Wie funktioniert dieser Lehrer? |
"Werden sie mal konkret." Das meinte ein Schulleiter vor ein paar Jahren zu mir, als ich in einem Vorstellungsgespräch erwähnte, dass ich offenbar ein ungewöhnlicher Lehrer bin, der seinen Unterricht ein bisschen anders macht. Vollkommen nachvollziehbar, dass man da als Schulleiter gern ein paar Beispiele hätte - und ich habe damals den Fehler gemacht, auf diese Aufforderung zu reagieren. Ich habe dann irgendwas vor mich hingestammelt, was sicherlich klang, als ob ein Nulltsemester seine Pädagogik-Hausaufgaben nicht gemacht hat. Und das ist ein ernsthaftes Problem. In Zukunft werde ich auf die Aufforderung "Werden sie mal konkret" eine Anekdote anbringen, die ich im Blog schon einmal erwähnt hatte. Jetzt aber für einen neuen Zweck.
Der allererste Unterrichtsbesuch. Lehrprobe nennen die Studienleiter sowas nicht mehr, damit die jungen Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst keine Angst bekommen. Scheiß' auf den Namen, ich hatte trotzdem Angst vor dem ersten Unterrichtsbesuch von Herrn Kruse im Fach Latein. Ich habe eine Stunde zusammengebastelt, die recht voll, aber machbar war, inklusive Sicherung und Transferphase. Und meine Klasse war seelisch darauf vorbereitet, dass da hinten Leute sitzen.
Die Stunde lief, guter Einstieg, Überleitung in die Erarbeitungsphase, und dann saßen sie alle an ihren Aufgaben. Hier und da haben sich Schüler gemeldet, ich gehe hin, vor ihr Pult, runter in die Hocke und helfe ihnen. Ich bin einfach zu groß, und ich möchte mit meinen Schülern auf Augenhöhe kommunizieren. Ich ermutige sie, ihre Probleme zu beschreiben und versuche dann, sie individuell zu unterstützen.
Ich schaue auf meine ArmbanFUCK!!! Nur noch fünf Minuten, scheiße wo ist die Zeit hin scheiße scheiße was mache ich jetzt.... ich weiß nicht mehr genau, wie es gelaufen ist, aber ich habe die Stunde beendet, die Schüler entlassen, Schauspieltalent hilft, dass sie von meiner Panik nichts mitbekommen. Schüler raus, Tür zu, Nachbesprechung:
DrH: "Okay, das hat nicht geklappt, das war eine schlechte Stunde, entschuldigen sie bitte, Herr Kruse. Die erste Lehrprobe, und ich habe gerade mal fünfundzwanzig Prozent meines Plans geschafft." Dann habe ich die übliche Evaluation abgezogen, was mache ich nächstes Mal anders und so weiter.
Kruse: "DrH, entspannen sie sich, sie werden hier nicht geprüft. Es stimmt, sie haben in der Erarbeitungsphase die Zeit aus den Augen verloren, aber ich muss ihnen widersprechen: Ich habe gerade eine hervorragende Lateinstunde gesehen."
WTF? Und dann hat er mir erklärt, warum das scheinbar eine gute Stunde war, und ich habe mir nichts von dem merken können, was er gesagt hat, weil ich es nicht verstanden habe. Weil mein Unterricht eben nicht aus dem Lehrer-Handbuch kommt, sondern aus meinem Kopf Släsch Herz, intuitiv. Und da liegt das Problem; ich mache meinen Unterricht irgendwie so, dass viele Schüler gern daran teilnehmen, ich kann das nicht konkretisieren. Ich kann das diesen Auswahl-Gesprächsrunden nicht detaillierter erläutern. Ich kann meine Arbeitsweise nicht beschreiben. Ich kann mich nicht erklären. Man müsste schon einen gewaltigen Vertrauensvorschuss mitbringen, indem man mich einstellt.
In den Auswahlgesprächen der letzten zwei Jahre ist eine Frage immer wieder aufgetaucht: "DrH, wenn ich mir ihren Lebenslauf so ansehe, sie bringen hervorragende Referenzen mit, warum haben sie denn noch keine Stelle?" Und immerhin habe ich es gelernt, in solchen Situationen keine Tränen mehr in den Augen zu haben, weil diese Frage wie ein Messerstich sitzt und die Ungerechtigkeit mal wieder vor mir ausbreitet. Mittlerweile bleibe ich ruhig und sage, dass ich auch das nicht erklären kann. Ich weiß es nicht. Sicherlich trägt es viel dazu bei, dass ich meine Arbeitsweise potentiellen Arbeitgebern nicht erklären kann, und ich habe keine Ahnung, ob das vielleicht mit einer Störung im Autismusspektrum zu tun hat.
Deswegen bin ich umso glücklicher, dass ich ab dem ersten Februar für ein halbes Jahr an einer neuen Schule unterrichten darf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen