Donnerstag, 26. Mai 2016

Schlimme Ecke!


Schlimme Ecke ist der Name eines Sketches von Dirk Bach aus den Neunzigern. Er spielt dabei einen arbeitslosen Sozialhilfeempfänger, der seine freie Zeit damit verbringt, am Fenster seiner Wohnung zu stehen und zu beobachten, welch' herrliche Unfälle unten an der Kreuzung passieren. Moment... fühle ich mich gerade ertappt?

Ich wohne an einer Hauptstraße, genauer an einer Kreuzung mit einigem Verkehr, und der Blick aus einem der Fenster, die die Kreuzung überblicken, ist in der Regel mit visuellem Plaisir verbunden. Meist lockt mich zuerst das Akustische: So hörte ich eben entnervtes Hupen aus der Seitenstraße und sehe, dass eine ältere Dame samt Benz aus der Diesterwegstraße kommt und den Verkehr blockiert, weil sie erst nach Überfahren der Haltelinie ins Grübeln kommt, ob sie nun nach links oder rechts auf die Hamburger Chaussee abbiegen soll. Also bleibt sie erstmal stehen, bis die Grünphase vorbei ist. Das Hupen beginnt, ich komme gelaufen wie ein Sensationsreporter, Chipstüte in der rechten Hand, Colaflasche in der linken, fast ein bisschen wie Werner beim Wochenmarktspiel im gleichnamigen Film.

Dabei gibt es eigentlich nicht mehr viel zu sehen an dieser schlimmen Ecke. Oder? Denn es ist ja alles blockiert. Aber gut so, das erlaubt einen klareren Blick von oben auf die Mienen und Gesten der Autofahrer: Die ältere Dame lächelt freundlich eine junge Mutter mit Kinderwagen an, die sie fast überfahren hätte. Die junge Mutter im Auto hinter ihr schlägt mit der Hand auf das Lenkrad, fährt sich entnervt durch die Haare und fährt rückwärts hinter die Haltelinie zurück. Davon bekommt die ältere Dame nichts mit; sie schaut fasziniert auf den vorbeifließenden Verkehr.

Und ich bin ein wenig genervt. Das war es schon? Dabei wollte ich gerade eine Pizza in den Ofen schieben, so als kleines ALGI-Frühstück. Naja, dann gehe ich halt zurück und ziehe mir endlich mal meine 7,99€-Jogginghose vom Discounter an, um das Feeling zu komplettieren. Plötzlich höre ich das gleiche Hupen wie vorhin noch zweimal, nein, drei Mal hintereinander aus der gleichen Richtung. Ich springe hocherfreut und voller Spannung zurück in Erwartung all der Verkehrskapriolen, die sich da unten gerade abspielen mögen. Leider bin ich zu spät: Die ältere Dame ist soeben nach rechts abgebogen und die junge Mutter im Auto lässt die Rauchschwaden aus ihrem Kopf durchs Fahrerfenster abziehen. Hoffentlich überfährt sie jetzt nicht aus Wut drei Katzenbabys!

Schlimme Ecke, sag' ich da nur. Über einen weiteren Bewohner der schlimmen Ecke habe ich schon einmal berichtet. Auch die Buslinie 52 tingelt regelmäßig mit ihrem hochgradig in die Jahre gekommenen Gepäck über den Asphalt. Und was passiert sonst noch so? Ich muss gar nicht lang' warten, dann geht die Show weiter:

Zwei Häuser und siebzehn Schritte weiter links befondet sich eine derzeit "aus leider all den falschen Gründen" in den Medien präsente Klinik - das sorgt für Sirenen, Notfälle und mit Wachs verstopfte Ohren, leider sind die Fahrer der Wagen nicht alle so hübsch wie der olle Odysseus und die "Crew" ringt ab und an mit dem Tode. Ich habe ja leider keinen Röntgenblick, so dass ich in die Wagen hineinschauen könnte, und somit bleibt das Einzige, was mich an diesen Momenten zynisch erheitert, die Unfähigkeit mancher Autofahrer, dem Notarzt Platz zu machen. Also warte ich auf anderweitige Sensationen.

Doch schlagartig wird mir bewusst, dass ein Unterhaltungskonzept wie die Schlimme Ecke nur dann funktionieren kann, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Also schlurfe ich mit Wegwerf-Jogginghose und Socken-in-Birkenstocks-Outfit runter zum Laden und kaufe mir das billigste, trashigste Fast Food, das ich finden kann, und wünsche der Kassiererin noch einen schönen Abend. Um 13.37 Uhr. Das ist, wie wenn man in der Apotheke am Dienstag "ein schönes Wochenende!" wünschen würde. Aber sowas macht ja keiner.

Bis zur nächsten Ausgabe der Schlimmen Ecke!

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