Gestern habe ich, mal wieder mit der für mich typischen Verspätung, Drachenzähmen leicht gemacht geschaut (How to Train Your Dragon, 2010). Ich hatte Lust auf einen Animationsfilm in 3D und wollte völlig unvoreingenommen da rangehen. Und auch, wenn der Film eigentlich ganz witzig war, war ich recht irritiert. Da kommen so viele Unwahrscheinlichkeiten vor, und ich hatte so viele Fragen, die nicht beantwortet wurden. Am Ende dachte ich mir, joah, war ganz nett, aber jetzt nicht so überragend. Danach habe ich - wie ich es gerne mache - die Rezension von Roger Ebert gelesen, der dem Film seine Qualität nicht absprechen konnte, aber offentsichtlich wurde sein Geschmack nicht getroffen. Er erwähnte auch, dass es ja daran liegen könne, dass er nicht mehr in der Gedankenwelt eines Sechsjährigen stecke.
Erst in dem Moment ist mir richtig bewusst geworden, dass es sich um einen Film für Kinder handelte. Ich habe mir Fragen gestellt, die sich ein Kind nie stellen würde, wenn es diesen Film sah. Ich habe mich an andere Filme erinnert, die für diese Altersklasse gedacht sind - Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen oder Ich - einfach unverbesserlich - und dann ist mir erst bewusst geworden, wie Drachenzähmen eigentlich funktioniert.
Ich habe daraufhin in der Wikipedia gelesen, dass der Film tolle Rezensionen erhalten hat. Bei Rotten Tomatoes hat er 98% positive Kritiken eingefahren, in der IMDb ist er mit einer Wertung von 8,2 sehr populär, auf Platz 160 der Top-Filme. Das hat mir dann auch erklärt, warum mir die letzten fünf Minuten so unglaublich gut gefallen haben.
Der Film schließt nämlich mit einer Szene (oder besser gesagt, der vorletzten), die ungewöhnlich für diese Art Kinderfilm ist. Im Englisch würde man dazu offbeat sagen. Der Held, ein Junge namens Hicks, hat nämlich in einer actionreichen Sequenz schließlich das Bewusstsein verloren - und auch eines seiner Beine, wie ihm beim Aufwachen bewusst wird. Er entdeckt die (nach Wikingerart liebevoll gebastelte) Beinprothese. Und es ist kein Holzbein nach Piratenart, sondern sie entspricht der Form, wie wir sie von alltäglichen Beinprothesen kennen.
Betroffene Kinder können sich umgehend mit der gezeigten Situation identifizieren. Es ist ein Befreiungsschlag für Menschen mit Handycap, ein Denkzettel gegen die oft allzu "perfekten" Protagonisten von Disney, heterosexuelle, unversehrte Jugendliche mit makelloser Haut und glänzendem Haar. Das ist mutig (klar, von der Buchvorlage diktiert, aber man hätte es feige wegeditieren können) und sensationell.
Das hat mich gestern Abend so sehr beeindruckt, dass ich den zweiten Teil gleich im Anschluss angeschaut habe. Es ist einer dieser Fälle, in denen der zweite Teil den ersten noch übertrifft (wie auch bei Wolkig oder Shrek) - wieder einmal offbeat, mit pazifistischer Botschaft, starken Frauenbildern, vielen Antworten auf lose Plotenden/-fragen des ersten Filmes und einem unverschämt guten, wenngleich subtilen, Outing eines Wikingers: In einem Kinderfilm ein weiteres mutiges und absolut großartiges Plädoyer für die Andersartigkeit (und nicht oft heißt die Freundin des jungen Helden Astrid).
Ich freue mich sehr auf 2018, wenn der dritte Teil in die Kinos kommen soll (es ist als Trilogie ausgelegt). Hoffentlich zeigt man wieder den Mut zum Andersdenken!
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