Donnerstag, 21. November 2019

Gefühle verboten!...?

Asperger-Syndrom und Emotionen - geht das überhaupt?

vorweg: Gestern gehört - "Please don't read your short story to me. I have this kind of autistic facial syndrome where I can't hide my reations if your text is bad, thank you." (aus der Serie "You") Ich kann das SO gut nachempfinden und habe trainiert, meine Miene nicht mehr reflexartig zu verziehen, wenn es um ernste Gespräche geht. Klappt nicht immer.

Asperger-Autisten kennen keine Gefühle. Sie wissen nicht, wie es ist, sich über etwas zu freuen. Lächeln ist ihnen fremd. Ebenso können sie auch keine Trauer empfinden, sie weinen nicht. Sie sind extrem sachlich und offen.

Dieses Klischee ist extrem weit verbreitet, nicht zuletzt auch, weil Medien Autisten manchmal so darstellen. Und sicherlich gibt es Autisten, die in ganz unterschiedlichem Maße zu Emotionen mehr oder weniger Zugang haben. Aber gilt das für alle?

Ich erinnere hier an Greta Thunbergs mittlerweile international bekannte "How dare you!"-Rede vor den United Nations, in der sie hochemotional wird und Tränen fließen. Und wie Hater nun mal sind, haten sie auch angesichts dieses Auftritts, und es gibt tatsächlich Trolle, die dann schreiben, dass Greta ja überhaupt keine Autistin sein könne, wenn sie Emotionen zeigt.

Ehrlich gesagt sind es gerade immer wieder die Emotionen, die mich daran zweifeln lassen, ob ich vielleicht Aspi bin - aber vielleicht unterliege ich da diesem oben beschriebenen Klischee, bzw. Irrglauben. Wird sich alles zeigen.

Auf das Thema komme ich, weil ich mit Sterblichkeit konfrontiert wurde, und ich fand es interessant, meine eigenen Reaktionen dazu zu beobachten. Es geht dabei nicht um meinen eigenen Tod; Anekdote vor einigen Jahren, Namen sind geändert: Ich kenne Antje aus dem Lateinstudium, wir waren beide Saturnalier, haben unsere Examina gemacht, Antje lernt einen tollen Mann kennen, sie verloben sich. Der nächste Schritt steht kurz bevor: In ein gemeinsames Haus ziehen - da stirbt ihr Verlobter völlig unerwartet an einem Aneurisma. Antje ist vollkommen fertig mit den Nerven und der Welt, und erzählt mir davon, und ich fühle mich seltsam distanziert. Sie sitzt da, weint, und ich habe ein ganz ungutes Gefühl, weil ich nicht weiß, wie ich reagieren soll. Ich fühle mich emotional völlig unberührt.

Eine andere, jüngere Anekdote betrifft einen Todesfall in der indirekten Familie, der mich plötzlich kopftechnisch vollkommen lahmlegt. Auf einmal habe ich da so etwas wie Mitgefühl, fange fast an zu weinen, und kann nicht aufhören, daran zu denken - nach einiger Meditation geht es mir dann besser. Wieso reagiere ich mal so, mal so? Und bei einigen Filmen bekomme ich Tränen in den Augen, während ich bei Horrorfilmen oder psychologishcen Dramen ganz sachlich-analytisch davor sitze und zuschaue, als sei es eine Naturdoku.

Und ich habe Angst davor, dass ich nicht weiß, wie ich reagieren "soll", wenn meine Oma irgendwann stirbt. Und ich dann vielleicht wieder nichts empfinde? Und jemand das als negativ auffasst? Oder aber, dass es mich total überwältigt und ich dann etwas brauche, um nicht komplett zusammenzubrechen bzw. dichtzumachen?

Liebe Autisten da draußen: Wie ist es bei Euch mit Emotionen? Könnt Ihr ganz normale Emotionen empfinden? Kommt es auch mal vor, dass Eure Reaktionen auf eine Nachricht als unangemessen von anderen Menschen empfunden werden? Zu sachlich, direkt? Und irgendwie spielt da ja auch wieder die Intelligenz rein, wenn wir da in höhere Sphären gehen, hundertsiebziger IQ, hundertachtzig, ich weiß ja nicht, wer das hier liest: Seid Ihr immer sachlich kühl oder kann es bei Euch auch emotional zugehen?

post scriptum: Und nochmal komme ich auf die Serie "You" (2018, zehn Teile, bei Netflix) zurück - das unterhält mich gerade königlich, denn es geht um einen Stalker und sein "Ziel", eine Literaturstudentin. Die Serie ist bei den Kritikern sehr positiv angekommen, und jetzt gen Mitte verstehe ich auch, warum. Der Genremix ist klasse: Stalking bietet Thrillerpotential, gleichzeitig ist der Stalker aber auch manchmal so ungeschickt, oder liegt in seiner Wahrnehmung (wir hören seine Gedanken) so sehr daneben, dass ich mehrere Male laut lachen musste, sehr schwarzer Humor, dann noch das pädagogische Potential ("Passt auf, welche Daten Ihr über Euch im Internet preisgebt!") - wenn man die ersten zwei, drei Episoden durchhält, in denen man denken könnte, dass das Ganze zu albern oder oberflächlich werden könnte, saugt das Erlebnis den Zuschauer ein und man wird reichlich belohnt. Und es geht auch noch um Literatur - perfekt.

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