Sonntag, 10. April 2016
Niederegger goes heteronormative
Das ist nicht Euer Ernst! In etwa diesen Titel trug der Gedankenzug beim Entgleisen, als ich neulich vor dem Niederegger-Regal stand. Ich bin ein Fan des Marzipans aus dem Lübecker Traditionshaus, allein schon wegen des Rosenaromas und weil es nicht so süß ist. In den letzten Jahren hat Niederegger hin und wieder neue Sorten auf den Markt gebracht, manche nur als befristete Aktion, andere wurden ins Programm übernommen.
Und nun merke ich, dass das Haus Niederegger sich dem Trend von Lindt&Sprüngli anschließt (die "Nice to sweet you"-Kampagne) und mit einem speziellen Äußeren eine neue Zielgruppe anzusprechen versucht. Jung, dynamisch, männlich - so klingt das Männersache-Marzipan. Moment mal, Marzipan und männlich? Whatever... da die Sorten für mich neu waren, musste ich sie verkosten.
So, da hätten wir das Marzipanbrot mit Karamell und gesalzenen Cashewkernen. Neu ist diese Idee nicht - Karamell ist uralt, zu salzen begann man es in den letzten fünf Jahren im Supermarkt (war natürlich in gehobeneren Confiserien schon längst ein alter Hut!), weil ungewöhnliche Kombinationen von Aromen und Geschmacksrichtungen die Kundschaft ansprechen. Und vollkommen zu Recht! Das männliche Marzipanbrot ist ein Genuss, es ist geradezu erhebend, nach und nach alle Aromen herauszuschmecken. Allerdings ist es sehr süß geraten; mit "dezent" hat das nichts mehr zu tun. Dass es von Vollmilchschokolade umhüllt ist, trägt einen Teil dazu bei.
Weiterhin wäre da die Marzipantafel, natürlich auch wieder äußerst maskulin, mit Apfelstücken und Bourbon-Aroma. Das klang ganz schrecklich, aber auch hier ist die Entfaltung der Aromen im Mund ein Genuss. Sehr raffiniert; habe ich in dieser Zusammenstellung bisher noch nicht erlebt.
Geschmacklich sind diese neuen Sorten also toll, aber definitiv nicht jedermanns Sache. Was mich allerdings im Halse würgt ist die Aufmachung des Ganzen. WARUM muss nach unterschiedlichen Chipssorten für die Geschlechter (das ist mein Ernst, schaut mal in die Regale!) jetzt auch noch die gehobenere Confiserie mit dem Trend gehen? Hier wird diktiert, was typisch männlich ist - klar, mit Bourbon und so - wtf?! Uralte Klischees werden hervorgekramt, von Männern, die Zigarren rauchend abends in der Runde sitzen, den Whisky kreisen lassen und sich gegenseitig die Eier schaukeln.
Ich dachte, wir wären dabei, mit diesen Klischees aufzuräumen, aber ich bemerke zur Zeit eine sehr deutliche Welle im Konsumangebot zur Betonung der klassischen Geschlechterrollen. Das ist ein Schritt zurück in die Steinzeit. Warte mal, hat die AfD etwa Niederegger aufgekauft? Man kann über die Gründe grübeln, wie man will, mein Fazit bleibt:
Sehr raffinierte neue Sorten für Genießer in einer absolut unmöglichen, heteronormativen Aufmachung.
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