Disclaimer: Diese
Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und
Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja
sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der
Autor sicher nicht fähig.
Dieser Abschnitt der
Geschichte enthält explizite Darstellungen von Drogenkonsum sowie seinen
Auswirkungen und/oder Szenen körperlicher Nähe. Wer an solchen Bildern Anstoß
nimmt, möge dieses Kapitel bitte überspringen. Darüber hinaus möchte der Autor
immer zu einem verantwortungsbewussten Konsum psychoaktiver Substanzen mahnen:
Das ist der sicherste Weg zur Drogenmündigkeit, dem Gegenstück zur
Abhängigkeit.
Identität – die
Geschichte von Timo und Julian
part 12
Wieder wird um
mich herum alles schwarz, doch diesmal baut sich die Parallelwelt viel
schneller auf als letztes Mal. Ich konzentriere mich auf meine Atmung und
versuche, den Puls zu beruhigen.
Was war das
eben? Julian hatte mich am Arm gestupst, so wie wir es abgemacht haben, wenn er
irgendwelche Probleme hat. Ein bisschen Sorgen mache ich mir, gerade auch, weil
er sich mir überhaupt nicht mitteilen konnte. Diese Sprachstörungen sind ganz
normal, aber was, wenn er mir sagen wollte, dass er in einen Horrortrip abgleitet?
Da hilft auch sein manisches Kichern nichts – auch das kann einfach durch die
Droge ausgelöst werden. Ich lasse mich in den Gedanken fallen, dass Ju sich
nicht einfach in meinen Arm gelegt hätte und den Trip weiter gemacht hätte,
wenn etwas wirklich nicht in Ordnung wäre. Vielleicht war er von den ganzen
Effekten für einen Moment überfordert, ganz normal, das geht Vielen so. So war
es früher bei mir auch.
Und somit gebe
ich mich wieder meinen Gedanken hin, die von der geheimnisvollen Musik
begleitet werden. Das Genre der Psybient-Mucke kenne ich erst seit einigen
Monaten, aber es ist absolut fantastisch für solche psychedelischen Reisen, mit
sehr vielen Effekten, so dass es quasi immer etwas zu entdecken gibt. Und
dadurch werden die Lieder auch nicht so schnell langweilig.
Etwa eine
Stunde liege ich so da, bis ich merke, dass das letzte Stück des Albums
beginnt. Ju hat sich nicht wieder gemeldet, nur ab und an scheint er seine
Liegeposition verändert zu haben und hin und wieder hat er ein Wort laut
gemurmelt. Alles im grünen Bereich. Es müsste jetzt eigentlich so weit sein,
dass er einigermaßen sprechen kann. Ich möchte mit ihm darüber reden, denn ich
bin so gespannt, wie es für ihn ist! Und ein bisschen ängstlich, dass es nichts
für ihn ist, und dass er danach vielleicht sogar auf Abstand zu mir geht. Mehr,
als sowieso schon.
Ich greife
links neben mich und taste nach dem Schalter für die Schwarzlichtröhre, die auf
der Fensterbank liegt. Gefunden! Ich schalte das Licht ein und schlagartig wird
der Raum vom blauen Violett des UV-Lichts düster beleuchtet. Ju schreckt neben
mir auf.
„Wow!“ und
setzt sich aufrecht hin.
Mist! Ich habe
nicht daran gedacht, dass man das Einschalten des Lichts trotz geschlossener
Augen sehr intensiv wahrnimmt. Jetzt wird er sich erschrocken haben,
hoffentlich ist alles okay. Wir nehmen unsere Kopfhörer ab.
„Ooohhhh,
Timotimotimotimotimotimo, was geht hier ab, was geht ab, das geht alles so
schell, das ist alles so irre, das ist so geil“, und er kann gar nicht
aufhören, in einem Mordstempo zu sprechen, wieder mit dem irren Grinsen im
Gesicht – und seine Zähne klappern dabei. Ich spreche ganz langsam und deutlich
zu ihm.
„Warte, Ju,
warte einen Moment, ich mache uns etwas Musik an und dann können wir reden.“
Entheogenic. Love Letters to
the Soul. Julian beugt sich nach vorne und stützt seinen Kopf auf den Armen ab.
Er wippt leicht vor und zurück – scheiße, ist irgendwas passiert?
„Alles okay
bei dir, Ju?“
„Hmmm… mmhh…
ja, all…all..alles okay, wow, ist das nnnnnormal, da…da…dddass ich nicht
richtig sprechen kann…nnnn…nn?“
„Das ist
vollkommen in Ordnung. Versuch, ganz langsam zu sprechen, dann geht es
einfacher. Und mach die Augen beim Sprechen zu. Denk dran, wir haben Drogen
genommen, das heißt, dass die Wirkung auch wieder abklingt und morgen sind wir
wieder ganz normal.“
„Och, aber ein
bisschen darf der Effekt noch anhalten.“
Er gibt sich
Mühe, klar und deutlich und ohne Zittern und Stottern zu sprechen. Beim
langsamen Reden klappt das ganz gut. Zwischendurch klappert er immer wieder mit
den Zähnen. Wir setzen uns wieder im Schneidersitz einander gegenüber, legen
wie zuvor die Arme um den Nacken des Anderen, beugen uns vor und drücken unsere
Stirn aneinander.
„Versuch doch
mal zu erzählen, was du erlebt hast“, ermuntere ich ihn. Ich bin wirklich,
wirklich neugierig. Und ich merke, wie schön es ist, ihn zu berühren. Ich würde
ihn gerade wirklich gern in den Arm nehmen. Vielleicht… später.
„Das war total
irre, ich habe ein richtiges Konzert gesehen, jeder Musiker der Band hatte
seine eigene Bühne, und ich konnte einfach so in der Perspektive switchen. Es
war, als ob jedes Instrument einzeln gespielt hat, die Musik klang irgendwie
verzerrt, aber cool. An viel mehr kann ich mich aber irgendwie nicht erinnern,
dabei war das phasenweise echt richtig geil!“
„Ja, die
Amnesie schlägt je nach Dosis ziemlich stark zu. Während der Reise nimmt man
alles ganz intensiv war, aber kann sich danach an fast nichts erinnern. Es sind
ja auch Tausende von Gedanken, die man da hat, war das bei dir auch so?“
„Ja, und
teilweise haben sie sich jede Sekunde geändert, zum Takt der Musik, so schnell
konnte ich gar nicht folgen.“
Wir lösen
unsere Umarmung und schauen uns in die Augen. Wie witzig, Julians Zähne
leuchten blau vom Licht. Ich wette, bei meinen ist das auch so. Seine Augen
wirken irgendwie leer, ohne Leben, das ist ein bisschen gruselig. Und sein
grünes Tattoo scheint jetzt rot zu sein.
„Las uns mal
die weißen Sachen anziehen“, sage ich aufmunternd, ich möchte, dass wir ein
bisschen was vom Schwarzlicht haben. Ich habe ihm extra auf seiner Checkliste
auch ein weißes Hemd notiert – momentan trägt er noch das schwarze Tanktop.
Hmm, vielleicht sehe ich ihn ja gleich mal oben ohne – aber… der Gedanke reizt
mich gerade überhaupt nicht. Völlig uninteressant. Wie kann das sein? Ach ja.
Cut annulliert jegliches sexuelles Verlangen. Ich fühle mich asexuell. Macht
aber auch nichts, denn er zieht das schwarze Shirt nicht aus, sondern das weiße
Hemd einfach offen drüber.
„Ich muss mich
mal einen Moment hinlegen“ sagt er und legt sich auf den Rücken. Ich will ihn
aber anschauen, wenn wir miteinander reden, also drehe ich mich einfach zu ihm
und setze mich auf seinen Oberkörper. Das sieht irgendwie witzig aus. Und fühlt
sich schön an.
„Warte, bleib
genauso liegen, ich mach mal ein Foto davon!“
Die Kamera
liegt auf der Fensterbank. Zum Glück ist noch reichlich Speicherplatz
vorhanden, so dass wir gleich auch unser Interview fortsetzen können. Aber
erstmal schieße ich das Foto, auf dem Julian komplett in schwarz erscheint, nur
das leuchtende Hemd ist zu sehen. Wie ein Gespenst. Er erzählt weiter.
„Zwischendurch
wurde es einmal richtig, richtig stressig. Das war ein schneller Song und der
hatte eine Passage mit double base, und ich habe gedacht, das wäre mein Herz,
was so schnell hämmert, und ich konnte nicht mehr ruhig atmen und hab gedacht,
mein Herz platzt gleich.“
„Ahhh, war das
vielleicht die Stelle, an der wir eine kurze Unterbrechung gemacht haben?“
„Ja, genau.
Timo, das war echt super, wie du mich da beruhigt hast, ich glaub, ich hätte
sonst eine richtige Panikattacke bekommen. Danke danke danke.“
„Ju, das war
doch unsere Abmachung. Dass du mir vollkommen vertrauen kannst. Dass ich dich
damit nicht allein lasse, und dass ich auf dich aufpasse. Mach dir keine
Sorgen, schließlich soll es für uns beide ein tolles Erlebnis sein.“
„Oh ja, das
ist es auf jeden Fall. Du, das Reden ist grad etwas anstrengend, wollen wir uns
nicht noch ein bisschen hinlegen und die Musik weiterhören? Irgendwie finde ich
das Stück, das jetzt grad läuft, ganz schön.“
„Klar, können
wir machen. Und das Stück ist auch verdammt toll, das Musikprojekt heißt
Entheogenic, und sie machen an Natursounds angelehnte elektronische Musik. Echt
großartige Sachen. Und das Stück jetzt gehört mit zu den besten Sachen, die sie
bisher kreiert haben, und man hat auch lang gut davon, das geht eine knappe
halbe Stunde.“
„Wow… und wie
hieß das noch mal?“
„Love Letters
to the Soul. Hmm, Liebesbriefe an die Seele, irgendwie passend für so einen
Trip.“
„Ja, das
stimmt wohl.“
Und so steige
ich von ihm herunter, mache die Musik ein bisschen lauter und wir liegen mit
offenen Augen nebeneinander, schweigend. Ich bin so glücklich. Es scheint ihm
zu gefallen! Und das ist erst der erste Abend, wir haben noch ein bisschen vor
uns. Ich freue mich schon darauf. Aber erstmal genieße ich das Hier und Jetzt.
Ich freue mich
auch schon auf den Tee heute Nacht. Und vielleicht… naja… ich schäme mich ein
bisschen für den Gedanken, aber… ne lass mal. Übertreib es nicht. Ich würde
halt gern…
„Sag mal,
deine Deckenlampe ist fest montiert, oder?“ unterbricht Ju meine Gedanken.
„Weil, das sieht aus, als ob sie an der Decke im Kreis fährt, die hält einfach
nicht still. Siehst du das auch so?“
„Ja, du hast
Recht, bei mir fährt sie in einer Achterfigur.“
„Achterfigur,
Achterbahn. Ich hab auf dem Trip auch Tittenheidi gesehen, und sie hatte ganz
viele Schutzbrillen auf, die ihr alle weggeflogen sind. Das war vielleicht eine
komische Frau! Aber die Serie ist eigentlich ganz witzig, davon gibt’s mehrere
Episoden, oder?“
„Ja, bisher
zwei Staffeln.“
„Wir könnten
ja morgen vielleicht auch noch eine Folge schauen. Ich fands irgendwie
faszinierend, wie plötzlich die Achterbahn angefangen hat, zu ruckeln, obwohl
das Video ja ganz normal weitergelaufen ist. Genau wie du es angekündigt
hattest.“
„Ja, ist schon
spannend, was das Gehirn einem für Streiche spielen kann, oder?“
„Aber hallo,
fast ein bisschen creepy, aber du passt ja auf mich auf.“
„Hab ich dir
versprochen, wird ich auch weiterhin machen.“
Julian kann ja
nicht ahnen, wie sehr mir diese Rolle gefällt. Als Beschützer, als Aufpasser,
vielleicht ja sogar als Mentor für ihn. Und er vertraut mir… was genau
fasziniert mich daran? Ist es das Gefühl, über einen Menschen Kontrolle zu
haben? Oder ihm helfen zu können? Oder das Lehrerprinzip, jemandem was
beizubringen? Oder dass ich ihm so etwas spannendes Neues zeigen kann? Oder…
vielleicht einfach das Gefühl, ihm nahe zu sein? Unauffällig schiebe ich meinen
rechten Arm ein Stück auf seine Matratze rüber, um ihn berühren zu können. Nur
gut, dass er von alledem nichts weiß, dass er meine Gedanken nicht lesen kann,
und ich werde mich hüten, ihm davon zu erzählen. Ich möchte ihn weder
verschrecken noch vergraulen. Das ist Method Acting, und darin bin ich sehr
talentiert. Nur… was für eine Grundlage für eine Freundschaft ist denn das,
wenn ich nicht offen und ehrlich zu ihm sein kann?
Ach scheiß
drauf. Er ist ein Kumpel, mehr nicht. Eigentlich geht es mir doch nur um seinen
Körper, und wenn dieses Wochenende vorbei ist, meldet er sich bestimmt sowieso
nicht wieder. Auch in der Zwischenzeit seit unserem Tag im Park hat er mir
nicht oft geschrieben. Von sich aus gar nicht. Und wenn ich ihm geschrieben
habe, hat er meistens erst einige Tage später geantwortet. Und dann immer diese
„Mir geht’s so toll, ich hab grad mega Spaß“-Nachrichten. Ehrlich gesagt,
glaube ich, dass er sich für mich nicht interessiert. Und das meine ich nicht
nur auf die Gefühlsweise, sondern generell nicht. Ich glaube, er verabredet
sich nur mit mir, um die Drogen abzugreifen und das wars dann. Passt ja auch zu
seinem Verhalten, wenn wir keine Zeit miteinander verbringen. Er würde sich
doch sonst mal melden. So traurig und nervig diese Gedanken jetzt gerade sind,
so helfen sie mir immerhin, die Fantasie loszuwerden, dass wir später… yeah,
whatever.
Ein Kumpel,
mehr nicht, er interessiert sich einen Dreck für mich, und ich sollte unsere
Pausen nutzen, um ihn aus meinem Kopf zu bekommen, denn erst ist nichts weiter
als eine Wichsvorlage. Zehntausend Volt in den Muskeln, aber in der Birne
brennt kein Licht. Dabei wäre ich so glücklich, wenn es nicht so wäre. Aber er
scheint noch oberflächlicher zu sein als ich, und ein bisschen einfacher
gestrickt. Er ist nicht so kompliziert wie ich. Und darum beneide ich ihn, und
deswegen hasse ich ihn. Nein, tue ich nicht. Scheiße. Scheißescheißescheiße. Was
empfinde ich für Julian???
fortsetzung folgt...
fortsetzung folgt...
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