Freitag, 29. Juni 2018

Was aus uns geworden ist...


Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie Menschen sich entwickeln. Ein beliebtes Thema zum Sinnieren: Damals war ich so, heute bin ich ganz anders. Ich habe heute einen Film gesehen, der sich dem Thema widmet. Gut, eigentlich ist das nichts Ungewöhnliches, gerne werden Lebensläufe verfilmt und man begleitet den Filmcharakter über mehrere Jahre seines Lebens, so wie ich das neulich bei Moonlight (2016) gemacht habe. In jenem Film waren die einzelnen Lebensabschnitte so weit auseinander, dass man drei unterschiedliche Darsteller engagiert hat. Wenn es nicht ganz so gewaltige Alterssprünge sind, dann kann man auch einen Schauspieler nehmen und mit Make Up-Effekten wahre Wunder bewirken. Wie bei The Tree of Life (2011); keine Wunder, aber Brad Pitt und Andere über mehrere Jahre Storytime beobachtet.

Oder man macht es komplett ohne Spezialeffekte. Oder, wenn man es so will, mit einem ganz besonderen Spezialeffekt: der Zeit. Den heutigen Film hat Richard Linklater gedreht; für mich besonders interessant, weil ich Linklater schon in meiner Examensarbeit bei Slacker (1991) über den Weg gelaufen bin. Dieser Regisseur scheint gern zu experimentieren - so hat er damals einen Film geschaffen ohne festen Plot, ohne Hauptdarsteller, einfach ein Alltag in Austin, Texas. Keine Szene länger als zehn Minuten, kaum hat man einen neuen Charakter getroffen, verschwindet er auch schon wieder.

Boyhood (2014) ist ein weiteres erfolgreiches Experiment gewesen: Zweitausendzwei hat Linklater angefangen, zu filmen, nur mit groben Plotpoints, das Ende des Films stand fest, alles davor war flexibel. Sein Ziel: Eine Kindheit zu filmen (daher der Titel), und zwar mit realem Verstreichen der Jahre. Zwölf Jahre hat Linklater an diesem Film gearbeitet, und seine Hauptfigur Mason (Ellar Coltrane) wächst heran in einer Patchworkfamilie.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens durchzieht den gesamten Film. Was ist der Sinn des Lebens für einen zehnjährigen? Fünfzehnjährigen? Fünfundzwanzigjährigen? Mit Patricia Arquette und Ethan Hawke stehen ihm zwei Veteranendarsteller zur Seite (Arquette erhielt dafür den Academy Award). Masons Mutter fragt sich selbst, woraus das Leben besteht, an einem kritischen Punkt beklagt sie "I thought that there would be something more..." - sie hat geheiratet, Kinder bekommen, geschieden, neu geheiratet, Kinder großgezogen, Studium nachgeholt, Job als Dozentin aufgenommen - doch als sie den dann volljährigen Mason Richtung College entlässt, scheint von ihrem Leben nichts mehr übrig zu sein - während Mason selbst gerade erst angefangen hat, das Leben zu erleben.

Mich hat beeindruckt, dass Linklater dieses Experiment tatsächlich durchgezogen hat. Zwölf Jahre lang. Und damit kann man getrost sagen, dass dies ein einzigartiger Film ist. Über knapp drei Stunden habe ich das Aufwachsen Masons angesehen. Ich habe mich an meine eigene Jugend erinnert gefühlt, so viel Bekanntes, Anderes neu. Ich fand es spannend, zu beobachten, wie Mason sich verändert: Anfangs typisch kleiner Junge, dann werden die Haare länger, es kommen Piercings, Nagellack, ein sehr eigener Stil - und es war toll zu erleben, wie die Figuren sich damit auseinandersetzen, was wir uns vom Leben erhoffen. Die Kritik scheint auch begeistert gewesen zu sein, sonst wären nicht siebenundneunzig Prozent der Rezensionen auf rottentomatoes.com positiv, und es gab eine ganze Menge Preise.

Jugend als Timelapse. Und immer wieder habe ich mich beim Ansehen selbst hinterfragt. Was habe ich gemacht? Was ist aus mir geworden? Wie waren meine Pläne damals, wie sind sie heute? Was erhoffe ich mir vom Leben?

Ein echtes Erlebnis.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen