Montag, 16. September 2019

Sich Zeit nehmen


vorweg: Eigentlich sollte hier heute ein ganz anderer Beitrag stehen, aber wie das nun mal so ist: Es gibt Blogideen, die in meinem Kopf zahlreiche Türen öffnen, und ich merke, dass ich überfordert bin und mehr Zeit für die ursprüngliche Idee brauche. Deswegen geht es heute darum, sich Zeit zu nehmen.

"...und gestern habe ich dann einfach mal alles zur Seite gelegt, Musik angemacht und dann eine Viertelstunde meditiert, und das hat richtig gut getan", erzählt sie mir, und ich freue mich, denn ich freue mich immer, wenn ich meine Mitmenschen anstecken kann. Und dann erinnere ich mich an den Moment, in dem mir bewusst geworden ist, wie so eine "richtige" Meditation überhaupt abläuft (richtig ist ein blödes Wort, denn es gibt keine falsche Meditation).

Das war vor ein paar Jahren, und ich hatte mir gerade ein kleines Büchlein bestellt, um mich weiterzubilden - Pema Chödröns Tonglen - und habe versucht, herauszufinden, wie die Buddhisten das denn so machen. Und dann sehe ich da, dass es Phasen vor und nach der Meditation selbst gibt, und ich sehe den Vorschlag "Zwanzig Minuten sitzen" - ich soll zwanzig Minuten sitzen, bevor ich meditiere? Ich dachte, das, was ich mache, ist Meditation - mit geschlossenen Augen liegen und meine Gedanken in Ordnung bringen. Dabei ist genau das eigentlich erst die Vorbereitung auf die Meditation.

Mittlerweile nehme ich mir für eine Meditation ungefähr eine Stunde Zeit; heute waren es anderthalb Stunden, und das war auch gut so, denn so konnte ich realisieren, dass der ursprünglich angedachte Blogeintrag mehr Zeit braucht. Es ist quasi eine Albumlänge (auch wenn die tiefe Meditation natürlich im Stillen erfolgen sollte), und die teilt sich in genau die drei Phasen ein, die Pema Chödrön vorschlägt.

I Den Weg bereiten

Ich brauche, nachdem ich mich hingelegt habe, erstmal eine Weile: Die aktuellen Gedanken des Tages schießen mir durch den Kopf, gerade erlebte Bilder spielen sich erneut ab, und entwirre mein Gedankenchaos erstmal, um zur Ruhe zu kommen. Das dauert tatsächlich ungefähr zwanzig Minuten; ich erkenne das daran, dass mein Körper irgendwann völlig "abgeschaltet" ist - ich bewege mich überhaupt nicht mehr, kein Kratzen, wenn irgendwo etwas juckt, kein Schlucken mehr, gar nichts. Es fühlt sich an, als ob mein Körper nach und nach einzementiert würde, aber es ist ein schönes Gefühl: Ich merke, dass meine aktuellen Tagesgedanken so weit sortiert sind, dass ich mich jetzt an die eigentliche Meditationstechnik mache - wie zum Beispieln Tonglen. Der Körper ist in meinem Bewusstsein überhaupt nicht mehr da, ich bin purer Geist.

II Im Koan

Jetzt gelingt mir das auch, denn die störenden Eindrücke des Kurzzeitgedächtnisses haben sich verzogen. Es ist ein tolles Gefühl, all' diese Gedanken abgearbeitet zu haben und "bereit" zu sein für ganz konkrete Fragen; manche nennen diesen Zustand Koan. "Ich befinde mich in meinem Koan", quasi, um mich herum eine Fragestellung, auf die ich Antworten zu finden hoffe. Das ist eine sehr konzentrierte Phase, und es fühlt sich für mich an, als ob meine Frage um meinen Kopf kreist und andere, damit verbundene Gedanken hinzukommen, wegdriften, wenn sie nicht passen, haften, wenn sie mich voranbringen. Manchmal ist einer dieser Gedanken so intensiv und relevant, dass ich ihm meine volle Aufmerksamkeit widme, und das kann dazu führen, dass ich von der Frage selbst abdrifte. Hin und wieder muss ich mich in dieser Phase daran erinnern, was ich eigentlich gerade denken möchte.

III Rückkehr

Durch ein akustisches Signal wird die Rückkehr eingeleitet, eine dritte Phase, in der der Geist wieder ganz in den Körper zurückkehrt. Natürlich könnte ich einfach abrupt aufstehen und "Fertig!" sagen. Aber es geht bei der Meditation gerade darum, sich Zeit zu nehmen, nicht so schnell wie möglich fertig zu werden, sondern das Leben etwas zu entschleunigen. Daher nutze ich diese Phase, um ein Körperteil nach dem anderen so langsam wie möglich wieder zu bewegen, es gibt ein "knisterndes" Gefühl auf der Haut (n.b.: Das "so langsam wie möglich"-Prinzip taucht zum Beispiel auch bei der Impro auf, Viola Spolin beschreibt Übungen, bei denen man alles anz langsam macht, um ein Bewusstsein und ein Gefühl für Zeit und Raum zu bekommen - hilft bei'm Schauspielern gegen overacting). Das dauert bei mir in etwa zehn Minuten.

Das akustische Signal ist in buddhistischen Klöstern eine Klangschale, die angeschlagen wird - damit werden die unterschiedlichen Phasen der Meditation gekennzeichnet. Da ich meinen Körper komplett ausgeschaltet habe, kann ich das nicht machen, sondern höre auf ein Signal in dem Musikalbum, das mich begleitet hat. Meine Meditationsalben kenne ich mittlerweile auswendig und weiß, wo mein Signal für die dritte Phase ist.

Und ich fühle mich danach unglaublich erfrischt, ausgeglichen und ruhig. Ich weiß, dass viele von Euch gar nicht die Zeit dazu haben, so etwas zu machen. Soll ja auch keine Aufforderung sein, jetzt unbedingt mit Meditationen anzufangen ;-)

post scriptum: Neues aus dem Arbeitsamt, ich war heute zum ersten Lagegespräch und das war sehr angenehm, wir haben uns darauf geeinigt, dass jetzt erstmal Warten angesagt ist - zum Beispiel auf den morgigen Besuch bei Dr. Dampf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen