Sonntag, 30. April 2017

Silberhochzeits-Soziophobie

Hochzeit - was soll das überhaupt sein? Kann man das bei Burger King bekommen?

Was wie ein wunderbarer Begriff für das Glücksrad aussieht, sorgt dafür, dass ich an diesem schönen Sonntag in meiner Wohnung sitze und das Alleinsein genieße. Das soll nicht heißen, dass es eine spezielle Form der Soziophobie ist, die nur bei Silberhochzeiten auftritt. Ich meide Menschen ganz generell. Es geht wohl einigen Hochbegabten so; ein Kollege meinte zu mir, dass ich mir dann wahrscheinlich den falschen Job ausgesucht hätte - aber wie ich hier irgendwo schon einmal beschrieben habe, gibt es da keinen Widerspruch. Ich komme mit den vielen Menschen in der Schule gut zurecht.

Wenngleich ich meine Freizeit wunderbar allein bestreiten kann, ist es nämlich hin und wieder ganz schön, sozial zu interagieren. Allerdings geht das nur für eine bestimmte Zeit, danach muss ich wieder allein sein, um zur Ruhe zu kommen. Vormittags Schule, nachmittags frei bzw. allein, das geht hervorragend. Meine freie Zeit aber mit anderen Menschen zu verbringen, das behagt mir eher weniger. Die Sannitanic, die große Buba und auch Dschennewjiehf kennen das: Ganz oft sage ich zu einem Treffen nicht zu, weil ich nicht möchte, dass wir zwar nett zusammen plaudern, ich mir dabei aber eigentlich nur wünsche, dass das Treffen bald wieder vorbei ist. Das haben sie nun wirklich nicht verdient.

Heute feiert mein Onkel seine Silberhochzeit und ich habe lange überlegt, ob ich dort hingehen möchte. So ein Fest versammelt die ganze Familie und es dauert meistens ziemlich lang - vom morgendlichen Gottesdienst über Ansprachen, Reden der Freunde, Mittagessen, Kaffee und Kuchen, Tanz und Musik, Abendessen, quasi ein ganzer Tag voller Menschen. Das halte ich nicht aus. Ich würde nach spätestens drei Stunden wünschen, dass ich dort wieder wegkomme. Zuletzt habe ich das bei meinen ehemalien Mitbewohnern erlebt: Ich war zu ihrer Hochzeit eingeladen, bin auch gern hingefahren, das Wetter war toll und die Stimmung nett, aber nach über zweistündigem katholischen Gottesdienst und einer Stunde mit allen Freunden und Familie der beiden war es mir zuviel. Ich wollte nach Haus, und zwar so schnell wie möglich. Und dafür habe ich mir eine unsinnige Ausrede überlegt, aber für mich fühlt es sich so an: Jede dumme Ausrede, jede Notlüge ist besser, als den Menschen die Wahrheit erklären zu wollen. Denn dann werde ich u.U. wieder nicht ernstgenommen, dann kommt ein "Ach, das geht uns allen doch so, ich weiß, wie du dich fühlst" oder aber ein "Das ist aber eine ziemlich schlechte Ausrede, ich finde das rücksichtslos von dir, wir alle bleiben schließlich auch noch länger".

Story of my life - Notlügen, um niemandem die Wahrheit erzählen zu müssen. Zum Glück bin ich nun mit fast vierunddreißig aus dieser Phase so gut wie raus. Heutzutage denke ich: Entweder, die Mitmenschen akzeptieren es so, wie es nun mal ist, oder nicht, aber ich mache mir da keine weiteren Gedanken drum.

Und so kommt es dazu, dass ich heute nicht bei der Feier bin. Ein anderer Vorteil ist jener, den die Sannitanic und auch die Buba schon oft selbst haben spüren dürfen: Die nicht enden wollenden Nachfragen der Verwandtschaft: "Na, wie ist es denn nun, hast du jetzt eine Stelle?" - "Hast du immer noch keinen Job?" - "Ich bin jetzt direkt unbefristet eingestellt worden, das ging echt einfach, ach so, wie ist es bei dir eigentlich?" und ich erkläre, wie seit bald vier Jahren, dass ich nichts Festes habe. Das fehlt mir heute so überhaupt nicht, die damit verbundene Depression.

Ja, es ist schade, dass ich so oft absage, und dass ich nur zu so wenigen Veranstaltungen mit vielen Menschen hingehe. Aber so ist es eben. Und ich will damit nicht sagen, dass dieses Meideverhalten ausschließlich bei Hochbegabten auftritt, ganz und gar nicht, Soziophobie ist weit verbreitet. Und es gibt viele Hochbegabte, die immer Menschen um sich herum brauchen, SIE2 ist ein Beispiel dafür.

Dieses Verhalten geht einher mit der geringen Zahl an Freunden und der Zurückhaltung, wenn es darum geht, neue Menschen kennenzulernen. Das mache ich nicht oft und ich bin auch nicht scharf darauf, denn sonst müsste ich ihnen das auch wieder alles erklären. Er und ich haben darüber auch Gespräche geführt; besonders in der Anfangsphase war Er ein bisschen stolz drauf, dass ich ihn trotz meiner Vermeidungsstrategie in mein Leben aufgenommen habe.

Ich bin viel allein und es ist wunderbar für mich. Ich habe deswegen keinen Kummer, im Gegenteil, ich genieße es. Und meine Rampensau-Momente habe ich dann vormittags in der Schule, das reicht.

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