Mittwoch, 11. November 2020

Victor


Dies sind wahrlich bewegende Tage. Nein, richtiger müsste es heißen: bewegte Tage. Sie sind bewegt, voller Action, da ist Einiges los. Sie wirken auf mich definitiv nicht bewegend, eher im Gegenteil, sie lähmen mich, weil es mal wieder alles zuviel ist. Da passiert so viel, was irgendeine Bedeutung für mich hat, dass ich viel mehr Zeit mit Meditation verbringen sollte, um nicht geistig zu implodieren.

Da hätten wir zum Beispiel die Amerikaner, die einen neuen Präsidenten gewählt haben, und wie zu erwarten spielt der amtierende Präsident die beleidigte Leberwurst, will seinen Posten nicht räumen. Dem Anderen zum Sieg gratulieren schon mal gar nicht, und am liebsten in seinen verbleibenden zwei Monaten noch möglichst viel Porzellan zerschlagen. Es wäre so armselig, so mitleiderregend, wenn es nicht gleichzeitig so gefährlich wäre, und ich muss zugeben, momentan bin ich froh, kein Amerikaner zu sein

Dann sind da die Mails, und wenn ich einen Abend mal vergessen habe, sie durchzusehen, sind es am nächsten Tag dann so viele, dass ich Angst bekomme und gar nicht erst mit dem Lesen anfange. Der eingebildete Behinderte: Ich habe Angst, dass mich eine Mail so sehr aus der Bahn werfen könnte, dass mein Tagesplan nicht so ablaufen kann, wie ich ihn mir zurechtgelegt habe. Ist alles schon reichlich vorgekommen.

Außerdem realisiere ich zur Zeit, dass das Busfahren wirklich gut klappt, und das Nachdenken, ob ich überhaupt noch ein Auto brauche, verwirrt mich, weil ich immer gedacht habe, es sei absolut notwendig. Allerdings bin ich doch froh, wenn ich das Auto wiederhabe, denn die Unsicherheit, ob mein Bus morgens rechtzeitig kommt, ob ich das Umsteigen schaffe oder ob der Bus vielleicht ausfallen könnte, das erschwert mir den Morgen einigermaßen.

Und da war ja auch noch die Sache mit dem Ohrenarzt, dem ich ein H zuviel in seinen Namen gegeben habe (es muss Oto... heißen, nicht Otho...). Ich kann wieder hören, wunderbar, aber das Ohr hat sich entzündet und tut mitunter ziemlich weh. Abgeklärt, immerhin keine Mittelohrentzündung, Salbe, Nasenspray und Zwiebeln helfen. Was man nicht alles lernt. Aber das hat die Aufmerksamkeit dann schon wieder auf das Ohr gezogen, und nicht auf die Schule, und das ist problematisch.

Unter all' den Mails, die da eintrudeln, ist dann plötzlich eine von der horizonterweiternden Art dabei, von einem ehemaligen Schüler. Wirft mich nicht aus der Bahn, lenkt meinen Gedankenfokus aber komplett um, weil der Inhalt so faszinierend ist - ich hoffe, dass aus der Story vielleicht mal ein Gastbeitrag für diesen Blog wird.

Dazu natürlich der ganz normale Schulwahnsinn, und ich bin heilfroh, dass die Kiddies Uhren stellen, um an's regelmäßige Durchlüften zu denken, denn ich bekomme das natürlich wieder überhaupt nicht mit, weil ich so sehr in die Unterrichtssituation vertieft bin. Ich bin sehr froh, dass morgen Donnerstag ist, mein letzter Schultag in der Woche, und ich werde dieses Wochenende definitiv für Schularbeiten nutzen müssen.

Was mir übrigens wieder vor Augen führt, dass ich sehr froh bin, zwei sogenannte Langfächer zu unterrichten. Englisch und Latein werden je nach Schule und Jahrgang mit drei bis sechs bzw. fünf Stunden in der Woche unterrichtet. Das bedeutet, dass ich weniger Lerngruppen benötige, um auf meine Stundenzahl zu kommen, und das macht viel aus: Ich vertiefe mich so sehr in den Charakter einer Klasse, dass ich mit momentan vier Lerngruppen ausgelastet bin. Wenn ich da an den ehemaligen Kollegen denke, Musiklehrer, mit dreizehn Lerngruppen... das würde ich niemals schaffen.

Und warum dieser Beitrag? Vielleicht einfach als eine Art Ventil. Und warum überhaupt Victor? Das weiß da draußen nur eine einzige Person - eine Person, die den Zusammenhang zwischen Titel und Inhalt des Artikels erkennen kann. Oder auch nicht.

Haltet die Ohren steif, die Woche ist halb um, das Wochenende naht, und ich hoffe, dass Ihr nicht auf der gingiva geht!

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