Donnerstag, 24. Oktober 2019

Bushaltestellen-Kontemplation


vorweg: Vielen Dank für Eure anregenden Kommentare zum letzten Thema! Wenn man so wenig mit anderen Menschen macht, ist es richtig erfrischend, mittels Blog ein paar andere - oder auch ähnliche - Sichtweisen zu bekommen.

Heute bin ich zu Fuß unterwegs. Es ist grau draußen, aber nicht sonderlich kalt, und nur ein kleiner Tropfen hier und da. Da muss ich nicht den Bus nehmen, sondern verlasse meine Wohnung und gehe einfach an der Bushaltestelle vorbei und schaue den Wartenden zu. Es ist die Diesterwegstraße und die Wartenden sind um die Mittagszeit Schulkinder. Noch sehr jung, sie johlen, kreischen, spielen Tick, lachen, eine Soundkulisse, die ich schon beim Aufbruch oben in der Wohnung mitbekommen habe. Und ich frage mich, ob ich selbst gern noch einmal so jung wäre.

So unbeschewrt, so unbesorgt, so naiv, so fantasievoll. Sie müssen sich keine Sorgen darum machen, dass es nichts zu essen für sie gibt, sie bekommen viel Liebe und auch für neue Klamotten ist gesorgt. Mir ist natürlich klar, dass es unter diesen Kindern auch welche gibt, deren Kindheit nicht so behütet ist, die vielleicht nicht wissen, was es an diesem Tag zu essen gibt, bzw. ob es überhaupt etwas gibt. Oder ob sie diese Woche bei Mama oder bei Papa verbringen dürfen. Ich weiß, dass auch der Eine oder die Andere von Euch in der Kindheit nicht alles so selbstverständlich hatte.

Es geht mir um das mindset, die Gedankenkonfiguration in dem Alter. Ausgerichtet auf Neugier, Spaß haben, Farben, Spiele, noch kein Bewusstsein für Krankheit, Tod, unmenschliches Verhalten (homo homini lupus und so). Einfach fröhlich sein oder traurig, noch nicht so kompliziert zu denken, sich selbst das Leben noch nicht so schwer zu machen. Unabhängig sein von dem, was andere Menschen über einen denken. Laut dazwischenreden, den Spielplatz zu einem Mikrokosmos an Spaß werden lassen - so leicht zu beeindrucken, so gierig darauf, zu staunen. Ist doch irgendwie schön, oder?

Diese Gedanken begleiten mich, während ich der Buslinie Einundsechzig zu Fuß nach Hassee hinein folge. Und ein paar Stationen später wird mir dann bewusst, warum ich vielleicht doch nicht noch einmal jung sein möchte. Gleiche Situation wie vorhin: Ich komme an einer Bushaltestelle vorbei und beobachte die Wartenden, doch diesmal sind wir auf Höhe der Gemeinschaftsschule Hassee, und die Schüler sind deutlich älter.

Sie sind wesentlich stiller. In sich gekehrter, nachdenklicher, die Gedanken drehen sich um Sex, Liebe, Drogen, wer bin ich, wer will ich sein, was denken meine Mitschüler von mir? Mobbing, kein Bock auf Schule, auf der Suche nach Transgression, im Konflikt mit den Eltern, Zigarette im Mundwinkel, Nasenpiercing, Ohrlöcher. Anfangen zu realisieren, dass es Schlechtes in der Welt gibt, nicht mehr ganz so leicht in's Staunen kommen, den eigenen Körper hassen lernen. Die Zukunft konfrontieren, bald wird die Unterstützung von Mama und Papa zu Ende sein, bald muss ich mir selbst all' diese Dinge des täglichen Lebens verdienen.

Von Unbeschwertheit ist da nicht mehr ganz so viel. Sicherlich, manche machen aus ihren Teenagerzeiten high life in Tüten, aber nur weil sie etwas flamboyanter sind, heißt das nicht, dass sie keine eigenen düsteren Gedanken mit sich herumtragen. Der Film Super Dark Times (2017) hat diesen Wandel, diese Initiation von der Unschuld hin zur Realität sehr treffend und verstörend umgesetzt.

Und darauf kann ich dann doch verzichten. Klar, jetzt ist meine Gedankenwelt mehr von Sorgen geprägt, von Unsicherheiten, und pure Unbeschwertheit habe ich kaum noch - und auch wenn sich das ändern könnte, falls ich jemals unbefristet beschäftigt werden sollte, so ist mein Kopf deutlich offener für negative Gedanken. Aber dadurch lerne ich, das Positive mehr zu schätzen, intensiver zu genießen, und das macht das Leben dann wieder zu einem echten Abenteuer mit einem Lächeln im Mundwinkel.

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