Freitag, 14. Juli 2023

Ab mit Schaden


Ich wünschte, ich würde diesen Beitrag nicht schreiben; ich wünschte, es gäbe keinen Anlass dafür.

Jedesmal, wenn ich eine Schule verlassen musste, habe ich mich entweder von der letzten Dienstversammlung freistellen lassen oder darum gebeten, mich nicht zu verabschieden. Der Hintergrund ist, dass das für mich kein schöner Anlass ist. Ich weiß nicht, ob es am Autismus liegt - ich nehme es nicht als nette Geste wahr, wenn ich eine Karte bekomme, auf der viele KollegInnen unterschrieben haben, und eine Blume, und die besten Wünsche für die berufliche Zukunft. Was ich wahrnehme ist:

Ja, dann hat es halt mal wieder nicht geklappt. Zum Glück sind wir Dich losgeworden, dann haben wir nicht mehr so viel Aufwand, Umstände und Stress. Manche Schulleitungen haben mir das sogar in's Gesicht gesagt. Viel Erfolg auf der Suche nach einer Schule, die dich aushält. Die dich wirklich haben will. Kann noch ein paar Versuche dauern. 

Kurz: Ich fühle mich gedemütigt.

Nach den ersten drei Schulverabschiedungen hatte ich jedesmal einen Nervenzusammenbruch, der mich mehrere Tage lang ausgeschaltet hat und mir jegliche Illusionen genommen hat, dass ich in diesem Beruf tätig sein könnte. Pattern recognition: Ich habe dieses immer wiederkehrende Muster erkannt und als reine Maßnahme zum Selbstschutz habe ich angefangen, meine Schulleitungen zu bitten, mich nicht zu verabschieden.

Darum habe ich auch meine jetzige Schulleitung gebeten. Bereits vor zwei Jahren, als der Vertrag zu enden drohte, und zur Sicherheit auch letztes Jahr noch einmal, als es wirklich so aussah, als würde es nicht klappen. 

Und so bin ich dann heute zur Dienstversammlung gegangen. In der Tasche zwei verschiedene Medikamente gegen Panikattacken für den Fall, dass mein Schulleiter mich doch aufrufen sollte, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er es nicht tun wird, weil er genau wusste, wie viel Leid mir das zufügen würde. Genau über solch' ein Szenario habe ich am Dienstag extra noch einmal mit meinem Psychiater gesprochen und bin gut vorbereitet, guten Willens, aber mit einem kleinen bisschen Angst im Hinterkopf in den Bus gestiegen und zur Dienstversammlung gefahren.

Und so wurden heute im Schnelldurchlauf die Verabschiedungen abgefrühstückt; ich bin überrascht, wie unpersönlich das an so vielen Schulen abläuft. Wenn ich Schulleiter wäre, würde ich mich zumindest ein wenig über die Person informiert haben und einen individuellen Abschiedsgruß geben. Nils-Ole Hokamp, Schulleiter der Nordseeschule in St.Peter-Ording hat das so gemacht. Niemand sonst. Kostet wohl zuviel Zeit, und schließlich wollen die KollegInnen alle möglichst schnell in die Ferien; Letzteres wurde heute auch wieder explizit gesagt. Kann ich auch verstehen. Trotzdem finde ich es recht kühl.

"Tobias! Du warst ja bei uns..."

Und dann höre ich diesen Satz. Satzanfang. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was danach passiert ist, irgendjemand hat wohl "Nein" gesagt, ich weiß nur noch, dass ich meine Tasche genommen habe und rausgerannt bin, große, schnelle Schritte, nur weg von hier, schnell aus dem Portemonnaie eine Tablette holen, Wasser ist gerade nicht da, dann muss ich sie eben so schlucken. Schnell weg, nur noch weg. Weit weg. Hoffentlich wird die Ampel schnell grün, ich habe panische Angst, dass irgendjemand hinterherkommt und mich verfolgt, ich traue mich nicht einmal, mich an die Bushaltestelle Lüderitzstraße zu setzen, weil jemand mich erkennen könnte und ich möchte eigentlich nur noch, dass die Erde sich auftut und mich verschlingt. Zwei Schüler vor Aldi grüßen mich, ich weiß nicht, was ich sagen soll, also hebe ich nur kurz die Hand und marschiere stramm weiter. "Schöne Sommerferien!" rufen sie, und das Einzige, was mir einfällt ist, das Victory-Zeichen mit den Fingern zu zeigen. Also renne ich eine Bushaltestelle weiter, Tiefe Allee, und komme dort zur Ruhe. Zehn Minuten später kommt ein Bus, als stimming löse ich Logikrätsel, ich möchte nur noch nach Hause.

Zuhause angekommen, Telefon rausgezogen, keine Tränen. Die kommen erst jetzt, bei'm Schreiben.

How could you do that?

Eine lange Meditation steht an. Bitte nicht böse sein, wenn ich mich über das Wochenende nicht melde. Das war alles so absehbar, aber dass es dann so unvermeidbar dazu kommt, hätte ich nicht gedacht. 

Weg von der Schule. Ab mit Schaden. 

post scriptum: Meine SchülerInnen wussten das natürlich auch, und sie haben darauf voll Rücksicht genommen und wir hatten eine großartige letzte Stunde. Danke! Ihr seid echt toll!

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