Freitag, 7. Juli 2023

Gerührt (nicht geschüttelt)


"Ähm, sie, also ich wollte sie mal was fragen, ich meine, äh, also weil sie weggehen, ich hab das unterschrieben, äh, weil ich das voll gemein finde, dass andere bevorzugt werden und sie nicht."

Manchen fällt es schwer, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Das gilt für einen Großteil der Menschen auf'm Spektrum, und das gilt auch für den Schüler, der mir das heute an der Bushaltestelle gesagt hat. 

Etwas hat sich in den letzten zwei Wochen verändert an der Schulatmosphäre. Ihr, die Ihr schon länger fest an einer Schule seid, kennt das vielleicht. Es fühlt sich anders an, durch die Schulflure zu gehen. Anders als sonst. Auf einmal grüßen mich viel mehr SchülerInnen, die ich noch nie unterrichtet habe. Das hat mich anfangs extrem verwirrt, natürlich grüße ich zurück, aber bei jedem "Guten Morgen!" oder "Hallo!" ist mein Gedankenzug wieder entgleist. Warum grüßen sie mich auf einmal? Und dann hört man aus der Entfernung sowas wie "Ach, das da ist Dr Hilarius".

Bis mir dann irgendwann ein Licht aufgeht. Ein paar meiner SchülerInnen haben eine Petition für mich gestartet. Sie sind durch die Klassen gegangen, ich habe diese Listen mit hunderten Unterschriften gesehen. Es fängt also an zu wirken, das, was ich bisher im Blog verschwiegen habe und worüber ich auch weiterhin nichts sagen werde. Im Kopf bin ich natürlich schon drei bis fünf Schritte weiter, das ist der Hochbegabung geschuldet, ich kann nicht anders. 

Und deswegen hat mich das Erleben in der Schule so überrascht, und ich bin total gerührt von der ganzen Unterstützung, die mir entgegen gebracht wird. Ich weiß tatsächlich nicht, was ich sagen soll.

Ende des Beitrags.

post scriptum: Und es kommt noch etwas Freude hinzu - heute habe ich im Unterricht zum ersten Mal "Joan Is Awful" (eine Black Mirror-Episode) behandelt, klassisch mit Vorentlastung und Voreinstellung. Ich dachte mir bei'm ersten Ansehen schon, dass das etwas für den Unterricht sein könnte. Es hat meine SchülerInnen zum Reden gebracht, und das war großartig! Nächste Stunde ist noch die Nachbereitung dran, und ich freue mich, dass meine Vorbereitung aufgegangen ist. Wir schauen das auch irgendwann mal, die große Buba, ja?

paulo post scriptum: Und ein sehr intelligenter Kopf meinte dann heute "Schön, sie lassen uns Netflix schauen und mussten dafür keinen Unterricht vorbereiten." Und weil ich weiß, was Sachlichkeit ist, habe ich dann damit gekontert, wie viel Vorbereitung tatsächlich in dieser Stunde steckte. Das Ansehen der Episode für mögliche Vokabelprobleme, sehen, wo pausiert und welche Frageimpulse gesetzt werden können, SchülerInnenreaktionen antizipieren - das braucht alles seine Zeit, und Ihr lieben Lehrkräfte da draußen wisst das, Euch brauche ich das nicht zu sagen. Aber dieser intelligente Kopf heute brauchte eine Aufklärung. ;-) 

addendum: Gestern hatte ich darüber geschrieben, wie ich die Verabschiedung unserer AbsolventInnen verschlafen habe. Eben lese ich eine Mail, angehängt ist das Foto der Kiddies auf den Abitreppen. Da stehen sie alle, die ich verpasst habe. Strahlend (nicht alle, Fotomoment eben), das Zeugnis in der Hand, viele von ihnen haben sich für diesen Anlass schick angezogen, ich erkenne manche von ihnen kaum wieder. Kennt Ihr das Gefühl? Und während ich dann so einzeln nach und nach die Gesichter durchscanne und sie wiedererkenne, rollen die Tränen. Ich bin so stolz darauf, wie einige für ihren Abschluss gekämpft haben.

Heute also doppelt gerührt.

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