Mittwoch, 19. April 2017
"Ach, sie sind noch Schüler!"
Heute Fäden ziehen bei Dr G. So nenne ich ihn einfach mal; das ist gar nicht mal so irrelevant, denn bisher wurde ich von Dr K betreut. Dr K hat mich damals aufgenommen, die ersten Untersuchungen vorgenommen, er war es, der zu mir meinte "Ich unterhalte mich ein bisschen mit ihnen, weil wir immer gern wissen, wen wir da behandeln" - muss der Mediziner-Plural sein, denn scheinbar war er der einzige der mich behandelnden Ärzte, der sich dafür wirklich interessiert hat, wer ich bin. Ist leider immer häufiger so, dass von Ärzten Fließbandarbeit gefordert wird, ich nehme das niemandem übel, bin aber mit dem System sehr unzufrieden. Ich habe dem Chirurgen im ersten Vorstellungsgespräch erläutert, dass ich HB bin und das hat eine komplett neue Grundlage für unsere Kommunikation geschaffen.
Dr K hat von da an auf fachlicher Ebene mit mir gesprochen, hat mir sämtliche medizinischen Details erklärt und wir konnten zusammen einen Behandlungsplan entwerfen, auch was die direkte Versorgung nach der OP angeht. Dass es dann an der Kommunikation in der Anästhesiologie gehapert hat, hat er nicht zu verantworten. So ist nun mal die Lubinus-innerklinische Bürokratie, das ist bereits bekannt. Dr K wusste genau, wie er mit mir zu reden hat und welches "patientenfreundliche Umformulieren" er sich bei mir schenken konnte. Er hat mich nicht wie einen Mittelstufenschüler bevormundet (wie eine der Sprechstundenhilfen), er hat meine Patientenakte ernstgenommen (nicht wie bei der Vorstellung beim Anästhesisten). Ich war immer wieder froh, wenn ich zu ihm in die Sprechstunde gekommen bin, er hat alle Befunde, Röntgen und CT mit mir direkt am Computer besprochen. Ich habe mich im OP richtig entspannt, als Dr K mich, verborgen hinter dem Chirurgen-Outfit, begrüßt hat. Ein bekanntes Gesicht hat gut getan (und die bekannte Stimme des Chefarztes Dr R).
Dr K war heute im OP, deswegen kam Dr G und hat mich behandelt, wie er jeden Patienten behandeln würde. Nett, freundlich, ohne Kenntnis dieses Patienten. Ich habe das als sehr unangenehm empfunden. Ich hatte damit nicht gerechnet, das hat mich verunsichert, das war so nicht geplant. Die Fragen, die ich mir zurecht gelegt hatte, habe ich alle direkt über Bord geworfen, weil sie darauf gefußt hatten, dass Dr K weiß, auf welches Vorwissen er bei mir zurückgreifen kann. Ich hatte keine Lust, das alles Dr G noch einmal zu erklären, denn das braucht Zeit. Und so viele verschiedene Menschen, das mag ich nicht. Also habe ich mir die üblichen Sprüche angehört, dann ging es um eine Krankschreibung und ich meinte, momentan sind ja eh noch Ferien.
"Ach, sie sind noch Schüler! Entschuldigen sie bitte, das wusste ich nicht." - "Nein, ich bin Lehrer." - "Äh." Pause - Und genau diese Pause war sehr spannend für mich, weil ich Dr Gs Gedanken ziemlich genau vor mir gesehen habe. Nein, ich hatte kein lehrertypisches Outfit an, sondern mein typisches Outfit. Symphony of Death-Shirt mit Gevatter Tod, alles in schwarz, schwarz lackierte Fingernägel und schwarze Hose mit Schädeln, Kreuzen und Tribal-Motiv. Schwarzer Schmuck, schwarze Armbanduhr mit Metallschädeln, schwarze Schuhe, schwarzer Gürtel. In dem Moment hab' ich mir dann gedacht, scheiß' drauf, das dauert zu lange, das alles jetzt zu erklären. Hol' Dir Deine Schiene und Verhaltensregeln ab, mach' einen neuen Termin und fertig, und so war es dann auch.
Ich hoffe wirklich, dass nächstes Mal wieder Dr K da ist. Diese OP war für ihn sehr spannend, weil ich mir das Finger-Mittelgelenk komplett zerlegt hatte a.k.a. gebrochen; das war eine schwierige OP und deswegen hatte sich letztlich auch der Chef ("trotz Kasse") eingeschaltet. (Deswegen hat es mich SEHR verunsichert, als dann die Ärztin, die mir die Schiene anmodelliert hatte, meinte, "Naja, wir behandeln ja jetzt hier keinen Bruch, das geht schon."). Ich bin heute extrem unruhig und unsicher aus der Klinik gekommen und das ist scheiße. Und ich verbringe jetzt den Nachmittag damit, mir klarzumachen, dass alles so ist, wie es sein soll, während ich gleichzeitig nicht aufhören kann, infrage zu stellen, ob das heute alles richtig gemacht worden ist.
Es hat nicht geholfen, dass die Schienen-Ärztin und Dr G aus den Notizen von Dr K nicht ganz schlau geworden sind und das auch kundgetan haben. Ich bekomme immer Angst, wenn in mir drin das Gefühl entsteht, dass ich besser Bescheid weiß als die Person, der ich gerade meine Gesundheit in die Hände lege. Und das ist leider ab und an passiert; bei Dr Müller-Steinmann (wie auch in jedem anderen Fall, der sich so entwickelt hätte) habe ich dann den Arzt gewechselt. Und es ist mir schnurz, ob das arrogant oder überheblich oder wenig nachvollziehbar klingt. So kann ein HB-Gehirn ticken, das bin nicht nur ich, dem es so geht.
Ich bekomme langsam einen Sinn dafür, wie sich so etwas für Autisten anfühlen muss. Das ist eine wertvolle, wenngleich verdammt unschöne Erfahrung.
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