Freitag, 4. März 2022

Der positive Spin


Heute war ein großer Prüfungstag und ich habe etwas Wichtiges über mich gelernt - was ich eigentlich aus den Fachbüchern schon wusste, aber heute habe ich es live erlebt und kann Euch nun ein daraus destilliertes Glas Asperger pur anbieten:

Projektpräsentationen. Die Projektmappe wurde schon vor zwei Wochen eingereicht, und heute war dann quasi der Höhepunkt, die Schüler präsentieren ihr Thema. Geile Sache, wir hatten das damals erst im zwölften Jahrgang. Da kann man sich, wenn man speziell ist, mal richtig austoben - aber darum geht es jetzt nicht. Ich habe beide Vorträge heute genossen - und ich bin heilfroh, dass meine Zweitprüferin dabei war.

Asperger-Autisten sind wandelnde Geigerzähler für Unstimmigkeiten. Sie sehen (beziehungsweise spüren, ist tatsächlich so), wenn etwas fehlerhaft ist. Dieser andauernde Zustand führt dazu, dass ich nur darauf schaue, was alles falsch ist an dem Projekt. Hinweis Richtung Sannitanic: Ich meine damit nicht, dass ich das gern anders gehabt hätte, sondern objektive Fehler. Das ist, als ob da bei mir im Kopf sofort eine Lampe angeht, und es fühlt sich oft sogar gut an. Im Sinne von "Ha, ich hab' was gefunden!" - don't judge me, ich kann es nicht abstellen.

Und es kommt noch besser: Die Notenbekanntgabe wirkt bei mir fast wie eine Urteilsverkündung: Der Aspi bringt keine "Das habt ihr aber fein gemacht"-Phrasen. Er sagt "Das war gut", "Das war ausdifferenziert", und vor allem sagt er "Das ging nicht weit genug in die Tiefe", "Da war zu wenig Eigenleistung drin", "Da hätte etwas Kreatives und Originelles hingehört". Ich finde erst im Nachklapp - wenn überhaupt - einen positiven Spin des Ergebnisses. Ich klatsche den Prüflingen meine Kritik hin und bin zufrieden, dass ich am Ende die Note nachvollziehbar und logisch erläutert habe. Perfekt, Prüfung ist rund gelaufen, weiter im Programm.

"Ihr beide lasst gerade die Köpfe hängen, oder?"

Ich schaue zu meiner Zweitprüferin. Der Satz kommt von ihr. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich mal wieder zu sachlich-direkt war. Sie ist diejenige, die plötzlich das "menschliche" Element reinbringt, das Verständnis. Sie versucht, den Absturz in den Köpfen aufzuhalten, sie seht den impact bei den Schülern. Sie sieht, dass sie unglücklich sind. 

Ich sehe das nicht.

Reading mind in the eyes, so heißt ein relativ neues Testverfahren für Menschen mit dem Asperger-Syndrom. Tendenziell können Aspis Gesichtsausdrücke schlechter deuten als neurotypische Menschen. Das sagt mir das Lehrbuch, und heute habe ich es live erlebt. Ist also heute mal ein doppelter Asperger pur: Konzentration auf die Fehler, Emotionen nicht lesen können. Und für die Schüler ein Schlag vor's Gesicht: Dr Hilarius, der sonst eigentlich immer so gechillt und nett ist, gibt uns so eine Abrechnung.

Ich möchte keine Ausbildungslehrkraft werden.

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