Freitag, 21. Februar 2020

"Ich will Buletten ..." - Aber bitte mit Musik!



Die Sannitanic kennt diesen hochherrlich subversiven Wortwechsel zweier scheinbar erwachsener Menschen in einer bekannten Hörspielserie für Kinder und solche, die es geblieben sind:

Sie: "Du bist einfach geschmacklos! Damit muss ich mich wohl abfinden. Du wirst nie herausragen aus der Masse."
Er: "Nein! Will ich auch nicht! Ich will Buletten!! Und nicht herausragen!!!"
Sie: "Aus dir wird nie etwas. Nur gut, dass aus uns etwas geworden ist."

(Bibi Blocksberg, Folge Sechs - Die Kuh im Schlafzimmer)

...und auch beim gefühlten tausendsten Mal Anhören liege ich vor Lachen auf dem Boden. Daran musste ich denken, als der Mensaduft durch die Schule waberte, und heute konnte ich ihn einigermaßen entspannt wahrnehmen, dabei wollte ich gestern noch einen Beitrag darüber schreiben, dass ich Auf der gingiva gehe (Zahnfleisch). Was also war heute anders? Ein kleiner Handgriff, nicht einmal pädagogisch, aber scheinbar an meinen bisherigen sechs Schulen nicht zugelassen, so dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, das auszuprobieren. Dabei kann die Wirkung den Unterricht komplett verändern.

Mein erstes Mal Gemeinschaftsschule war damals St.Peter-Ording, und gleich eine ziemlich harte Klasse mit vierunddreißig Schülern - und zwangsläufig auch I-Klasse, denn in SPO gibt es keine anderen Schulen als die Nordseeschule, da landen also alle Schüler Eiderstedts, die nicht nach Tönning gehen. Dass das Ministerium nicht direkt eine Aufspaltung der Klasse genehmigen wollte, hing vielleicht damit zusammen, dass die Schule (damals Regionalschule) einzügig war und ... nein, ich habe keine Ahnung. Der Schulleiter musste hart darum kämpfen, die Klasse zumindest in den Hauptfächern aufzuteilen.

Und was war das für eine Klasse: Laut, hyperaktiv, kein soziales Miteinander, Heimschüler, Förderschüler, es war so laut und chaotisch und die "Kein Bock"-Haltung und die "Ich fand den vorherigen Englischlehrer scheiße, dann finde ich den neuen auch scheiße" - da stehe ich dann als Lehrer vor einer Klasse und bin überfordert. Sooooooooo sehr war das gar nicht übertrieben mit dem Video zur Stoffprogression.

Damals habe ich geglaubt, dass das nie etwas wird. Ich habe versucht, zu kämpfen. Freundlich zu sein. Streng zu sein. Nah zu sein. Distanziert zu sein. Hat alles nichts geholfen. Und trotzdem hat es am Ende geklappt (Trick: authentisch sein). Sammelkarten mit Klebesternen für gute Beteiligung und Schokolade-Belohnung können wahre Wunder bewirken, da haben die Timetex-Leute nun mal Recht.

Aber heute, in dieser Klasse, ist es eine ganz andere Methode - Schokolade weg (naja, vielleicht kommt sie irgendwann doch noch), dafür aber Musik in Erarbeitungsphasen. Ich hätte das nicht gedacht: Die Schüler bekommen Aufgaben zum Bearbeiten, zwanzig Minuten Zeit, legen sich ganz selbstverständlich ihr Handy zurecht, stöpseln sich ihre Bluetooth-Kopfhörer in's Ohr und plötzlich wird es (für die Verhältnisse) total still, jeder arbeitet vor sich hin und macht seine Aufgaben, ein Lächeln kommt auf mein Gesicht. In Ruhe gehe ich zu den Kiddies und beantworte ihre Fragen, keiner stört den Anderen, welch' eine erleuchtende Phase!

Danach besprechen wir in Ruhe weiter und gehen voran, und ich realisiere: Wie geil, heute hat der Unterricht geklappt. Wieder was Neues gelernt. Vielleicht kriege ich sie ja doch noch. Wie passend ist es da, dass mir heute der Schulleiter über den Weg läuft: "Und, hast du dich inzwischen gut eingelebt?" und dass ich ihm antworten kann, dass ich mich an der Schule richtig wohl fühle, auch wenn die Arbeit "hart" ist.

Leider geil.

post scriptum: Ich stelle wieder fest, dass "Stay" (2005) einer der wenigen Filme ist, die ich immer und immer wieder schauen kann - kurz, konzis, idiosynkratisch, stylish, detailverliebt, extrem gut durchdacht, sehr intelligent und kunstversessen - eben ein richtiger Kunstfilm, ein Arthouse-Movie. Ich realisiere, dass jedes weitere Ansehen ein Genuss ist - aber ich kann auch verstehen, wenn viele Menschen keinen Zugang zu diesem Mindfuck-Movie finden.

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