verneint werden. Die Freiarbeit bietet
beim Erwerb neuer sprachlicher Strukturen keine Vorteile gegenüber
geschlossenen Unterrichtsformen, sie nimmt eher sogar mehr Zeit in Anspruch und
durch das fehlende Lehrerfeedback kommt nicht das Gefühl auf, dass die
Grammatik „sitzt“.
Die zweite, mir
wesentlich wichtigere Leitfrage lautete, ob durch die Freiarbeit
eigenverantwortliches Lernen gefördert wird. In kleineren Schritten bedeutete
dies: Erkennen die Schüler Möglichkeiten zur Bewältigung der Probleme, die sich
ihnen gestellt haben? Sie haben gelernt, die roten Karten ohne Scheu
einzusetzen. Einige Schüler haben genau im Lerntagebuch dokumentiert, wie sie
nach Bearbeitung einzelner Aufgaben bestimmte Grammatikseiten nochmals gelesen
haben. Im Überblick lässt sich festhalten, dass die Schüler im leistungsstarken
Bereich, die ohnehin schon ein hohes Maß an Selbständigkeit im bisherigen
Unterricht aufgewiesen haben, auch hier über metakognitive Strategien etc.
reflektiert haben, während besonders die Schüler im Leistungsmittel mehrfach
resigniert haben, ohne sich intensiver mit den Problemen auseinandergesetzt zu
haben. Ich werte es allerdings als Erfolg, dass gerade die leistungsschwächeren
Schüler (Kevin, Finja, Vanessa, Torben) von den Möglichkeiten der Freiarbeit
guten Gebrauch gemacht haben. Sie haben versucht, ihre Probleme genau zu
benennen und sich daraufhin Hilfe gesucht. Im Hinblick auf diese Teilfrage war
der Unterrichtsversuch mäßig erfolgreich, gerade die Schüler im Leistungsmittel
hätten stärker ermutigt werden müssen.
Die zweite Teilfrage
lautete: Ziehen die Schüler aus den Erfahrungen Konsequenzen für ihren weiteren
Lernprozess? Darin würden sich ein Erkenntniszuwachs und eine
Verantwortungsübernahme im Rahmen ihrer Selbstkompetenz zeigen. Die Antwort auf
diese Frage hätte wesentlich besser dokumentiert werden können, wenn ich mehr
Wert auf die zielgerichtete Führung der Lerntagebücher gelegt hätte. Auf diese
Weise wäre vielen Schülern rechtzeitig bewusst geworden, dass sie einen
Großteil der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit schlicht „verplempert“ haben.
Die eigene Einsicht wäre hier wesentlich wertvoller gewesen als der Hinweis
durch die Lehrkraft. Mit Blick auf diese Frage ist aber immerhin eine
Bewusstmachung erreicht worden, so dass auch hier kein reiner Misserfolg
vorliegt: Alle Schüler, so lässt sich aus ihren Resümees und dem
Evaluationsgespräch in der Auswertungsphase erkennen, haben eingesehen, dass
sie nicht nur früher mit der Arbeit hätten beginnen müssen, sondern auch, dass
sie sich einen Arbeitsplan zu Beginn der Einheit hätten erstellen müssen – da
er ja, im Gegensatz z.B. zum Wochenplan, nicht vorgegeben war. Für einen 9.Jg.
halte ich diese Erkenntnis für sehr wichtig und wertvoll. Allerdings hätte sie
auch mit einem Kurzversuch über eine Doppelstunde erreicht werden können, in
der man die Schüler bewusst „ins Messer laufen“ lässt. Elf Unterrichtsstunden
sind hierfür definitiv zu viel.
Dazu kommt, dass noch
zwei Stunden nachgesteuert werden musste, so dass die Leitfragen zwar teils
positiv beantwortet werden konnten, die Methode zum Erzielen der positiven
Effekte allerdings nicht effizient war. Die nötigen Konsequenzen aus dieser
Feststellung finden sich in Kapitel 3.3.
Ich hatte befürchtet,
dass zu viele Vorgaben die Selbständigkeit der Schüler einschränken würden und
damit das Ziel des Unterrichtsversuchs in Frage gestellt würde. Allerdings war
die Öffnung des Unterrichts für die meisten Schüler zu drastisch. So finden
sich in den Lerntagebüchern sowie auf den gelben Zetteln aus der
Auswertungsphase auch konkrete Vorschläge für die weitere Arbeit. Simon
schreibt: „Um den offenen Unterricht zu verbessern, wäre es vielleicht gut,
wenn es ungefähre Angaben geben würde, wie viel man nach z.B. 4 Stunden
geschafft haben sollte. Das könnte als Orientierung für uns Schüler dienen.“
Ähnlich wie bei der Projektmethode hätte man also einzelne „Meilensteine“
setzen können, an denen Zwischenevaluationen des eigenen Fortschrittes hätten durchgeführt
werden können. Im Falle des Scheiterns hätte man auf diese Weise den Versuch
auch rechtzeitig abbrechen können, um möglichst wenig Zeit zu vergeuden.
3.2 Evaluation der Ergebnisse in Bezug auf die
Zielvorstellungen
Die Zielvorstellung lautete: Indem die
Schüler beim Erlernen der Formen und Funktionen des Konjunktivs im Hauptsatz in
einer Freiarbeit ihren Lernprozess strukturieren, regelmäßig reflektieren und
daraus angemessene Konsequenzen für ihre weitere Arbeit ziehen, lernen sie,
Verantwortung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen als Teil ihrer
Selbstkompetenz.
Das Erlernen der
Formen und Funktionen hat stattgefunden, das konnte ich aus den Ergebnissen der
Klassenarbeit und einer Fehleranalyse erkennen. Das Strukturieren und
Reflektieren des Lernprozesses hat nur bei etwa der Hälfte der Schüler
stattgefunden. Die Lerntagebücher sind zu halbherzig geführt worden, als dass
sie ihrer Rolle als Reflexionsinstrument hätten gerecht werden können.
Infolgedessen konnte auch der nächste Punkt nur von einigen Schülern erfüllt
werden: Es wurden kaum angemessene Konsequenzen für die weitere Arbeit
innerhalb des Unterrichtsversuches gezogen. Die wesentliche Einsicht wurde erst
zum Schluss erlangt, so dass ich mir zumindest den Erkenntnisgewinn für
weiteres Arbeiten über den Rahmen der Freiarbeit hinaus erhoffe. Ich bin
optimistisch, dass dieses Erlebnis für viele Schüler eine Art „Katharsis“
dargestellt hat. Ein einsichtiger Ton kann in vielen Tagebucheinträgen erkannt
werden, so z.B. bei Eddy:
„Ich
fühle mich überhaupt nicht gut auf die Arbeit vorbereitet, da ich den freien
Unterricht nicht sinnvoll genutzt habe. Nach der Arbeit: Ich habe die Arbeit
verkackt, da ich den freien Unterricht falsch interpretiert habe und ich mich
nicht angestrengt habe, sondern diesen Unterricht als „Ausruhen“ gesehen habe.
Nun muss ich die Konsequenzen tragen (…) Ich bereue es, diese Zeit nicht
sinnvoll genutzt zu haben.“
Sehr ähnliche
Einträge finden sich bei einer Vielzahl von Schülern. Hier zeigt sich wieder
die Bedeutung der Einführungsphase, in der jeglicher „Fehlinterpretation“ der
Freiarbeit hätte entgegengewirkt werden müssen. Dass aber die Schüler
ausnahmslos die „Schuld“ bzw. Verantwortung bei sich suchen, deutet auf eine
Verantwortungsübernahme hin, auch wenn diese sich vielleicht erst in den
folgenden Unterrichtsversuchen zeigen wird. Ich bin der Meinung, hier einen
positiven Effekt erzeugt zu haben, auch wenn dadurch, wie in 3.1 erwähnt, nicht
der Zeitaufwand gerechtfertigt wurde.
3.3 Persönliches Resümee und Schlussfolgerungen
Hat der Unterrichtsversuch eine Förderung der
Verantwortungsübernahme für den eigenen Lernprozess bewirkt? Nein. Er hat aber
das Bewusstsein dafür geschaffen, dass diese Übernahme angesichts gestellter
Aufgaben geschehen muss; diese Einsicht hat der Großteil der Schüler in ihrem Lerntagebuch
und den Reflexionen in der Auswertungsphase festgehalten. Zwar mag darin ein
Gewinn liegen, doch rechtfertigt er nicht elf Stunden Unterrichtszeit, das
hätte wesentlich einfacher in einem Kurzversuch geschehen können. Die
Konsequenzen aus diesem Versuch lassen sich in kleinere, handwerkliche und zwei
größere, konzeptionelle Faktoren zerlegen.
Auf der handwerklichen Ebene muss darauf geachtet
werden, eine vernünftige Arbeitsatmosphäre für die Schüler zu schaffen. Im
Idealfall geschieht dies durch Bereitstellung zweier Lernräume, von denen einer
für eine ausgelassene Atmosphäre, der andere für stilles Arbeiten zur Verfügung
steht, so dass jeder Schüler sich für die zu ihm passende Arbeitsform
entscheiden kann.
In der Einführungsphase der FA müsste das Material
gründlicher gesichtet werden, hier vor allem die Materialbox zum Üben. Der
FA-Ordner war im Aufbau klar und ist auch ausführlich besprochen worden; für
die Schüler muss in ihrem eigenen FA-Ordner ein Übersichtsblatt über den
genauen Inhalt der Materialbox zur Verfügung stehen.
Den Übungsmaterialien sollte jeweils am Ende der
Seite eine auffällige Box hinzugefügt werden mit folgendem Text: „Wenn Du mit
dieser Aufgabe Probleme hattest, kannst Du [an Stelle XY im Ordner oder
Zusatzmaterial] Lernhilfen finden.“ – auf diese Weise wird den Schülern ein
hilfreicher Weg aufgezeigt, ohne dass damit die Selbständigkeit im Lernprozess
in Frage gestellt würde.
Da die Schüler zuerst auf die grafisch
ansprechenderen Materialien reagieren, sollten davon mehrere zur Verfügung
gestellt werden. Es dürfen sich mehrere Spiele unter den Übungsmaterialien
befinden, wobei immer der sprachliche Kontext im Vordergrund stehen muss. Auch
muss man darauf achten, dass trotzdem die „herkömmlichen“ Aufgaben durch die
Schüler nicht vernachlässigt werden. Dem kann durch kleine grafische Organizer
oder kreative Zusätze bei den Aufgaben entgegengewirkt werden.
Der Einsatz der roten Karten hat sich als hilfreich
erwiesen, allerdings sollte auch hier in der Einführungsphase die Bedeutung
noch stärker als „Hilfegesuch an alle Teilnehmer der Freiarbeit“ deutlich
gemacht werden. Die Karte wurde meistens als Hilferuf an die Lehrkraft
eingesetzt, wodurch das kooperative Lernen nicht gefördert wird; der Sinn
sollte eigentlich sein, dass auch Mitschüler die Karten sehen und von sich aus
auf die hilfesuchenden Lerner zugehen (im Rahmen der Ausbildung ihrer
Sozialkompetenz).
Es wäre zu überlegen, ob ein Pflichtaufgabenteil
eingeführt wird. Dies hätte zur Folge, dass zumindest ein Grundstock an Wissen
vor Bearbeitung der Lernerfolgskontrolle vorhanden ist. Ich persönlich
widersetze mich dem vehement: Ziel des Versuches war eine starke Öffnung des
Unterrichts. Durch Vorgabe eines Pflichtpensums liegt de facto keine Freiarbeit
mehr vor, sondern ein Wochenplan. Dass es sinnvoll gewesen wäre, der
Unterrichtseinheit einen Wochenplan vorzuschalten, dazu im Folgenden mehr.
Freiarbeit nach Maria Montessori bedeutet allerdings, dass ich als Schüler mir
aussuche, was ich in welcher Zeit und mit wem bearbeite. Wir sprechen hier von
pädagogischer „Freiheit“, die den Schülern eingeräumt wird, nach Montessoris
Grundsatz „Hilf mir, es selbst zu tun.“
Der letzte handwerkliche Faktor zur Verbesserung
betrifft das Lerntagebuch. Da es als Reflexionswerkzeug für die Schüler von
grundlegender Bedeutung ist, muss dieser Punkt bei einer Wiederholung des
Versuchs unbedingt optimiert werden. Das sollte mittels zweier Faktoren
geschehen: Den Schülern muss in der Einführungsphase noch wesentlich stärker
bewusst gemacht werden, welche Funktion das Lerntagebuch hat. Es dient nicht
als Kontrolle für die Lehrkraft, dass die Schüler bestimmten Aktivitäten in der
Stunde nachgegangen sind. Es soll den Schülern den aktuellen Lernstand, den
bisher gegangenen Weg und ihre eigenen Überlegungen zur weiteren Gestaltung des
Lernprozesses vor Augen halten und zu einer vernünftigen Einschätzung des
Lernstandes beitragen.
Neben der Bewusstmachung ist es auch notwendig, für die Schüler eine
Beispielseite eines Lerntagebuchs anzufertigen und sie dem FA-Ordner
hinzuzufügen, wie es auch in Scholz’ Beitrag zur Freiarbeit geschehen ist. Den
Schülern wird auf diese Weise ein Muster vorgegeben, das sie übernehmen können,
aber nicht müssen.
Der erste konzeptionelle Faktor ist das Thema der
Freiarbeit. Einzelne Schüler haben im Lerntagebuch festgehalten, dass das Thema
„Konjunktiv im Hauptsatz“ zu komplex ist. Es umfasst die Neueinführung der
Formen des Konjunktivs sowie eine hohe Zahl an unterschiedlichen Funktionen,
die der Konjunktiv einnehmen kann. Meistens führen Schulbücher den Konjunktiv
über den Nebensatz ein, wo er zum Beispiel von Konjunktionen grammatikalisch
erzwungen ist. Ist es also zuviel von den Schülern erwartet, dass sie sich
neben der Bildung des Konjunktivs noch die Funktionen Optativ, Hortativ,
Iussiv, Deliberativ, Prohibitiv, Potentialis und Irrealis in acht Schulstunden
aneignen? Auch wenn es sich hierbei um einen Latein III-Kurs handelt, der
aufgrund der schulischen Unterrichtssituation eine
extrem gedrängte Stoffverteilung für 9.2 vorsieht, so stellte dieses Pensum
definitiv eine Überforderung für den Großteil der Schüler dar. Das Projekt war
zu ambitioniert. Bei einer Wiederholung des Versuchs könnte man anstreben, in
einer Freiarbeit den Konjunktiv im Hauptsatz erarbeiten zu lassen, wenn die
Formen und die Nebensatz-Funktionen bereits bekannt sind; das stelle ich mir
wesentlich realistischer vor. Ich habe mich hierbei etwas durch meine zu
idealistische Einschätzung der Lerngruppe blenden lassen. Wenn auch Pfeiffer
meiner Meinung nach auf ähnliche Weise zu idealistisch die Möglichkeiten der
Freiarbeit betrachtet, so muss ich dennoch Nissen widersprechen, wenn er
behauptet, diese Makromethode eigne sich nicht zur Einführung neuer Grammatik –
hier unterschätzt er die Möglichkeiten der Schüler und den positiven Effekt auf
die Ausbildung von Selbst- und
Sozialkompetenz, den eine Freiarbeit haben kann.
Der größere konzeptionelle Fehler liegt meines
Erachtens allerdings in der mangelhaften Vorentlastung dieses
Unterrichtsversuchs.
Es ist vermessen, zu glauben, indem man die Kinder
ohne Schwimmflügel ins kalte Wasser wirft, dass sie das Schwimmen lernen
könnten. Sie lernen, sich über Wasser zu halten, aus bloßem Überlebenswillen.
Von nachhaltiger Kompetenzentwicklung kann hier allerdings keine Rede sein.
Ebenso muss bei der Erziehung zum freien Arbeiten hin eine graduelle Entfernung
der „Stützräder“ geschlossenen Unterrichts stattfinden.
Gerade bei einem Kurs, der sich aus Klassen
unterschiedlichen Erfahrungswertes im Bezug auf den Umgang mit Makromethoden
zusammensetzt, ist es zunächst nötig, den Erfahrungsstand sorgfältig zu
erheben. Das ist hier geschehen, müsste aber bei einer Wiederholung dieses
Versuchs weit vor der Einführungsphase zur Freiarbeit stattfinden. Als
Konsequenz aus Sichtung der Ergebnisse müsste dann versucht werden, die Schüler
auf einen gemeinsamen Stand zu bringen. Die Vorarbeit zu einer Freiarbeit und
einem eventuell folgenden Projekt, das eine der stärksten Unterrichtsöffnungen
darstellt, muss in einer teilweisen Öffnung stattfinden; dies kann zum Beispiel
gelingen, indem man Unterrichtseinheiten nacheinander geschlossen, im
Lernzirkel, als Stationsarbeit, im Wochenplan und schließlich in Freiarbeit
durchführen lässt.
Dabei ist es wichtig, vom ersten Schritt an den
Schülern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was hier aus pädagogischer Sicht
vor sich geht. Sie müssen sich bewusst sein, dass sie von Einheit zu Einheit
mehr Verantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen sollen und dies dann
angeleitet durch die Lehrkraft tun.
Die Notwendigkeit, die Schüler zum freien Arbeiten zu
erziehen, ergibt sich nicht nur aus dem Lehrplan, der in der Sekundarstufe II
Arbeit in Projektform vorsieht, sondern auch aus den Anforderungen, die das
Leben nach dem Schulabschluss an die Schüler stellt. Auf einem G8-Bildungsweg sehe
ich die 9.Klasse trotz des teils misslungenen Versuchs als geeignet an, jenen
Weg zu beginnen, damit er in der Oberstufe fortgeführt werden kann. In dieser
Jahrgangsstufe setzt der Prozess der Initiation der Jugendlichen langsam ein,
in dessen Rahmen sie erkennen, dass es eine Welt „da draußen“ gibt, mit der sie
bald konfrontiert werden. Damit sie nicht nach dem Schulabschluss ebenso
unvorbereitet dastehen wie die Schüler in der hier durchgeführten Freiarbeit,
muss rechtzeitig mit der Kompetenzausbildung zur Urteilsfähigkeit und damit
verbundenen Verantwortungsübernahme für die eigene Entwicklung begonnen werden.