Samstag, 4. Mai 2019

Schüler X

Wenn Schule Spaß macht und sich der Einsatz lohnt, dann kann auch ein Schüler X zu Hochform auflaufen!

vorweg: Ich benutze in diesem Artikel das generische Maskulinum. Kann also durchaus sein, dass es sich auch um Schülerinnen handelt ;-)

Ich werde zurzeit an einen ehemaligen Schüler erinnert, den ich der Einfachheit halber X nenne. Es ist schon einige Jahre her, dass ich ihn unterrichtet habe - das war damals in St.Peter-Ording, am (damals) Regionalschulteil meiner Ex-Schule. Schüler X ist mir durch sein Unterrichtsverhalten aufgefallen; er ist mir in so lebhafter und positiver Erinnerung geblieben, dass ich Schülern gern die Anekdote mit ihm erzähle, wenn es um das Thema Unterrichtsbeiträge (UB) geht (hieß irgendwann mal mündliche Noten).

X war eigentlich ein eher unauffälliger Schüler, vom Verhalten her. Mit fast zwei Meter Körpergröße in Klasse Acht stach er ein wenig aus der Klassengemeinschaft heraus. Durchschnittlicher Schüler, wirkte manchmal unbeteiligt, ich hatte ihn im mittleren Notenbereich verortet. Nach der ersten Zeugnisnote gab es dann aber eine Änderung in seinem Verhalten.

Ich hatte den Schülern damals erzählt, wie ich die UB-Note ermittle, und mir war aufgefallen, dass gerade an der Regionalschule die Leistungsbereitschaft, naja... sagen wir mal, es gab da ein gewaltiges Potential. Man konnte Schüler mit Sammel-Klebesternen locken, oder mit Schokoriegeln, aber manchmal auch einfach mit der Rückmeldung, dass sich positives Verhalten im Unterricht auswirken wird. In den Köpfen vieler Schüler wabert eine gewisse Resignation umher: "Ist doch scheißegal, ob ich Hausaufgaben mache oder nicht, und ob ich mich melde oder nicht, ich komme eh' immer nur auf eine Drei oder Vier."

Das hat mir damals auch Schüler X erzählt, und ich hatte vor den Sommerferien einen Deal mit ihm abgeschlossen: Wenn er im neuen Schuljahr richtig loslegt, aktiv dabei ist, die Hausaufgaben immer hat, dann kann er seine Note verbessern. Versprochen. Und so kam es dann auch: Wann immer sich sonst keiner in der Klasse bei der Aufgabenbesprechung melden mochte, auf X konnte ich mich verlassen. Hausaufgaben immer parat, Lerneffekt sehr hoch, und so konnte ich ihm guten Gewissens zum Halbjahr eine Zwei geben. Und das war ein voller Erfolg für ihn, weil er endlich sehen konnte, dass sich Einsatz auszahlt (ich musste ihm ja nicht sagen, dass nach der Schule kein Hahn mehr danach kräht).

Im zweiten Halbjahr lieferte er weiter kontinuierlich eine Paradenummer ab, und auch wenn es dann bei den Leistungsnachweisen "nur" für einen Zweierdurchschnitt gereicht hat, habe ich ihm trotzdem im Schuljahresendzeugnis eine Eins gegeben. Das waren nämlich Jugendliche, die teilweise ernsthafte Probleme hatten. Heile Welt war in SPO nicht der Regelfall, ganz im Gegenteil, und es hat mich richtig glücklich gemacht, diese spannenden, herausfordernden Schüler glücklich zu machen.

Das hat nicht bei vielen Schülern geklappt - deswegen ist X mir auch so intensiv als Einzelfall im Gedächtnis geblieben. Bei den Anderen hat Schokolade einfach mehr gebracht. Aber es hat dazu geführt, dass ich mich auch heute noch unglaublich freue, wenn sich ein Schüler X in meinem Unterricht herauskristallisiert. Jemand, der anfangs eher unscheinbar war, oder sogar nur schwach ausreichend, und der die Chance nutzt, sich hochzuarbeiten. Ganz, ganz große Klasse!

Ich habe den Eindruck, dass die Gymnasien weniger Potential für einen Schüler X bieten. Weil dort anteilmäßig mehr Schüler eine intrinsische Leistungsbereitschaft zeigen. Da sind deutlich mehr unglaublich fleißige Kiddies, und wer diesen Blog verfolgt, der weiß, dass ich mit solchen nicht so gut arbeiten kann. Gerade wenn es solche Schüler sind, die meinen, sie hätten eine bessere Note verdient - bei sowas muss ich immer mit dem Kopf schütteln.

Doch halt, ein X-Fall kommt mir gerade in den Sinn, der an einem Gymnasium war. Dort ist X in der Klassengemeinschaft aufgefallen, weil er als Einziger nicht das Abitur machen wollte, sondern mit der Fachhochschulereife gehen wollte. Ich fand das toll und habe ihm gesagt, dass ich seine Entscheidung vollkommen unterstütze - Reaktion: "Da sind sie aber leider der Einzige, von den anderen Lehrern und meiner Family bekomme ich nur Anschiss dafür." - hat mich angesichts des Rufs der Schule nicht weiter verwundert, denn dort sollten schließlich alle Schüler das Abitur bekommen, whatever. Das Coole war, dass nach unserem Gespräch dieser X sich richtig in's Zeug gelegt hat und nochmal ordentlich gezeigt hat, was mit Motivation möglich ist, und das hat mich dann auch an einem Gymnasium einmal stolz gemacht.

Tja. Und nun freue ich mich über jedes X an einer Berufsschule.

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