Sonntag, 30. April 2017

Silberhochzeits-Soziophobie

Hochzeit - was soll das überhaupt sein? Kann man das bei Burger King bekommen?

Was wie ein wunderbarer Begriff für das Glücksrad aussieht, sorgt dafür, dass ich an diesem schönen Sonntag in meiner Wohnung sitze und das Alleinsein genieße. Das soll nicht heißen, dass es eine spezielle Form der Soziophobie ist, die nur bei Silberhochzeiten auftritt. Ich meide Menschen ganz generell. Es geht wohl einigen Hochbegabten so; ein Kollege meinte zu mir, dass ich mir dann wahrscheinlich den falschen Job ausgesucht hätte - aber wie ich hier irgendwo schon einmal beschrieben habe, gibt es da keinen Widerspruch. Ich komme mit den vielen Menschen in der Schule gut zurecht.

Wenngleich ich meine Freizeit wunderbar allein bestreiten kann, ist es nämlich hin und wieder ganz schön, sozial zu interagieren. Allerdings geht das nur für eine bestimmte Zeit, danach muss ich wieder allein sein, um zur Ruhe zu kommen. Vormittags Schule, nachmittags frei bzw. allein, das geht hervorragend. Meine freie Zeit aber mit anderen Menschen zu verbringen, das behagt mir eher weniger. Die Sannitanic, die große Buba und auch Dschennewjiehf kennen das: Ganz oft sage ich zu einem Treffen nicht zu, weil ich nicht möchte, dass wir zwar nett zusammen plaudern, ich mir dabei aber eigentlich nur wünsche, dass das Treffen bald wieder vorbei ist. Das haben sie nun wirklich nicht verdient.

Heute feiert mein Onkel seine Silberhochzeit und ich habe lange überlegt, ob ich dort hingehen möchte. So ein Fest versammelt die ganze Familie und es dauert meistens ziemlich lang - vom morgendlichen Gottesdienst über Ansprachen, Reden der Freunde, Mittagessen, Kaffee und Kuchen, Tanz und Musik, Abendessen, quasi ein ganzer Tag voller Menschen. Das halte ich nicht aus. Ich würde nach spätestens drei Stunden wünschen, dass ich dort wieder wegkomme. Zuletzt habe ich das bei meinen ehemalien Mitbewohnern erlebt: Ich war zu ihrer Hochzeit eingeladen, bin auch gern hingefahren, das Wetter war toll und die Stimmung nett, aber nach über zweistündigem katholischen Gottesdienst und einer Stunde mit allen Freunden und Familie der beiden war es mir zuviel. Ich wollte nach Haus, und zwar so schnell wie möglich. Und dafür habe ich mir eine unsinnige Ausrede überlegt, aber für mich fühlt es sich so an: Jede dumme Ausrede, jede Notlüge ist besser, als den Menschen die Wahrheit erklären zu wollen. Denn dann werde ich u.U. wieder nicht ernstgenommen, dann kommt ein "Ach, das geht uns allen doch so, ich weiß, wie du dich fühlst" oder aber ein "Das ist aber eine ziemlich schlechte Ausrede, ich finde das rücksichtslos von dir, wir alle bleiben schließlich auch noch länger".

Story of my life - Notlügen, um niemandem die Wahrheit erzählen zu müssen. Zum Glück bin ich nun mit fast vierunddreißig aus dieser Phase so gut wie raus. Heutzutage denke ich: Entweder, die Mitmenschen akzeptieren es so, wie es nun mal ist, oder nicht, aber ich mache mir da keine weiteren Gedanken drum.

Und so kommt es dazu, dass ich heute nicht bei der Feier bin. Ein anderer Vorteil ist jener, den die Sannitanic und auch die Buba schon oft selbst haben spüren dürfen: Die nicht enden wollenden Nachfragen der Verwandtschaft: "Na, wie ist es denn nun, hast du jetzt eine Stelle?" - "Hast du immer noch keinen Job?" - "Ich bin jetzt direkt unbefristet eingestellt worden, das ging echt einfach, ach so, wie ist es bei dir eigentlich?" und ich erkläre, wie seit bald vier Jahren, dass ich nichts Festes habe. Das fehlt mir heute so überhaupt nicht, die damit verbundene Depression.

Ja, es ist schade, dass ich so oft absage, und dass ich nur zu so wenigen Veranstaltungen mit vielen Menschen hingehe. Aber so ist es eben. Und ich will damit nicht sagen, dass dieses Meideverhalten ausschließlich bei Hochbegabten auftritt, ganz und gar nicht, Soziophobie ist weit verbreitet. Und es gibt viele Hochbegabte, die immer Menschen um sich herum brauchen, SIE2 ist ein Beispiel dafür.

Dieses Verhalten geht einher mit der geringen Zahl an Freunden und der Zurückhaltung, wenn es darum geht, neue Menschen kennenzulernen. Das mache ich nicht oft und ich bin auch nicht scharf darauf, denn sonst müsste ich ihnen das auch wieder alles erklären. Er und ich haben darüber auch Gespräche geführt; besonders in der Anfangsphase war Er ein bisschen stolz drauf, dass ich ihn trotz meiner Vermeidungsstrategie in mein Leben aufgenommen habe.

Ich bin viel allein und es ist wunderbar für mich. Ich habe deswegen keinen Kummer, im Gegenteil, ich genieße es. Und meine Rampensau-Momente habe ich dann vormittags in der Schule, das reicht.

Freitag, 28. April 2017

Nachmittag im Park

Entspannen im Park - er hat mir damals die Augen geöffnet.

Vorwort: Ich habe leider keine Neuigkeiten. Ich wollte nicht vor meinem Unterricht nachfragen, damit es mich nicht im ungünstigen Fall aus der Bahn wirft. Ich hätte mich dann kaum noch auf den Unterricht konzentrieren können. Tja, und danach war niemand mehr zu erreichen, seien sie nun im Wochenende oder im Krankenhaus. Und so kann ich tatsächlich einmal Donald Trump zitieren: "I'll keep you in suspense!"

Zwei Frauen gehen in den Park. Beide haben ein Fahrrad dabei, beide tragen einen Rucksack mit Verpflegung, beide möchten sich einen schönen Tag machen. Sie setzen sich auf je eine der vielen Parkbänke - beide Bänke grün angestrichen, beide Frauen setzen mit ihrem roten Outfit Akzente. Beide schlagen das linke Bein über das rechte und lehnen sich zurück. Beide blicken in den Park, beide schauen die anderen Parkgänger an, beide sehen die Mutter mit ihrem Kind, die von rechts kommt.

Beide Frauen möchten rauchen, beide greifen in ihren Rucksack und, was für ein Zufall, beide holen ein Automatikfeuerzeug heraus. Beide Feuerzeuge sind blau. Beide Frauen suchen weiter in ihren Rucksäcken, beide sind ein wenig genervt, dass sie das Gewünschte nicht finden können, doch da! Beide fangen an zu grinsen und atmen durch, denn beide sind fündig geworden. Beide ziehen die Hand aus dem Rucksack.

Die Eine steckt sich ihre Zigarette in den Mund und zündet sie an, sie nimmt einen tiefen Zug, schaut in den Himmel und atmet eine Rauchwolke aus. Endlich kann sie sich entspannen, endlich den Arbeitsstress von sich werfen. Sie ist glücklich.

Die Andere hält eine Bong in der Hand und zündet ihr Gras an, sie nimmt einen tiefen Zug, schaut in den Himmel und atmet eine Rauchwolke aus. Endlich kann sie sich entspannen, endlich den Arbeitsstress von sich werfen. Sie ist glücklich.

Beide Frauen schließen die Augen und denken nach. Über ihr Leben, ihre Familien, ihre Karrieren. Beide nehmen einen zweiten Zug und schauen den spielenden Kindern zu.

Die Mutter mit ihrem Kind ist mittlerweile genau vor den Frauen. Sie schaut zur Einen, sie schaut zur Anderen. Beide nicken ihr freundlich zu. Die Mutter schaut zur Anderen, sie verzieht die Mundwinkel, wirft ihr einen wütenden Blick zu. Sie schüttelt den Kopf, geht weiter, zieht ihr Kind mit sich und sagt sich: "Dass die das einfach so in der Öffentlichkeit macht!"
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Wir leben in Deutschland in Sachen Drogen eine Doppelmoral. Nikotin rauchen ist okay, Cannabis rauchen nicht. Denn das ist ja eine Droge. Ist Nikotin auch, aber "ihr wisst ja, was gemeint ist". Es wird Zeit, dass wir daran etwas ändern. Es wird Zeit, dass wir Szenen wie die obige nicht mehr zustande kommen lassen. Es wird Zeit, dass sehr viele Menschen sich an ihren eigenen Kopf packen und sich klar darüber werden, dass sie mit Nikotin, Koffein und Alkohol ebenfalls Drogen konsumieren, und dass sie aufhören, von oben herab auf jene Menschen zu schauen, die andere Substanzen konsumieren.

Legalisiert das Gras!

Donnerstag, 27. April 2017

Case In Point: FSK

Send in the Bitches!

[Vorwort: Ich habe mich gestern irgendwann einfach aus Facebook ausgeklinkt und keine Kommentare und/oder Nachrichten mehr gelesen. Der Tag war für mich zu aufwühlend, bitte nicht übelnehmen, mir hilft es dann am ehesten, mich abzuschotten. Alles wieder tutti heute. Und nun, wie versprochen, der zweite Teil eines abwechslungsreichen gestrigen Nachmittags. Viel Vergnügen!]

Ich schaue eine Folge X-Files. Wie so oft, hatte ich mir für die Ferien zugelegt, aber ich bin über die ersten beiden Staffeln nicht hinausgekommen - ist ja ein recht umfangreiches Werk, ich werde das hier auch nochmal irgendwann besprechen. Und ich schaue alle Episoden auf Englisch, zum Einen, weil ich sie so erleben möchte, wie sie gedacht waren, zum Anderen, weil nur die englische Tonspur im 5.1-Surroundsound wiedergegeben werden kann, und ich liebe Raumklang über alles, ich lasse mich gerne in Klangwelten fallen... auf dieser Couch... jaja, da ist wieder mal jemand in seinem Element. Zurück zur Sache!

Die heutige Folge trägt den Titel "Syzygy" - das Wort kenne ich nicht, aber das kommt bei den X-Files oft vor, und danach bin ich dann deutlich schlauer. Also lasse ich mich mal überraschen, was das für eine Folge ist. (...) Ich merke relativ schnell, dass es sich hierbei wieder um eine der "albernen" Folgen handelt - jede ernsthafte Serie hat zwischendurch Folgen, bei denen Insider sich kaputtlachen und Außenstehende den Kopf schütteln. XENA-Fans: Schaut Euch die Episode "Married With Fishsticks" an, nur eine von mehreren sehr heiteren Episoden. Okay, also sitze ich breit grinsend über die Insiderwitze (denn durch meinen momentanen X-Files-Dauerkonsum bin ich bereits zum Insider geworden) auf meiner Couch und lasse mich berieseln, schaue mir an, wie zwei sechzehnjährige Teenie-Bitches mittels ihrer überirdischen Kräfte die Boys aus dem Weg räumen, auf die sie keinen Bock haben. In genau diesem Spracheregister, wie gesagt, es ist eine verdammt witzige Episode, wenn man den Spaß versteht.

Nächste Szene, die Schulklasse ist bei einem Basketballspiel, die Mädels sitzen an der Seite und diskutieren, wen sie heiß finden. Der Nerd rennt gegen den Tisch mit Getränken, die Kleidung der Mädels wird vollkommen durchweicht. Die beiden sind natürlich "mega pissed off" und rächen sich - der Nerd soll unter der Tribüne den letzten Ball hervorholen. Er kriecht also in diese Maschinerie hinein, die Mädels funkeln mit ihren Augen düster und man sieht, wie sich ein Motor in Bewegung setzt und wie bitte WHAAAAAT PAFF PUFF *Atemaussetzer* Alles entgleist! ALLES!!!

*durchatmen*

Denn ich kenne diese Episode! Und es fällt mir wie Schuppen von den Augen, ich lehne mich zurück, weiß nicht, was ich sagen soll, bin von dem Deja Vu überwältigt, scheiß auf Akzente, hochbegabte Gedankenzüge entgleisen mitunter sehr kreativ.

Das Grinsen auf meinem Gesicht wird noch breiter. Ich erinnere mich an die Szene! Und so lache ich mich schließlich fast tot - während der Nerd in der Tribünenmaschinerie tot gedrückt wird. Geradezu paradox. Und gleichzeitig mit der lebhaften - fast wie ein Film - Erinnerung an ein Erlebnis, das ich vor zwanzig Jahren hatte... gleichzeitig... geht mir ein Licht auf. Epiphanie erschlägt mich.

Dr Hilarius war damals also dreizehn Jahre alt, als er diese Folge im Fernsehen gesehen hat. Er - ich - ich weiß noch genau, ich habe Akte X damals nicht oft gesehen, weil meine Eltern darauf geachtet haben, was ich mir anschaue. Aber diese eine Folge hatte ich damals gesehen, ich kleiner Steppke, und habe da mitangesehen, wie ein Schüler in einer Tribünenmaschinerie umgebracht wurde. Das war so real für mich, das war so grausig, dass es sich in mein Gehirn gebrannt hat. Auch eine spätere Szene, in der eine Schülerin mehrere Male vor einem Spiegel "Bloody Mary" sagen soll und dann von herumfliegenden Glasscherben getötet wird: Es wird *nichts* gezeigt, man sieht nur das "vorher", man hört das "währenddessen" und man erfährt dann nur durch einen Bericht im Rückblick, was genau passiert ist. Aber diese Szenen waren für mich so grausig, so schlimm, der absolute Horror, ich hatte sowas noch nie gesehen. Das gab Albträume...

...und heute also, zwanzig Jahre später, erinnere ich mich wieder und mir wird klar, jetzt, wo ich älter bin, wo ich mehr gesehen und erlebt habe, wo mich nicht mehr so viel schockieren kann - jetzt finde ich die Episode witzig, 

und zwar wirklich. Ich habe kreischend vor Lachen auf dem Boden gelegen. Heutzutage denke ich "Wow, da haben sie echt mal über alle Stränge geschlagen, ich lach' mich schlapp, ich kenne Scully und Mulder sonst ganz anders, herrlicher Trash, toll!"

Und damals: "Uhhh, das ist mega gruselig und unheimlich, da sterben Menschen auf ganz fürchterliche Weise".
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Fazit: Der Humor der Episode ist rabenschwarz. Und schwarzen, trockenen Humor habe ich nicht gekannt, bevor ich Herrn Krüger als Deutschlehrer in der Oberstufe bekommen habe. Danach habe ich es lieben gelernt. Ich bin nicht der einzige Schüler auf diesem Planeten, der in einem gewissen Alter keine Ahnung von schwarzem Humor hatte und alles auf dem Bildschirm für bare Münze genommen hat.

Deswegen, liebe Eltern, passt ein bisschen auf, was Eure Kinder sich anschauen. Und, liebe Kollegen, passt ein bisschen auf, was Ihr Euren Schülern zeigt. Die Einschätzungen der FSK mögen manchmal vollkommen daneben liegen - das passiert in den besten Familien; so hat Die fabelhafte Welt der Amelie in den USA keine Jugendfreigabe bekommen. Ganz oft aber sind sie angemessen. Bitte wisst einfach, was Ihr den Schülern zeigt!

Und auch, wenn die Hälfte Eurer Siebtklässler schon wesentlich Schlimmeres gesehen hat als das, was Ihr ihnen da gerade zeigt - es reicht schon, wenn ein einziger Schüler davon Albträume bekommt. Das muss nicht sein. Take care!

post scriptum: Und natürlich habe ich an einem so unglaublich "einleuchtenden" Tag das Essen und Trinken wieder vergessen...

Und Herr Leinhos, Du musst mir nochmal helfen als jemand, der Griechisch kann - als ich also diese Erleuchtung hatte, ist mir die ganze Zeit "epiphanie" im Kopf herumgeschwirrt, von "phainomai"  und so weiter, und auch wenn also die Epiphanie gern im religiösen Kontext verwendet wird, bedeutet sie doch, genau genommen, einfach nur "Erscheinung", oder?

Mittwoch, 26. April 2017

Arbeitslos - again?

Fühlt sich an, als müsste ich zu Kreuze kriechen...

Es nervt einfach ungemein. Es belastet mich psychisch. Ich finde es albern. Und ich habe nach all diesen dämlichen befristeten Arbeitsverträgen auch einfach keine Lust mehr darauf: Der Frage hinterherzulaufen, ob ich im Sommer an der Schule bleiben kann oder nicht.

Der Anlass: Heutiges Gespräch im Stützpunkt, Kollegin A ist, genau wie ich, befristet zur Vertretung eingestellt, weiß aber, dass sie definitiv bleiben kann. Kollegin B (Frau Reichelt, die darf mich alles fragen) fragt mich daraufhin, wie es bei mir aussieht. Ich hasse diese Nachfragen. Weil ich jedes Mal wieder, jetzt also im neunten Durchgang, erklären muss, dass ich nichts habe, dass ich nichts weiß, und dass ich keine Lust habe, mir aktiv Absagen abzuholen (Leif-Eriksson in Mettenhof hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, mir abzusagen, die haben mich einfach vergessen, und bei Theodor-Storm in Husum war es ein stillschweigendes beiderseitiges Übereinkommen, die Zusammenarbeit nicht zu verlängern - das hätte für eine beteiligte Person sonst sehr unangenehm werden können). Diese Situationen sind wie Nadelstiche, eher noch in's Herz als in's Gehirn.

Das kann ich wirklich nicht gut ab.

Ist klar, dass es mir unangenehm ist, in diesem Raum zu sitzen, während die Kollegen fröhlich die Unterrichtsverteilung vornehmen ("Welche Klassen hättest du denn gern?" und ich denke mir "Einfach nur irgendeine..." [Wobei das negative Konsequenzen haben kann und wird]) und ich mir denke, dass ich eigentlich gar nicht mehr so viel Zeit in meine Lerngruppen investieren will, wenn ich sie ab Sommer eh' nicht mehr unterrichte. Das ist wirklich unangenehm. Ich rede dann auch nicht. Wenn ich nicht rede, ist meistens etwas nicht okay mit mir. Und Ansprechen ist dann ein scharfes zweischneidiges Ding.

Kollege C hat mir daraufhin aber trotzdem geantwortet, und mich gefragt, warum ich nicht runter gehe in die Verwaltung, und den dafür verantwortlichen Kollegen mal Feuer unter'm Arsch mache. Und er hat ja Recht, haben sie ja alle! Aber, und ich wiederhole es...

Es nervt einfach ungemein. Es belastet mich psychisch. Ich finde es albern. Und ich habe nach all diesen dämlichen befristeten Arbeitsverträgen auch einfach keine Lust mehr darauf: Der Frage hinterherzulaufen, ob ich im Sommer an der Schule bleiben kann oder nicht.

Mein Kopf möchte über Anderes nachdenken. Ich habe bisher noch nie früher als zwei Wochen vor Schuljahres-/Halbjahresende eine Antwort darauf bekommen, weil ich eine Vertretungskraft bin, deren persönliches Leben in diesem System eben keine Rolle spielt, sondern nur die 95%ige Unterrichtsversorgung.

Mir ist das zu blöd.

Und genau deswegen stehe ich mir selbst im Weg (und ich weiß, dass mein Ansprechpartner in der Verwaltung dieser Tage persönlich belastet ist, und genau deswegen mache ich es mir selbst kompliziert, und genau deswegen wünschte ich, dass es solche scheiß Formalien gar nicht erst gäbe.

...

Und weil ich lerne, immer auch das Gute zu sehen, ist mir vorhin nochmal bewusst geworden, dass Kollege C mich ja nicht mit dem Kommentar triezen wollte. Sondern, wenn ich seine aussagekräftigen Blicke richtig verstanden habe, würde er es auch ganz gut finden, wenn ich bleiben könnte. Und ich glaube, das war nicht immer so. Wenn ich die Situation richtig gelesen habe, daann ist er mir in meinen ersten Wochen NMS mit dem üblichen Misstrauen entgegengetreten, hat auch mal 'nen Spruch reingedrückt - sich dafür später entschuldigt, aber das klang eher gedrängt, als hätte ihm jemand gesagt "So kannst du doch nicht mit ihm reden" (ich weiß, dass Frau Reichelt das mal kommentiert hat. Sie ist toll).

Doch das hat sich komplett gewandelt. Kollege C und ich haben mdl.Prüfungen zusammen erledigt, Kollege C und ich korrigieren zusammen im Abitur, und ich spüre mittlerweile richtig, dass da eine Art Vertrauensbasis ist. Und das mitzubekommen, das ist ein tolles Gefühl. Und auf dem Flur hat Kollege C mich danach heute nochmal angesprochen - so ungefähr "Ich weiß, dass das nervig ist, und ärgerlich, und vor allem unangenehm, und man will sich nicht zur Last machen, und das eigene Talent nicht an die große Glocke hängen - aber es muss sein. Und vielleicht wird es dieses eine Mal das letzte Mal in deiner Karriere sein."

Freitag bin ich wieder in der Schule, und Freitag gehe ich nicht ohne eine Antwort nach Hause.

post scriptum: Erinnert Ihr Euch an den Eintrag zum Wahlzettel in "Einfacher Sprache"? Jener Beitrag ist ja bei Facebook eher kontrovers diskutiert worden - also das Konzept der einfachen Sprache an sich. Und heute kam das Thema zufällig wieder auf, passenderweise im Stützpunkt Sprachen. Und es wurde unter den Kollegen genauso kontrovers behandelt, es gibt Kollegen, die das gut finden, manche sehen darin eine "Verdummung unserer Sprache", wieder andere wünschten sich einen Kompromiss - entweder ein beidseitig bedruckter Wahlzettel, einmal in normalem und einmal in einfachem Deutsch, oder - und das hätte ich sehr sinnvoll gefunden, einen Kommentar im Briefkopf: "Dieser Wahlschein wurde in Einfacher Sprache abgefasst, um..."

Denn ich finde es ganz gefährlich, solche Maßnahmen als Beweis für die Verdummung unserer Sprache herzunehmen. Ich finde, das ist nicht weit genug gedacht. Hier lohnt sich wirklich eine angeregte, sachliche Diskussion! Ich habe heute daraus gute Impulse mitgenommen.

iterum paulo post: Habe heute eine andere "HB-Verdächtige" gefragt, ob sie Neurodermitis hat - Bingo!

Dienstag, 25. April 2017

Columbo lässt grüßen


Wann? - heute morgen
Wo? - GemS NMS-Brachenfeld
Wer? - die Keksschaf-Klasse
Was???

Genau. "Was?" mag sich ein Leser fragen, der versucht, Columbo mit Mandelölbad und Schule in Verbindung zu bringen. Die verrückte Frau Stehauf weiß natürlich längst, worum es geht.

Wir haben im Englischunterricht über Werbung gesprochen - mit einer Klasse, die mich heute zum ersten Mal mit der blauen Schiene gesehen hat. "Oh, Dr Hilarius, zeigen sie uns die Narbe?" - "Äh ne hör auf, das will ich nicht sehen!" Hilarius: "Hat denn jemand von Euch vielleicht schon eine Narbe?" Die Kinder zeigen brav ihre Narben her und wenn sie ein paar Jahrgänge höher wären, ließe ich sie den Unfallhergang auf Englisch schreiben.

Auch Horst, über den ich schon einmal geschrieben habe (ich vermute Hochbegabung), möchte mir seine Narbe zeigen, über dem Auge, irgendwo zwischen den Augenbrauen oder so. Weiß ich nicht mehr. Weiß ich deswegen nicht mehr, weil meine Aufmerksamkeit genau in diesem Moment auf seinem anderen Auge ruhte - das obere Augenlid ist leicht gerötet. Tausend Gedankenzüge, Freude.

"Äh, ich hätte da nochmal eine Frage..." und in bester Columbomanier frage ich ihn, ob er Neurodermitis hat. Denn ich weiß, wie sowas aussehen kann - und tatsächlich, Volltreffer. Gehen wir weg von Horst, dem werde ich demnächst mal was zu lesen mitgeben, hin zu einer oft anzutreffenden Übereinstimmung: Hochbegabung und Neurodermitis. Denn etwa drei Viertel der Hochbegabten, die ich kenne, haben Neurodermitis.

Nebenbei: "Hatte ich früher mal, aber jetzt ist das weg" gibt es nicht. Neurodermitis, bzw. das sogenannte "atopische Ekzem" hat man - oder eben nicht. Neurodermitis ist unheilbar, aber zum Glück sehr gut behandelbar - ich bin selbst Neurodermitiker.

Ich habe darüber mal mit der Sannitanic gesprochen und ihr leuchtete das direkt ein: Hochbegabung geht ja in der Regel einher mit Hochsensibilität. Sensible Nervenenden, erhöhte Reizbarkeit, das scheint irgendwie zu passen. Und ein cleverer Kopf fragt dann: Kann das auch Allergien betreffen? Und seit heute weiß ich: Ja! Es lohnt sich, bei Google nach "Hochbegabung Neurodermitis" zu suchen, man findet Erfahrungsberichte und lernt wieder ein bisschen mehr über sich selbst.

Natürlich gibt es auch "gesunde" Hochbegabte, möchte man meinen. Und diese werden vermutlich nichts mit obigem Bild anfangen können. Neurodermitikern kann ein Ölbad helfen, wenn ein Schub vorliegt. Dabei ist es wichtig, kein emulgierendes, sondern ein spreitendes Bad zu wählen, das bedeutet, dass sich in der Wanne ein Ölfilm auf dem Wasser bildet, das Wasser selbst bleibt sauber. Auf diese Weise verlässt man das Bad mit einem Ölfilm auf der Haut, der Feuchtigkeit spendet und bei regelmäßiger Anwendung die Beschwerden lindern kann.

Und nun weiß jeder, wie man Columbo, Schafkekse und Ölbad in einen Kontext bringen kann.

Montag, 24. April 2017

Schulbeginn - Schimmliges Brot

Schimmliges Brot - find'n wa nich jut...!

Warnung: Dieser Beitrag ist mit Humor und Vorsicht zu genießen, es könnte eventuell sein, dass ich bei der Bestandsaufnahme meiner bisherigen Schulen ein bisschen über- oder untertreibe. Es geht einfach um den Spaß, Schadenfreude und schimmliges Brot.

Jene Leser, die Wissenswertes über Erlangen kennen, verstehen sicherlich die Anspielung im Titel. Für alle anderen: Es geht um kleine und große Missgeschicke von Schülern und um Sensationsgeilheit.

"Dr Hilarius, Dr Hilarius, Klaus ist von seinem Stuhl gefallen!" ruft mir, völlig außer Puste, der kleine Dehwitt entgegen. Meine erste Reaktion - so wie die eines jeden guten Lehrers: Meine Augen fangen an zu leuchten, ein breites Grinsen ziert mein Gesicht, meine erste Frage: "Hat jemand das gefilmt?" Käitieh lächelt stolz und ruft: "Schon bei Youtube hochgeladen!" Damit bekommt sie gleich am ersten Schultag den ersten Schleimpunkt.

Ich frage nach: "Hat schon jemand einen Arzt gerufen oder den Sanis Bescheid gesagt?" (in der Hoffnung, dass es noch nicht passiert ist, denn das Spektakel möchte ich gern live miterleben. An manchen Schultagen gehe ich nur dafür zur Arbeit). Tschonnieh schaut mich etwas verwirrt an - "Wieso denn Arzt? Der ist doch nur vom Stuhl gefallen!" Und das Lächeln entgleitet mir wieder. "Wie? Das alles? Nichtmal den Hinterkopf an der Heizung aufgeschlagen, oder das Knie aufgeratscht, gar kein Blut irgendwo? Sorry, Käitieh, aber dann muss ich den Schleimpunkt wieder einkassieren. Das isses mir nicht wert, wahrscheinlich noch nichtmal ein blauer Fleck. Sorry, ihr Lieben, aber das ist schimmliges Brot."

Und damit beziehe ich mich auf einen Songtext von Foyer des Arts, den ich hier zitiere:

Ein Fernsehquiz mit Schwung und mit Schmiss, lockt mich, lockt mich - 
aber nein, zu gewinnen gibt's leider nur schimmliges Brot...

Großes Geknall, ein Autounfall, lockt mich, lockt mich - 
aber nein, statt Blut sieht man leider nur schimmliges Brot...

Ich deute die Funktion des Ausdrucks "schimmliges Brot" als ein Synonym für enttäuschte Erwartungen. Und wenn wir es so betrachten, dann gibt es nirgends so viel schimmliges Brot wie in der Schule. Vokabeltest neunte Klasse? Schimmliges Brot! Bestechungsversuche der Oberstufler? Schimmliges Brot! Zeugnisnoten in Englisch? Schimmliges Brot! Nettes Kollegengespräch? Schimmliges Brot! Schülerunfall? Schimmliges Brot!

Wie müsste nun also ein Schultag aussehen, der kein schimmliges Brot enthält? Leiten wir uns das aus vorherigem Absatz ab:

In der ersten Stunde gebe ich einen vollkommen fehlerfreien Vokabeltest in der Klasse 9 ab (also am besten einen ohne Vokabeln). In meinem Lehrerfach finde ich dann ein paar hochdotierte Schecks, oder im Fall von Eckernförde, einen Maserati auf meinem Parkplatz. Ich gebe in diesem Schuljahr ausschließlich 1. Muss ja nicht immer die Note sein... und um im Lehrerzimmer zu überleben, gehe ich gar nicht erst hinein, sondern führe Selbstgespräche auf dem Klo, die dann nur von Schantalle unterbrochen werden, die den Feueralarm ausgelöst hat, weil Konnieh sich beim Versuch, aus dem Fenster zu springen, an den Glasscherben aufgespießt hat, und das dauert auch bitte so lange, bis ich vom Klo runter bin und ein Youtube-reifes Video davon gedreht habe.

Vielleicht bin ich noch ein wenig verwöhnt aus der Zeit in St.Peter-Ording. Ich hatte noch nie so viel mit Ämtern und der Polizei zu tun, wie dort, habe noch nie so viele Drogen von Schülern abgegriffen, so viele Missbilligungen geschrieben, so viele Prügeleien unterbrochen - das darf man scheinbar nicht überall erwarten.

Ihr lieben ehemaligen Kollegen, ich vermisse Euch!

post scriptum: Dass das jetzt nicht falsch rüberkommt - ich habe wirklich den Eindruck, dass ich in meiner jetzigen Schule so langsam ankomme. Umso ärgerlicher, dass ich mich am Donnerstag dann arbeitssuchend melden muss, weil mein Arbeitsvertrag mal wieder ausläuft. Ist dann aber erst mein neunter Vertrag nach dem Ref, ich sollte von Schleswig-Holstein keine Wunder erwarten.

Sonntag, 23. April 2017

Ferienende - Angst vor der Schule

In solchen Phasen helfen Schülerrückmeldungen - wenn man schon selbst an sich zweifelt, tun sie es wenigstens (noch) nicht ^^

Dieses Phänomen betrifft bestimmt nur mich, und ich denke auch nicht, dass es etwas mit Hochbegabung zu tun hat. Es ist mir ein treuer Begleiter geworden seit Beginn meines Referendariats vor fünf Jahren.

Jedesmal, wenn das Ferienende naht, werde ich ein wenig aufgeregt, leider aber nicht mit positiver Vorfreude auf die Schule, sondern mit negativem Lampenfieber. Es sind normalerweise nur die letzten beiden Tage der Ferien betroffen - dann aber manchmal so intensiv, dass ich mich in meiner Wohnung verkrieche. Ich bekomme dann ein wenig Angst vor dem Vergehen der Zeit, schaue immer öfters auf die Uhr. In der Nacht auf den ersten Schultag kann ich kaum schlafen, ich wache immer wieder auf und schaue auf die Uhr - und bin erleichtert, wenn ich noch mehr Zeit übrig habe als "befürchtet". Und wenn am Morgen mein Wecker klingelt, nutze ich die Snooze-Funktion, um noch bis zu einer halben Stunde mehr rauszuholen, in der ich ruhig schlafen könnte, aber eigentlich gelingt es mir dann nicht mehr, mich zu entspannen.

Wovor habe ich Angst? Aus dem Ref lässt sich das ganz gut ableiten: Davor, dass ich zu wenig vorbereitet habe, davor, dass die Kiddies bei mir nichts lernen, davor, dass ich den Schülern irgendwas versprochen habe und dann über die Ferien vergessen, davor, dass ich eigentlich auch in meiner Wohnung viel mehr hätte tun können. Viele dieser Punkte sind mir in der Ausbildung suggeriert worden, vor allem das "Sie sind niemals gut genug, um unseren Ansprüchen gerecht zu werden."

Ich finde es auch faszinierend, wie mir das am Anfang der Ferien immer mal wieder für einen Moment bewusst ist, und ich nehme mir vor, es diesmal anders zu machen. Darauf zu achten, dass ich ausgeglichen bin und ruhig starte. Und immer wieder sitze ich dann am Ferienende da, so wie heute, bin bis auf Konsolen- und Hörspiele wie paralysiert.

Mittlerweile ist mir aber bewusst, dass es morgen, wenn die ersten Stunden erstmal begonnen haben, gar nicht mehr so schlimm ist. Wie beim Lampenfieber - nach Beginn der Aufführung ist alles wieder Routine und ich merke (hoffentlich), dass ich doch kein so schlechter Lehrer bin.

Ich muss zugeben, vielleicht hätte ich dieses Gefühl nicht, wenn ich endlich einmal unbefristet beschäftigt werden könnte. Dann fühle ich mich nicht an jedem Schultag unter einer Art Druck, dass jeder einzelne Fehler mir diese Chance zerstören könnte. Aber, ich gebe auch zu, an eine Planstelle glaube ich mittlerweile nicht mehr.

Samstag, 22. April 2017

Größer

Reinigende Giganten

Okay, ich bin ein bisschen überrascht, ich hätte nicht gedacht, dass das Gegenstück zu dem Kleiner-Beitrag mir so zeitnah durch den Kopf jagen würde - aber es ist mir aufgefallen beim Auspacken der Drogerieartikel: Sie werden immer größer! Der geneigte Leser möge bei seinem nächsten Einkauf bei Rossmann oder sonstwo, ich bekomme kein Geld für diese Werbung; jedenfalls möge er darauf achten, wie oft er diese tags findet: "20% mehr", "50% gratis", "jetzt mehr Inhalt" und so weiter.

Bleiben wir bei der Reinigung: Mittlerweile gibt es Geschirrspültabs nicht nur im Paket mit achtundvierzig Stück, sondern im Fünf-Pakete-Set. Und das Waschpulver im zwanzig-Kilo-Karton wird auch schon in Zweierpacks zusammengeschweißt. "Wenn sie zehn Reinigungsprodukte kaufen, bekommen sie eine Spülbürste dazu!" Ich kann gar nicht so viel essen und Besteck verwenden, um all diese Reinigungsmittel irgendwann aufzubrauchen. Eine Packung reicht ewig.

Klar, das sind Köder, so lockt man die Kunden an und man sollte vermuten, dass sich dahinter auch immer eine Preiserhöhung verbirgt. Oft ist das aber nicht der Fall: Tatsächlich werden die Flaschen größer. Der Sagrotan-Badreiniger hat von fünfhundert auf siebenhundertfünfzig Milliliter erhöht, Bref war auch mal kleiner.Und mein Adidas Victory League Duftwasser gibt es jetzt nicht nur als fünfzig Milliliter, sondern direkt daneben mit fünfzig Millilitern zusätzlich - zum gleichen Preis! Ich fühle mich nicht verschaukelt, sondern einfach nur noch hilflos gegenüber dieser geballten Unlogik.

Und das hochbegabte Kopfkino sieht einen Kampf zwischen immer riesiger werdenden Putzmitteln und immer kleiner werdenden Technik-Finessen.

Möge der Kampf beginnen!

post scriptum: Sollte etwa eine unbekannte Macht uns damit andeuten wollen, dass wir vom Antlitz der Erde hinfort geputzt werden? Back to nature (die Technik ist ja eh schon klein und verschwunden) Long live paranoia! Warte mal - genau das ist doch das Zukunftsszenario im Film "Cloud Atlas" - Technik aus dem Nichts kombiniert mit einer naturnahen Lebensweise. Jetzt verstehe ich das. Zufrieden.

multo post scriptum: Die große Buba kann hellsehen, sie hat geahnt, dass ein Beitrag über Reinigungsmittel kommt. Muss halt auch mal was Unbeschwertes sein :-P

Freitag, 21. April 2017

Ich bin aus Plastik

Viele bunte Karten...

Nein, der Titel bezieht sich nicht auf die neu in mich eingebauten Teile, die scheinen aus Titan zu sein, wenn ich dem Datenblatt glauben darf. Heute geht es mir darum, wieviel Plastik mittlerweile mein Leben ausmacht - wieviele Bereiche durch kleine Plastikkarten repräsentiert werden, alle im gleichen Format, alle in unterschiedlichen Farben. Ich hätte sie gern alle in schwarz, aber das ist nicht unbedingt immer möglich. Heute ist endlich eine schwarze Karte hinzugekommen, und das hat mir den Impuls gegeben, diesen Beitrag zu verfassen. Hat also nichts mit meinem gesundheitlichen Zustand zu tun; wer sich in der Hinsicht updaten möchte, sollte direkt zum PS springen.

Die heutige Karte gefällt mir vom Design her am besten - es ist meine Mitgliedskarte zum EMP Backstage Club. Seitdem der Laden X-tra-X dichtgemacht hat, bestelle ich meine Szenemode (also mitterweile fast alles) bei EMP - besonders, seitdem sie das Label Spiral in Deutschland vertreiben; es repräsentiert am ehesten den Look, den ich haben möchte, in schwarz, mit vielen Totenköpfen und dem Grim Reaper hier und dort. Die Mitgliedschaft bot sich daher für mich an, immerhin bezahle ich nun keine Versandkosten mehr und bekomme 5% auf jede Bestellung. Den Jahresbeitrag habe ich bereits mit dieser Bestellung raus, also warum nicht. Und das ist eine Karte, die ich gern mal herumzeige (a flashing piece of plastic to flash when other people are around).

Die einzige weitere Karte, die mir vom Look her gefällt, ist meine VISA. Seit über zehn Jahren habe ich meine eigene Kreditkarte, da ich schon seit Langem gern Dinge aus den USA bestelle und es früher nicht so einfach war, mit den Staaten abzurechnen. Klar, mittlerweile gibt es so viele verschiedene Bezahlmöglichkeiten - im Jahr zweitausendvier war das die mit Abstand bequemste Variante. Mittlerweile ist die Kreditkarte für mich unentbehrlich geworden, sei es nun auf einer Exkursion nach Griechenland oder bei einem Freizeitparkbesuch in den Staaten. Für diese Bequemlichkeit zahle ich gern Kontoführungsgebühren, ich rege mich nur noch über die Regelung der Sparkasse auf, dass Gebühren gezahlt werden müssen, wenn ich mit der Kreditkarte im eigenen Haus Geld abheben möchte. Whatever.

Diese beiden Karten finde ich am stylischsten, aber sie sind bei Weitem nicht die wichtigsten Karten in meinem Leben. Meine EC-Karte ist absolut unentbehrlich, und dieser Tage auch meine Versicherungskarte, darüber hinaus mein Führerschein. Letztlich ist auch die CITTI-Karte dann und wann nützlich.

Auf diese Weise wird die Organisation meines ganzen Lebens durch kleine Plastikkarten repräsentiert, einfach mitzunehmen, kein Portemonnaie sollte weniger als zehn Fächer für Karten haben. Wie praktisch! Das ist mal eine nützliche Variante der Verkleinerung des Lebens. Doch leider bleibt diese Bequemlichkeit nicht ohne Nachteile.

Ich hoffe, nicht allzu viele Leser haben das schon einmal erlebt: Das Portemonnaie wird gestohlen, verloren oder kommt sonstwie unwiderbringlich abhanden. Das Schlimmste müssen dann gar nicht die hundert Euro sein, die man mit sich geführt hatte (dank der kleinen Karten benötigt man mittlerweile deutlich weniger Bargeld). Viel ärgerlicher wird der bürokratische Aufwand: Die Verluste müssen gemeldet werden, Kredit- und EC-Karten gesperrt werden, darüber hinaus alle anderen Karten, mit denen man in irgendeiner Form bezahlen kann. Alle Karten müssen neu beantragt werden, alle Mitgliedschaften neu erfasst werden. Alle Kartennummern, die man so schön auswendig drauf hatte - zum Beispiel die der Kreditkarte - müssen neu gelernt und zunächst mühsam von den Karten abgelesen werden. Es kostet viel Zeit und Nerven - und nicht zuletzt auch oft Geld - den Verlust der Geldbörse wieder wettzumachen.

Das ist eben ein Nachteil, wenn man all das lebensbestimmende Plastik zusammen mit sich herumträgt. Und ein weiterer Nachteil im Falle der Bezahlkarten ist: Beim Bargeld konnte man nie mehr Geld ausgeben, als man im Portemonnaie hatte. Bei Kredit- und EC-Karte wird das kleine Stück Plastik einmal durch das Lesegerät gezogen, dann eine Unterschrift oder PIN und das Geschäft war getätigt; nicht selten kommt dann erst Wochen später das eiskalte Erwachen beim Blick auf den Kontoauszug.

Dennoch, ich möchte all' meine Plastikkarten nicht missen, ich finde sie einfach cool, und vielleicht kann ich ja auch nach und nach mehr schwarze Exemplare bekommen. Bis dahin muss meine EMP-Karte ausreichen.

post scriptum: Falls jemand wissen möchte, wie es mir geht - heute ist der erste Tag von "Training und Narbenpflege". Das bedeutet, dass ich die Schiene zweimal am Tag abnehme. Ich versuche dann fünf Minuten lang, den Finger zu begen und zu strecken. Das fühlt sich im Moment sehr unangenehm an, denn ich kann ihn kaum beugen. Da ist diese Barriere im Mittelgelenk. Ich werde ganz unruhig, wenn ich das versuche, daher muss ich mich dazu hinlegen, mich konzentrieren und ganz langsam die Bewegungen versuchen.

Die Narbenpflege ist nicht viel angenehmer - ich reibe eine Salbe auf die Narbe und soll sie mit sanftem Druck eine Weile einmassieren. Es tut nicht weh, aber die Narbe fühlt sich verhärtet an, und es kribbelt, als wäre alles noch teilweise betäubt. Ich halte das kaum aus, aber ich versuche, das einen Moment lang durchzuziehen.

Ich hoffe, dass ich mich im Laufe der nächsten Tage an beides gewöhne. Jetzt ist es noch ungewohnt, als ob dieser Finger nicht zu mir gehört. Ich setze die Schiene wieder auf und versuche, mich abzulenken.

Donnerstag, 20. April 2017

Blick zurück ins Chaos

Heilung braucht Zeit. Genauso, wie auch der Hochbegabte für seine Gedankenwelt Zeit braucht.

Der gestrige Beitrag ist überdurchschnittlich oft angeklickt worden; vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass es einen quasi-live-Einblick in das Seelenleben eines Hochbegabten in einer Krisensituation ermöglicht hat.

Vorgeschichte: Keep Your Fingers Crossed, A B CT - Eine Odyssee, Zahnprobleme etc., Gestern

Und nun blicke ich zurück auf die letzten achtundvierzig Stunden. Den gestrigen Beitrag hatte ich direkt nach meiner Rückkehr aus der Klinik geschrieben - verwirrt, unsicher und unglücklich. Und weil HBs ja so schnell denken können und zur drama queen neigen, ist es nach dem letzten Satz des Textes nur noch bergab gegangen. Wohlgemerkt: Das spielt sich alles nur im Kopf ab, das bekommt kein Außenstehender mit. In jenem Moment erzähle ich auch niemandem davon, sondern hadere allein mit meinen Gedanken. Tausend Szenarien, wie es wohl mit Dr K gelaufen wäre, allesamt besser als der tatsächliche Hergang. Mir wurde bewusst: Ich brauche die geistige Quarantäne. Ablenkung um jeden Preis, ergo habe ich die X-Files (Akte X) geschaut.

Die Serie hat mir sehr geholfen, denn die meisten Folgen sind intellektuell anspruchsvoll und ich mag es, z.B. die ganzen medizinischen Details zu verfolgen (Stellen, an der die große Buba abschaltet und nur noch Tetris-Musik hört). Das hat wie ein Rettungsanker gewirkt, für mein Gehirn, das ziellos umhergedriftete. Generell hilft es mir, in solchen Situationen (ich glaube, Panikattacken verlaufen recht ähnlich) etwas Vertrautes zu haben. Etwas, das ich kenne, worauf ich mich verlassen kann, irgendwas, das noch richtig funktioniert, nicht wie die Lubinusklinik, die mir plötzlich einen vollkommen fremden Arzt vorsetzt. Die Serienfolgen verlaufen immer nach dem gleichen Schema: In einem etwa fünfminütigen Teaser wird ein unerklärliches Phänomen gezeigt. Dann kommt das Intro, die bekannte Melodie, und dann werden nach und nach viele Teile des jeweiligen Puzzles an ihre Stelle gesetzt, so dass ich am Ende schlauer bin und dennoch genügend Denkstoff für danach vorhanden ist.

Eine Folge dauert etwa fünfundvierzig Minuten - genügend Zeit, um sich richtig fallenzulassen, um den Geist vollkommen in die Story eintauchen zu lassen. Manche sind so komplex, ein Paradies für mein Gehirn - und in jener Situation eigentlich als Antidot gegen die offenen Fragen gedacht, gegen die Unsicherheit aus der Klinik. Und dann hakt die Bluray, ausgerechnet an jenem Tag, und ich sehe sprunghafte Szenen aus der Folge, denke mir, nein, das will ich nicht, und suche die Folge online. Ich finde sie und sehe dort weiter, englisch mit türkischen Untertiteln. Klasse, so kann ich gleich ein paar Worte Türkisch lernen! Hilarius, achte mal auf die Untertitel und bringe sie mit dem in Einklang, was da gesagt wird. Mache ich - und bekomme nichts mehr von der Handlung mit. Auf einmal wird mir bewusst, dass ich jetzt fünf Minuten lang Türkisch gelernt habe, aber keine Ahnung habe, was gerade mit Scully und Mulder, den Protagonisten, passiert ist.

Scheiße, klappt denn heute überhaupt irgendwas? Das war der drama queen-Gedanke, der mich durch den späten Nachmittag getragen hat und mir den Tag effektiv versaut hat. Und ich bin dann von dieser Scheißsituation so sehr in Beschlag genommen, dass ich an nix Anderes mehr denke. Essen und Trinken? Brauche ich nicht, ist doch alles okay gerade (ich habe gestern und heute wieder sehr wenig gegessen). Mal der Sannitanic oder der Buba schreiben? Nein, oder wenn doch, dann nur kurze Andeutungen, die kennen mich ja so gut, dass sie gleich wissen, was los ist (nein, eben nicht, und ich versuche dann so viel wie möglich zu schreiben, damit sie Bescheid wissen - in solchen Momenten gehe ich wirklich davon aus, dass sie meine Gedanken lesen können!).

Und überhaupt bin ich in diesen Krisensituationen sehr impulsiv, so auch gestern. "Ich muss sofort mit Dr K reden, ruf' in der Klinik an!" (na, wer macht sich einen Reim aus dem Wechsel von 1. zur 2. Person?), "Schreib Dr K eine Mail mit allem, was du ihm sagen wolltest!", "Schreib der Sannitanic, dass du unbedingt mit ihr reden musst, Termin für morgen abmachen, sonst geht die Welt unter!", "Schreib der großen Buba, dass du sie unbedingt brauchst, aber erst später, und überhaupt." Diesen Impulsen nicht immer sofort nachzugeben, das muss ich erst noch lernen. So habe ich zwar (noch) keinen Gesprächstermin mit Dr K abgemacht, oder ihm einen Brief geschrieben, aber habe bei den Mädels Gesprächsbedarf angemeldet. Und dann fällt mir ein:

"Hilarius, denk' dran, HB, und auch die Autisten - die Welt geht gerade unter, überall bricht dir der Boden unter den Füßen weg, alles geht schief und nichts wird je so sein, wie es sein soll; in solchen Situationen hilft nur: KLARHEIT - SICHERHEIT - REGELMÄSSIGKEIT, und das Alles gern repetitiv."

Ich weiß, das klingt krank. Aber so ist es eben, es hilft mir, etwas "Normales" auszulösen, was auf jeden Fall klappt, was nach einem bestimmten Schema abläuft, wo mir nichts reinfunkt und meinen sicheren Plan stört. Und sei es, mich vor die Waschmaschine zu setzen, oder im gestrigen Fall, das Meditationsritual zu beginnen. Okay, ich lasse Badewasser ein - ich hab' doch am Tag davor gerade erst gebadet! - egal, das muss sein, dann wird der Körper warm, die Haut wird weich, das ist immer so, das wird klappen, und danach dann ganz sauber und rein und vor allem nackt, ohne Wäsche oder vor allem diese blöde Schiene am Finger - nur ich selbst, mein Körper und mein Geist, auf den gestärkten Handtüchern auf der Liegewiese. Hinlegen, dann die richtige Musik hören. Die habe ich doch schon jeden Tag gehört! Aber genau darum geht es ja, dass ich etwas habe, das ich wiedererkenne. Klarheit, Sicherheit, Regelmäßigkeit. Die Meditation dauert immer siebzig Minuten, genügend Zeit, um meinen Körper abzuschalten.

In diesem Zustand gibt es nur noch meinen Geist, der aufatmet, der sich von allen irdischen Fesseln befreit hat. Die Musik umspielt ihn von allen Seiten wie warme, weiche Tücher, ich kann alle Gedanken zulassen, es sind hunderte, und oft viele von ihnen gleichzeitig. Die anderen Sinne sind abgeschaltet, ich kann mich dem puren Intellekt vollkommen hingeben. Endlich habe ich ein wenig Ruhe. Endlich kann ich alles zurechtdenken und zurechtlegen. Mein Geist ist auf Wanderschaft, ganz entspannt, und endlich merke ich, dass die Situation nicht so schlimm ist. Endlich realisiere ich, dass meine Fingerwunde ganz planmäßig heilt, das ändert sich nicht, nur weil ein anderer Arzt jetzt die Fäden gezogen hat. Endlich realisiere ich, dass ich meine Mädels eigentlich gar nicht brauche, denn die Klarheit, Sicherheit, Regelmäßigkeit, die ich brauche, die habe ich gerade. Die bekomme ich jetzt. Und ich habe keinen Zeitdruck, Zeit existiert in meinem jetzigen Paradigma überhaupt nicht. Weder Zeit noch Ort, denn es ist nur mein Geist, und in jener Dimension ist das Raum-Zeit-Gefüge irrelevant. Es ist friedlich, es ist ruhig, es ist mir wohlgesonnen, endlich realisiere ich, dass die Dinge ihren gewohnten Gang gehen, endlich realisiere ich, dass da zwar ein anderer Arzt war, der keine Ahnung hatte, wer ich bin, und der sich kein bisschen für mich interessiert hat, aber "dass es in Ordnung ist, weil es nur darum ging, dass jemand mir die Schiene anmodelliert und mir klarmacht, wie ich mich verhalten soll."

Gut, ich realisiere jetzt auch endlich, dass Dr G, der Alternativarzt zwar nicht für Klarheit gesorgt hat, aber dass ich selbst alle Fäden in der Hand halte, dass ich immer noch Herr über meinen Geist bin und dass ich noch mit Dr K, meinem richtigen Arzt sprechen werde. Endlich erhalte ich die Seelenruhe, dass das Gespräch mit Dr K nicht eilig sein muss, und mich beruhigt die Sicherheit, dass es stattfinden wird. Egal wann (So wie mich auch die Sicherheit beruhigt, dass Er noch da ist, wenn auch nicht hier bei mir).

Mir wird bewusst, dass die Meditationen mir wirklich helfen können. Auch wenn es bedeutet, dass ich dafür sehr viel Zeit brauche. Auch wenn es bedeutet, dass meine Mitmenschen mich dann in Ruhe lassen müssen und unter Umständen lange nichts von mir hören. Auch wenn es bedeutet, dass ich psychoaktive Substanzen konsumiere, um das Tor zur "reinen Intellektualität" zu öffnen und diese Reise angenehm zu gestalten.

Denn ich weiß, dass es okay ist.
Und meine wahren Freunde wissen das, denn für sie bin ich okay, so wie ich bin.



post scriptum: Puh... der Text ist abgefahrener geworden, als ich es eigentlich beabsichtigt hatte. Ich wollte Euch nicht mit meinen kranken, komischen, ungewöhnlichen Gedanken zuspammen. Das wollte ich nie, ich habe über dreißig Jahre lang geübt, das alles schön für mich zu behalten. Aber... vielleicht ist es besser, sich ab und an zu öffnen.

Mittwoch, 19. April 2017

"Ach, sie sind noch Schüler!"

Das Kreuz habe ich mir aus rein praktischen Gründen aufgemalt; so weiß ich immer, wie herum die Schiene getragen werden muss, denn ab morgen muss ich sie immer mal wieder abnehmen, um zu üben, das Gelenk zu bewegen.

Heute Fäden ziehen bei Dr G. So nenne ich ihn einfach mal; das ist gar nicht mal so irrelevant, denn bisher wurde ich von Dr K betreut. Dr K hat mich damals aufgenommen, die ersten Untersuchungen vorgenommen, er war es, der zu mir meinte "Ich unterhalte mich ein bisschen mit ihnen, weil wir immer gern wissen, wen wir da behandeln" - muss der Mediziner-Plural sein, denn scheinbar war er der einzige der mich behandelnden Ärzte, der sich dafür wirklich interessiert hat, wer ich bin. Ist leider immer häufiger so, dass von Ärzten Fließbandarbeit gefordert wird, ich nehme das niemandem übel, bin aber mit dem System sehr unzufrieden. Ich habe dem Chirurgen im ersten Vorstellungsgespräch erläutert, dass ich HB bin und das hat eine komplett neue Grundlage für unsere Kommunikation geschaffen.

Dr K hat von da an auf fachlicher Ebene mit mir gesprochen, hat mir sämtliche medizinischen Details erklärt und wir konnten zusammen einen Behandlungsplan entwerfen, auch was die direkte Versorgung nach der OP angeht. Dass es dann an der Kommunikation in der Anästhesiologie gehapert hat, hat er nicht zu verantworten. So ist nun mal die Lubinus-innerklinische Bürokratie, das ist bereits bekannt. Dr K wusste genau, wie er mit mir zu reden hat und welches "patientenfreundliche Umformulieren" er sich bei mir schenken konnte. Er hat mich nicht wie einen Mittelstufenschüler bevormundet (wie eine der Sprechstundenhilfen), er hat meine Patientenakte ernstgenommen (nicht wie bei der Vorstellung beim Anästhesisten). Ich war immer wieder froh, wenn ich zu ihm in die Sprechstunde gekommen bin, er hat alle Befunde, Röntgen und CT mit mir direkt am Computer besprochen. Ich habe mich im OP richtig entspannt, als Dr K mich, verborgen hinter dem Chirurgen-Outfit, begrüßt hat. Ein bekanntes Gesicht hat gut getan (und die bekannte Stimme des Chefarztes Dr R).

Dr K war heute im OP, deswegen kam Dr G und hat mich behandelt, wie er jeden Patienten behandeln würde. Nett, freundlich, ohne Kenntnis dieses Patienten. Ich habe das als sehr unangenehm empfunden. Ich hatte damit nicht gerechnet, das hat mich verunsichert, das war so nicht geplant. Die Fragen, die ich mir zurecht gelegt hatte, habe ich alle direkt über Bord geworfen, weil sie darauf gefußt hatten, dass Dr K weiß, auf welches Vorwissen er bei mir zurückgreifen kann. Ich hatte keine Lust, das alles Dr G noch einmal zu erklären, denn das braucht Zeit. Und so viele verschiedene Menschen, das mag ich nicht. Also habe ich mir die üblichen Sprüche angehört, dann ging es um eine Krankschreibung und ich meinte, momentan sind ja eh noch Ferien.

"Ach, sie sind noch Schüler! Entschuldigen sie bitte, das wusste ich nicht." - "Nein, ich bin Lehrer." - "Äh." Pause - Und genau diese Pause war sehr spannend für mich, weil ich Dr Gs Gedanken ziemlich genau vor mir gesehen habe. Nein, ich hatte kein lehrertypisches Outfit an, sondern mein typisches Outfit. Symphony of Death-Shirt mit Gevatter Tod, alles in schwarz, schwarz lackierte Fingernägel und schwarze Hose mit Schädeln, Kreuzen und Tribal-Motiv. Schwarzer Schmuck, schwarze Armbanduhr mit Metallschädeln, schwarze Schuhe, schwarzer Gürtel. In dem Moment hab' ich mir dann gedacht, scheiß' drauf, das dauert zu lange, das alles jetzt zu erklären. Hol' Dir Deine Schiene und Verhaltensregeln ab, mach' einen neuen Termin und fertig, und so war es dann auch.

Ich hoffe wirklich, dass nächstes Mal wieder Dr K da ist. Diese OP war für ihn sehr spannend, weil ich mir das Finger-Mittelgelenk komplett zerlegt hatte a.k.a. gebrochen; das war eine schwierige OP und deswegen hatte sich letztlich auch der Chef ("trotz Kasse") eingeschaltet. (Deswegen hat es mich SEHR verunsichert, als dann die Ärztin, die mir die Schiene anmodelliert hatte, meinte, "Naja, wir behandeln ja jetzt hier keinen Bruch, das geht schon."). Ich bin heute extrem unruhig und unsicher aus der Klinik gekommen und das ist scheiße. Und ich verbringe jetzt den Nachmittag damit, mir klarzumachen, dass alles so ist, wie es sein soll, während ich gleichzeitig nicht aufhören kann, infrage zu stellen, ob das heute alles richtig gemacht worden ist.

Es hat nicht geholfen, dass die Schienen-Ärztin und Dr G aus den Notizen von Dr K nicht ganz schlau geworden sind und das auch kundgetan haben. Ich bekomme immer Angst, wenn in mir drin das Gefühl entsteht, dass ich besser Bescheid weiß als die Person, der ich gerade meine Gesundheit in die Hände lege. Und das ist leider ab und an passiert; bei Dr Müller-Steinmann (wie auch in jedem anderen Fall, der sich so entwickelt hätte) habe ich dann den Arzt gewechselt. Und es ist mir schnurz, ob das arrogant oder überheblich oder wenig nachvollziehbar klingt. So kann ein HB-Gehirn ticken, das bin nicht nur ich, dem es so geht.

Ich bekomme langsam einen Sinn dafür, wie sich so etwas für Autisten anfühlen muss. Das ist eine wertvolle, wenngleich verdammt unschöne Erfahrung.

Dienstag, 18. April 2017

Die Macht der großen Buba

Nehmt Euch in Acht - vor der Große-Buba-Macht!

Ich bin ein ganz normaler Erwachsener, fast. Ich kann ernst bleiben, ich kann mich wie ein ernsthafter, normaler, heterosexueller Mann benehmen. An meiner jetzigen Schule hat mich noch keiner meiner Schüler gefragt, ob ich schwul bin, und ich werde ernst genommen. Dieser Habitus war nicht immer so - in meinem Studium hatte das Verhalten eine ganz andere Wendung genommen, als ich nämlich aus der Wohnung meiner Eltern raus war und mich benehmen konnte, wie ich wollte. Und Conny, meine Mitbewohnerin, würde keinen ihrer Mitmenschen aufgrund ihres Verhaltens herablassend behandelt haben, für sie war ich immer okay.

Und dann war es einmal im Oktober Zweitausendundsechs, in der Leibnistraße vier, Raum fünfundsiebzig/siebenundsiebzig. Ein grauenhafter Seminarraum, viel zu sehr nach hinten in die Länge gezogen, so dass die Studenten wunderbar vor ihrem Dozenten vorn an der Tafel fliehen konnten. In jenem Wintersemester war ich einmal "Dozent", ich habe ein Tutorium zum Grundkurs Lateinische Grammatik gegeben. Da saßen interessante Menschen drin, eigentlich recht normal. So wie ich, wenn man mal von dem Kajal, Lidschatten, Hundehalsband und dazugehöriger Kette abgesehen hat. Aber das waren ja nur Äußerlichkeiten.

Eine Oberfläche, die die große Buba natürlich sofort durchschaut hat. Sie war damals noch nicht die große Buba, sondern eine heterosexuelle Lateinstudentin. Das hat sich geändert; nicht geändert hat sich ihr Blick in ihre Mitmenschen hinein. Angeblich habe sie über meinem Kopf eine neonpinke Leuchtschrift gesehen - Megaschwuchtel. Ich glaube ihr das ja nach wie vor nicht, so heteronormativ, wie ich in den Raum gekommen bin.

Mit drei Teilnehmern des Tutoriums habe ich mich nach dem Abschlusstest, ein paar Monate später, zum netten Beisammensein getroffen, und da war es dann um uns geschehen. Vor elf Jahren wurden wir zur GDB und DGB. Und Die große Buba hat ihren Namen nicht von ungefähr, und das hat nichts damit zu tun, wenn sie anfängt, herumzupoltern, sondern mit der Wirkung, die sie auf mich ausübt; kaum zu glauben, aber so habe ich angefangen, mich vielleicht eventuell mal andeutungsweise ein kleines bisschen schwul zu benehmen, ein wenig vorsichtig herumgetuckt, sozusagen, denn das war genau das, was die große Buba brauchte, ihre persönliche kleine Schwuppe für den Trophäenschrank.

Das ist an sich nichts Ungewöhnliches - welche junge Frau hat sich nicht schon einmal einen schwulen Freund gewünscht, mit dem sie über Alles reden kann, ohne dass sie Angst haben muss, er könnte etwas von ihr wollen. Ja, leider sind die Heten so, die wollen immer was von den Frauen. Sie sind damit nicht allein, denn die Schwulen wollen ja auch immer was von den Männern, egal welche sexuelle Orientierung die sich gerade zugelegt haben. Mit dem schwulen Freund kann man shoppen gehen, denn alle Schwulen lieben es ja, Klamotten einzukaufen. Und sie kann mit ihm über ihre Tage reden, denn alle Schwulen finden das faszinierend und überhaupt nicht eklig. Und sie kann mit ihm über Männer lästern, die sie verletzt haben, denn alle Schwulen personifizieren die pure Empathie. Ich kotz' gleich.

Das klingt so negativ, nein, ist natürlich alles mit einer Dosis Humor zu goutieren. Nehmen wir also aus den vorhergehenden Paragraphen mit: Die große Buba und ich, wir benehmen uns in Gesellschaft anderer Menschen - wenn wir nicht zusammen sind - wie ernsthafte Erwachsene, vielleicht mit einem Sprung in der Schüssel, aber wenn wir zusammen sind, ist der Porzellanschrank dem Erdboden gleichgemacht. Dann wird geklötert, gekrischen, gespült, auf die Nerven gegangen. Nicht uns selbst, aber unseren Mitmenschen, da kommen dann gerne mal Kommentare, "Also zwischendurch war das ja ein bisschen nervig" - und ich weiß gar nicht, was gemeint sein könnte! Dass ich mit einem Mal drei Oktaven höher spreche? Dass in meiner Sprache jedes L durch ein W getauscht wird? Dass per nasalem Tuckentonfall jedes N zu D zu TH und jedes M zu einem B wird? Dass wir nichts mehr ernstnehmen können, egal ob gerade die Welt untergeht oder wir einen Horrorfilm schauen? Dass wir "tot gehen" und dabei "woouuuhhmmmbähbäh" brüllen? Dass wir meine Nachbarn unerbittlich durch unsere Dezibelzahl in den Wahnsinn treiben? Das werden sie schon aushalten, denn das passiert nur, wenn die große Buba da ist. Ich warte immer noch darauf, dass wir bei Edeka und Sky Ladenverbot bekommen.

Denn eigentlich bin ich ein ernsthafter, heteronormativ angepasster Erwachsener.

post scriptum: Jetzt lacht sie gerade und glaubt es "thöäarchtöäh". Ni wi wi a a a!

Montag, 17. April 2017

"Irgendwie spüre ich nichts..."

Clickbait! Oder... geht es hier etwa wirklich um...?

Disclaimer: In diesem Beitrag dichte ich ein bisschen zur Realität hinzu und nehme ein paar Sachen weg, bin also ein sehr unzuverlässiger Erzähler. Das macht aber nichts, weil es mir um das Prinzip geht, und um das zu verdeutlichen, sind mir diverse Mittel und Wege recht. Tatsache ist, dass ich kein Cannabis in der Wohnung habe und daran auch so schnell nichts ändern werde - einfach weil das THC mich kaum reizt.

Vor einer ganzen Weile hatten Er und ich mal Lust, zu kiffen, und es war aus heiterem Himmel Gras da und eine selbstgebastelte Bong, wir hatten gute Laune und damals auch noch niemanden, der zwischen uns stand. Und dann haben wir uns gesagt, okay, das probieren wir mal aus. Wir hatten schon andere Sachen ausprobiert und waren neugierig - wie das nun mal so ist. Und nach ein bisschen Rumgehuste haben wir dann auch was gemerkt und wollten plötzlich einfach nur noch irgendwo herumliegen. Und auch, wenn wir uns nicht unterhalten hätten und uns gegenseitig immer wieder auf den neuesten Geisteszustand angesprochen hätten, hätte jeder sehen können, dass wir ziemlich gut verklatscht waren. Er konnte das sowieso nie verbergen, seine Augen sprachen Bände.

Der aufmerksame Leser mag sich nun verwundert fragen, worauf der Doktor hinauswill - hat er doch im Titel von Nichts-Spüren geschrieben. Richtig. Ich wollte einmal schildern, wie es ist, wenn ich weiß, dass der Andere unter Einfluss steht. Denn man kann das nicht immer sehen, manchmal sehen die Menschen ganz normal aus, verhalten sich auch ganz normal. Wie kann ich dann herausfinden, ob mein Gegenüber irgendeine Wirkung hat? Da muss ich mich wohl auf das verlassen, was er mir berichtet - wie es sich für ihn anfühlt. Und jetzt wird's sexy:

Stellt Euch einmal vor, Er würde mir erzählt haben, dass Er eine ganz tolle, unglaublich entspannende Wirkung spürt, wow, ich bin grad echt geflashed und so ein blabla. Und stellt Euch einmal vor, Er würde das nur getan haben, damit ich nicht enttäuscht bin - weil Er in Wahrheit nämlich gar nichts gespürt haben würde? Warum würde Er mir so einen BS erzählt haben?

Die Damen ahnen natürlich schon längst, worum es geht, denn manch' eine von ihnen wird in ihrem Leben den einen oder anderen Orgasmus beim Sex vorgetäuscht haben, um dem Herrn, der sich da so bemüht versucht hat, nicht zu enttäuschen. Und das funktioniert ja auch, denn der Herr kann nicht in ihren Kopf hineinschauen, und selbstbewusst, wie er nun mal ist, freut er sich, dass er die Dame erwartungsgemäß hat zufriedenstellen können.

Sehen wir die Parallelen? Sex und Drogen sind ja ohnehin ein sehr beliebter literarischer Topos, also nichts Unerwartetes hier. Nur, dass Er und ich nicht die Sex-Version des Ganzen würden gehabt haben - nach wie vor befinden wir uns in einem Gedankenspiel. Er würde ja auch einfach gesagt haben können: "Irgendwie spüre ich nichts..." - würde sich aber dennoch dazu genötigt gesehen haben, BS zu erzählen. Welche Schlüsse soll ich aus einer solchen Vortäuschung ziehen?

Warum kann Er nicht einfach mal sagen, was Sache ist? Warum diese Zwänge, seine Mitmenschen unbedingt glücklich zu machen - würde ich mich gefragt haben. Vor allem weiß ich noch, wie oft Er und ich darüber geredet haben, wie wichtig es mir ist, dass mein Gegenüber sich authentisch verhält, dass Er sich nicht verstellt, denn mit solch' einem Verhalten weiß ich nicht umzugehen. Wir haben das so oft besprochen. Wir haben so oft geklärt, dass Er bei mir, in meiner Wohnung, wo niemand sonst etwas mitbekommt, ganz Er selbst sein kann. Er selbst hat mir von diesem Effekt erzählt. Etwa auch nur, weil Er meinte, dass ich das hören wollte?

Ob sich das mit dem Alter ändert? Wenn man neunundzwanzig wird? Ich weiß, dass sich jetzt noch nichts geändert hat. Noch immer erzählt Er mir BS, wenn es seiner Meinung nach nötig ist, um mich zufriedenzustellen. Er hat eine hochbegabte Freundin und ein hochbegabtes Etwas eine Straße weiter. Warum glaubt Er, sie hinter's Licht führen zu können? Zu müssen?

So ist Er nun mal. Daran ist nichts Schlimmes, daran ist nichts böse Gemeintes. Sollte ich ihn als Teil meines Lebens betrachten wollen, habe ich das zu akzeptieren. Ich lerne. Ob sie das ähnlich sieht?

Vielleicht sind vorgetäuschte Vergnügungen einfach Teil unseres Lebens, Teil unserer Funktionen als Impulsgeber und Antwortmaschine. Dabei wäre es doch so einfach, das zu sagen...

"...irgendwie spüre ich nichts." - "Das ist vollkommen okay."

Lächeln.



post scriptum: Ich sollte selbstkritischer sein und oben einen Satz hinzugefügt haben müssen - "Warum glaubt Er, sie hinter's Licht führen zu können? Zu müssen? Warum lösen wir das in ihm aus?"



vivat tempora convoluta!

Sonntag, 16. April 2017

Volltreffer!

Volltreffer! und Alptraumfahrt und Spuk Halle - die Achterbahnfahrten gehörten zu meinen Lieblingsleveln in der DKC-Reihe und besonders bei DKC2.

Volltreffer! - so heißt im Videospiel Donkey Kong Country 2 für das SNES ein Level, in dem man mit den Affen eine Achterbahnfahrt auf einem Vergnügungspark überstehen muss. Ich habe diesen Abschnitt schon in meiner Jugend geliebt - "Dat is puuuuure Action", würde die verrückte Buba jetzt sagen, weil man während der Fahrt immer mal wieder aus dem Wagen springen musste, um per Schalter Tore auf der Strecke zu öffnen - man musste also Volltreffer landen.

Das habe ich heute auch gemacht. Also, nicht Achterbahn, nicht Tore, aber ich bin trotzdem aus einem Wagen gesprungen und Monster kamen auch vor: Ich bin zur nicht anwesenden Sannitanic gefahren und habe ihre Kaninchen gefüttert. Mal wieder gilt: Ü-Punkte retten Leben. Auf dem Weg dorthin habe ich einen wunderbaren Parkplatz erwischt, nämlich den letzten neben dem Südfriedhof, auf dem man noch parken kann; jener, der am nächsten an ihrer Wohnung dran ist (auf diesen Streifen bezogen) - Volltreffer also! Und ich hoffe, die beiden BMWs, die dreist vor mir im absoluten Halteverbot standen, haben ein paar hübsche Tickets bekommen.

Und auf dem Rückweg kam es noch besser, denn ich habe den Parkplatz quasi direkt neben meiner Haustür erwischt. Gerade da, wo man noch parken darf, und jeder, der an der Helgoländer Straße vorbeikommt, sieht nun das Heck des geschichtenbeladenen Hilarius-Vehikels. Es gibt mir immer ein echt gutes Gefühl, wenn ich dort parken kann. Unter anderem auch, weil ich weiß: Jedesmal, wenn Er (vielleicht mit ihr) unten einkaufen geht, kommt er an diesem Wagen vorbei, jedesmal sieht er ihn, jedesmal löst das einen Gedanken in ihm aus. Und sie hat keine Ahnung, dass ich immer noch da bin. Talk about Genugtuung.

Und auch andere Volltreffer lösen in mir ein Gefühl von Zufriedenheit, von Ausgeglichenheit aus - zum Beispiel, wenn ich die Treppen steige: Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal, und wenn ich mit dem letzten Schritt genau oben anlange, verlasse ich die Treppe mit einem Grinsen. Ansonsten fühle ich mich unruhig. Weitere Volltreffer: Wenn ich beim Einsteigen in die S-Bahn direkt den richtigen Sitzplatz bekomme; wenn ich mich zur Meditation hinlege und gleich in der "richtigen" Position liege.

Das mag manchen Menschen auch so gehen, andere fragen sich, ob ich 'nen Knall habe. Nein, aber ich habe manchmal autistische Züge, und das könnte einer davon sein. Wer das empfehlenswerte Buch Supergute Tage (The Curious Incident of the Dog in the Night-Time) von Mark Haddon kennt, der weiß, dass die Qualität der Tage des Protagonisten, seines Zeichens Asperger, davon abhängt, welche Farbe die Autos haben, die er morgens als erstes sieht. Und das ist normal für ihn, und vor allem: Das ist okay. Und genauso okay ist das Gefühl von Glück für mich, wenn ich Volltreffer landen kann.

post scriptum: Falls die irre Tante mit IQ142 da draußen das liest - na, ist Dir das inspiriert genug? Nur weil Du noch nicht den Sinn des anderen Beitrags gefunden hast :-P Sie hat nen Vogel; ich darf das sagen, sie hat davon sogar einige, die sie immer mit sich herum trägt - das kann jeder sehen. Nur ihren Knall, den sieht man nicht so schnell.

Samstag, 15. April 2017

Kleiner


Das heutige Gadget ist ein Timer für die Küche - was früher die gute alte Eieruhr war. Case in point - ich habe das Gefühl, dass die Dinge mit der Zeit und dem technischen Fortschritt immer kleiner werden. Es gab mal eine Zeit, in der ein Telefon aus mehreren Einzelteilen bestand, die ein ordentliches Volumen und Gewicht hatten.


Davon ist heute nichts mehr übrig, das Telefon hat sich verkleinert - wer damals dachte, wow, das Handy ist ja eine tolle Erfindung, so klein und praktisch - der hat noch nicht ahnen können, dass auch das Handy mit den Jahren immer kleiner werden würde. Mittlerweile kann eine Schachtel Zigaretten größer sein und manch' einer lässt sich sein Handy direkt in den Unterarm einsetzen. Mensch wird Maschine.

Oder eben jene Eieruhr, die früher fröhlich vor sich her tickte, mittlerweile genauso flach wie ein Handy und magnetisch, damit man sie direkt an der Dunstabzugshaube anbringen kann. Natürlich geht es noch kleiner - wer Style hat, hat den Timer direkt im Herd integriert.


Wir sind auf dem besten Weg, dass sich die gesamte Wohnung über ein kleines Display steuern lässt. Man muss es nicht einmal anfassen - denn Sprachsteuerung wird immer beliebter. Ebenso wie Uhren, die nichtmal mehr ein Gehäuse besitzen, sondern die Uhrzeit direkt aus der Wandkonsole an die Zimmerwand beamen.

Und dann sind da ja noch diese ganzen Reader. Dünn wie ein Tablet, speichert man darauf den Inhalt eines ganzen Bücherregals und schafft noch mehr Freiräume in der Wohnung (um diese dann professionell vollzumüllen). Und hattet Ihr nicht auch mal eine Situation, in der Ihr einen Mikro-USB-Stick (die Dinger sind echt winzig!) lange habt suchen müssen, eben weil er so winzig ist und nicht auffällt?

Ich frage mich, wie weit das gehen wird. Wird es irgendwann tatsächlich so weit sein, dass wir überhaupt keine Gegenstände mehr brauchen, weil wir alles per Sprache steuern? Wer den Film Wall-E gesehen hat, kennt das Szenario. Mir ist es einfach ein bisschen suspekt, dieser Drang der Technologie, sich selbst zu minimieren. Auf der anderen Seite kann ich mich der schlichten Eleganz nicht vollständig entziehen - so habe ich meine Musiktheke von einem Regal voller CDs in fünf schlanke USB-Sticks verwandelt. Und so eine Beamer-Uhr reizt mich auch.

Ich habe in Husum - wo ich meine letzte Wohnung hatte - festgestellt, dass ich keine Wände und Türen in der Wohnung haben möchte. Ein Zimmer, ein kleines Loft, und damit ich das auch bezahlen kann, sollte es nicht zu groß sein. Und da kommt mir die Verkleinerungswelle ganz gelegen, ehrlich gesagt. Das lässt mir mehr Platz für das Wohnungsdesign.

Ich frage mich, ob man das Ganze irgendwann satt hat und ich einen Blogeintrag Größer werde schreiben können.

Freitag, 14. April 2017

Dienstag, 11. April 2017

Mount Trasherest

Der gewaltige Mount Trasherest

Wenn ich mich recht entsinne, entstehen Gebirge durch die Kollision zweier Kontinentalplatten und das daraus resultierende "Hochfalten" von Landmasse. So sind die Alpen entstanden, die immer weiter wachsen. Das habe ich in der Schule so gelernt, bei Herrn Brunkert im Erdkundeunterricht. Herr Brunkert hat uns allerdings zu diesem Thema Informationen vorenthalten: Gebirge können auch durch sogenannte Vermüllung entstehen.

Der Mount Trasherest besteht an der Basis für gewöhnlich aus Kisten, Versandkartons und klobigem Müll. Je höher man ihn erklimmt, umso "frischer" wird der Müll, es finden sich Plastiktüten und man erahnt ein Aroma verdorbener Essensreste. Am Gipfel lässt sich ein interessantes Phänomen beobachten, einem Vulkan nicht unähnlich, der Lava spuckt. Genau wie die feurige Masse, rutscht neuer, frischer Müll, auf dem Gipfel abgelegt, den Berg herab - so dass sich nach einiger Zeit selbst im Versandkartonbasislager Essensreste wiederfinden. Und so wächst der Mount Trasherest immer weiter... und weiter...

Der Anlass für diesen Beitrag? Ich wollte heute Tests korrigieren, hatte mir den Rotstift bereitgelegt und mich in eine wohlwollende Stimmung versetzt - doch wo waren besagte Tests? Ich suchte nach dem Stapel, ließ die Augen schweifen, konnte aber nichts entdecken. Doch da! Die Tests waren wohlauf, oder eher wohlunter, nämlich unter meiner Tüte für den Papiermüll.

Wie kommt es dazu, dass bei mir überall so viel Müll herumliegt? Ich bin einfach zu faul - und manchmal auch gedanklich zu sehr abgelenkt - um die Sachen in den Mülleimer zu werfen. Gerade wenn ich im Flow bin, lasse ich gern alles da liegen, wo ich gerade bin. Denn es könnte ja meinen Gedankenzug durcheinander bringen, wenn ich dem Müll auch nur das kleinste bisschen Aufmerksamkeit schenke.

Es wird eine ganze Weile dauern, bis die Wohnung von all' dem Unrat befreit ist, und jetzt vermisse ich tatsächlich meine linke Hand. Klar, ich binde sie vorsichtig in die Arbeit ein und sehe zu, dass der operierte Finger nicht belastet wird. Aber es bremst das Aufräumtempo deutlich, und wer mich kennt, weiß, dass ich ein grundlegend schneller Mensch bin. Das muss fix gehen!

Kleiner Nebengedanke an dieser Stelle: So ging es mir auch nach der OP. Die Schwestern und Pfleger meinten, ich sollte in aller Ruhe mich erholen, etwas essen und trinken, und sie haben angeboten, gern noch eine Stunde im Aufwachraum zu bleiben. Aber ich wusste nicht, wieso ich das hätte machen sollen, ich war geistig fit, keine Medikamentnachwirkungen - also Tempo Tempo, ab nach Hause!

Ich werde in nächster Zeit mal darauf achten, was ich einkaufe - und wieviel Müll es produziert. Und nicht nur darauf achten: Ich werde nur Nahrungsmittel besorgen, die wenig bis keinen Müll erzeugen. Also weg von den Fertiggerichten, weg von den Sandwiches, hin zu Dingen, die nicht eingepackt sind oder wo eine Verpackung für mehrere Mahlzeiten reicht.

Daraus könnte man zwei Motive ableiten: Zum einen belastet es die Umwelt weniger - Knoll, der Troll sagt: "Ach komm, auf die eine Verpackung kommt es nun auch nicht an. Die Welt ist riesig, mit Millionen Menschen, da macht es doch nichts aus, wenn Du ein bisschen mehr Plastik brauchst." Und dann erkläre ich ihm, dass es mir um mich geht, um mein Gewissen. Ich kann es nicht richtig erklären, aber ich fühle mich tatsächlich besser, wenn ich nicht so viel Müll verursache. Es lebt sich ein wenig leichter.

Zum anderen verhindert es, dass sich neue Gebirgsketten wie der Mount Trasherest auftun. Weniger Gebirge in meiner Wohnung bedeutetn mehr Platz, und auch hier geht es um ein Gefühl: Es fühlt sich einfach besser an, wenn ich mehr "Platz zum Durchatmen" habe.

Zu guter Letzt dieser Trailer, der recht eindrucksvoll (und extrem kitschig) zeigt, was mit unserem Müll passiert - nieder mit jedem Mount Trasherest, der sich auf unserer Erde breitmachen will!


Montag, 10. April 2017

Juvenile Antics (und tolle Eltern)

Unsere Diamantenjagd-Filmtruppe

In meiner Jugend war ich verrückt nach Cluedo - ohne das richtige Brettspiel ein einziges Mal gespielt zu haben. Ich habe mir gern eigene Fälle ausgedacht und dann mit Freunden gespielt - im Blog gab es an dieser Stelle einen Beitrag dazu. Irgendwann hat mir das Rollenspiel nicht mehr ausgereicht und ich habe angefangen, ein Drehbuch zu schreiben. Mir waren die Figuren so sehr an's Herz gewachsen, dass ich sie in Action sehen wollte.

Eine Videokamera hatten wir zuhause, fehlten nur noch Darsteller. Ein paar Freunde und Nachbarn konnte ich überzeugen, auch meine liebe Familie hat mehrfach hergehalten, und weil trotzdem ein Schauspieler gefehlt hat, habe ich zwei Rollen übernommen. Ich habe das als spannende Herausforderung empfunden, Szenen zu drehen, in denen meine beiden Charaktere in einem Raum auftauchten. Besonders im zweiten Film (Mörderparty) gab es eine Szene im viel zu kleinen Badezimmer, in dem ich mich mit mir selbst unterhalten sollte - und wir waren an dem Tag nur zu zweit. Also hat Julia die Kamera gehalten und wir haben ein bisschen rumprobiert; ist gar nicht so schlecht geworden!

Ich habe erst überlegt, einen der Filme hier zu posten - allerdings ist der Sound phasenweise sehr schlecht zu verstehen und wahrscheinlich will das auch keiner sehen. Dann aber habe ich mich entschlossen, die Outtakes des ersten Films (Diamantenjagd) hochzuladen - man sieht, wir hatten eine Menge Spaß.

Das alles fällt unter die Kategorie juvenile antics - jugendlicher Irrsinn. Und in jener Phase haben sich meine Eltern als ganz tolle Eltern erwiesen, denn sie haben den Kram mitgemacht. Ich bin so oft mit schrägen Ideen zu ihnen gekommen, und immer haben sie mich nach Kräften unterstützt und mich ermuntert, auch weiterhin kreativ zu sein. Also, liebe Eltern und jene, die es noch werden wollen, seid für Eure Kinder da, lasst sie die Welt entdecken und ein bisschen rumprobieren, damit sie vielleicht später auch mal solche Erinnerungsstücke haben.


Sonntag, 9. April 2017

Freakshow

"Freak im Keller", by Dr Hilarius, 2004

Es war einmal...

Es war einmal zu einer Zeit, als nur Freaks das Fach Latein studierten. Für Normalsterbliche galt es als zu schwer, als ausgestorben, irrelevant, viel zu abgefahren. Damals gab es noch nicht einhundert, sondern fünfzehn Studierende pro Semester - wobei man munkelt, dass eine neue solche Ära hereinbricht.

Die Freaks lebten hoch oben, sie schwebten nicht nur intellektuell über den Wolken. Der fünfte Stock war ihr Zuhause, wo niemand sonst sich aus Versehen hin verirrte. Es sei denn, die armen Wesen mussten ihr Latinum oder Graecum nachholen - das waren die Phasen, in denen der Fahrstuhlknopf "5" regelmäßig ausgeleiert wurde - Phasen, in denen die Freaks in ihren Wohnungen blieben, denn Menschenkontakt war ihnen suspekt, sie blieben unter sich, sie wollten sich nicht den Blicken der Normalen aussetzen. Denn sie waren anders.

ER1 war sein Leben lang komisch gewesen. Freunde hatte er kaum, wozu auch, kam er doch allein gut zurecht. Ein Freak, wie er im Buche stand, ging er mit Kopftuch in die Universität und trug das ganze Jahr über Socken in Sandalen, auch im Winter, wenn es schneite. Irgendwann entschied er sich, das Kopftuch abzuwerfen, und es zeigte sich die äußerst ungewöhnliche Eigenart, mit den Jahreszeiten die Haarfarbe zu wechseln. Rot, Grün, Blau, Orange, Gelb, Schwarz, Violett, dazu trug ER1 Kriegsbemalung im Gesicht und sprach kaum mit anderen Menschen. Er war froh, wenn er in Ruhe gelassen wurde und die Normalen waren froh, wenn er sie nicht ansprach. Was er natürlich nie tat. Was sie nicht wussten: Er war hochintelligent, hoch sensibel, hatte ein Gespür für den Umgang mit Menschen - doch all das verbarg er hinter einer Maske aus Angst vor Zurückweisung.

SIE1 war ihr Leben lang komisch gewesen. Aufgewachsen in einer Familie, die sich nicht um sie kümmerte, die nicht ihre eigene zu sein schien, war sie immer nur ein Störenfried, nie tat sie das, was sie sollte, und wann immer sie es versuchte, machte sie es verkehrt. Niemand kümmerte sich um sie, Verwahrlosung war ihr ständiger jugendlicher Begleiter - und wenn sich jemand ihr zuwandte, dann nur, um ihr die Schuld an allem zu geben, was gerade nicht lief. Dadurch lernte sie, für sich selbst zu sorgen - sich nicht auf Andere verlassen zu müssen, und so trat sie in die Freakshow ein als selbständiges Wesen mit einem Panzer gegen Blicke, die zu tief in ihr Inneres schauen wollten. Ihr Freaksein versteckte sie - aber sie lebte von da an unter Freaks, die wussten, was es heißt, anders zu sein. Diese Freaks nahmen sie bei sich auf und gaben ihr ein Gefühl von Zugehörigkeit.

SIE2 hatte ein Rad ab, das war offensichtlich. Sie war ein Ausbund an Gesprächigkeit, umgab sich immer mit Menschen, sie lebte von Konversation, von guter Laune und Geselligkeit. Wer sich aber ernsthafter mit ihr beschäftigte, erkannte ihre freakige Seite: Sie neigte zu Gedankengängen und -sprüngen, die für manch' einen wenig nachvollziehbar schienen. Sie vereinte in ihrer Lebensweise Tradition und Moderne, ein scheinbarer Widerspruch für ihre Familie, aber nicht für sie, und manchmal kämpfte sie verzweifelt um Anerkennung für ihre Offenheit. Der Sprung in der Schüssel zeigte sich in ihrer Vorliebe für indisches Kino, indische Lebensweise, indisches Essen. Die Normalen fanden das nervig, die Filme zu lang, die Outfits zu bunt, die Songs zu kitschig. Für SIE2 war es die perfekte Möglichkeit, ihren eigenen Horizont zu erweitern. Die Normalen kamen gern zu ihr zum Feiern, weil sie immer für gute Stimmung sorgen konnte. Oft aber fragten sie sich, was mit ihr eigentlich nicht stimmt. Was sie nicht wussten: Sie war eine hochintelligente Frau, die auf ihr Herz hörte - doch hin und wieder interferierte ihr Gehirn, und das schien für manch' einen Außenstehenden nicht nachvollziehbar. Man schaute nur auf ihr Äußeres, man ließ sich durch ihr Verhalten irritieren - und erahnte das Potential dieser Frau nicht einmal im Ansatz. Vielleicht tat sie das selbst phasenweise nicht.

SIE3 hatte einen Knall, das war offensichtlich - denn wer studiert schon Latein UND Mathematik? Sie war unauffällig, in sich gekehrt, hatte eine ruhige Stimme, die sie nie in einer momentanen Stimmung erhob - denn die gab es bei ihr nicht, zumindest nicht sichtbar. Sie vermied es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie war die Illustration des weiblichen Nerd, trug Pullis und Jeans - so unauffällig, dass sie fast schon normal wirkte. Aber wehe, wenn sie ein mathematisches Problem zu Gesicht bekam, dann fingen ihre Augen an, zu leuchten, dann verschmolzen ihre Gedanken mit dem Papier, das sie in der Hand hielt, dann blühte sie innerlich auf, dann wurde sie gesprächig. Den Normalen war das suspekt, aber da auch ihr zweites Studienfach einer Freakshow ähnelte, bekam kaum ein Normaler sie je zu Gesicht. Und wenn doch, dann gab es da etwas, was er bestimmt nicht wusste: SIE3 war einer der hilfsbereitesten Freaks, die je ein Student zu Gesicht bekommen hatte. Sie opferte sich für ihre Aufgaben auf, sie ließ niemals einen ihrer Mitfreaks im Stich. Man konnte sich immer auf sie verlassen, selbst wenn sie dadurch ihre eigenen Interessen zurückstellen musste. Sie teilte sogar ihr letztes Brot mit ER1 - und er hat ihr dafür niemals angemessen danken können.

ER2 kannte SIE3 gut, denn auch er studierte Mathematik und Latein. Als Pendant zu SIE3 personifizierte er den männlichen Nerd. Dazu kam eine seltsame Art, auf Witze zu reagieren: Manchmal kicherte er irre vor sich hin, oft aber reagierte er vollkommen sachlich und zerlegte den Witz in seine Bestandteile, um logische Irrtümer zu markieren. Das konnten Normale kaum verstehen, so konnte er manchmal als Spaßbremse wirken, und wenn er dann seinerseits einen Witz erzählte, war der überhaupt nicht lustig. Was sie nicht wussten: Er war für sie nicht lustig, weil er zu intelligent war, zu hoch, sie konnten ihn nichtmal ansatzweise verstehen. Weil auch er ein hochintelligenter Freak war, und weil er Autist war, reagierte er selbst auf Witze, die einer Logik entbehrten, oft sachlich und unbeeindruckt. Das wusste aber kaum jemand, und es war auch nicht schlimm, denn sie mochten ihn genau so, wie er war.

Und das hatte einen einfachen Grund: Sie alle waren Freaks, und manch' ein Normaler mied sie deswegen. Aber unter sich waren sie selbst die Normalen, denn sie kannte Ablehnung, sie kannten Unverständnis, und hatten deswegen gelernt, Menschen nicht nach ihrem Äußeren zu bewerten, auch nicht nach ihrem Verhalten. Sie hatten gelernt, in die Menschen hineinzuschauen und sie aufgrund ihres Wesens in ihr Herz zu schließen. Sie alle waren Freaks, sie waren merkwürdig, aber sie waren zu engen Freunden geworden, sie waren füreinander da, sie gingen zusammen durch ihr Studium.

Das alles war einmal zu einer Zeit, als nur Freaks das Fach Latein studierten. Das konnten die Normalen nicht verstehen, aber das mussten sie auch nicht, denn wer verirrte sich je in den fünften Stock?

Und sie waren keine Freaks, sie waren Menschen, und sie wussten, was Menschlichkeit bedeutet.

ER1 denkt gern an die Zeit zurück. Mittlerweile gehen sie ihre eigenen Wege, sie alle haben die Freakshow verlassen, sind ein wenig erwachsener geworden - und für Außenstehende vielleicht ein wenig normaler. Tief drinnen werden sie immer Freaks bleiben, und werden sich immer an die Phase der Freakshow zurückerinnern.

Es war eine tolle Zeit, Leute!

nomen amicitiae sic, quatenus expedit, haeret;
   calculus in tabula mobile ducit opus.
cum fortuna manet, vultum servatis, amici;
   cum cecidit, turpi vertitis ora fuga.
(...)

(Petron 80,9)

Armer Encolpius, aber auch Du solltest noch den Wert wahrer Freundschaft kennenlernen.