Dienstag, 16. Juni 2020

Plötzlich anders


"Ach, da bist du ja, dich habe ich gesucht. Könntest du dir vorstellen, ein weiteres Jahr bei uns an der Schule zu bleiben? Noch keine Garantie, ich wollte nur einmal vorfühlen, ob du bereit wärst."

Ohklott, was sag' ich jetzt nur? Wo bin ich? Wer bin ich? Ruhig bleiben. Dein Schulleiter hat dich gerade gefragt, ob du eventuell ein Jahr länger würdest bleiben wollen. Soll ich ihm sagen, dass ich die letzten Tage damit verbracht habe, in meinem Kopf eine Mail Släsch Gesprächsgrundlage zu entwerfen, um ihm zu verdeutlichen, dass ich unbedingt an dieser Schule bleiben möchte, weil ich nämlich aufgrund meiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt keine Chance habe? Soll ich ihm lang und breit und detailliert erklären, warum das so ist? Ich wollte doch eigentlich diese Woche bei ihm vorbeischauen, um dieses persönlich wichtige Gespräch zu führen, in dem ich ihm dann sagen wollte, dass ich wirklich alles tun würde, damit ich an der Schule bleiben kann, weil das nach fünf Jahren endlich wieder eine aufgeschlossene Schule ist? Okay, dann lassen wir einfach die ganzen Erklärungen und hauen die Quintessenz raus...

"...auf jeden Fall, ich würde alles unterrichten, nur vielleicht keine Fächer, in denen Schüler sich leicht verletzen können."

"Ganz langsam, mir geht es in der Hauptsache um dein erstes Fach Englisch. Das ist gut zu wissen für die Stundenplanung. Dann schalte bitte umgehend deine Bewerbungsmappe im pbOn frei!"

Ach du scheiße, wie lange habe ich das jetzt vor mir hergeschoben - nein, nicht korrekt, ich habe überhaupt nicht daran gedacht, das geht sofort los, ohklott, wo ist mein Arbeitsvertrag, egal, ab nach Hause, das wird sofort in die Wege geleitet!

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Ein schönes Beispiel dafür, wie leicht ein Aspi sich aus der Bahn werfen lässt, und diesmal immerhin positiverweise. Denn auch wenn ich überhaupt keine Zusage habe - plötzlich fühlen sich meine Tage anders an, wirklich ganz anders. Ich habe keine Angst mehr vor dem Unterrichten, eine Handbremse im Kopf ist gelöst. Ich bleibe natürlich von außen betrachtet unvernünftig: Meine Bewerbungsmappe mag freigeschaltet sein, aber ich schaue mich nicht nach anderen Stellen um. Ich kann das einfach nicht, solange ich keine Garantie habe, dass es an meiner jetzigen Schule nicht klappt.

Und es tut so gut, in einem Fachbuch zu lesen, dass das alles typische Asperger-Denkweisen sind.

Liebe Kollegen, vielleicht gibt Euch das einmal eine Idee davon, wie schnell es passieren kann, dass ein Aspi bei Euch im Unterricht die Fassung verliert. Und wenn sich das alles jetzt so weiterentwickelt, wie ich "plane", dann werde ich in diesem Blog vielleicht bald ein paar Tricks für den Umgang mit Aspi-Schülern geben können.

post scriptum: Und hoffentlich kann ich bald endlich ein neues Foto aus der Wohnung posten!

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