Mittwoch, 25. November 2020

Nicht mehr auf der Flucht!


Seitdem ich die Nordseeschule in St.Peter-Ording verlassen habe, bin ich nur noch vor allem weggelaufen, weil an dem Punkt die Sicherheit in meinem Leben verschwunden ist. Ich habe mich in Videospiel- und Filmwelten geflüchtet, jegliche freie Minute, oder in's Bett. Hauptsache wegkommen von dem Thema Schule, mit dem ich von da an nur noch Panik verbunden habe. Unsicherheit. Das Gefühl, falsch zu sein. 

Wenn ich in die Schule gegangen bin, wollte ich nach dem Unterricht so schnell wie möglich wieder weg, keine unnötige Minute dort verbringen. Wenn ich hingefahren bin, war ich auf die Minute genau, bloß nicht zu früh dort ankommen. Ich habe mir angewöhnt, mit gesenktem Kopf durch die Schulen zu laufen, in der Hoffnung, dass mich niemand anspricht. Kontakt mit Kollegen oder Schülern wurde zu einer Probe - mache ich es richtig? Oder wieder falsch und werde bestraft? Ganz so wie früher, Gefühl Dauerprüfstand.

Die Leitfrage jeden Tag war, wie ich am besten den Dienst überstehe. Mit Spaß und Genuss am Lehrerdasein hatte das nicht mehr viel zu tun. Der Unterricht war sozusagen nur ein Hindernis auf dem Weg, wieder zuhause zu sein und weiter vor der eigenen Verantwortung wegzulaufen. Ich habe mir eingeredet, dass ich mich nur in meiner Wohnung wohlfühlen kann. Ich fühle mich hier wohl, klar, aber das "nur"... für einen Aspi unter Stress kann das heißen, dass er sich jedesmal, wenn er seine Wohnung verlässt, in eine Gefahrenzone begibt und eben nicht mehr wohlfühlt. 

Aspis sind gut darin, sich in ihre Kopfkonzepte zu vermauern. Und ganz schlecht darin, sie wieder aufzubrechen. Es hat mehrere Jahre gedauert, um das hier zu realisieren - um mir wirklich bewusst zu werden... dass ich mich eben auch außerhalb meiner Wohnung wohlfühlen darf. Dass ich Dinge vielleicht sogar manchmal richtig mache. Dass ich gern unterrichte. Dass ich eben nicht immer so schnell wie möglich zuhause sein muss. Dass der Aufenthalt in der Schule Spaß macht, weil ich dort Menschen wiedersehe, die mir etwas bedeuten. Dass ich gern unter Menschen bin.

Dieser Schalter wird nur sehr langsam umgelegt, aber der Prozess ist im Gange. Ich finde nach und nach zurück zu einer Sicht vom Leben, die mir in den letzten Jahren abhanden gekommen ist. Ein gutes Zeichen: Auch eine Reise von zehntausend Meilen beginnt immer mit dem ersten Schritt. 

Und ich bin nicht mehr auf der Flucht.

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