Sehr geehrter Jay,
ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern. Der große
Mann, der oft schwarz getragen hat, auch mit Lidschatten, wenn nötig. Der in
Ihren Seminaren an der CAU immer in der ersten Reihe gesessen hat, von Ihnen
aus gesehen links. Der eine Seminararbeit über Andrea Palladio und eine über
die Yuppies geschrieben hat.
Ich möchte Ihnen mit diesem Brief danken.
Schon bevor ich an die Kieler Universität gekommen bin, war
mir Ihr Name ein Begriff, denn meine damalige Englischlehrerin hat auch bei
Ihnen studiert und Sie mit positiver Konnotation erwähnt. Sie hat mich
gedrängt, unbedingt einmal ein Seminar bei Ihnen zu besuchen. „Der ist echt
einzigartig“, hieß es.
Sie können sich denken, dass ich meine Studienberatung
selbstverständlich von Ihnen bekam. Ich weiß es noch ziemlich genau, in diesem
Raum 201 der Leibnizstraße 10, da saß ich, noch grün hinter den Ohren, wartete
auf Sie – und Sie kamen. Mit aufrechter Haltung, Charisma und Zigarre.
Sie ermunterten uns, auf die Straße zu gehen, für die
Wissenschaft, für die Lehre. Sie schufen ein Bewusstsein in mir, für Missstände
an der Uni und die Notwendigkeit, auf den Straßen zu demonstrieren. Das hat
gesessen: Ich bin in den folgenden Jahren bei jeder studentischen Demo
mitgegangen und habe für die Freiheit der Bildung gekämpft.
Ich habe immer die Art und Weise bewundert, wie Sie uns
Studenten landeskundliches Wissen unglaublich spannend präsentieren konnten.
Ich bin ein Mensch, der sich Geschichtliches nicht gut merken kann und der sich
eigentlich auch nicht für Geschichte interessiert. Sie hatten ein Seminar
angeboten zum Thema „Das Antebellum und der amerikanische Bürgerkrieg“ (oder
war es verwoben mit „Der amerikanische Süden“?).
Normalerweise habe ich über solch ein Seminarangebot hinweg
gelesen. Was interessiert mich der amerikanische Bürgerkrieg, ich kann mir die
Daten eh nicht merken. Aber der Dozent waren Sie, geschätzter Jay, und genau
aus diesem Grund habe ich den Kurs belegt. Ich habe mir gedacht, vielleicht
macht der das ja ganz spannend. Und es war nicht nur „ganz spannend“ – ich habe
an Ihren Lippen gehangen, ich habe jeden Tropfen Wissen aufgenommen, den Sie
über uns ahnungslose Studenten reichlich verschütteten.
Wir haben drei Wochen lang die Schlacht von Gettysburg
behandelt – ich habe noch nie eine so spannende, so lebendige Darstellung von
Geschichte erlebt. Sie haben uns quasi mitgenommen auf den cemetery ridge. Sie haben uns die Gegend gezeigt, hier die Lager, da
die Kanonen, und dort die Lieferung Schuhe, um die sich am 29.06.1863 alles
drehte.
Und als Sie unser Wissen über britische und amerikanische
Mode mehrten – Ermenegildo Zegna, die Bedeutung des Wortes „Revers“, wie die
Knopfgröße beim maßgeschneiderten Anzug sein muss und die Atmosphäre der Savile Row. All das haben Sie so
lebendig, so leidenschaftlich präsentiert, wir konnten gar nicht anders, als
Ihnen gebannt zuzuhören.
Ich zitiere Sie: „Meine Damen und Herren, dieser Kurs
beginnt um 10:15 Uhr und endet um 11:45 Uhr. Sie kommen nicht später. Sie gehen
nicht früher.“ Als hätte irgendjemand das tun wollen. Die Zeit ist so schnell
verflogen, wenn sie uns auf die Reise durch das „Industrial Design“ mitnahmen,
da wollte keiner früher gehen. Der Seminarraum war proppevoll.
Sie haben ein unglaubliches Charisma – anders kann ich mir
jene Szene nicht erklären, die sich im letzten Treffen zum Seminar über die
Mode abgespielt hat: Sie priesen die Freiheit der Bildung, die erlaubt, zu
unterrichten, was interessiert, was begeistert, und nicht das, was in erster
Linie der Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt dient (angesichts der
schleswig-holsteinischen Bildungspolitik dürfte sich bei Ihnen der Unmut
darüber in verständnislosem Kopfschütteln äußern). Sie schlossen das Seminar ab
mit der Bemerkung, dass wir immerhin einmal noch so einen Kurs genießen
durften. „We few. We happy few.“ Und ich habe es nie zuvor und auch danach
nicht wieder erlebt, dass ein Dozent unter zehnminütigen standing ovations den Raum verlässt.
Sie haben mich zutiefst beeindruckt und ich wollte so sein
wie Sie. Ich wollte andere Menschen für Themen begeistern, so wie Sie es getan
haben. Jetzt bin ich endlich auf der anderen Seite des Lehrerpults angekommen,
und ich erfahre anhand der Rückmeldungen meiner Schüler, dass es tatsächlich so
ist: Ich eifere Ihnen nach, allerdings mittlerweile unbewusst. Sie haben mir
tolle Impulse für meine Arbeitsweise gegeben, von der jetzt eine neue
Generation von Schülern profitieren kann. Und daher rührt dieses Dankschreiben.
Und jetzt die Frechheit hoch zwanzig: Lieber Jay, Sie führen
einen Blog. Denn noch immer hängen Ihnen die Menschen an den Lippen, noch immer
begeistern Sie Ihre Leser. Ich führe ebenfalls einen Blog, und während Sie
diese Zeilen lesen, wird Ihnen bewusst werden, dass dieser Brief in diesem
Moment auf jenem Blog veröffentlicht wird.
Wie ich es wagen kann? Ich finde, die Öffentlichkeit hat es
verdient, zu erfahren, was für ein großartiger, hochintelligenter und
eloquenter Dozent da einst am Englischen Seminar der Uni Kiel war. Und ich
möchte meinen Stolz kundtun, dass ich an Ihrem Wissen teilhaben durfte. Und
dass ich von Ihnen lernen durfte, was „Freiheit der Bildung“ bedeutet.
Herzliche Grüße,
Dr Hilarius
post scriptum: Wie eine Oase in der Wüste - ich habe endlich wieder Wasser! Ich werd' mal das Glück nicht herausfordern, aber morgen das Wochenende mit einem entspannenden Bad einläuten. Ein Schritt in Richtung Normalität...
paulo post scriptum: Diese Zimtsterne sind absolut unerträglich! Ich habe direkt noch ein halbes Kilo eingekauft, damit sie keine weiteren unbescholtenen Bürger anfallen!
post scriptum: Wie eine Oase in der Wüste - ich habe endlich wieder Wasser! Ich werd' mal das Glück nicht herausfordern, aber morgen das Wochenende mit einem entspannenden Bad einläuten. Ein Schritt in Richtung Normalität...
paulo post scriptum: Diese Zimtsterne sind absolut unerträglich! Ich habe direkt noch ein halbes Kilo eingekauft, damit sie keine weiteren unbescholtenen Bürger anfallen!
'Professional compliments are always pleasing', sagt Doc Boone in 'Stagecoach'. Natürlich kann ich mich an Sie erinnern. Und wahrscheinlich ist alles in diesem Brief wahr. Allerdings glaube ich nicht, dass die Schlacht von Gettysburg bei mir drei Wochen gedauert hat. Und die Zigarre sollte besser eine Pfeife sein. All das, was ich dank der Freiheit von Wissenschaft und Lehre damals machen konnte, gibt es heute nicht mehr. Heute gibt es nur noch dieses schreckliche BAMA Studium, das nichts als eine Fortsetzung der Sekundarstufe II ist. Und wahrscheinlich gibt es heute auch Leute wie mich nicht mehr an der Uni.
AntwortenLöschenDie Pfeife! Nun fällt s mir wie Schuppen von den Augen. Es sind die Details, derer ich mich manchmal nicht korrekt erinnern kann.
LöschenWas die Schlacht angeht - ich habe nochmal in meinen Aufzeichungen nachgeschaut (denn die habe ich selbstverständlich nicht dem Schredder anheim fallen lassen - wo sonst kann ich für einen Sek II-Kurs so anschauliche Eindrücke hernehmen); die Schlacht selbst hat zwei Wochen gedauert, aber Sie haben uns umfangreich darauf eingestimmt - schließlich handelt es sich um eine der bedeutendsten Schlachten der amerikanischen Geschichte mit einigen der hirnverbranntesten Maneuver, aus denen man ex negativo lernen konnte.
Ich bin heilfroh, dass ich mein Studium mit dem guten alten Staatsexamen II abschließen konnte und nicht mehr dem Bildungs-Mainstreaming anheim gefallen bin.
Ich bewundere Sie dafür, dass Sie auch in ihrem Blog ihren Stil beibehalten und sich nie haben weichspülen lassen. Sicherlich mussten Sie am Englischen Seminar dafür einigen Gegenwind erdulden - so geht es mir zumindest hin und wieder an der Schule, wenn ich etwas zu hingebungsvoll vom Fachcurriculum "abgewichen" bin. Aber es hält mich nicht davon ab, meinen Stil zu bewahren.
Bleiben Sie, wie Sie sind!
Dottore,
AntwortenLöschenkönnten Sie mir mal Ihre E-Mail Adresse an meinen Blog schicken?
Grazie
Jay