Mittwoch, 27. Juli 2016

Frau Kuntzmann zieht aus


Dieser Beitrag könnte auch heißen: "Deutschland verjüngt sich" - dieser Effekt tritt derzeit in vielen Kollegien auf, in denen die Pensionierungswelle gerade rollt und haufenweise aufstrebende Junglehrer den Markt überschwemmen. Und im Kleinen läst sich dieser Effekt in unserem Mehrfamilienhaus beobachten.

In meiner Etage befinden sich drei Wohnungen - ich wohne in der Mitte, die perfekte Ausgangslage, um Nachbarn links, rechts und unten mit zu lauter Musik zu nerven. Als ich vor ein paar Jahren hier eingezogen bin, wohnte in der rechten Wohnung Frau Kuntzmann und links Herr Pfennig. Die Namen habe ich selbstverständlich eventuell geändert.

Okay, das mit Herrn Pfennig glaube ich zumindest, denn ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen. Ich habe den Namen an seiner Türklingel gelesen und das war es auch. Einige Monate später sollte Herr Pfennig seinen großen Auftritt bekommen - es war ein warmer Sommerabend, ich hatte alle Fenster aufgerissen und einen Film geschaut. Plötzlich hörte ich es an meine Wohnungstür bollern - einmal, nochmal, dann der Ruf "Hier ist die Polizei!" - Herzschlag, Film abschalten, Drogen verstecken, totstellen. Jetzt erst sehe ich das Blaulicht in der Seitenstraße. "Herr Pfennig, öffnen sie die Tür!"

Okay - WAS ist hier los? Schnell springe ich zum Türspion, in der Hoffnung, dass ich nicht den Daria Nicolodi-Tod dort sterbe (Argento-Fans sehen gerade klirrendes Glas und ein kaputtes Telefon vor sich), und sehe zwei Polizisten vor des Nachbarn Tür stehen. Okay, das Klopfen war also gar nicht bei mir. Sie klingeln mehrfach, klopfen mehrfach. Nichts passiert. Zehn Minuten später haben sie die Tür aufgebrochen, ich höre nur "So eine Scheiße..." und denke mir, okay, nein, das ist nicht das, was ich jetzt denke. Oder? Ist es vielleicht die Erklärung für den komischen Fäulnisgeruch, der seit ein paar Tagen das Treppenhaus beherrscht? Ist das die Erklärung dafür, dass ich Herrn Pfennig nie zu Gesicht bekommen habe?

In den folgenden Tagen sehe ich die Tür und den Briefschlitz mit Dichtungsband abgeklebt, die Fenster stehen weit geöffnet. Alles klar, okay, nun ist es amtlich, Herr Pfennig ist in der Nachbarswohnung verreckt, salopp formuliert. Schön, eine Wohnung steht frei. In den folgenden Tagen sind allerdings erstmal diverse Reinigungsfirmen und Menschen in komischen Anzügen ein- und ausgegangen. Nun, knapp zwei Jahre später, sind neue Mieter eingezogen. Studenten, so scheint es. Ob sie wohl die Vorgeschichte ihrer Wohnung kennen? Vielleicht sollte ich mich mal auf einen Kaffee einladen...

Und dann war da also Frau Kuntzmann, doch in den letzten Monaten wurden erstaunlich viele Möbel aus ihrer Wohnung geräumt. Sollte sie nun etwa auch das Weite suchen? Besser als das Zeitliche zu segnen, immerhin. In der Tat, ihre Wohnung stand nun auch frei - das scheint sich allerdings ziemlich fix geändert zu haben. Heute morgen klingelte es an meiner Tür, Zeit, sich ein Handtuch um die Hüften zu schwingen und zu öffnen: Noch so ein junges Gesindel, sich vielmals entschuldigend, aber die Türklingel in der Nachbarwohnung funktioniert noch nicht.

Okay, scheint, als wäre da also noch ein Studentenpack. Bestätigt, was meine Nachbarin und ich letztens überlegt haben: Unser Haus scheint sich deutlich zu verjüngen. Ist auch mal eine nette Abwechslung - mit einem Mal bin ich der Älteste auf meiner Etage. Mal sehen, wie lange die es hier aushalten - die Wohnungen sind einigermaßen günstig, die Leute im Haus sind nett - das erklärt, warum sich für die Kuntzmann-Wohnung so schnell Nachmieter gefunden haben; bei Pfennig hat es knapp zwei Jahre gedauert und meine Wohnung stand immerhin ein dreiviertel Jahr frei.

Ich liebe Mietwohnungen.

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