Mittwoch, 6. Juli 2022

Der Archivar


Überall auf der Welt geht es gefühlt bergab - in den USA spaltet ein rechter oberster Gerichtshof die Nation und kassiert nach und nach diverse Rechte wieder ein, für die Jahrzehnte lang gekämpft wurde. Wenn es in diese Richtung weitergeht, dann laufen die Amerikaner sehenden Auges in einen zweiten Bürgerkrieg. In Großbritannien tritt ein Viertel der Regierung zurück, weil Boris Johnson nicht mehr ist als eine Schießbudenfigur - die sich weigert, sich abschießen zu lassen. Und wir alle wissen um den Krieg in der Ukraine und welche Auswirkungen das auf jeden Einzelnen von uns haben wird.

Und dennoch geht es mir gerade sehr, sehr gut. Endlich kommen die Dinge in Bewegung. Endlich geht es los, Projekte laufen an, es kommt eine Lust auf, das Schulleben mitzugestalten. Der Autismus-Gesprächskreis ist gebucht, zusammen mit einem Schüler entwickeln wir in den nächsten Wochen ein konkretes Konzept. Eine Stunde auf'm Spektrum klingt wie eine Selbstverständlichkeit für diese Schule.

Und ebenso geht es mit dem Archiv endlich weiter, heute habe ich die erste Hälfte der Inventarisierung gemacht. Leider komme ich über die Ferien nicht in die Schule rein, so muss die zweite Hälfte auf den August warten, genauer gesagt auf meinen Geburtstag. Fein. Mein Geburtstagsgeschenk: Akten vernichten - so sie denn abgelaufen sind. 

Einige Sachen sind definitiv abgelaufen - da liegen zum Beispiel Klausuren, dicke Stapel mit einem Zettel "entsorgen 2015" und dergleichen. Es geht auch noch älter: Wir haben noch Nachrichtenblätter des Ministeriums von Neunzehnhundertneunundvierzig bis Siebzig. Ob die erst noch entnazifiziert werden müssen (im Sinne des Atomzerfallsprozesses)? Und bevor jemand kreischt: Ja, ich weiß, dass wir Neunzehnhundertneunundvierzig keine Nazis mehr an der Macht hatten. Aber die Idee fand ich drollig, kam von einem Kollegen.

Dass Aufräumen Spaß macht, das hatte ich viele Jahre nicht mehr gefühlt. Endlich komme ich wieder auf die richtige Spur.

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