Donnerstag, 7. Juli 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 7)


Sollte hier etwa endgültig Funkstille herrschen? Nein, das nicht, aber ich merke doch, dass jetzt mit der neuen Arbeit Tage auftauchen, an denen ich den Kopf für den Blog nicht frei bekomme. Und auch, wenn eine gute Freundin mich unlängst als "hochfunktionalen Soziopathen" bezeichnet hat, habe ich ihr direkt widersprochen: "hochfunktional" bin ich nicht, der Eindruck täuscht. Nun also endlich ein weiterer Teil der Story um die zwei Jungs auf der Suche nach sich selbst.



Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.

Dieser Abschnitt der Geschichte enthält explizite Darstellungen von Drogenkonsum sowie seinen Auswirkungen und/oder Szenen körperlicher Nähe. Wer an solchen Bildern Anstoß nimmt, möge dieses Kapitel bitte überspringen. Darüber hinaus möchte der Autor immer zu einem verantwortungsbewussten Konsum psychoaktiver Substanzen mahnen: Das ist der sicherste Weg zur Drogenmündigkeit, dem Gegenstück zur Abhängigkeit.

Identität – die Geschichte von Timo und Julian



part 7

…und ich möchte gerade gar nicht, dass das aufhört… und Timo… er genießt das bestimmt auch grad richtig… ich hoffe, es ist für ihn okay, dass ich grad so gar nix sag… Wahnsinn, ich fühle mich so wohl, so warm von innen, so klasse, und all der Stress ist weg… die Wiese ist so kuschelig und ich hätte gerade dermaßen Bock auf…

„Na, fühlst du dich wohl?“
„Aber hallo, wow Timo, was hast du da mitgebracht?“
„Ich war mir ziemlich sicher, dass es dir gefallen würde. Ich hab niemanden erlebt, der nen Opioidturn beim ersten Mal nicht super findet.“
„Lass uns unbedingt noch hier liegen bleiben, ich will das grad richtig genießen.“
„Hey klar, wir haben noch reichlich Zeit, wir sollen erst um 18 Uhr bei Cory sein, bis dahin chillen wir hier.“
„So machen wir das.“
Ich rückte unauffällig ein Stück näher zu ihm, so dass unsere Hände sich leicht berührten. Ich kannte dieses Drogengefühl schon und genoss es aus vollen Zügen, gleichzeitig fühlte ich mich so entspannt und enthemmt. Ich war mir sicher, dass es ihm auch so ging, und ich schaute zu ihm rüber. Ich fand es so schön, dass wir ungestört waren, ich war entspannt, all die Aufregung war nun abgefallen. Ich wollte einfach nur mit ihm hier liegen, ohne irgendwelche Ängste oder Sorgen oder Zwänge. Ich strahlte ihn an. Ju schaute zu mir und strahlte zurück. Er hatte Mühe, seine Augen richtig offen zu halten.
„Mh, Timo, das ist so geil…“
„Oh ja… ich finds schön, dass wir heute hier sind.“
„Ich find es auch schön, und die Entscheidung werde ich nicht bereuen.“
„Ich hoffe, es ist okay, wenn ich dich gerade die ganze Zeit angaffe.“
„Ist doch vollkommen okay, warum sollte ich damit ein Problem haben.“
„Ich finde einfach, dass du echt einen schönen Körper hast.“
Wow, das müssen die Drogen sein.
„Sorry“, schob ich schnell hinterher.
„Wieso denn, ist doch alles in Ordnung. Das kannst du doch ruhig sagen.“
„Naja, aber dann denkst du, ich will was von dir oder so, whatever…“
„Ach was, mach dir mal keine Gedanken darum. Außerdem, wer hört nicht gerne, dass er einen hübschen Körper hat?“
„Bist du denn mit ihm zufrieden?“ Das Gespräch kam in Gang, die Opioide taten ihren Dienst. Julian schien sich nicht im Geringsten davon gestört zu fühlen, im Gegenteil, wir genossen den Moment in vollen Zügen.
„Ja, eigentlich schon. Naja, am Bauch ist noch zuviel Fett, das muss noch weg, aber dazu ess ich einfach zu gerne.“
„Hallo? Wo bist du denn da zu fett?“
Julian hob den Kopf und schaute an sich herunter. „Naja, willst du mal anfassen?“
„Darf ich?“
„Warum nicht… schaut doch keiner zu… mach einfach.“
Ich entschied mich dafür, in dieser Stimmung einfach mit dem Flow zu gehen, und legte meine linke Hand auf seinen Bauch. Dabei zog er sein Shirt ein Stück nach oben, damit wir besser schauen konnten. Ich fühlte die kleinen Härchen auf seiner leicht gebräunten Haut und in dem Moment war es mir vollkommen egal, ob er zu fett war oder zu dünn, sein BMI interessierte mich überhaupt nicht und seine Frisur war vollkommen vergessen, und gedankenverloren streichelte ich ein bisschen hin und her… bis mich meine Gedanken wieder einholten und ich zügig die Hand zurückzog, und in möglichst neutralem Ton hinterher schob: „Ach, Schwachsinn, stell dich nicht so an. Ich finde, du siehst gut aus.“ Ich drehte mich wieder zurück, wir lagen beide auf dem Rücken und schauten durch das Blätterdach in den strahlend blauen Himmel. War das gerade echt? Ich wüsste so gern, was in seinem Kopf vor sich geht, dachte ich damals – wie ich es auch danach noch häufig denken sollte.
Nun, da die Zungen endlich gelöst waren, wollte ich wissen, was mit ihm los war. Ich wollte wissen, wie die Geschichte mit seiner letzten Freundin gelaufen war. Ich wollte für ihn da sein und ihm zeigen, dass ich in einer solchen Situation ein guter Freund sein kann. Ich wollte so sehr, dass er mich mochte. Was war da los? Hatte ich mich etwa… nein, das kann gar nicht… ablenken!
„Ju?“
„Ja?“
„Möchtest du von ihr erzählen?“
„Von Thea?“
„Ist das ihr Name?“
„Ach ja, ist er. War er. Ist aber egal, ich versuch das einfach alles hinter mich zu bringen, gibt auch noch mehr Frauen auf dieser Welt und irgendwo ist bestimmt die Richtige dabei.“
Das saß. Ich atmete etwas zu lautstark aus.
„Timo? Alles okay?“
„Ist alles in Ordnung, ich finds nur schade, dass dich das so sehr getroffen hat… ich hoffe, Cory und ich können dich heute ein wenig ablenken.“
„Ich fühl mich jetzt schon gut abgelenkt, ehrlich gesagt.“ Und er drehte seinen Kopf zu mir rüber: „Danke, Timo.“ Und wir lächelten uns kurz an. „Und Heroin ist also so ähnlich wie das jetzt? Dann kann ich verstehen, warum so viele Menschen davon abhängig sind.“
„Ja, es ist noch intensiver, unmittelbarer und so, aber im Wesentlichen kann man das vergleichen. Keine Angst, ich pass auf dich auf.“
„Ich wusste gar nicht, dass es Drogen mit so einer schönen Wirkung gibt. Ich kenn nur Alk, das ist zum Abschießen ja okay, aber auf die Nachwirkungen könnte ich verzichten, und das Kiffen damals hat irgendwie überhaupt nichts bewirkt. Und so was hier, ich finde, das kann man hin und wieder mal machen.“
„Das ist auch einer der Hauptgründe, warum ich so gut wie keinen Alkohol mehr trinke. Das Gefühl ist mir einfach zu räudig.“
„Hast du denn sonst noch mit anderen Drogen Erfahrungen?“
„Hm, sagen wir mal so, ich hab ein paar Sachen ausprobiert, aber nicht so viele verschiedene Substanzklassen. Ich kenn noch ein paar Opiate mehr, hab diverse Beruhigungsmittel mal ausprobiert, das hat mich aber so gar nicht gereizt.“
„Hattest du schon mal einen Trip?“
„Jep, nicht klassisch mit einem Halluzinogen, sondern mit einem Dissoziativum. Dauert zu lang, das zu erklären, jedenfalls hat mir das gut gefallen, weil ich dadurch viel über mich selbst gelernt habe.“
Und das war nicht gelogen. Ich hatte gelernt, mein Verhalten öfters mal von außen zu sehen, ich habe ein Bewusstsein bekommen dafür, dass meine Gedanken und Taten nicht immer die ideale Lösung sind. Und die Trips halfen mir, das Gedankenchaos in meinem Kopf zu beseitigen, weil ich wie bei Meditationen lange, ruhige Nachdenkphasen dabei hatte. All das erläuterte ich Julian. Wir schwiegen einen Moment, als wir bemerkten, dass ein älteres Ehepaar langsam an unserem Platz vorbei flanierte.
„Timo, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen verrückt, aber das würde mich auch mal interessieren.“
„Psychedelische Substanzen? Du möchtest mal auf einen Trip gehen?“
„Naja, ich hab ein bisschen Angst, dass ich kleben bleibe, ich hab darüber schon Einiges gelesen. Und ich würds nicht allein machen.“
„Nein, ist besser, wenn man einen Begleiter oder Tripsitter hat, gerade wenn man selbst noch unerfahren ist.“
„Würdest du das machen? Mit mir mal auf einen Trip gehen?“
Ich blickte wieder zu ihm rüber. Das wurde ja immer besser. Als er es bemerkte, wandte er seinen Kopf zu mir.
„Ich mein, musst du nicht, ich will dich zu nichts drängen, aber…“
„…aber du bist neugierig geworden, richtig? Das steht wie ein Punkt zum Abhaken auf der Lebens-To Do-Liste, oder?“
„Woher weißt du das, war das bei dir auch so?“
„Das geht sehr vielen Menschen so. Die Neugier, den eigenen Horizont zu erweitern, etwas Neues zu erfahren, sich selbst kennenzulernen… das machen die Menschen schon seit Jahrtausenden, findet man ja auch bei diversen Naturvölkern.“
„Ist das also ein Ja?“
„Und wie! Du glaubst gar nicht, wie lange ich das schon mal ausprobieren wollte – mit jemandem zusammen auf einen Trip gehen. Das können wir gern machen! Ich werd dir das auch alles erklären, damit du weißt, was auf dich zukommt. Wir planen das Ganze richtig gut durch.“
„Wow, ich bin so aufgeregt, ich würd am liebsten jetzt schon weitermachen…“, sagte er verträumt, aber ich musste ihn bremsen.
„Machen wir, Julian, kein Ding! Aber wir sollten jetzt langsam mal losgehen, wir sollten um 18 Uhr bei Cory sein, und jetzt ist es bereits zwanzig nach.“
„Oh shit, ich hab gar nicht mitbekommen, wie die Zeit rumgegangen ist, ich hätte hier noch ewig liegen können. Macht nichts, für Cory finden wir schon ne Ausrede.“
Wir grinsten uns noch einmal an, dann standen wir auf. Julian geriet deutlich ins Schwanken und stützte sich auf meine Schulter.
„Wow, alles klar, damit hab ich jetzt nicht gerechnet, ich muss mal ne Sekunde stehen bleiben, mir ist schwindelig.“
„Keine Sorge, ganz normal, Du bist zu schnell aufgestanden und das auch noch unter Opioid-Einfluss, da macht der Kreislauf gern mal solche Zicken.“
Er stützte vornübergebeugt seine Hände auf den Knien ab.
„Und? Geht wieder?“
„Ja, danke für die ganzen Erklärungen, Timo, ich fühl mich damit sicherer. Okay, dann mal Abflug zum Auto und auf dem Weg überlegen wir uns ne Geschichte für Cory, warum wir zu spät sind.“
Strahlend wie zwei Honigkuchenpferde wanderten wir über die grüne Wiese Richtung Tor. Bevor wir den Ausgang des Parks erreichten, blieb Ju abrupt stehen, lächelte mich an und fragte: „Möchtest du eigentlich mal meine Muskeln anfassen? Du meintest doch, dass dir das gefällt, oder?“
Alles klar, da denke ich, gut, der Peak ist überschritten, und dann so was. Ich schaute ihm direkt in die Augen. Angriff, und zwar jetzt!
„Klar, würd ich gerne, spann doch mal an!“
Wir schauten uns noch kurz um, ob niemand in der Nähe war, dann zog Julian die Ärmel seines Shirts hoch und spannte seine Oberarme an. Wow. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich sah, wie seine Tattoos durch die Muskeln ein wenig verzerrt wurden. Mir wurde ziemlich heiß, wusste grad nicht so richtig, was ich machen sollte, aber Ju ging nun in die Vollen.
„Na los, du kannst ruhig anfassen!“
Und das tat ich. Zuerst tippte ich nur mit den Fingern ein bisschen dagegen, dann legte ich eine Hand auf seinen Oberarm, schließlich packte ich mit beiden Händen richtig zu. Ju strahlte, während er selbst seinen Arm betrachtete.
„Wow, Julian, da hat sich aber seit dem Theater Einiges getan! Das fühlt sich so geil an, ich fühl mich grad richtig geehrt, dass ich da mal ran darf.“
„Ja, die sind ganz schön fest, oder? Da kommt auch so schnell keiner gegen an. Das muss an den Drogen liegen, ich weiß auch nicht, ich hatte einfach total Lust, Dir meine Muskeln zu zeigen, warum auch nicht? Und jetzt ist die Chance, gleich bei Cory wäre das irgendwie unpassend.“
Ich musste kichern.
„Wenn die wüsste, was wir beide schon alles gemacht haben, bevor wir überhaupt zu ihr losgefahren sind. Lass uns bloß nichts erzählen!“
„Nein, natürlich nicht.“
„Okay, dann komm, ab zum Auto.“
Ein klein wenig schwankend gingen wir den Fußweg zu meinem Auto zurück, während ich fieberhaft überlegte, was ich Cory bloß erzählen sollte…

fortsetzung folgt...

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