So ein durchgetakteter Tag kann nur schiefgehen. Dabei war der Plan eigentlich safe & sound. Morgens um halb sieben klingelt der Wecker. Ich nehme mein Tablettenfrühstück, lese kurz die Schlagzeilen bei Google News, dann setze ich mich in den Bus, fahre zu meinem Hausarzt und hole dort die Überweisung zum Psychiater für das dritte Quartal ab, fahre dann zurück zum Hauptbahnhof, um zwei Minuten nach neun fährt der Zug nach Neumünster ab und ich bin pünktlich um zehn Uhr im Friedrich-Ebert-Krankenhaus, nehme dort meinen Termin bei'm Psychiater wahr, eine Stunde, passt, danach mit Zug zurück nach Kiel (DE-Ticket ist schon echt cool), mit dem Bus Richtung Dietrichsdorf und rechtzeitig bei den Oberstufenkonferenzen antanzen, da sind ein, zwei interessante SchülerInnen dabei, zu denen es etwas zu sagen gibt.
Okay, den Hausarzt musste ich streichen, weil die leider nicht schon um acht öffnen, sondern erst um halb neun, und dann würde ich den Zug nicht mehr bekommen und der gesamte Tagesplan fällt um wie eine Reihe Dominosteine. Aber der Rest hat geklappt. Ich fahre viel zu früh ab Diesterwegstraße los, am Hauptbahnhof kaufe ich mir noch zwei Hefte mit Logikrätseln, ich brauche manchmal einfach brain food. Und da steht der Zug auch schon bereit, auf Gleis Vier, der Regionalexpress nach Hamburg, Abfahrt zwei Minuten nach neun, es ist zwanzig vor, passt. Der Zug wird recht voll, ich suche mir einen schönen Einzelplatz mit reichlich Ablagefläche, auf der ich Rätsel lösen kann, und vertreibe mir die Zeit. Neun Uhr zwei, ich höre durch das Fenster die altbekannte Lautsprecherdurchsage. "DING-DONG.. Abfahrt Regionalexpress nach Hamburg Hauptbahnhof. Bitte von den Türen fernbleiben." Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie der Zug abfährt.
Von außen. Zwei Gleise weiter.
Und ich bleibe in meinem Zug stehen. Nichts bewegt sich. Es dauert ein paar Momente, aber nach und nach recken sich die Köpfe der anderen Fahrgäste und jeder realisiert, dass er nicht im Regionalexpress RE Sieben nach Hamburg sitzt, Abfahrt neun Uhr zwei - sondern im RE Siebzig nach Hamburg, Abfahrt neun Uhr fünfundzwanzig. Die Anzeige am Bahnsteig war falsch. Es dauert ganze fünf Minuten, bis endlich eine Durchsage von der Zugführerin kommt, die uns erklärt, dass wir im falschen Zug sitzen und sie sich nur dafür entschuldigen kann und dann noch irgendwelches Anschlusszüge-Bürokratiergehege.
Eigentlich sollte ich gerade psychisch labil sein und unter Stress stehen. Aber ich entspanne mich. Nichts ist entspannender als das anzunehmen, was kommt. So langsam scheine ich den Satz des Dalai Lama zu verinnerlichen. Ich bleibe ruhig, ich kann nichts an der Situation ändern, und natürlich habe ich kein Smartphone bei mir, kann also auch nicht in der Klinik anrufen und Bescheid geben - dann kann ich die Zeit auch weiter genießen und habe schmunzelnd an meinen Rätseln weitergearbeitet.
Gut zwanzig Minuten später sind wir dann ja auch losgefahren, und mit strammem Fußmarsch in Neumünster diesmal direkt richtig, ohne mich zu verlaufen, bin ich gerade mal vier Minuten nach zehn in der PIA angekommen und kann in's Wartezimmer gehen, Termin klappt.
Dass sich dann doch alles verspätet hat und ich die Konferenzen nicht mehr geschafft habe, war irgendwie sekundär, denn das Gespräch mit meinem Psychiater hat mir diesesmal richtig gut getan. Er hat mir geholfen, andere Blickweisen zu finden und das meiner Wahrnehmung nach grausige Gespräch mit meinem Schulleiter besser zu verstehen. Eine Menge gedankliche Klarheit am Ende eines solchen Termins ist viel wichtiger und mehr wert als jedes Medikament, das ich mitnehme (wird aber natürlich ausprobiert).
Das war ein irrer Dienstag; als ich im Zug aus dem Fenster geschaut habe und realisiert habe, wie mein Zug da vom anderen Gleis abfuhr - für einen Moment habe ich mich gefühlt wie in einer Folge der klassischen Twilight Zone (1959). Das musste hier festgehalten werden.
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